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Wirtschafts-/Unternehmensethik

(erstellt: Februar 2017)

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1. Definition

Wirtschaftsethik ist eine Bereichsethik, die sich mit dem Wirtschaftssystem, konkreten wirtschaftlichen Prozessen sowie den Handlungsträgern/Handlungsträgerinnen befasst. Als angewandte Ethik (in Abgrenzung zur allgemeinenEthik) entwickelt die Wirtschaftsethik einerseits normative Konzepte für ökonomische Funktionsbereiche. Auf der anderen Seite stellt sie derartige Konzepte auch für die Steuerungsbereiche von Wirtschaft (Politik, Mikroökonomie u.a.) bereit. Die genannten Aufgaben erfahren eine spezifische Konkretisierung im Rahmen der Unternehmensethik, die ein Teilgebiet der Wirtschaftsethik darstellt. Die Unternehmensethik bringt anwendungsorientierte Konzepte für einzelne Unternehmen hervor, in denen festgelegt wird, welchen ethisch-moralischen Ansprüchen das jeweilige Unternehmen auf welche Weise genügen möchte.

Für alle genannten Anwendungsgebiete der Wirtschaftsethik ist ein fundiertes empirisches Wissen über den betreffenden Bereich von konstitutiver Bedeutung, das in Bezug zu setzen ist zu den normativen Ansprüchen der zugrunde liegenden Ethik. Als wissenschaftliche Disziplin ist die Wirtschaftsethik somit zwischen dem theoretischen Gefüge der allgemeinen Ethik und dem der empirischen Wirtschaftswissenschaften zu verorten.

Per definitionem will die Wirtschaftsethik demnach zusammenführen, was scheinbar nicht zusammengehört. In der Tat unterliegt die Disziplin einer gewissen Spannung, denn in ihr treffen affirmierendes Erfahrungs- und Anwendungswissen mit spezifischen impliziten bzw. systemimmanenten Interessen auf den Anspruch einer kritischen Reflexion, die auf normativen (und mitunter widerstrebenden) Ansprüchen beruht. Diese Spannung erweist sich jedoch dann als konstruktiv, wenn man die beiden Begriffe (Wirtschaft und Ethik) als Reflexionsbegriffe begreift, als konstruktiv-kritische Beschreibungsmodi des jeweils anderen.

1.1. Aufgaben und Inhalte

Zu den Schlüsselaufgaben der Wirtschaftsethik zählt, das empirische Erfahrungswissen der Wirtschaftswissenschaften sowie der (Sozial-)Ethik mit den normativen Ansprüchen beider genannten Wissenschaften, insbesondere jedoch der (Wirtschaft-)Ethik, in Beziehung zu setzen. Aus dieser meist theoriegeleiteten wirtschaftsethischen Reflexion sind dann Orientierungs- und Handlungsregulativen für das ökonomische Planen und Handeln (beispielsweise im Rahmen unternehmensethischer Konzepte) zu entwickeln.

Die Funktionen, welche die Wirtschaft als gesellschaftliches Teilsystem wahrnimmt, verweisen dabei zugleich auf zentrale wirtschaftsethische Themen. Ganz allgemein hat das Wirtschaftssystem die planvolle und systematische Deckung des materiellen Bedarfs zu gewährleisten bzw. dem kapitalistischen Ideal entsprechend einen Überschuss zu erwirtschaften. Als Teilsystem ist sie dabei, wie jeder andere Bereich der → Gesellschaft, an den jeweiligen Kulturraum gebunden, der unter anderem festlegt, welches Wirtschaftssystem dem ökonomischen Handeln zugrunde liegt.

