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(erstellt: Dezember 2010)

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1. Begriff

Mit dem Wort „Amme“ wird das hebräische Partizip Femininum Hif. von jnq „saugen“ übersetzt. Es handelt sich also um eine Frau, die ein Kind saugen lässt bzw. stillt. Damit ist im weiteren Sinn jede stillende Frau eine Amme. Erst im engeren Sinne bezeichnet der Begriff Frauen, die ein Kind stillen, dessen Mutter sie nicht sind, insbesondere Lohnammen.

Die Wurzel ist gemeinsemitisch: Im Akkadischen findet sich in der gleichen Bedeutung enēqu, im Ugaritischen jnq; möglicherweise ist auch das ägyptische śnq verwandt.

2. Bestimmte Ammen

Im Alten Testament gibt es nur fünf Kontexte mit acht Belegen, an denen explizit von einer Amme die Rede ist. Darüber hinaus sind aber Stellen zu berücksichtigen, die von einer stillenden Frau sprechen, da sowohl die Mutter als auch eine Amme gemeint sein kann.

2.1. Debora, die Amme Rebekkas

Nach Gen 24,59 wird → Rebekka von ihrer Amme begleitet, als sie von Haran aufbricht, um → Isaak zu heiraten. In Gen 35,8 wird deren Name mit → Debora („Biene“) angegeben. Ihr Grab begründet die Ortsätiologie der „Eiche des Weinens“ bei → Bethel. Die namentliche Erwähnung, die herausgehobene Begräbnisstätte und die Tatsache, dass sich der Ortsname von ihr ableitet, verweisen auf die besondere Bedeutung dieser Frau.

2.2. Die Mutter des Mose

In Ex 2,7 spielt die Amme eine wichtige Rolle in der Erzählung von der Rettung des Retters, → Mose (→ Säugling 3.). Erst das Zusammenspiel der Frauen ermöglicht das Überleben des Mose: Der Säugling, der so gut wie irgend möglich geschützt von seiner Mutter wie in einer Arche in den → Nil gesetzt wird, bleibt unter Beobachtung seiner Schwester. Die Tochter des Pharao lässt ihn durch ihre Dienerinnen aus dem Wasser holen und vertraut ihn unwissentlich seiner eigenen Mutter als Amme an. Durch die Bezahlung (Ex 2,9) wird deutlich, dass die Tochter des Pharao das Kind als ihr eigenes ansieht. Dies wird dadurch bestätigt, dass das abgestillte Kind von ihr einen ägyptischen Namen erhält und am Königshof aufwächst (Ex 2,10).

2.3. Die Ammen der Prinzen Merib-Baal und Joasch

Auch zwei weitere Erzählungen spielen am Königshof: Nach 2Sam 4,4 flieht die Amme mit → Merib-Baal, dem Sohn → Jonatans, als sie von der Niederlage der Israeliten in der Schlacht von → Gilboa erfährt. In der Aufregung fällt ihr der Säugling vom Arm und verletzt sich die Füße, so dass er fortan gelähmt ist. Trotzdem rettet sie durch die Flucht sein Leben. Später lebt Merib-Baal als einziger Nachfahre → Sauls am Königshof → Davids.

Ebenfalls eine Rettungserzählung ist 2Kön 11,2 // 2Chr 22,11: In der Ausweitung der „Revolution des → Jehu“ auf das Südreich werden alle Nachkommen → Jorams getötet (2Kön 10,12-14). Allein der Säugling → Joasch, ein Enkel Jorams, wird durch Initiative seiner Tante Joscheba zusammen mit seiner Amme im Tempel versteckt, bis er sechs Jahre später durch Unterstützung des Oberpriesters und des Heeres zum König gesalbt werden kann (2Kön 11,12).

3. Aufgaben einer Amme

Die wichtigste Aufgabe der Ammen war es natürlich, ein Kind zu stillen. Da diese Phase etwa drei Jahre dauerte (2Makk 7,27), war damit eine umfassende Betreuung des Säuglings und dann des Kleinkindes verbunden. Dadurch stand die Amme in einem besonderen Vertrauensverhältnis zu dem Kind, das ihr anvertraut war und zu dessen Familie.

3.1. Amme nach dem Tod der Mutter

Die Ernährung der Säuglinge war in Israel vorrangig die Aufgabe der leiblichen Mutter. Doch die Sterblichkeit im Kindbett war sehr hoch. Sowohl für die Gebärende als auch für das Neugeborene waren die peri- und die postnatale Phase eine Sache auf Leben und Tod. In den zahllosen Fällen, in denen die Mutter während der Geburt starb, hing das Leben des Kindes von einer alternativen Nahrungsquelle, also primär einer Amme bzw. Lohnamme ab. Das gleiche gilt prinzipiell auch für Fälle, in denen die Muttermilch nicht ausreichte.

