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Religiöse Parteien im Judentum des 1. Jahrhunderts

Das Bild des Frühjudentums hat sich in den letzten Jahrzehnten – nicht zuletzt unter dem Eindruck der Funde von Qumran – nachdrücklich gewandelt. Dabei wächst die Einsicht, dass es zur Zeit Jesu kein einheitliches orthodoxes Judentum gegeben hat. Vielmehr müssen wir mit dem pluralen Nebeneinander verschiedener Gruppen rechnen, die zum Teil straff organisiert waren. Man kann sie mit einem gewissen Recht als religiöse Parteien bezeichnen. Gemeinsame Basis aller dieser Gruppierungen war das Bekenntnis zu dem einen Gott Israels und der Bezug auf die Tora als die Richtschnur ihres Lebens.

Die Evangelien nennen als Gesprächspartner und Gegner Jesu vor allem zwei Gruppen: die Sadduzäer und die Pharisäer. Flavius Josephus zählt in seinem Werk über den jüdischen Krieg drei „philosophische Schulen“ unter den Juden auf: Pharisäer, Sadduzäer und Essener.

Literatur (allgemein)

J. Neusner, Judentum in frühchristlicher Zeit, Stuttgart 1988.

G. Stemberger, Pharisäer, Sadduzäer, Essener. SBS 144, Stuttgart 1991.

Die Pharisäer

Die Pharisäer sind uns fast ausschließlich aus sekundären Quellen bekannt, die über sie berichten. Neben dem Neuen Testament sind hier Flavius Josephus und die rabbinischen Schriften zu nennen. Dabei geht es keiner dieser Quellen darum, ein objektives Bild zu zeichnen. Während Flavius Josephus ein ausgesprochener Parteigänger der Pharisäer ist, befinden sich die Autoren des Neuen Testaments in kritischer Auseinandersetzung mit ihnen. Die Rabbinen schließlich sind an einem bestimmten theologischen Verständnis der Tora interessiert.

Der Name „Pharisäer“ (Φαρισαῖος/Pharisaīos) ist vom hebräischen Verb שׁפר (prš) abzuleiten und bedeutet zunächst „der Abgesonderte“, kann aber auch den negativen Beiklang „Separatist“ bekommen. Vielleicht war „Pharisäer“ ursprünglich eine negativ gemeinte Fremdbezeichnung, die an das für den Außenstehenden Charakteristische dieser Gruppe anknüpfte. Der einzige Zeuge für eine Selbstbezeichnung als „Pharisäer“ ist Paulus (Phil 3,5), während sich die Gruppenangehörigen sonst wohl als „Weise“ bzw. „Genossen“ bezeichneten.

Der Ursprung der Pharisäer ist nicht mehr exakt zu fassen. Sie gehören zunächst ganz allgemein in die in bestimmten Kreisen des nachexilischen Judentums zu beobachtende Tendenz zur Absonderung, die der klaren Trennung von den heidnischen Fremdvölkern diente. Genauer wird man den Ursprung der Pharisäer im Umfeld der Opposition gegen die akuten Hellenisierungsbestrebungen des 2. Jh. (Antiochus IV. Epiphanes) zu suchen haben. Häufig wird dabei auf die 1Makk 2,42 genannte „Synagoge der Chassidim (Frommen)“ verwiesen. Falls dieser Zusammenhang zutrifft, haben die Pharisäer einen ähnlichen Ursprung wie die Essener. Diese ursprüngliche Nähe wäre dann später allerdings bitterer Feindschaft gewichen, denn in den Qumranschriften werden die Pharisäer mit heftigen Attacken bedacht (vgl. 4QpNah 1,2; CD 1,11ff.).

