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Synagoge (NT)

(erstellt: April 2013)

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1. Grundsätzliches

Neben der Familie und dem Jerusalemer → Tempel (bis 70 n.Chr.) stellt die Synagoge die wichtigste religiöse und soziale Institution des antiken Judentums dar. Konkret ist dabei jedoch zunächst an antik-jüdische Versammlungen und erst allmählich an eigens für gottesdienstliche Zwecke gewidmete Gebäude zu denken.

2. Synagogen im NT und in der antik-jüdischen Umwelt

2.1. Terminologie

Mehr als 200 mal begegnet das Wort συναγωγή (synagōgē) in der → LXX. In den meisten Fällen ist es Übersetzung der hebräischen Termini עֵדָה (´ēdāh; Gemeinschaft, Ex 12,3; Num 10,2.3) und קָהָל (qāhāl; Menschenmenge, u.a. Ex 12,6; Num 10,7; Ez 27,27). Als Gebäudebezeichnung, wahrscheinlich für Zelte, findet es sich im AT nur in Num 16,24, dort als Übersetzung von מִשְׁכָּן (miškān, Wohnung).

Im NT werden antik-jüdische Synagogengebäude und Versammlungen ausschließlich als συναγωγή (synagōgē; Mt 4,23 u.a.; Mk 1,39 u.a.; Lk 4,15 u.a.; Joh 18,20 u.a.) oder als προσευχή (proseuchē, „Gebet / Bethaus“; Apg 16,13.16) bezeichnet. Von den insgesamt 56 Belegestellen für synagōgē finden sich allein 34 im lukanischen Doppelwerk, keine einzige jedoch bei Paulus. Lediglich in Lk 7,5, wo es um die Stiftung einer synagōgē für die Juden in → Kapernaum geht, und in Apg 18,7 mit einer synagōgē direkt neben einem anderen Haus, handelt es sich eindeutig um architektonische Bauwerke. Für alle anderen Stellen ist nur schwer zwischen den Bedeutungsaspekten der Gemeinde-/Versammlung oder des Gebäudes zu unterscheiden (Claußen, Jesus, 228f.). Dies gilt etwa für → Palästina, für die Nennungen von Synagogen in Nazareth (Lk 4,16), Jerusalem (Apg 6,9; 24,12) und anderen Orten (Mk 1,39) und auch für weitere Hinweise mit Bezug auf Kapernaum (Mk 1,21; Joh 6,59). In Jak 2,2 bezeichnet synagōgē eine frühchristliche Versammlung (vgl. ἐπισυναγωγή / episynagōgē, in Hebr 10,25).

Philo von Alexandrien verwendet synagōgē im Sinne von Gebäude nur ein einziges Mal und zwar für eine → essenische Synagoge (Prob 81). In der Bedeutung „Gemeinde“ findet sich der Begriff nur in Zitationen von Num 27,16f. (Post 67; Agr 44).

Unter den insgesamt acht Erwähnungen von synagōgē bei → Flavius Josephus finden sich Hinweise auf Synagogengebäude in → Caesarea Maritima (Bell 2,287-292), Dora (Ant 19,300-305) und Antiochia (Bell 7,44-47). Die Synagoge in Tiberias bezeichnet er als proseuchē (Vita 277.280).

Für die neutestamentliche Zeit bietet eine ca. 75 cm mal 41 cm große Stifterinschrift, die 1913/14 in einer Zisterne bei Grabungen in der Jerusalemer Davidstadt entdeckt wurde Einblicke in die Gestaltung eines antik-jüdischen Gemeindezentrums zur Zeit des Zweiten Tempels (CIJ II 1404) (s. Abb 1.)

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Dieses nach dem Stifter meist „Theodotos-Inschrift“ genannte epigraphische Zeugnis stammt mit großer Wahrscheinlichkeit aus der Zeit vor 70 n. Chr. Für die Zeit nach der Zerstörung Jerusalems ist die Errichtung eines so großen Synagogenkomplexes kaum anzunehmen. Die verschiedenen genannten Funktionen dieser Synagoge – vom Lesen der → Tora und der Unterweisung in den Geboten bis hin zur Gewährung von Unterkunft, wohl für Diasporapilger – belegen eindrucksvoll das breite religiöse und soziale Bedeutungsspektrum antik-jüdischer Synagogen.

