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6. Nebi’im/Die prophetischen Bücher

Schriftpropheten

Die je nach Zählung 16 (mit Daniel) oder 15 prophetischen Bücher der hebräischen Bibel bieten die Verkündigung der sogenannten Schriftpropheten im Unterschied zu den vorliterarischen Propheten. Diese haben keine eigenen Schriften hinterlassen, sondern es sind nur Berichte über sie erhalten, insbesondere in den Königsbüchern zu Elija und Elischa. Auch von den Schriftpropheten wird nur gelegentlich berichtet, dass sie selbst ihre Verkündigung aufgeschrieben haben, zumeist wird dafür der Jüngerkreis verantwortlich gewesen sein, vgl. Jes 8,16: „Verwahren will ich die Offenbarung und versiegeln die Weisung in meinen Jüngern“. Diese Kreise wie auch spätere schriftgelehrte Gruppen haben die originalen Aussprüche der Propheten nicht nur gesammelt, sondern auch thematisch neu geordnet und ergänzt. Daher ist bei vielen einzelnen Sprüchen die Echtheit des Gutes sehr stark umstritten.

Auch der Aufbau der Bücher wird auf umfassende spätere Redaktionen zurückgehen, was gerade bei Jeremia gut sichtbar ist. An andere Bücher, vor allem Jesaja und Sacharja, wurden gar die ursprünglich eigenständigen Sammlungen anderer, späterer Propheten angefügt, vgl. dazu die entsprechenden Kapitel. Dafür, dass erst spätere Bearbeiter für die heutige Gestalt der Prophetenbücher verantwortlich sind, spricht auch die Tatsache, dass sich in einigen dieser Schriften ein gleichartiges Aufbauschema findet: Danach steht am Anfang des Buches ein Abschnitt mit Unheil über Israel, darauf folgt Unheil über die Fremdvölker. Dies bedeutet implizit eine Entlastung Israels. Am Ende des Buches steht dann explizit Heil über Israel, vgl. etwa das Buch Ezechiel oder Jeremia (LXX-Version).

Der Begriff „Prophet“ ist von dem griechischen Wort προφήτης, profētēs, abgeleitet, das in wörtlicher Übersetzung „Vorhersager“ bedeutet. Das trifft das Phänomen der alttestamentlichen Prophetie allerdings nicht ganz, denn die Propheten sagen nicht einfach ein kommendes Geschehen voraus. Indem sie Gottes Wort verkünden, sorgen sie zugleich dafür, dass sich das in diesem Wort angekündigte Geschehen auch ereignet. Daher kann man sie in einem Wortspiel auch als „Hervorsager“ bezeichnen.

Phasen der Prophetie

Die Phase der klassischen Prophetie beginnt mit den ältesten Propheten Amos, Hosea, Micha und Jesaja um 750 v.Chr. und reicht bis in das 5. Jh. v. Chr. zu Maleachi, Haggai und Sacharja. Nach rabbinischer Tradition erstirbt zu dieser Zeit der prophetische Geist in Israel. Man wird aber davon ausgehen müssen, dass es auch in noch späterer Zeit Überarbeitungen und Erweiterungen von Prophetenbüchern gab, allerdings sind deren Umfang und Absichten sehr umstritten.

Grundschema prophetischer Rede

Die Propheten werden gern danach unterschieden, ob sie vor allem Heil oder Unheil ansagen. Sinnvoller ist eine rein historische Betrachtungsweise, denn durch sie wird deutlich, aufgrund welcher politischer oder sozialer Situation sie Heil oder Unheil (oder beides!) verheißen. Gegen die künstliche Trennung von Heils- und Unheilsprophetie spricht auch, dass es ein bestimmtes Grundschema prophetischer Rede gibt, das für Heils- wie für Unheilsprophezeiungen Anwendung fand: Auf einen sogenannten Lagehinweis (auch: Scheltwort) folgt ein verbindendes oder begründendes „darum“ oder „denn“ (כִּי/לָכֵן; lāken/kî). Dann folgt die eigentliche Prophezeiung (auch: Drohwort), die Gericht oder Heil beinhalten kann (vgl. z. B. 2Kön 1,6). Es wird vermutet, dass der Lagehinweis der eigenen Denkbemühung des Propheten entspringt, die Prophezeiung ihm dagegen in intuitiver Weise durch Gott offenbart wurde. Die Prophetensprüche werden oft gerahmt durch כֹּה אָמַר יהוה (koh ’āmar JHWH ), so spricht/hat gesprochen JHWH, oder נְאֻם יהוה (ne ’um JHWH ), Ausspruch/Raunung JHWHs. Eine weitere charakteristische Gattung ist die Weheklage, die aus dem alten Ritual der Totenklage stammt. Der Prophet stimmt diese Klage dann an, wenn er sein Gegenüber für so verderbt einschätzt, dass es sich eigentlich schon im Grabe befindet.

Mantik

Das Phänomen einer Wahrsagekunst begegnet im Alten Orient sehr oft, auch die spezifisch israelitische Tierlebermodell aus Hazor zur Eingeweideschau. Die Beschriftung zeigt, wie mögliche Anomalien zu deuten sind. Form der Prophetie hat Parallelen, etwa im syrischen Mari des 2. Jt. oder in Assyrien. Seit dem römischen Philosophen Cicero unterscheidet man die intuitive von der induktiven oder instrumentellen Mantik. Erstere geschieht durch Visionen und Auditionen, dies ist bei alttestamentlichen Propheten zu beobachten. Die induktive Mantik bedient sich demgegenüber bestimmter Vorzeichen – beispielsweise an Tierlebern –, besonderer astronomischer Konstellationen oder spezieller Instrumente oder Hilfsmittel wie Würfeln zum Losen. Aus den Beobachtungen werden, oft nach festen Regeln, Vorhersagen über die Zukunft abgeleitet. Letzteres begegnet im AT nur selten, so beim Werfen der Urim und Tummim (vgl. Esra 2,63).

Kaptiel zu den Propheten

Literatur

J. Blenkinsopp, Geschichte der Prophetie in Israel, 1998.

K. Koch, Die Profeten I. Assyrische Zeit, 3. Aufl. 1995; II. Babylonisch-Persische Zeit, 2. Aufl. 1988.

R. G. Kratz, Die Propheten Israels, 2003.

M. Albani, Daniel. Traumdeuter und Endzeitprophet, Biblische Gestalten 21, 2010.

Franz Werfel, Hört die Stimme, 1937 (zu Jeremia).

Digitale Bibelkunde

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Die Texte auf dieser Seite sind mit freundlicher Genehmigung übernommen aus:

Cover der Bibelkunde des Alten Testaments von Martin Rösel

Rösel, Martin: Bibelkunde des Alten Testaments. Die kanonischen und apokryphen Schriften. Mit Lernübersichten von Dirk Schwiderski, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 11., veränd. Aufl. 2021.

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