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Das Markusevangelium, die Logienquelle und das lk Sondergut bezeugen unabhängig voneinander, dass die Verkündigung Jesu eine spezifische Gestalt in seinen Gleichnissen erhielt. Er griff dabei auf eine Redeweise zurück, die im Frühjudentum, insbesondere in der Weisheitsliteratur und in der Apokalyptik sehr beliebt war. Parallelen zu den Gleichnissen Jesu finden sich auch in den rabbinischen Gesetzesdiskussionen, die in der Mischna und im Talmud tradiert sind.

Gleichnisse Jesu sind nur in den synoptischen Evangelien überliefert. Dabei muss für ihre Interpretation im Kontext der Verkündigung Jesu beachtet werden, dass der literarische Rahmen der Gleichnisse durchweg von den Evangelisten geschaffen worden ist. Die Gleichnisse dienen in diesem Kontext dazu, die Verkündigung Jesu zu illustrieren. Darüber hinaus muss damit gerechnet werden, dass Gleichnisse im Laufe des Überlieferungsprozesses überarbeitet worden sind bzw. überhaupt erst durch die frühen Gemeinden gebildet wurden.

Allegorie und Allegorese

Besonders einflussreich für die Interpretation der Gleichnisse ist bis zum Ende des 19. Jh. die Darstellung in Mk 4 gewesen. Dort unterscheidet der Evangelist in den Versen 4,11f.33f. zwischen einer Binnen- und einer Außenwirkung der Gleichnisse. Während sie den Außenstehenden als unverständliche Rätselrede begegnen, die nur zu ihrer Verstockung dient, werden sie den Jüngern durch Jesus ausgelegt. Eine solche Auslegung auf das „Geheimnis des Reiches Gottes“ (Mk 4,11) hin bietet Markus dann mit der Deutung des Gleichnisses vom Sämann in Mk 4,13-20. Dabei handelt es sich um eine allegorische Auslegung. Diese Art des Verstehens galt über Jahrhunderte als sachgemäß. Gleichnisse wurden nicht aus sich selbst verstanden, sondern auf eine hinter ihnen stehende und eigentlich gemeinte Wirklichkeit befragt. Das war so einflussreich, dass auch heutige Ausleger erst einmal versuchen müssen, sich von den traditionellen Deutungen der Auslegungsgeschichte zu befreien.

Nun hat Markus bzw. die von ihm benutzte Tradition die allegorische Auslegung nicht etwa erfunden. Die Antike verwendete diese Methode insbesondere dann, wenn sie normative Texte in einer veränderten Welt interpretieren wollte. So wurden die Werke Homers, deren Götterbild als gar zu archaisch empfunden wurde, allegorisch interpretiert. Ähnlich ging das hellenistische Judentum vor, wenn die Kultgebote der Tora ethisch verstanden wurden (Philo v. Alexandrien).

Man muss nun zwischen Allegorese und Allegorie im eigentlichen Sinne unterscheiden. Eine Allegorese versteht einen Text als Allegorie und interpretiert ihn dementsprechend. Dabei kann ein ursprünglich nichtallegorischer Text sekundär zur Allegorie gemacht werden. Auch das ist im Laufe der Überlieferung mit Gleichnissen Jesu geschehen (vgl. Mt 22,1-14 par. Lk 14,16-24 – je unterschiedliche Allegorisierung des Gleichnisses vom großen Gastmahl). Das Wesen von allegorischer Rede besteht darin, dass eine initiale Welt erzählt wird, aus der heraus zu einer zweiten – eigentlich gemeinten – Welt hinübergelenkt wird. Diese Leserbzw. Hörerlenkung kann auf verschiedene Weise erfolgen. Die übliche Methode ist, die initiale Welt mit einem Netz von Metaphern auszustatten, das es dem Adressaten erlaubt, auf die gemeinte Ebene zu gelangen. Das gelingt nur dann ohne weitere Textsignale, wenn die benutzten Metaphern kulturgeschichtlich geläufig sind (sog. usuelle Metaphern; z. B. Weinberg für Israel Mk 12,1). Häufig werden deshalb weitere Hinweise eingebaut. So kann direkt gesagt werden, dass jetzt allegorisiert wird (Gal 4,24). Oder in die initiale Welt werden gezielt Brüche eingebaut, die soweit gehen können, dass die Erzählung für kurze Zeit direkt auf die gemeinte Ebene springt (vgl. Mt 22,7). Eine gängige, auch in Mk 4,13-20 verwandte, Methode der Adressatenlenkung besteht darin, Zug für Zug Elemente der initialen Welt mit solchen der gemeinten zu identifizieren. Diese Methode kann dann ein Indiz sein, dass hier ein ursprünglich nicht als Allegorie konstruierter Text sekundär allegorisch interpretiert wird (vgl. Gal 4,24f.).