Zu Beginn ihrer Geschichte haben sich die Pharisäer als politisch-religiöse Oppositionspartei gegen die illegitimen Ansprüche der herrschenden Hasmonäerdynastie auf die Hohenpriesterwürde profiliert. Während der Regierungszeit der Königin Salome Alexandra (76-67 v. Chr.) gewannen sie dann entscheidend an Einfluss und waren seitdem ein ernst zu nehmender Machtfaktor im frühjüdischen Parteiengefüge. Für die Zeit des Herodes beziffert Josephus ihre Zahl auf 6.000 und weiß von einer großen Popularität unter der Bevölkerung zu berichten.

Im 1. Jh. kommt es verstärkt zur Ausbildung konkurrierender Strömungen unter den Pharisäern, die traditionell mit den Namen Hillel und Schammai verbunden werden. Dabei gilt Hillel als Vertreter einer auch politisch gemäßigten Richtung, während Schammai einen rigorosen Ansatz repräsentiert. In dieser Zeit entsteht auch die Partei der Zeloten, deren Programm als Radikalisierung des pharisäischen Ansatzes verstanden werden kann (s. u.).

Ihre Anhängerschaft fanden die Pharisäer vor allem in der städtischen Mittelschicht und im „Kleinbürgertum“, so dass die unter anderem von Lukas (Apg 4,1ff.; 5,17ff.) vorausgesetzte Rivalität mit den aristokratischen Sadduzäern neben theologischen wohl auch soziale Ursachen hatte.

Das Parteiprogramm der Pharisäer kann auf den in Ex 19,6 formulierten Grundsatz: „Ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein.“ gebracht werden. Es ging ihnen um die Heiligung des Alltags durch die Tora. Das bedeutete konkret eine Ausweitung der ursprünglich nur für den Priesterdienst am Tempel geltenden Reinheits- und Speisegebote auf die alltäglichen Lebensvollzüge des ganzen Volkes. Um dieses Ziel erreichen zu können, wurden die Weisungen der schriftlichen Tora auf die Gegebenheiten des weltlichen Alltags hin interpretiert und ausgelegt. Diese „mündliche Tora“ wurde von den Pharisäern von der Sinaioffenbarung hergeleitet und auf diese Weise mit der gleichen Autorität versehen wie die schriftlich überlieferte.

Die mündliche Tora fragte dabei immer nach den konkreten Bedingungen und Möglichkeiten der Heiligung des Alltags. Hier liegt der positive Ansatz der uns häufig seltsam anmutenden Tora-Kasuistik, die möglichst für jeden Einzelfall das dem Willen Gottes entsprechende Verhalten benennen will.

Viele Pharisäer haben sich in Genossenschaften (הבורות/habûrôt) zusammengeschlossen, die eine Probezeit und bestimmte Satzungen kannten. Diese Genossenschaften hatten sich vor allem die strikte Erfüllung der Zehnt- und Reinheitsgebote zur Aufgabe gemacht, um auf diese Weise das Programm der Heiligung des Alltags zu leben. Dabei nahm man es z. B. auf sich, alle Nahrungsmittel im Zustand levitischer Reinheit zu sich zu nehmen, d. h. die Mitglieder der Genossenschaften näherten sich dem Tisch wie der Priester dem Altar. Die Genossenschaften dienten dazu, sich von aller kultischen Unreinheit abzusondern. Alle Juden, die sich nicht dem Programm der Verwirklichung der Tora im Alltag anschlossen, wurden als Landvolk (הארץ עם/am hā-āræs) geringgeschätzt (vgl. Joh 7,49). Zugleich konnten die Pharisäer in den Genossenschaften aber auch ihr Programm vorbildlich leben und auf diese Weise zu seiner Popularisierung beitragen. Das Programm der Pharisäer, das an die Stelle des Tempels und des dort praktizierten Kultes das Studium der Tora und einen durch ihren Vollzug geheiligten Alltag stellte, hat wesentlich dazu beigetragen, dass das Judentum nach der Zerstörung des Tempels durch die Römer weiterbestehen konnte.

Literatur

H.-F. Weiß, Art. Pharisäer, TRE XXVI, 473–485.