3.2. Amme als Statussymbol

Diesen prinzipiellen Erwägungen entsprechen die Belege jedoch nicht ganz: Sie bezeugen Ammen nämlich nur im Zusammenhang mit wohlhabenden Familien, vor allem Königsfamilien. Wenn Ammen in der Bibel also nur an relativ wenigen Stellen belegt sind, hat das vermutlich vor allem sozialgeschichtliche Hintergründe: Arme Familien konnten sich den Ammenlohn nicht leisten. Eine Mutter aus wohlhabenden Verhältnissen „hatte es nicht nötig“ ihr Kind zu stillen.

Das Bild von der Amme als Kennzeichen privilegierter Familien bestätigen babylonische Belege: Da in Codex → Hammurabi § 194 die Mutter als Teil der Parteien im Rechtsstreit um eine Dienstverletzung einer Amme genannt wird, hat man Ammen offenbar angestellt, auch wenn die Mutter lebte (vgl. auch Codex Eschnunna § 32). Im klassischen Griechenland und in Rom ab dem 2. Jh. v. Chr. gehörte es zur aristokratischen Tradition, Kinder von Ammen stillen zu lassen. Andererseits wurde von der Lehre des Ani (→ Weisheitsliteratur in Ägypten) bis zu den Abhandlungen des Soranus (Frauenheilkunde II, 19f) vor den schädlichen Einflüssen gewarnt, die es mit sich bringe, wenn die Mutter das Kind nicht selbst stille. Das Stillen des Säuglings war also weniger eine Frage mangelnder Muttermilch als vielmehr eine kultureller Konvention: Eine Frau, die nicht stillte, wollte nicht stillen (Babylonischer Talmud, Traktat Ketubbot V 5; Text Talmud). Der Vergleich der Kinderzahl legt sogar nahe, dass aufgrund der kontrazeptiven Wirkung des Stillens signifikant geringere Zeitabstände zwischen den Schwangerschaften lagen (Gruber, 79), so dass sehr reiche Familien mit Hilfe der Ammen ihre Kinderzahl und damit ihren Einfluss vergrößern konnten.

3.3. Sozialer Status von Ammen

Amme 1

Aufgrund der wenigen Belege sind aus Israel keine Details zum Ammendienst bekannt. Ob die Amme in der Familie lebte, in deren Dienst sie stand (so 2Sam 4,4), oder ob sie das Kind in ihren eigenen Haushalt mitnahm (so Ex 2,7-10), war vom sozialen Status der Amme abhängig: Eine Sklavin gehörte ohnehin zur Großfamilie, wohingegen eine freie „externe“ Amme den Säugling in ihr Haus aufnehmen konnte.

In Mesopotamien rekrutierten Ammen sich aus niederen sozialen Schichten. Tabus verboten ihnen Geschlechtsverkehr und Schwangerschaft. Außerdem durften Ammen kein weiteres Kind stillen (Stol, 184f). Offenbar kam es häufiger zu Streit im Zusammenhang mit der Bezahlung der Ammen (vgl. Codex Eschnunna § 32) oder der Vernachlässigung des Säuglings mit der Folge, dass das Kind erkrankte oder sogar starb (Codex Hammurabi § 194).

4. Bildliche Rede von Ammen

4.1. Fürstinnen werden als Ammen dienen

Zu der von → Deuterojesaja angekündigten Heilszeit gehört nach Jes 49,23 eine Umkehrung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Nicht mehr die Ammen stehen im Dienst von Fürstinnen, um deren Kinder zu ernähren, sondern jetzt stillen die Fürstinnen die Säuglinge der zuvor unterdrückten Israelitinnen, die keine Hoffnung auf Nachwuchs hatten (Jes 49,20f). Die Möglichkeit, sich eine Amme zu leisten, wird hier also bildlich gebraucht, um Israels Aufstieg und herausragende Stellung auszudrücken.

4.2. Stillen von Mutter oder Amme als Segensikone

Magie 1

1. Im Alten Testament wird JHWH an mehreren Stellen andeutungsweise als stillende Gottheit gezeichnet: In Num 11,12; Dtn 32,13 und Hos 11,4 ist jeweils unter Vermeidung einer Festlegung auf ein Geschlecht davon die Rede, dass Gott Israel wie einen Säugling ernährt. In Gen 49,25 gilt der „Segen der Brust“ als Inbegriff göttlichen Segens. Dies veranschaulichen weibliche Terrakotten mit betonten Brüsten, die zu den ältesten Darstellungen in Palästina / Israel gehören. Sog. Säulen- oder → Pfeilerfigurinen, die für Juda in der Eisenzeit IIC typisch sind, betonen mit den Händen unter den Brüsten den erotischen sowie den nährenden Aspekt. Dass sie in großer Zahl gefunden wurden, zeigt die Bedeutung dieser Segensikone, aber auch die Bedeutung des Stillens.