Auch für die Diaspora ist das Nebeneinander der Bedeutungsaspekte von synagōgē belegt, so etwa in einer Inschrift aus Berenike in der nordafrikanischen Cyrenaika (CJZC 72):

(…) Es erschien der synagōgē (= Synagogen-Gemeinde) der Juden in Berenike angebracht, die (Namen) derjenigen auf einer steinernen Säule aufzuschreiben, die

zur Renovierung der synagōgē (= Synagogen-Gebäude) gespendet haben (…).

2.2. Ursprünge

Die Ursprünge der antik-jüdischen Synagogen sind in der Forschung umstritten. Josephus (Apion 2,175), Philo (Vita Mos. 2,215; Op. 128) ebenso wie die Targumim (TPsJ zu Ex 18,20 und Num 24,5; PesR 129b.) führen die Synagoge auf Mose zurück (Apg 15,21), was historisch sicher nicht haltbar ist.

An der Geschichte Israels orientierte Datierungsversuche führen in die Zeit des Ersten Tempels (8. Jh. v. Chr; 1Kön 8,27-30; 2Kön 4,23), etwa als Reaktion auf die assyrerfreundliche Religionspolitik → Manasses (696-642/41 v. Chr; 2Kön 21) oder auf die josianischen Reformen (622 v. Chr.; 2Kön 23,1-20). Lange Zeit galt die tempellose Zeit des babylonischen → Exils (6. Jh. v. Chr.) als Entstehungszeit. Andere Forschungsansätze führen in die Zeit Esras und Nehemias (5. Jh. v. Chr; Neh 8,1-10,40) und die Situation nach der Rückkehr aus dem Exil.

Älteste archäologische Spuren liegen jedoch erst mit zwei griechischen Inschriften aus dem ptolemäischen Ägypten (JIGRE 22 u. 117; 3. Jh. v. Chr.) vor. Die wohl ältesten Reste eines Synagogengebäudes sind auf der griechischen Insel Delos gefunden worden (2. Jh. v. Chr.). Die Nutzung des Gebäudes ist jedoch erst für das 1. Jh. v. Chr. als jüdisch (oder samaritanisch) zu identifizieren. Ein Fund aus Gamla in der Gaulanitis östlich vom → See Genezareth gilt als älteste Synagoge in Palästina (zweite Hälfte des 1. Jh.s v. Chr. bis Anfang 1. Jh. n. Chr.).

Nähert man sich der Frage nach den Ursprüngen der Synagoge von deren Funktionen her, so ist vor allem an Versammlungen im Stadttor (Hoenig 1979, 448-476) oder an die religiöse Unterweisung im familiären Kontext zu denken (Dtn 4,10; 6,4-7; 11,19; Ps 78,5; Claußen 2002, 160-164).

2.3. Funktionen

Schon der Begriff der proseuchē identifiziert in den ältesten epigraphischen Zeugnissen (JIGRE 22 u. 117) die antik-jüdische Synagoge als einen Ort des Gebets. Der ursprünglich nicht religiös konnotierte Begriff der synagōgē stellt dagegen den Aspekt der Versammlung in den Vordergrund. Die Theodotos-Inschrift (CIJ II 1404) nennt neben der Toralesung und Gebotsunterricht auch die Funktion als Gästehaus. Spezielle Wasserinstallationen mögen für rituelle Waschungen genutzt worden sein. Diese Synagoge aus dem Jerusalem zur Zeit des Zweiten Tempels diente vermutlich vor allem Pilgern aus der → Diaspora als Versammlungsort und zur Unterkunft. Auch weitere, nicht im engeren Sinne religiöse Zwecke sind belegt. So konnten antik-jüdische Synagogen eine Bibliothek oder ein Archiv beherbergen, der Aufbewahrung der Tempelsteuer dienen oder als Orte für Gerichtsverhandlungen, zur Sklavenbefreiung oder für Festmähler genutzt werden. Synagogen waren damit keinesfalls nur gottesdienstlichen Zwecken vorbehalten, sondern wurden als Gemeindezentren im weiteren Sinne genutzt.

2.4. Ämter

Unter den zahlreichen für antik-jüdische Synagogengemeinden bezeugten Funktionären sind ἀρχισυνάγωγος (archisynagōgos, „Synagogenvorsteher“) und πρεσβύτερος (presbyteros, „Ältester“) die bedeutendsten. Ferner sind eine Reihe von Ehrentiteln „Vater und Mutter der Synagoge“ (πατήρ / patēr bzw. μήτηρ συναγωγῆς / mētēr synagōgēs), Verwaltungsämtern (γερουσιάρχης / gerousiarchēs, ἄρχων / archōn, φροντιστής / phrontistēs), Schreiber oder Schriftgelehrter (γραμματεύς / grammateus) und solche mit wohl kultischen Aufgaben: Psalmsänger (ψαλμῳδός /psalmōdos) und Priester (ἱερεύς / hiereus), sowie Hilfsdienste: Platzanweiser (εἰσαγγελεύς / eisaggeleus) belegt. Das genaue Aufgaben- und Bedeutungsspektrum und damit auch die Übersetzung dieser Titel und Ämter sind jedoch oft nicht eindeutig zu bestimmen (Claußen 2002, 264-273).