Die Sadduzäer

Als schriftliche Quellen über die Sadduzäer stehen uns nur die Sekundärberichte bei Flavius Josephus, im Neuen Testament, in der rabbinischen Literatur und bei den Kirchenvätern zur Verfügung. Die Auswertung dieser Texte ist noch schwieriger als im Falle der Pharisäer. Während dort die Sekundärquellen aus unterschiedlicher Perspektive berichten, sind die Nachrichten über die Sadduzäer durchweg kritisch bis polemisch.

Der Name „Sadduzäer“ (Σαδδουκαῖος/Saddukaīos) ist erstmalig Mk 12,18 bezeugt und von Zadok abzuleiten, der in der davidisch-salomonischen Zeit Hoherpriester war (vgl. 2Sam 8,17 u. ö.). Als Parteiname bezeichnet er aber nicht mehr einen Angehörigen der sich auf Zadok zurückführenden Priesterdynastie, sondern einen Parteigänger der zadokidischen Priesteraristokratie.

Über den Ursprung der Partei der Sadduzäer schweigen die Quellen. Flavius Josephus erwähnt sie erstmalig zur Zeit der Regierung des Makkabäers Jonatan (161-143), sie erscheinen dabei aber als eine bereits etablierten Größe im Machtgefüge des jüdischen Staates. Man gewinnt den Eindruck, dass die Sadduzäer in dieser frühhasmonäischen Zeit eine Art „Regierungspartei“ waren, die als Standespartei der höheren Jerusalemer Tempelpriesterschaft nachhaltigen Einfluss ausübte. Sie stützten dabei mit ihrer national-partikularistischen Grundeinstellung die Politik der Hasmonäer.

Die weitere Geschichte der Sadduzäer ist von einem steten Wechsel zwischen Zeiten des politischen Einflusses und solchen der Opposition bestimmt. Nachdem die Römer den Herodessohn Archelaos abgesetzt hatten (6 n. Chr.) gewannen sie erheblich an Macht. Flavius Josephus rechnet z. B. den Hohenpriester Hannas d. J. zur Partei der Sadduzäer. Diese Machtposition war allerdings durch die römischen Präfekten bzw. Prokuratoren auf Tempel und Tempelstaat begrenzt. Das zwang die Sadduzäer zu einem politischen Spagat zwischen den eigenen Interessen und denen der römischen Besatzungsmacht, wenn sie ihre relative Autonomie erhalten wollten (vgl. Joh 11,47-50).

Nach allem, was wir wissen, war den Sadduzäern ein konservativer Grundzug eigen, der sie zu Verfechtern des politischen und religiösen status quo machte. Interessanterweise konnte sich dieser Konservatismus aber durchaus mit einer aufgeschlossenen Haltung gegenüber den kulturellen Einflüssen des Hellenismus verbinden. Dafür sind nicht zuletzt die archäologischen Funde aus dem Jerusalem des 1. Jh. beredtes Zeugnis.

Im Gegensatz zu den Pharisäern, deren Konstruktion einer mündlichen Tora sie strikt ablehnten, erkannten die Sadduzäer nur die schriftliche Tora als verbindlich an. Damit hing zusammen, dass sie die Hoffnung auf eine zukünftige Auferstehung der Toten und auf eine endzeitliche Vergeltung für die Gerechten nicht teilten. Vielmehr waren sie Anhänger einer innerweltlichen Vergeltungslehre, d. h. sie rechneten damit, dass der Mensch von Gott bereits im irdischen Leben Lohn und Strafe erhält. So schärften sie die Eigenverantwortlichkeit des Menschen für sein Tun ein.

Die Geschichte der Sadduzäer endet mit der jüdischen Niederlage und der Tempelzerstörung im Jahre 70, die die Basis ihrer Macht und den Bezugspunkt ihrer religiösen Anschauungen zerstörten.

Literatur

H.-F. Weiß, Art. Sadduzäer, TRE XXIX, 589-594.