Die Exegeten sind sich weitgehend darin einig, dass Jesus keine Allegorien erzählt hat. Alle Allegorien und Allegoresen, die in den synoptischen Evangelien überliefert sind, wurden erst in den Gemeinden gebildet. Das ist an ihrer nachösterlichen Perspektive erkennbar. Dabei wurden Gleichnisse besonders häufig paränetisch gewendet.

Der literarische Charakter der Gleichnisse Jesu

Im Unterschied zur Allegorie enthalten die Gleichnisse Jesu unmittelbar die Sache selbst. Sie holen den Hörer mit seiner Welt unmittelbar in die erzählte Welt hinein. Auf diese Art erschloss Jesus seinen Hörern eine neue Perspektive auf ihr Leben. Man kann zugespitzt sagen, dass er in den Gleichnissen ihre Alltagswelt und die Königsherrschaft Gottes gleichsam kurzschloss. Jesus traute den Gleichnissen also eine unmittelbare Eigenkraft zu. Das unterscheidet seine Gleichnisrede im Übrigen von der des Frühjudentums, die Gleichnisse entweder illustrativ oder erklärend einsetzte.

Allen neutestamentlichen Gleichnissen ist gemeinsam, dass in ihnen mit wenigen Erzählzügen nur das Nötigste gesagt wird. Sie sind chronologisch aufgebaut. Der Erzählablauf strebt ohne Abschweifung direkt auf die Pointe zu. Dadurch geschieht Sammlung und Fixierung auf das Wesentliche. Der Hörer erlebt den chronologischen Ablauf so als sachliche Stringenz. Das wird noch dadurch unterstützt, dass die Pointe in der Regel besonders ausführlich erzählt wird (sog. Achtergewicht). Häufig sind Gleichnisse nach der volkstümlichen regel de tri aufgebaut, d. h. die Erzählung folgt einem Dreischritt (vgl. Mt 25,14-30 – dort sogar doppelt: 3 Szenen und 3 Knechte).

Gleichnisse, Parabeln und Beispielerzählungen

In der Gleichnisforschung wird seit A. Jülicher zwischen Gleichnissen im engeren Sinne und Parabeln unterschieden. Das Neue Testament macht diesen Unterschied nicht. Das Wort παραβολή/parabolē bedeutet Gleichnis, Parabel, Vergleich, Bildwort, Rätsel und Allegorie.

Gleichnisse im engeren Sinne erzählen den Adressaten vertraute Vorgänge und Erfahrungen, die üblicherweise gemacht werden. Indem Jesus die Gottesherrschaft mit dieser üblichen Welt und ihren Gesetzmäßigkeiten in Relation setzt, zielt er auf das innere Einverständnis der Hörer zu seiner Botschaft. Beispiel ist das Gleichnis vom viererlei Acker (Mk 4,3-9).

Die Parabeln dagegen interessieren sich für den besonderen Einzelfall. Der Hörer wird in der Erzählung plötzlich mit einer extravaganten Wendung im Geschehnisablauf konfrontiert, die ihn zwingt, sein bisheriges Weltverstehen in Frage zu stellen und sich einer neuen Sinnsetzung zu öffnen. Hier ist der Zusammenhang mit der Verkündigung Jesu besonders evident, die mit dem unerwarteten Nahwerden der Gottesherrschaft in der Alltagswelt rechnete. Beispiel ist das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32).

Häufig werden als dritte Gruppe von Gleichnissen die Beispielerzählungen benannt, die nur im lk Sondergut zu finden sind (Lk 10,30-35; 12,16-20; 16,19-31; 18,10-13). Die Besonderheit dieser Gleichnisse wird darin gesehen, dass jeweils eine Figur unmittelbar als positives oder negatives Exempel aufgebaut wird. Da dieser Eindruck aber vor allem durch den redaktionellen Rahmen des Evangelisten entsteht, werden die Beispielerzählungen in der neueren Forschung meist zu den Parabeln gezählt.

Literatur

K. Erlemann, Gleichnisauslegung: ein Lehr- und Arbeitsbuch, UTB 2093, Tübingen 1999.

Ders., Fenster zum Himmel. Gleichnisse im Neuen Testament, Göttingen 2017

R. Zimmermann (Hrsg.), Kompendium der Gleichnisse Jesu, Gütersloh 2007.

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Die Texte auf dieser Seite sind mit freundlicher Genehmigung übernommen aus:

Cover der Bibelkundes des Neuen Testaments von Klaus-Michael Bull

Bull, Klaus-Michael: Bibelkunde des Neuen Testaments. Die kanonischen Schriften und die Apostolischen Väter. Überblicke – Themakapitel – Glossar, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 8. Aufl. 2018.

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