Hier ist an die verschiedenen wirtschaftlichen Systeme zu denken. Während planwirtschaftliche Systeme die Zielgrößen des Wirtschaftens (beispielsweise Auswahl, Menge und Herstellungsart[en] von Produkten) zentral festlegen, bestimmen bei den verschiedenen marktwirtschaftlichen Konzepten (grob betrachtet) Angebot und Nachfrage die genannten Zielgrößen. In Zeiten der Globalisierung und globalen Vernetzung ist allerdings keines der genannten Systeme isoliert zu betrachten. Im Kontext unserer sozialen Marktwirtschaft und unter den Einflüssen der liberalen Marktwirtschaft sind als wirtschaftsethische Schlüsselthemen unseres Kulturkreises das Streben nach Kosten-Nutzen-Optimierung sowie die strikte Orientierung am Rationalitätsprinzip zu identifizieren. Als konkrete (Anwendungs-)Fälle wirtschaftsethischer Reflexion ergeben sich daraus etwa die Frage nach dem gesamtgesellschaftlichen Nutzen wirtschaftlichen Tuns sowie diejenige nach der Verantwortung des ökonomischen Systems in Bezug auf die Gesellschaft, nach einer globalen (Verteilungs-)Gerechtigkeit, der Umwelt, der personalen Würde sowie weitere Themen.

„Solche Probleme wissenschaftlich zu durchdringen ist die Aufgabe der Wirtschafts- und Unternehmensethik. Als wissenschaftliche Disziplin reflektiert sie moralische Probleme, die bei der Führung von Unternehmen relevant sind, wobei sie im Wesentlichen drei Erkenntnisziele verfolgt: Begründung, Erklärung und Gestaltung“ (van Aaken/Schreck, 2015, 7).

Zu begründen ist, welche ethischen Normen von Unternehmen und wirtschaftlichen Handlungsträgern/Handlungsträgerinnen warum zu achten und für ihr Agieren zu antizipieren sind. Erklärung wäre hier wohl passender als beschreiben und erklären zu bezeichnen, denn hiermit ist insbesondere die empirische Forschung gemeint, die beschreibt, wie Unternehmen faktisch mit ethischen Fragen umgehen. Es wurde bereits einleitend in der Definition von Wirtschaftsethik darauf verwiesen, dass empirische Forschung von konstitutiver Bedeutung für die Wirtschaftsethik ist. Im Übrigen ist empirische Forschung auch in Hinblick auf den dritten Aspekt von Bedeutung. Für das Gestalten wirtschaftsethischen Handelns bedarf es nämlich einer eingehenden Bedingungs- und Kontextanalyse, die Ausgangspunkt jedes pädagogischen Anliegens ist. Zugleich ist hier auch ein erstes Defizit festzustellen. Eine „normative Theorievergessenheit“ (van Aaken/Schreckheld, 2015, 7) verhindert bisher, dass richtige und wichtige Impulse der Wirtschaftsethik bzw. der Unternehmensethik ihre volle Wirkung in der Realität entfalten. Hier ist in besonderer Weise die Religionspädagogik als theologisch-pädagogische Disziplin gefragt, Konzepte ethischer Bildung in unternehmerischen Kontexten zu entwickeln, um so ein Feld zu erschließen, das bislang weitgehend unreflektierten und oft zu kurz greifenden Coachings und Trainingsangeboten überlassen ist.

1.2. Form und Adressaten/Adressatinnen

Politische, korporative und individuelle Handlungsträger/Handlungsträgerinnen des Wirtschaftssystems stellen zusammen ein verschlungenes und komplexes Handlungsfeld für das Anliegen (wirtschafts-)ethischer Bildung dar. Es bedarf daher einer Differenzierung hinsichtlich der Formen, welche Wirtschaftsethik annehmen kann, sowie hinsichtlich der Adressaten/Adressatinnen.

Wirtschaftsethik tritt einerseits als explizite Theorie geleitete Wirtschaftsethik auf, also als ausformulierte Ethik mit spezifischen Inhalten im Kontext wirtschaftlicher Fragen. Andererseits begegnet sie uns auch als implizite (Wirtschafts-)Ethik. Hiermit ist die innere Haltung der in der Wirtschaft handelnden Subjekte bezeichnet, in der sich unter anderem die individuelle Frömmigkeit oder ethische Überzeugungen manifestieren. Entsprechende Forschungsarbeiten verweisen auf die Relevanz impliziter Ethiken, da diese auf unbewusster Ebene beispielsweise das Entscheiden (als Schlüsselkategorie angewandter Ethik) maßgeblich beeinflussen (siehe die Prospect Theory von Kahnemann/Tversky).