Die Essener

Im Falle der Essener hängt die historische und theologische Einordnung und Beschreibung der Gruppierung weitgehend davon ab, wie man das Verhältnis zwischen ihr und den Schriftrollen von Qumran beurteilt. Der über Jahrzehnte weithin bestehende Konsens, in den Bewohnern von Qumran Essener zu sehen und die in den Höhlen gefundenen Texte als Dokumente essenischer Theologie zu betrachten, ist in letzter Zeit sowohl aus archäologischen als auch aus inhaltlich-theologischen Gründen in Frage gestellt worden. Diese kritischen Anfragen zwingen zu einer differenzierteren Sicht, doch wird man grundsätzlich daran festhalten können, dass die Bewohner von Qumran eine Gruppe innerhalb der essenischen Bewegung waren.

Die antiken Berichte über die Essener finden wir bei Flavius Josephus (Bell 2,119-166; Ant 13,171-173; 15,371f.; 18,11-25), Plinius d. Ä. (Naturalis historia 5,73) und Philo von Alexandrien (prob 72-91). Bei der Beurteilung dieser Berichte ist zu beachten, dass wohl keiner der drei Autoren aus eigener Anschauung schreibt. Insbesondere Josephus bemüht sich zudem, die Anschauungen der Essener für seine nichtjüdischen Leser mittels einer interpretatio graeca verständlich zu machen. Gerade wenn man dies berücksichtigt, sind die Parallelen zwischen den antiken Berichten, insbesondere die Beschreibung bei Flavius Josephus, und dem aus den Schriftrollen gewonnenen Bild erstaunlich.

Auch bei der Auswertung der Schriftrollen aus den Höhlen von Qumran hat sich eine differenzierte Lektüre durchgesetzt. Nicht alles, was gefunden worden ist, kann einfach unbesehen für die Theologie und Lebensweise der (Qumran)Essener in Anspruch genommen werden. Offenbar wurden auch Texte aufbewahrt, die zwar von Interesse waren, aber nicht Ausdruck der theologischen Überzeugungen der (Ab)Schreiber. Trotzdem ist es möglich, unter Einbeziehung der Texte aus den Höhlen ein Bild von der Geschichte und Theologie der Essener zu zeichnen.

Für die Bezeichnung der einzelnen Schriften, die in den Höhlen um Qumran gefunden wurden, hat sich eine Nomenklatur durchgesetzt, die zuerst die Höhlennummer nennt (z. B. 1Q) und dann ein Kürzel für die Schrift (z. B. „S“ für Sektenregel) oder eine laufende Nummer anfügt. Sind mehrere Fragmente derselben Schrift in einer Höhle gefunden worden, dienen hochgestellte Kleinbuchstaben zur Unterscheidung (z. B. 1Q Jesa).

Der Name „Essener“ ist nach der wahrscheinlichsten Etymologie vom aramäischen (חזן/hazên) abzuleiten, das „rein, heilig“ bedeutet. Nach der in Qumran gefundenen Gemeinderegel (1QS) bezeichnete sich die Gruppe selbst als „Einung“ (יחד/jāhad).

Die Geschichte der Essener ist für uns nur in groben Zügen erkennbar. Sie scheinen in priesterlichen Kreisen im Zuge der Opposition gegen die Hellenisierungstendenzen des frühen 2. Jh. v. Chr. entstanden zu sein. Mehrere Texte aus Qumran legen einen gemeinsamen Ursprung mit den Pharisäern nahe. Allerdings scheint diese ursprüngliche Nähe später in erbitterte Feindschaft umgeschlagen zu sein, da die Pharisäer in den Qumranschriften als „diejenigen, die ’glatte‘ Anweisungen geben“, erscheinen (4Qp 169 u. ö.). Offenbar galt den Essenern die pharisäische Torapraxis als zu wenig konsequent.

