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6.4. Der Prophet Hesekiel/Ezechiel (Ez)

Übersicht über das Ezechielbuch

1-24 Unheilsworte über Israel/Juda
25-32 Unheilsworte über Fremdvölker
33-39 Heilsworte nach der Zerstörung Jerusalems
40-48 Das neue Jerusalem

Wirksamkeit

Der Prophet Ezechiel („Gott möge kräftigen“; Namensform nach Luther: Hesekiel) war ein Priester, der mit der ersten Verbannung 597 nach Babylon deportiert wurde und dort von 593 bis ca. 571 gewirkt hat. Seine Verkündigung ist nach Sprache und Inhalt sehr typisch, zu charakterisieren als theologia gloriae: Ezechiel schreibt, um die Herrlichkeit Gottes zu verkünden. Die typischen Merkmale sind auch von Ezechiels Schülern, die für die Komposition des Buches verantwortlich waren, beibehalten worden. Der Umfang der späteren Zufügungen ist erneut umstritten. Die Sprache Ezechiels ist eindeutig priesterlich und steht der Priesterschrift (P) des Pentateuch nahe, er selbst ist wohl bei Gottesdiensten unter den Exulanten aufgetreten (1,3), so dass er möglicherweise ursprünglich Kultprophet war. Wie auch Jesaja und Jeremia warnte er vor Aufstandsbewegungen gegen die Babylonier (Jesaja: gegen die Assyrer), 21,28-30. Ähnlich dem deuteronomistischen Geschichtswerk versteht Ezechiel das Exil als verdiente Strafe für den Abfall Israels zu anderen Göttern, Kap. 8.

Gliederung

Die Gliederung des Ezechielbuches ist sehr einfach nachzuvollziehen; hier ist das schon bei Jeremia angesprochene Aufbauschema Unheil über Israel//Unheil über die Fremdvölker//Heil über Israel klar erkennbar. Die Worte scheinen auch, zumindest in groben Zügen, die ursprüngliche chronologische Reihenfolge bewahrt zu haben, so dass sich von der Berufung bis zu den Heilsworten ein historisch sinnvolles Gefälle ergibt.

Berufung

Kap. 1-3 berichten breit über die Berufung Ezechiels, bei der er die Vision eines göttlichen Thronwagens hat. Ezechiel muss eine Buchrolle essen (3,1) und wird dann zu Israel geschickt, das als widerspenstiges, verstocktes Volk geschildert ist. Ezechiel wird als Wächter angesprochen, was bedeutet, dass erstmals dem Propheten eine Verantwortung für seine Hörer aufgetragen wurde. Er ist verantwortlich dafür, dass alle die Botschaft Gottes hören, 3,16-21.

Bei gleichzeitigem Wissen um die Gefährdungen des Prophetenamtes (3,4-11) wird durch das Wächteramt die Aufgabe und Verantwortung des Propheten gegenüber früheren Zeiten deutlich erweitert. Der Prophet erhält eine noch stärkere Mittlerstellung zwischen Gott und Volk.

Vision

Kap. 10 sieht Ezechiel erneut den Thronwagen und die Herrlichkeit כָּבוֹד (kābôd) JHWHs. Die vier Tiergesichter, die Ezechiel V. 14 sieht, stammen aus dem assyrisch-babylonischen Vorstellungskreis, wo sie bestimmte Götter bezeichneten. Sie wurden in der christlichen Tradition auf die Evangelisten gedeutet: Mensch: Matthäus (Nebo/Nabu; Stammbaum Jesu), Löwe: Markus (Nergal; Wüstenpredigt), Stier (aus 1,10): Lukas (Marduk; Opfer des Zacharias), Adler: Johannes (Ninurta; Geist).

Zeichenhandlungen

Kap. 4-5 berichten von Zeichenhandlungen, die für Ezechiel typisch sind. Die Zeichen, etwa das auf einen Stein geritzte Jerusalem (4,1), kündigen Belagerung und Verbannung an und bezeugen Israels Schuld an seinem Schicksal, 4,4-8: Ezechiel muss so lange auf einer Seite liegen, wie Israels Schuld andauert.