Entsprechend sollten Konzepte wirtschaftsethischer Bildung nicht nur theoretische Konstrukte bilden oder sich vorrangig an Steuerungssysteme von Wirtschaft (Mikroökonomie und Politik) richten, wie dies bislang mehrheitlich geschieht, sondern auch an korporative Handlungsträger (Unternehmen) sowie individuelle Handlungsträger/Handlungsträgerinnen. Denn während für planwirtschaftliche Systeme vor allem die mikroökonomische Wirtschaftsplanung als Betätigungsfeld von Wirtschaftsethik zu identifizieren ist, sind bei marktwirtschaftlichen Modellen vor allem die Unternehmen sowie zunehmend die Subjekte wirtschaftlichen Handelns diejenigen, die ethische Entscheidungen zu treffen und zu verantworten haben.

2. Aktuelle Herausforderungen

Das öffentliche Bewusstsein für die Bedeutung wirtschaftsethischer Fragen hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten markant verändert. Während man bis zum Ende des kalten Krieges und dem Zusammenbruch kommunistischer Regime bei quasi allen wirtschaftlichen Angelegenheiten vorrangig den Vergleich (in Hinblick auf Effizienz und Effektivität) kapitalistisch-marktwirtschaftlicher und sozialistisch-planwirtschaftlicher Wirtschaftssysteme im Blick hatte, geht es heute zunehmend um ethische Themen, wie Verantwortung, Legitimität, Freiheit versus Regulierung u.v.m. Denn mag es vordergründig erneut um die Kernfrage nach einer stärkeren politischen Regulierung des kapitalistischen Wirtschaftssystems gehen (in Abgrenzung zu einer reinen Selbstregulierung), geschieht dies unter einer anderen Prämisse, die auf den Erfahrungen von Wirtschaftskrisen und den Defiziten unregulierter Märkte beruht und generell die ethische und moralische Legitimität der vorherrschenden marktwirtschaftlichen Ordnungen an sich kritisch reflektiert. Verschärfend kommt hinzu, dass das Wirtschaftssystem als Ganzes sich derzeit in einer revolutionären Umbruchsituation befindet. Als Gründe sind unter anderem die zunehmende Digitalisierung, das absehbare Ende des kontinuierlichen Wachstums oder alternative Produktionsarten zu nennen.

Vor diesem Hintergrund rückt vermehrt der/die einzelne wirtschaftlich Handelnde in den Fokus, denn die Krisen der jüngeren Vergangenheit zeigen, dass die Verantwortung für ethisches Handeln auch und in zunehmendem Maße eine personale ist. Entsprechend groß ist die Nachfrage nach (wirtschafts-)ethischer Bildung, allerdings bleiben wirtschaftsethische Bildungsangebote bislang sowohl im akademischen wie auch im realen Feld weitgehend ohne Wirkung und es ist ernüchternd, festzustellen, dass es vorerst an (religions-)pädagogisch reflektierten Konzepten für die wirtschaftsethische Praxis mangelt.

Dieses Vakuum versucht die Politik als Steuerungssystem von Wirtschaft mit stärkeren Regulierungen (etwa beim Kapitaltransfer) zu kompensieren. Auch auf Unternehmensseite ist man inzwischen zu der Einsicht gekommen, dass der alte Widerspruch „Profit oder Gemeinwohl?“ (Imbusch/Rucht, 2007) nicht länger Gültigkeit beanspruchen kann und ethisches Wirtschaften langfristig eben nicht zu Gewinneinbußen führen muss. In der Folge richten derzeit viele Unternehmen Stabstellen für „Law and Integrity“ bzw. Compliance-Systeme ein, die in systematischer Weise die Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen anhalten sollen, ethisch verantwortungsvoll zu handeln – auch zum Nutzen des Unternehmens. Dieser Nutzen manifestiert sich, wenn von Unternehmen wahrgenommene ethische Verantwortung nach außen präsentiert wird – im doppelten Sinne „veräußert“ wird – und sich dabei im Umfeld des Unternehmens (etwa über CSR Programme und Marketing) geldwert bewährt (beispielsweise bei den Stakeholdern).