Sowohl die Schilderung bei Flavius Josephus als auch die unterschiedlichen Vorschriften in 1QS und der Damaskusschrift (CD) legen nahe, dass es unterschiedliche Gruppen von Essern gegeben hat. So setzt die Damaskusschrift Frauen und Kinder als zum „Neuen Bund im Lande Damaskus“ gehörig voraus, während 1QS Frauen mit keinem Wort erwähnt. Auch die Aufnahme in die Gemeinschaft und deren konkrete Organisation sind in beiden Texten unterschiedlich geregelt.

Für die Beschreibung des Verhältnisses der Essener zu den Hasmonäern und dem Tempel in Jerusalem ist ein in Qumran entdecktes (Brief?)Fragment (4Q MMT) von entscheidender Wichtigkeit. Der in mehreren Abschriften überlieferte Text geht vielleicht direkt auf den Lehrer der Gerechtigkeit – die herausragende Führergestalt der Frühzeit der Essener – zurück und ist um 150 v. Chr. an den Hasmonäer Jonatan (152-143) gerichtet worden, der neben der politischen Führung auch das Hohenpriesteramt für sich in Anspruch nahm. Der Brief listet über 20 Vorschriften der Tora auf, gegen die die im Tempel übliche Praxis nach Ansicht des Lehrers der Gerechtigkeit verstieß. Außerdem bietet er eine Liste von Sabbatterminen, die auf dem von den Essenern vertretenen Sonnenkalender basieren, während am Tempel ein Mondkalender verwendet wurde. Das Schreiben gipfelt in der Forderung an Jonatan, auf das Amt des Hohenpriesters zu verzichten. Er war nach Meinung des Lehrers der Gerechtigkeit illegal zu dieser Würde gekommen, da er nicht dem Geschlecht der Zadokiden entstammte. Die Essener hielten dagegen am Anspruch der Zadokiden auf das Amt des Hohenpriesters fest.

Die Siedlung in Qumran ist möglicherweise im Gefolge des endgültigen Zerwürfnisses mit dem Tempel entstanden. Hier befand sich allem Anschein nach ein Zentrum der Essener, die die Wüste als den Ort ansahen, dem Herrn den Weg zu bereiten (Jes 40,3). Essener aber gab es nach übereinstimmender Auskunft von Flavius Josephus und der Damaskusschrift (CD) in ganz Israel. Josephus und Philo beziffern ihre Zahl mit 4000.

Das Ziel der Essener war ein Leben gemäß der Weisung (Tora) Gottes, deren Studium nach Auskunft der Gemeinderegel ⅓ der Nächte gewidmet waren. Im Unterschied zu den Pharisäern legten sie die Tora aber äußerst rigoros aus. Die für die Priester am Tempel geltenden Regeln wurden z. T. sogar noch verschärft, um die Heiligkeit der Endzeitgemeinde (das wahre Israel), die als einzige gerettet werden wird, zu erhalten. Der Lebenswandel in Heiligkeit wird zudem als Sühnung der Übertretung der Tora verstanden. Verstöße gegen die entsprechenden Regeln sind mit drakonischen Strafen belegt.

Die rigorose Auslegung der Reinheitsgebote führte auch dazu, dass Frauen bei den Essenern eine ganz untergeordnete Rolle spielten. Zumindest ein Teil der essenischen Bewegung scheint sie ganz aus ihren Reihen verbannt zu haben. Da Frauen potentiell als kultisch unrein galten, wurden sie nach Darstellung der Qumrantexte zumindest von den gemeinsamen Mahlfeiern ausgeschlossen. Diese Mahlfeiern verstanden die Essener als Vorwegnahme des großen Freudenmahles am Ende der Zeit.