Auch im Neuen Testament werden eine Reihe von archisynagōgoi erwähnt, jedoch ausschließlich bei Markus und im lukanischen Doppelwerk (Mk 5,22.35.36.38; Lk 8,49; 13,14; Apg 13,15; 18,8; 18,17). Diesen obliegen wahrscheinlich eine gewisse Aufsicht und liturgische Leitungsaufgaben im → Gottesdienst. So bezieht etwa ein archisynagōgos gegen eine Heilung Jesu an einem → Sabbat in einer Synagogenversammlung Stellung (Lk 13,14). In der Synagoge von Antiochia werden Paulus und sein Mitreisenden dazu aufgefordert, in einem Synagogengottesdienst „nach der Lesung des Gesetzes und der Propheten“ (Apg 13,15) das Wort zu ergreifen (Apg 18,8.17). Häufiger mag es sich bei einem archisynagōgos auch um eine Art Patron oder Stifter eines Synagogengebäudes gehandelt haben, wie die Theodotos-Inschrift (CIJ II 1404) nahelegt.

Das etwas unklare Bedeutungsspektrum des Begriffes wird auch daran deutlich, dass ein und dieselbe Person gelegentlich mit unterschiedlichen Titeln in Verbindung gebracht wird. So wird Jairus, dessen Tochter durch Jesus vom Tode auferweckt wird, teilweise als archisynagōgos (Mk 5,22.35f.38; Lk 8,49) bezeichnet, an anderer Stelle allerdings als ἄρχων τῆς συναγωγῆς (archōn tēs synagogēs, „Leiter der Synagoge“; Lk 8,41) oder als ἄρχων (archōn, „Leiter“; Mt 9,23).

Die Presbyter einer Synagoge sind eher als Kollektivbegriff für besonders geehrte Personen zu begreifen, etwa im Sinne von „Honoratioren“ (Claußen 2002, 264-273). Als aufgrund ihrer sozialen oder familiären Stellung angesehene Personen, hatten diese gelegentlich auch ein konkretes Synagogenamt inne.

Für eine Reihe von Synagogentiteln sind auch Formen im Femininum belegt und es wäre völlig unbegründet, diese nur als Ehrentitel ansehen zu wollen (Brooten 1982, 5-72).

2.5 Archäologische Zeugnisse

Für die Zeit des Zweiten Tempels gibt es nur sehr wenige archäologische Zeugnisse antiker Synagogengebäude und deren Identifizierung ist nicht selten umstritten. Da Synagogenversammlungen ebenso in privaten Räumlichkeiten oder unter freiem Himmel abgehalten werden konnten, hinterließen die antik-jüdischen Gemeinde oft keine entsprechenden Spuren.

Für das 1. Jahrhundert n. Chr. gewähren vor allem Funde in Gamla in der Gaulanitis und auf den Herodes-Festungen → Masada und Herodium Einblicke in die Architektur antik-jüdischer Synagogen. In der Diaspora sind vor allem die Funde auf Delos, in Priene, Ostia, Stobi, Sardes und Dura Europos zu erwähnen.

2.5.1. Palästina

Etwa 8 km östlich des Sees Genezareth im unteren → Golan befinden sich die Ruinen der antiken Stadt Gamla, über die Josephus ausführlich berichtet (Bell 4,2-83). An der Ostmauer der Stadtbefestigung finden sich die Überreste eines Synagogengebäudes aus der Zeit vor der Zerstörung der Stadt durch die Römer (67 n. Chr.). Der Versammlungsraum mit an den Wänden verlaufenden zwei- und vierstufigen Sitzbänken misst 13,4 m mal 9,3 m bei einer Gesamtlänge des Gebäudes von 25,5 m Länge und 17 m Breite.