3. Fachwissenschaftliche Orientierungen

3.1. Wirtschaftsethische Grundpositionen

Als angewandte Ethik, die an eine kulturraumspezifisch geprägte Wirtschaft gekoppelt ist, weist die Wirtschaftsethik in Abgrenzung zu anderen Ethiken charakteristische Merkmale auf. Wie bei allen Ethiken, steht jedoch auch bei der Wirtschaftsethik im Hintergrund inhaltlicher Aussagen zu konkreten wirtschaftsethischen Fragen die Festlegung auf spezifische Handlungsprinzipien.

Damit sind unter anderem Grundsatzentscheidungen gemeint in Bezug auf handlungsleitende Prinzipien und Motive. Wird Wirtschaftsethik etwa als deontologische Ethik (auch Pflicht- oder Gesinnungsethik) verstanden, wäre die dem Handeln zugrunde gelegte Absicht Schlüsselkriterium. Die Deontologie bezeichnet eine Kategorie von ethischen Theorien, die weniger die Konsequenzen von Handlungen als Unterscheidungszeichen annimmt, sondern stattdessen davon ausgeht, dass eine Handlung einer verpflichtenden Regel zu entsprechen hat, um „gut“ bzw. „legitim“ zu sein.

Deontologische Theorien sind grob von konsequentialistischen zu unterscheiden, wobei durchaus nach deontologischen Theorien zu differenzieren ist, die radikal und ausschließlich die Absicht als Entscheidungs- und Handlungskriterium gelten lassen und solchen, die auch den Konsequenzen einer Handlung Bedeutung für die Qualität einer Handlung zusprechen. Insbesondere seit Kant, als klassischem Vertreter der Deontologie, rückt zudem zunehmend die Frage nach der Begründung moralischer Normen in den Fokus.

Als angewandte Ethik muss sich die Wirtschaftsethik allerdings nicht nur im theoretischen Diskurs bewähren, sondern auch (als Unternehmensethik) Impulse für die Praxis geben.

Die deontologische Wirtschaftsethik weist in praktischen Kontexten nun spezifische Stärken aber auch Schwächen auf. Zum einen ist dieser stark normenorientierte Ansatz (scheinbar) gefeit vor Funktionalisierungen und Instrumentalisierungen, wie sie in der Praxis unter dem Druck ökonomischer Interessen passieren können. Auf der anderen Seite besteht das Grundproblem bei der Implementation von Ethik (die in der praktischen Anwendung meist verkürzend als Moral interpretiert wird) darin, „dass kein Moralsystem auf Dauer Bestand haben kann, das vom Normadressaten fordert, systematisch gegen seine eigenen Interessen zu handeln bzw. unter Bedingungen zu handeln, die die intendierten Folgen der moralischen Handlung nicht zustande kommen lassen“ (Wirtschaftslexikon Gabler, 2016, o.S.).

Hilfreich ist hier die Differenzierung von Individualethik versus Institutionenethik. Es wurde bereits festgestellt, dass die institutionelle Ebene in den meisten wirtschaftsethischen Konzepten systematischen Vorrang vor der Handlungsebene hat und bisher den deutlich größeren Teil wirtschaftsethischer Reflexion ausmacht. Vor dem Hintergrund einer deontologischen Wirtschafts- und Unternehmensethik sind die Regeln auf politischer wie unternehmerischer Ebene nun so zu gestalten, dass individuelles moralisches Handeln – zumindest theoretisch – möglich wird. Im ökonomischen Vokabular gesprochen: Moralisches Handeln wird anreizkompatibel. „Ethik wird damit zu einer Ordnungsethik (Regelethik, Institutionenethik) und, bezogen auf individuelles Handeln, zu einer Anreizethik, bei der es um die eigene und zugleich allgemeine Besserstellung geht“ (Wirtschaftslexikon Gabler, 2016, o.S.).

Aus (religions-)pädagogischer Perspektive scheint daran problematisch, dass die Motivation, sich einer spezifischen Ethik (Moral) entsprechend zu verhalten, vorrangig extrinsisch motiviert ist und die individuellen (ethischen) Prädispositionen der Handlungsträger/Handlungsträgerinnen unbeachtet bleiben.