Kap. 6-7 reden dann Israel/Juda direkt an und verkünden Gerichtsworte gegen Land und Volk, 6,3: „Ihr Berge Israels, hört das Wort...“. Angekündigt werden hier die Beendigung des Götzendienstes und der Untergang des Volkes.

Götzendienst

Kap. 8-11 ist eine visionäre Darstellung des Götzendienstes in Jerusalem (Ezechiel wird dorthin entrückt, 8,3). Wichtig ist insbesondere der Abschnitt 8,5-18 als eine Darstellung des Kultes in Jerusalem. Die Herrlichkeit JHWHs erhebt sich trotz der Fürbitte Ezechiels aus der Stadt weg und bleibt auf einem Berg im Osten, wohl dem Ölberg (10,18). Damit ist die besondere Auszeichnung Jerusalems hinfällig geworden, die Stadt wird der Eroberung preisgegeben. Nach Kap. 43 sieht Ezechiel visionär, wie die Herrlichkeit wieder in das neu erbaute Jerusalem einzieht.

Gerichtsworte

Die Kapitel 12-24 sammeln Gerichtsworte über Jerusalem und Juda, eingeleitet durch eine Zeichenhandlung, die das kommende Zittern wegen des Untergangs Israels vorabbilden soll (12,2-20). Die Sprüche sind so vielfältig, dass eine übersichtliche Gliederung kaum möglich ist. Wichtig ist das Wissen um einige Einzeltexte:

Kap. 13 geht gegen falsche Prophetinnen und Propheten an, die (wider besseres Wissen?) Heil angesagt haben. 14,12-23 stellt dagegen fest, dass das Gericht unwiderruflich ist, nur Noach, Hiob und Daniel werden wegen ihrer Gerechtigkeit gerettet werden, können aber das Unglück nicht abwenden. Der Text ist wichtig als Hinweis auf das Alter der mit diesen Namen verbundenen Traditionen. Die drei Helden werden wohl als Nichtisraeliten vorgestellt, denen allein Gerechtigkeit eignete?

Geschichtsrückblicke

Bedeutsam sind dann die Geschichtsrückblicke in den Kapiteln 16; 20; 23 (Jerusalem, die Hure; Geschichte des Abfalls Israels; das Gleichnis der Schwestern Ohola und Oholiba = Samaria und Jerusalem). In diesen Stücken zeigt sich die Überzeugung, dass die Sünde in Israel ständig angewachsen ist, alles drängt damit auf das kommende Strafhandeln Gottes zu. Es zeigt sich aber auch, dass mittlerweile in Israel ein umfassendes Geschichtsbewusstsein ausgebildet wurde. Die oberflächlich sichtbare Reihung von Einzelereignissen kann nun auf einen übergeschichtlichen, göttlichen Sinn hin transparent gemacht werden.

Kap. 18 stellt in diesen Horizont eine neue Perspektive: Ezechiel geht aus von dem Sprichwort „Die Väter haben saure Trauben gegessen, und den Kindern werden die Zähne pelzig“, mit dem im Volk der Zusammenhang zwischen früherer Schuld und aktueller Bestrafung hinterfragt wird. Dagegen wird angesagt, dass diese Perspektive mit dem Fall Jerusalems nicht mehr gilt. Eine Epoche ist damit abgeschlossen, nun steht jede Generation für sich selbst vor Gott: „Darum will ich einen jeden von euch nach seinem Wandel richten“, 18,30. Damit ist ein wichtiger Schritt zur Individualisierung der Heilserwartungen getan.

Der Abschnitt schließt in Kap. 24 mit einer erneuten Ansage des Falls Jerusalems und einer Zeichenhandlung: Der Prophet darf den Tod seiner Frau nicht beklagen, als Zeichen dafür, dass man über den Untergang Jerusalems nicht klagen darf.