Die mit großer Wahrscheinlichkeit auf die Essener selbst zurückgehenden Schriften sind häufig von einem scharfen Dualismus geprägt. So fordert die Gemeinderegel die „Söhne des Lichts“ auf, die „Söhne der Finsternis“ zu hassen. Für die unmittelbar bevorstehende Endzeit rechnen die Essener mit einem Kampf zwischen beiden (vgl. die sogenannte „Kriegsrolle“ 1QM). Diese dualistische Weltsicht spiegelt sich auch in der Anthropologie wider, die den Menschen entweder vom Geist der Wahrheit oder vom Geist des Frevels beherrscht sieht. Dem entspricht die Lehre, dass Gott das Geschick der Menschen schon vor der Schöpfung festgelegt habe. Hier lässt sich der Einfluss apokalytischen Denkens unmittelbar greifen.

Die Gemeinschaft von Qumran war streng hierarchisch gegliedert. An ihrer Spitze stand ein Leitungsgremium aus 12 Laien und drei Priestern. Oberstes Entscheidungsgremium scheint aber die „Ratsversammlung der Vielen“ gewesen zu sein. Die Aufnahme in die Gemeinschaft war durch eine mehrjährige Prozedur geregelt. Die Mitglieder brachten dabei ihren Besitz in die Gemeinschaft ein. Vermutlich wurde das als Rückgabe des Eigentums an Gott verstanden.

Literatur

A. Lange, Art. Qumran, RGG4 4, 1873–1896.

E. Lohse (Hrsg.), Die Texte aus Qumran hebräisch– deutsch, Darmstadt 1986.

H. Lichtenberger, Art. Essener / Therapeuten, RGG4 2, 1590–1592.

J. Maier (Hrsg.), Die Qumran–Essener: Die Texte vom Toten Meer. Band I: Die Texte der Höhlen 1–3 und 5–11, UTB 1862, München / Basel 1995; Band II: Die Texte der Höhle 4, UTB 1863, München / Basel 1995; Band III: Einführung und Register, UTB 1916, München / Basel 1996.

J. Magness, The Archaeology of Qumran and the Dead Sea Scrolls, Grand Rapids 2003.

A. Stendel, Die Texte aus Qumran II. Hebräisch/Aramäisch und Deutsch, Darmstadt 2001.

D. Stökl Ben Ezra, Qumran, UTB 4681, Tübingen 2016.

Die Zeloten

Die Zeloten sollen in diesem Zusammenhang besprochen werden, obwohl es sich strenggenommen um keine religiöse Partei im Sinne der bisher beschriebenen Gruppen handelt. Wollte man sie mit modernen politischen Bewegungen vergleichen, könnte man die Zeloten am ehesten als Guerilla-Bewegung bezeichnen. Die Römer und unsere Hauptquelle Flavius Josephus diffamieren sie als „Räuber“. Das Neue Testament nimmt auf die Zeloten nur indirekt Bezug. Allerdings hat wohl einer der Jünger Jesu dieser Bewegung angehört (vgl. Lk 6,15 – Simon, genannt der Zelot [Mk 3,18; Mt 10,4 bieten die entsprechende aramäische Bezeichnung Kananäus]).

Der Name „Zelot“ kommt aus dem Griechischen (ζηλωτής/zēlōtēs) und bedeutet „der Eiferer“. Gemeint ist der Eifer um Gott, der die Triebfeder der zelotischen Aktionen war.

Josephus berichtet, dass die zelotische Bewegung aus dem Widerstand gegen den Zensus erwuchs, den die Römer in Samaria, Judäa und Idumäa durchführten, nachdem sie diese Gebiete im Jahre 6 zur imperatorischen Prokuratur Judäa unter ihrer direkten Herrschaft zusammengefasst hatten. An der Spitze des Widerstandes standen der Schriftgelehrte Judas (genannt „der Galiläer“) und der Pharisäer Zadok. Das Zentrum der Zeloten war Galiläa.

Die zelotischen Gruppen operierten von unwegsamen Gebieten aus. Sie versuchten, die römische Besatzungsmacht durch „Nadelstichangriffe“ zu treffen. Andererseits scheuten sie aber auch nicht davor zurück, die Bevölkerung mit Gewalt in ihrem Sinne zu beeinflussen. Die Gruppe der Sikarier (von lat. sica – der Dolch) ging sogar dazu über, einzelne politische Gegner oder Kollaborateure durch Mord zu beseitigen.