Ein der deontologischen Ethik (zumindest scheinbar) diametral entgegengesetztes Ordnungsprinzip liegt der sogenannten teleologischen Ethik (Verantwortungsethik) zugrunde. Hier wird das Ziel des Tuns zum zentralen Unterscheidungskriterium, nach dem Motto „Ende gut, alles gut“, bei dem der Zweck durchaus auch einmal die Mittel heiligen darf. Auf Grund der starken Fokussierung auf die Folgen einer Handlung wäre es wohl auch treffender, diese wirtschaftsethische Richtung als Konsequentialismus zu bezeichnen, um eine Gleichsetzung mit der aristotelischen teleologischen Ethik zu vermeiden, da letztere weniger radikal die Konsequenzen einer Handlung als Bewertungskriterium annimmt als dies bei konsequentialistischen Wirtschaftsethiken der Fall ist.

Eine vor allem in der Unternehmensethik populäre Ausprägung konsequentialistischer Ethik ist der Utilitarismus. „Der Utilitarismus definiert als Ziel sittlichen Handelns den Nutzen, sei es des/der einzelnen, sei es der Gesellschaft und sieht im Prinzip der Nützlichkeit das einzige und höchste Beurteilungskriterium der Moral und des Rechts“ (Husslik, 1996, 1084). Als stark zweckorientierte (Wirtschafts-)Ethik nimmt der Utilitarismus den Zweck einer Handlung wertend als Norm wahr, wobei anzumerken ist, dass der Zweck nicht beliebig und alleingültig ist sowie utilitaristische Ethiken nicht nihilistisch gegenüber anderen Werten sind, wie es manchmal utilitaristischen Wirtschafts- bzw. Unternehmensethiken unterstellt wird.

Vielmehr gilt eine Handlung dann als gut, wenn sie für das Wohlergehen aller optimal ist, wobei optimal für verschiedene Deutungen offen ist. Häufig wird optimal in diesem Kontext begrifflich mit Glück identifiziert (hedonistischer Utilitarismus) und impliziert dabei das Glück aller (Sozialeudaimonismus). Insofern ist diese Ethik auch universal und altruistisch.

Nutzen ist also nicht mit Nützlichkeit zu identifizieren, sondern mit optimalen Zuständen bzw. dem noch immer recht deutungsoffenem Glück. In ökonomischen und handlungsorientierten Kontexten werden die genannten Bezeichnungen oft mit dem Begriff der Präferenz in Verbindung gebracht, in dem Sinne, dass eine optimale, Glück steigernde Situation gegeben ist, wenn individuelle bzw. kollektive Präferenzen verwirklicht sind. Hier zeigt sich nun auch die hohe Anschlussfähigkeit utilitaristischer Wirtschafts- bzw. Unternehmensethik an die empirische Forschung, ist doch die Präferenz sowohl für die empirische Sozialwissenschaft wie für die (meist spieltheoretisch konzipierte) empirische ökonomische Forschung von herausragender Bedeutung.

Die Unterscheidung von deontologischer versus teleologischer bzw. konsequentialistischer Ethik bezeichnet übrigens weder einen zwingenden gegenseitigen Ausschluss noch ein prinzipielles Konkurrenzverhältnis. Vielmehr gibt es über die inneren Abstufungen auch Schnittmengen, so wie das Gerechte/Richtige der deontologischen Ethik durchaus auch mit dem Glück Steigernden einer teleologischen Ethik übereinstimmen kann.

Die sogenannte Diskursethik bildet einen ethischen Denkansatz, der in mancherlei Hinsicht zwischen deontologischen und teleologischen Ethiken vermittelt und zudem ein für die Praxis (etwa die politische oder ökonomische) ein verbreitetes Mittel zur praktischen Anwendung ethischer Theorien ist. Im Zentrum diskursethischer Konzepte steht die Annahme, dass ethische Aussagen (normative bzw. präskriptive Sätze) auf Basis eines intersubjektiven Diskurses, an welchem alle betroffenen Gruppen teilnehmen, am Ende übereinstimmend festgestellt wird, was „gut“ bzw. richtig ist und sich entsprechend verhalten. Für die Diskursethik als Verfahrensethik ist es dabei kennzeichnend, dass sie bei der Bewertung bestimmter moralischer Prinzipien keine erkennbare Position festlegt, sondern dass diese im nachgelagerten praktischen Diskurs zu ermitteln ist.