Worte gegen die Völker

Kap. 25-32 sammeln Drohworte gegen die Nachbarvölker, jedoch nicht gegen Babylon. Zu diesem Phänomen vgl. Jer 29,7, wo ebenfalls eine positive Perspektive für Babylon zu erkennen war. Auch hier sind die Sprüche geographisch geordnet: Ammon, Moab und Edom im Osten, Philistäa im Westen, Tyrus und Sidon im Norden, Ägypten im Süden. Die angekündigte Eroberung von Tyrus durch Nebukadnezzar ist nicht eingetroffen, dies wird in 29,17-21 innerhalb des Buches korrigiert, die Unheilsweissagung gilt jetzt Ägypten!

Heilsworte

Kap. 33, die Rede vom Wächteramt des Propheten, ist das Scharnier, das zu den Heilsworten hinüber weist. Wer das Wort des Wächters hört, kann umkehren zu Gott. Diese Perspektive wird nun geschildert. Der Umschlag von der Unheilszur Heilsweissagung geschah für Ezechiel wohl mit der Erfahrung der (vorhergesagten) Zerstörung Jerusalems. Wichtig ist dabei besonders Kap. 36, in dem die Begnadigung Israels angekündigt wird. Das Wort vom neuen Herzen 36,25-28 steht inhaltlich direkt neben der Ankündigung des neuen Bundes in Jer 31,33f. Kap. 37 schildert die Wiederbelebung des Volkes, das jetzt wie Totengebeine auf dem Erdboden liegt. Dieser Text ist eine wichtige Stufe der Entwicklung einer Auferstehungshoffnung in Israel.

Kap. 38-39 schildern den letzten Ansturm der Feinde, hier Gog aus Magog, gegen das wiedererstandene Israel, bevor Gott 39,29 die Zusicherung gibt, sein Angesicht nicht mehr vor Israel zu verbergen. Damit ist erstmals eine Art apokalyptischer Geschichtsschau vermittelt: Gottes ewiges Reich muss sich gegen die innerweltlichen bösen Gestalten (die hier nur als Chiffre auftreten) durchsetzen. Dies wird dann später bei Sacharja und Daniel konzeptionell weiterentwickelt.

Verfassungsentwurf

Kap. 40-48 stellen Höhepunkt und Abschluss des Buches dar. Ezechiel sieht visionär den neuen Tempel in Jerusalem und den Wiedereinzug der Herrlichkeit JHWHs in dieses neue Heiligtum (Kap. 43). Der Kultus wird neu geordnet (44-46) und das Land wird neu verteilt werden (47-48). Interessant an diesem Verfassungsentwurf des Ezechiel ist, dass er keinen König über Israel mehr vorsieht, nur noch einen Fürsten. Damit ist die prophetische Kritik am Königtum aufgenommen worden.

Theologie

Ein wichtiger Einzelaspekt innerhalb des gesamten Buches ist die Anrede Gottes an den Propheten „Menschensohn/Menschenkind“ (2,1; 33,2; 36,1 u. ö.), die wohl den Abstand zwischen Gott und Mensch ausdrücken soll und so viel wie „Sterblicher“ meint. Sie hat nichts zu tun mit dem im NT gebrauchten Hoheitstitel „Menschensohn“ für Jesus, der in der Zeit des hellenistischen Judentums aus Dan 7 abgeleitet wurde.

Zweiter wichtiger Aspekt ist die häufige Verwendung (80mal) der sogenannten Erkenntnisaussage: „Ihr werdet erkennen ([ידע, yāda‘), dass ich JHWH bin“. Diese Erkenntnis Gottes geschieht durch geschichtliche Ereignisse, die JHWH über Israel und die Völker bringen wird. Auch hier geht es darum, die Geschichte als von Gott und nur von Gott gewirkt verstehbar zu machen. Beide Aspekte betonen auf ihre Art die theozentrische Zuspitzung in der Prophetie Ezechiels.

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Die Texte auf dieser Seite sind mit freundlicher Genehmigung übernommen aus:

Cover der Bibelkunde des Alten Testaments von Martin Rösel

Rösel, Martin: Bibelkunde des Alten Testaments. Die kanonischen und apokryphen Schriften. Mit Lernübersichten von Dirk Schwiderski, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 11., veränd. Aufl. 2021.

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