Nach dem Verständnis der Zeloten duldet Gottes Königtum in Israel keine andere Herrschaft neben sich. Umkehr zu Gott und seinen Weisungen ist dann untrennbar mit der Aufkündigung des Gehorsams gegen irdische Herrschern verbunden. Das schließt die Verweigerung von Steuern ein. Dieses Thema gewann im Verhältnis zu den Römern noch an besonderer Brisanz. Nach römischem Rechtsverständnis ging alles Land bei der Eroberung in römischen Besitz über und wurde der einheimischen Bevölkerung nur zur Nutzung überlassen. Dafür hatte sie Steuern zu zahlen. Nach der Glaubensüberzeugung der Zeloten war das Heilige Land Israel von Gott selbst gegebenes Erbe, das unveräußerlich war.

Der Eifer der Zeloten zeigte sich auch in der radikalen Durchsetzung des Bilderverbotes (die bildergeschmückten königlichen Paläste in Tiberias und Jerusalem wurden im jüdischen Krieg zerstört) und der Heiligkeit des Tempelbezirkes. Sie gingen auch gegen Juden vor, die nichtjüdische Frauen geheiratet hatten. Dazu sind Zwangsbeschneidungen überliefert.

Man kann sagen, dass die Zeloten das pharisäische Programm der Heiligung des Alltags radikalisiert und um eine entscheidende politische Note erweitert haben. Dazu kommen starke Einflüsse apokalyptischen Denkens. Die sich steigernde wirtschaftliche Not im Palästina des 1. Jh. wurde als Zeichen der nahenden Endzeit gedeutet. Für diese erwartete man einen letzten Krieg gegen die Gottlosen, an dem man sich aktiv beteiligen wollte. Hier gibt es auch Berührungen zu den Essenern (1QM).

Die Zeloten hatten ihre Anhänger vor allem unter der verarmten Landbevölkerung Galiläas, die am stärksten unter der doppelten Ausplünderung durch Besatzungsmacht und lokale Großgrundbesitzer und der wirtschaftlichen Misere litt. Ihren Höhepunkt erlebte die zelotische Bewegung im Jüdischen Krieg (66-70). Dieser Aufstand gegen die Römer wurde zu wesentlichen Teilen von ihr getragen. Die Niederlage, die in der Eroberung Jerusalems und der Zerstörung des Tempels durch die Römer ihr grausiges Finale hatte, bedeutete zugleich die Vernichtung der Zeloten.

Literatur

M. Hengel, Die Zeloten. Untersuchungen zur jüdischen Freiheitsbewegung in der Zeit von Herodes I. bis 70 n. Chr., Leiden/Köln 1976.

Die Schriftgelehrten

Die Evangelien erwecken an einigen Stellen den Eindruck, als ob es sich bei den Schriftgelehrten um eine eigene Partei neben den anderen handeln würde (vgl. Mt 12,38; 15,1; 23,2 u. ö.). Historisch ist dieser Eindruck unzutreffend. Die Schriftgelehrten sind vielmehr ein eigener Berufsstand, der sich mit der Überlieferung und Auslegung der Tora befasste. Schriftgelehrte konnten in dieser Funktion dann durchaus auch Anhänger einer bestimmten religiösen Partei sein (vgl. Mk 2,16 – Schriftgelehrte, die zur Partei der Pharisäer gehören).

Literatur

H.-F. Weiß, Art. Schriftgelehrte, TRE XXX, 511–520.

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Die Texte auf dieser Seite sind mit freundlicher Genehmigung übernommen aus:

Cover der Bibelkundes des Neuen Testaments von Klaus-Michael Bull

Bull, Klaus-Michael: Bibelkunde des Neuen Testaments. Die kanonischen Schriften und die Apostolischen Väter. Überblicke – Themakapitel – Glossar, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 8. Aufl. 2018.

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