3.2. Christliche Wirtschaftsethik

3.2.1. Begründung

Vor dem Hintergrund einer säkularen Gesellschaftsordnung sowie einer zunehmenden Säkularisierung ihrer Mitglieder stellt sich die Frage, weshalb eine Wirtschaftsethik (gegebenenfalls) christlich-theologisch fundiert sein sollte. Zum einen ließe sich dies damit zu begründen, dass das Wirtschaftssystem ein gesellschaftliches Subsystem unter weiteren – auch dem religiösen – ist und (wie oben gesagt) an den jeweils kulturellen Kontext gebunden ist, der bei uns nun einmal christlich abendländisch geprägt ist. Zum anderen beheimatet das ökonomische System diverse Formen funktionaler Äquivalente, die ursprünglich religiöse Bedürfnisse bedienen, d.h. Aufgaben und Funktionen, die einst von der Religion wahrgenommen wurden, finden heute individuelle Erfüllung in diversen Formen im ökonomischen System.

Als wissenschaftliche Teildisziplin befasst sich die Religionsökonomie explizit mit den Zusammenhängen zwischen religiösen und ökonomischen Strukturen einer Gesellschaft sowie beim Individuum. Institutionenökonomische Ansätze prüfen die Wirkung normativer Vorgaben durch die Religion für wirtschaftliches und wirtschaftspolitisches Handeln, etwa zu Schlüsselfragen wie Eigentum, Besitz, Zins-Habgier, gerechtem Lohn, Askese u.v.m. Daneben beeinflussen religiöse Vorstellungen (kollektiv wie individuell) das ökonomische Verhalten, selbst wenn sie nicht offensichtlich in einem Zusammenhang mit wirtschaftlichem Handeln stehen. So verwies Max Weber beispielsweise auf die Bedeutung von Heilsversprechen und als günstig erachteten Verhaltensweisen für das kapitalistische System (Weber, 1904).

Diverse religionsökonomische Studien belegen weitere derartige Zusammenhänge – unter anderem bewirkt die Religion durch ihre kollektivitätsstiftende Wirkung eine Reduzierung von Anonymität, indem sie eine gemeinsame Hintergrundmentalität (die sich in einer spezifischen Motivation, ethischen Orientierung und Gruppenmoral konkretisiert) schafft. Die genannten Aspekte von Religion beeinflussen beispielsweise den wirtschaftlichen Erfolg eines Kulturraums, ob dies in positiver oder negativer Weise geschieht, hängt von der jeweiligen Religion ab.

Bei verhaltensökonomischen Studien werden mit Hilfe spieltheoretisch konzipierter Studien Selbstbilder und Identitätskonzepte von Individuen sowie deren Einfluss auf das ökonomische Verhalten analysiert. Demnach stabilisiert etwa Religiosität das Vertrauen von Individuen, was sich positiv auf die bei einer Transaktion durch Sicherungsmaßnahmen entstehenden Kosten auswirkt und diese senkt (Held/Kubon-Gilke, 2007, 333).

Zwischen Religion und Ökonomie besteht also ungeachtet des Funktions- und Gestaltwandels von Religion ein Zusammenhang, der sich in spezifischer Weise auf die Ökonomie auswirkt (und vice versa), weil Religion als „Tiefenschicht“ (Held/Kubon-Gilke, 2007, 114) den ethischen Bezugsrahmen sowie die Motivation einer Gesellschaft prägt und darüber hinaus beim Individuum eine spezielle Persönlichkeitsausprägung fördert. Dies macht neben weiteren Aspekten eine Wirtschaftsethik christlich-theologischer Provenienz plausibel.

3.2.2. Aufgaben und Inhalte

Als Bereichsethik ist die Wirtschaftsethik oft unter der christlichen Sozialethik subsumiert und wird hier anhand von Schlüsselthemen, wie Beruf oder Arbeit u.Ä. verhandelt. Die ersten Werke, die sich explizit der Wirtschaft bzw. der Wirtschaftsethik widmen, stammen von Georg Wünsch (Evangelische Wirtschaftsethik, 1927) und Arthur Rich (Wirtschaftsethik, 1984 und 1990). Heute treten neben genuin wissenschaftliche Beiträge kirchliche Denkschriften, die sich an die breite Öffentlichkeit und die Verantwortlichen in der Wirtschaft richten.