Goettin Abb 05

In Ägypten findet sich eine Spezialisierung der Funktionen „gebären“ und „ernähren“, die erst in der Spätzeit wieder verschmelzen (Isis lactans). Auffällig viele ägyptische Darstellungen zeigen stillende Frauen. Die göttliche Amme des Königs dient seiner Legitimation. Im Bild der Ernährung wird dargestellt, dass er die notwendigen Lebenskräfte aus göttlicher Quelle bezieht.

TochterZion 2

In → Ugarit gelten in der Keret-Legende → Aschera und → Anat als Ammen (Winter 397f). Wenn der Königssohn Jassubu von → Astarte und Anat gestillt wird, geht es nicht um Mutterliebe, sondern um Lebenserhaltung (KTU1.15 II 26f): Der Fortbestand des Königtums hängt symbolisch am göttlichen Busen“.

2. Jes 66,10-13 kombiniert drei Bilder: 1. Israel als Säugling; 2. Jerusalem als stillende Frau; 3. Gott als Mutter. Das Wortfeld ist von der Sorge für Säuglinge bestimmt. Die Fähigkeit, Kinder zu ernähren, wird als Symbol für die Heilszeit verwendet. Das Bild von Jerusalem als stillender Frau ist singulär, während das Bild von JHWH als Mutter Jes 49,15 aufgreift.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Paulys Real-Encyclopädie der classischen Alterthumswissenschaft, Stuttgart 1894-1972
  • Reallexikon der Assyriologie und vorderasiatischen Archäologie, Berlin 1928ff
  • Reallexikon für Antike und Christentum, Stuttgart 1950ff.
  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
  • Der Neue Pauly, Stuttgart / Weimar 1996-2003
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003

2. Weitere Literatur

  • Aly, A.A., The Wet Nurse. A Study in Ancient Medicine and Greek Papyri (Vesalius 2/2), 1996, 86-97
  • Bradley, K.R., Wet-nursing at Rome. A Study in Social Relations, in: B. Rawson (Hg.), The Family in Ancient Rome: New Perspectives, Ithaca 1980, 201-230
  • Bradley, K.R., Sexual Regulations in Wet-nursing Contracts from Roman Egypt, Klio 62 (1980), 325
  • Fildes, V., Wet-Nursing. A History from Antiquity to the Present, Oxford 1988
  • Maher, V., The Anthropology of Breast-feeding. Natural Law or Social Construct, New York 1992
  • Marsman, H.J., Women in Ugarit and Israel. Their Social and Religious Position in the Context of the Ancient Near East, Leiden 2003
  • Gruber, M.I., Breast-Feeding Practices in Biblical Israel and in Old Babylonian Mesopotamia (JANES 19), 1989, 61-83
  • San Nicolo, M., Art. Ammenvertrag, in: Reallexikon der Assyriologie und vorderasiatischen Archäologie, Bd. 1, Berlin 1928, 96f
  • Stol, M., Birth in Babylonia and the Bible. Its Mediterranean Setting, Groningen 2000
  • Winter, U., Frau und Göttin. Exegetische und ikonographische Studien zum weiblichen Gottesbild im Alten Israel und in dessen Umwelt (OBO 53), Fribourg / Göttingen, 2. Aufl., 1987
  • Wunsch, C., Findelkinder und Adoption in neubabylonischen Quellen, AfO 50, 2003, 174-244
  • Yee, G.A., „Take this child and suckle it for me“: Wet nurses and Resistance in Ancient Israel, BTB 39, 2009, 180-189

Abbildungsverzeichnis

  • Siegel der Amme Zamema (Tell Mozan in Nordmesopotamien; ca. 2200 v. Chr.). Aus: O. Keel / S. Schroer, Eva – Mutter alles Lebendigen. Frauen- und Göttinnenidole aus dem Alten Orient, Fribourg 2004, Fig. 23a; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
  • Pfeilerfigurine (Terrakotte aus Juda; 7. Jh. v. Chr.). © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
  • Baumgöttin (Malerei im Grab Thutmosis’ III. in Theben-West; 1479-1426 v. Chr.). Aus: U. Winter, Frau und Göttin. Exegetische und ikonographische Studien zum weiblichen Gottesbild im Alten Israel und in dessen Umwelt (OBO 53), Freiburg (Schweiz) / Göttingen 1983, Abb. 460; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
  • Stillende Göttin (Elfenbeinrelief aus Ugarit; um 1380 v. Chr.). Aus: U. Winter, Frau und Göttin. Exegetische und ikonographische Studien zum weiblichen Gottesbild im Alten Israel und in dessen Umwelt (OBO 53), Freiburg (Schweiz) / Göttingen 1983, Abb. 409; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz

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