Die ethische Qualität einer grundsätzlichen Wirtschaftsordnung (also der politischen, rechtlichen Verfasstheit aber auch den normativ-ideellen Setzungen, die dieser vorausgehen bzw. diese rahmen) ist aus theologischer Sicht daran zu messen, wie sich zumindest im Ursprung religiöse Schlüsselfragen dort manifestieren, etwa nach Freiheit, Verantwortung, Gerechtigkeit, Gleichheit, dem Umgang mit der Schöpfung etc.

„Die theologische Wirtschaftsethik will das Wirklichkeitsverständnis des christlichen Gottesbewusstseins fruchtbar machen für die Formulierung diagnostischer und programmatischer Leitbegriffe“ (Meckenstock, 2004, 171). Das Christentum ist dabei auch und vor allem als Lebensform und Ausdruck von Freiheit zu verstehen, der/die ökonomisch Handelnde ist auch in ihrer/seiner Berufsrolle ein „zur Freiheit befreites“ Individuum (Gal 5,1), das zu einer Freiheit in Verantwortung berufen ist, die situativ in wirtschaftlichen Handlungsräumen unterschiedliche inhaltliche Ausprägungen annimmt. (Religions-)Pädagogisch stellt sich hier die Frage nach einer ethischen Bildung, in der die christlichen Grundeinsichten, die jenes „Gottesbewusstsein“ ausmachen, unternehmensethisch-praktisch zum Tragen kommen.

4. Religionspädagogische Perspektiven

4.1. Herausforderungen

Zunächst ist festzustellen, dass die systematische Thematisierung wirtschaftsethischer Fragen seitens der Religionspädagogik vorerst ein Desiderat bleibt. Dies ist vor allem darin begründet, dass sich die religionspädagogische Diskussion zum Thema ethische Bildung mit wenigen Ausnahmen auf den Religionsunterricht beschränkt. Wirtschaftsethische Themen werden daher meist vor dem Hintergrund einer schulischen Bildung für den Beruf fokussiert, wobei außer acht gelassen wird, dass das Bedingungsfeld wirtschaftsethischer Bildung ein ganz anderes ist als das ethischer Bildung in der Schule – auch wenn diese perspektivisch auf die spätere Berufsrolle oder wirtschaftsethische Themen abzielt.

Eine explizite Rezeption wirtschaftsethischer Forschung oder ökonomischer Forschung (als Bezugswissenschaft), die insbesondere bei der empirischen Grundlegung der Lernbedingungen viel beitragen könnte, existiert nicht bzw. hat einen falschen Fokus. So werden ökonomische Forschungsarbeiten vor allem im Kontext des „Unternehmens Kirche“ oder der Vermarktung religiöser Sinnangebote rezipiert mit dem Interesse, das Know-How strategischer Unternehmensführung für die eigenen Zwecke zu nutzen (Breitenbach, 1994), während Einsichten, die Kernfragen wirtschaftsethischer Bildung und unternehmensethischer (Fort-)Bildung behandeln, bislang weitgehend unbeachtet bleiben.

Dabei ist der Bedarf an wirtschafts- bzw. unternehmensethischer Bildung ebenso groß wie das dazugehörige Betätigungsfeld, und die Religionspädagogik wäre mit ihren spezifischen Inhalten und Verfahrensweisen hier ein kompetenter Ansprechpartner.

Natürlich existieren im genannten Bereich wirtschaftsethischer Bildung auch besondere Herausforderungen, die entsprechend zu antizipieren sind. So ist der Ausgang einer solchen Bildung in viel stärkerem Maße ungewiss als dies im geschlossenen Bildungssystem der Schule der Fall ist. Wirtschaftsprozesse ereignen sich heute unter den Bedingungen von Digitalisierung, Fragmentierung, Globalisierung, was beispielsweise die Er- und Vermittlung von zentralen Themen, wie Freiheit und Verantwortung deutlich schwieriger macht. Hinzu kommt, dass manche Inhalte von Ethik und Wirtschaft in einem systemischen Widerspruch stehen. Auf der operativen Ebene erschwert ein unterschiedliches Verständnis gleicher Prozesse und Begrifflichkeiten oft die Vermittlung. Zu denken ist hierbei beispielsweise an handlungsorientierte Prozesse wie die Operationalisierung (im Rahmen der Implementierung von Unternehmensethik). Während Unternehmen hier schnell nach Anschlussmöglichkeiten an ihr SOP System (Standard Operating Procedure) suchen, steht dies dem (religions-)pädagogischem Anliegen oft gerade entgegen, weil ethische Bildung dabei häufig auf extrinsisch motivierte Moralkodizes reduziert wird.

Andererseits läuft Unternehmensethik ohne handlungsorientierte Konkretisierung Gefahr, ihren normativen Anspruch zu verlieren, weil sie sich in einer unüberschaubaren Zahl von Einzelfällen verliert, zumal sich Wirtschaftsethik im Alltag wirtschaftlichen Handelns und Entscheidens häufig als ein Gemisch aus Erziehung, Tugenden, Bräuchen, (Unternehmens-)Kultur und „Bauchgefühl“ (Gewissen) manifestiert. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Religionspädagogik hier großen Erwartungen und zugleich begrenzten Möglichkeiten gegenübersteht – und sich ihr gleichwohl greifbare Aufgaben stellen.

4.2. Perspektiven

An erster Stelle ist die berufsbegleitende Bildung in Fragen der Wirtschafts- und Unternehmensethik überhaupt einmal als eine Aufgabe von der Religionspädagogik wahr- und anzunehmen. Ferner ist zwischen verschiedenen Bezugswissenschaften stehend und im Angesicht spezifischer Erwartungen der Adressaten/Adressatinnen darauf zu achten, dass die Religionspädagogik nicht auf eine Anwendungswissenschaft reduziert wird, die nur das didaktische Instrumentarium bereit stellt. Aus vergleichbaren Gründen ist darauf zu achten, dass Ethik im Zuge der Anwendung als Unternehmensethik nicht für fremde (unternehmerische) Zwecke instrumentalisiert wird. Stattdessen ist die Aufgabe wirtschafts- bzw. unternehmensethischer Bildung mit dem Ziel anzunehmen, nicht nur definierte Ziele und Bedürfnisse zu bedienen, sondern dabei auch – bei Bedarf – ein kritisches Gegenüber zu bleiben. Eben dies macht im Kern echte, insbesondere religiöse Bildung aus.

Neben den genannten genuin (religions-)pädagogischen Aufgaben, ist vor jeder pädagogisch-didaktischen Konkretisierung eine empirische Grundlage für das neue Betätigungsfeld zu schaffen. Diese betrifft die Adressaten/Adressatinnen wirtschafts-/unternehmensethischer Bildung ebenso wie das nähere und weitere Umfeld der konkreten Vermittlungssituation. Auf dieser Basis können dann ethische Fragen in elementarisierender Form vermittelt werden, wobei mit → Elementarisierung eben gerade nicht nur Reduzierungen und Simplifizierungen gemeint sind, sondern das Aufspüren existenzieller Schnittmengen zwischen Sache und Adressaten/Adressatinnen sowie Unternehmen. Derart würden die bislang vorherrschenden Coachings und Trainings von einer Begegnung mit wirtschaftsethischen Inhalten abgelöst, die nicht rein extrinsisch motiviert und wenig anknüpfungsfähig ist, sondern bei den Adressierten in ihrer Situation und existential bedeutsam ist.

Für jede weitere und situativ bestimmte didaktische Konkretisierung ist abschließend zu vermerken, dass es seitens der Religionspädagogik für das spezifische Betätigungsfeld Wirtschafts-/Unternehmensethik der Offenheit bedarf, sich auf eine neue Kultur (beispielsweise in Bezug auf Sprachcodes, Settings, Strukturen u.a.) einzulassen sowie zu antizipieren, dass ihr Anliegen möglicherweise auf andere oder sogar widerständige Erwartungen trifft, die in einem kritisch-konstruktiven Prozess zu diskutieren und pragmatisch zu realisieren sind.

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