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Die Ausrichtung des Gebäudes ist in nordost-südwestlicher Richtung und damit gen Jerusalem. Dies mag jedoch der Topographie vor Ort geschuldet sein. Der Innenraum war von insgesamt 16 Säulen umgeben. Die vier Ecksäulen haben einen herzförmigen Querschnitt. Eine kleine Nische in der westlichen Ecke mag der Aufbewahrung von Gegenständen gedient haben. Im Nordosten liegt ein Raum, der gelegentlich als „Studierzimmer“ interpretiert worden ist. Die Identifizierung als Synagoge wird gestützt durch einen innerhalb des Baus gefundenen Steinblock mit einer eingeritzten Rosette, einem in antik-jüdischer, wie auch in rabbinischer Zeit häufigen jüdischen Motiv. Westlich des Gebäudes befindet sich eine 4 m mal 4,5 m große Miqwe. Die Datierung dieses bislang ältesten Synagogenfundes in Palästina in die zweite Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. bis zum Anfang des 1. Jahrhunderts n. Chr. wird, durch ein Fragment einer herodianischen Lampe und einer Münze aus der Zeit → Herodes des Großen (73-4 v. Chr), die unterhalb des Fußbodens gefunden wurden, nahegelegt.

Die von Herodes dem Großen am Westufer des Toten Meeres errichtete Festungsanlage Masada wurde in der Zeit des Ersten Jüdischen Krieges (66-74 n. Chr.) von Zeloten besetzt. In diese Zeit fällt auch der Umbau eines im Nordwesten Masadas gelegenen Raum zu einem 10,5 m mal 12,5 m großen Versammlungsraum. So wurden an der Innenseite der Außenwände vierstufige steinerne Sitzbänke eingebaut. Fünf Säulen stützten das Dach. Zusätzlich wurde in einer zweiten Bauphase ein nur 3,5 m mal 5,5 m großer Raum in der nördlichen Ecke des Gebäudes abgetrennt. Die hier gefundenen Schriftfragmente aus dem Deuteronomium und aus dem Buch des Propheten Ezechiel legen nahe, dass dieser Raum als Geniza genutzt worden sein könnte. Etwa 15 m in nordöstlicher Richtung entfernt befindet sich eine Miqwe. Die Räumlichkeiten haben dem → Zeloten während der römischen Belagerung als Synagoge gedient.

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Herodes der Große errichtete auch am Rande der judäischen Wüste etwa 12 km südlich von Jerusalem eine weitere Palast- und Festungsanlage. Herodium wurde im Ersten Jüdischen Krieg ebenfalls von Zeloten besetzt (66-71 n. Chr.). Ein ursprünglich als Speisesaal (triclinium) genutzter Raum wurde in dieser Zeit an den Längsseiten und an der Rückwand mit dreistufigen steinernen Sitzbänken versehen. Der Raum misst etwa 10m mal 14m. Mehrere Säulen (vier evtl. sechs) stützten die Dachkonstruktion. In der Nähe des Eingangs befindet sich eine Miqwe. Diese und die Ähnlichkeit des Raumes zu jenem auf Masada lassen es vermuten, dass auch dieses Gebäude von den Zeloten als Synagoge genutzt wurde.

synagoge4

Die Identifizierung mehrerer neuerer Funde als Synagogen und deren Datierung sind umstritten. Dies gilt etwa für Funde in Shuafat (Runesson 2008, 75f.), einem arabischen Vorort nördlich von Jerusalem, Qiryat Sefer in der Nähe von Modi‘in, etwa 32 km nordwestlich von Jerusalem (Runesson 2008, 65f.), und Horvat ‘Etri in der Schefala (Runesson 2008, 36-38). Die oft angeführte sogenannte „Weiße Synagoge“ in der Nähe des „Petrushauses“ in Kapernaum stammt aus dem 4./5. Jh. n. Chr., wenngleich sie vielleicht auf dem Fundament einer älteren Konstruktion aus dem 1. Jh. n. Chr. errichtet wurde, wie Steinpflaster, Reste von Wänden und Münzfunde unterhalb des Fußbodens möglich erscheinen lassen. Ob es sich dabei um die in Lk 7,5 erwähnte Synagoge aus der Zeit Jesu handelt, ist nicht nachzuweisen.

Als einziger archäologischer Hinweis auf ein Synagogengebäude in Jerusalem kann die bereits erwähnte Theodotos-Inschrift (CIJ II 1404) gelten. Eine Reihe von literarischen Zeugnissen weisen jedoch auf Synagogen in der Stadt des Zweiten Tempels hin (Joh 9,22; 12,42; Apg 6,9 u.a.; Josephus, Apion I 209-211; II 10-12 u.a.). Ob es sich dabei um Synagogengebäude oder -gemeinde handelt, ist oft nicht zu klären. Eine spätere rabbinische Notiz, die „alle Häuser Jerusalems“ mit Synagogen gleichsetzt, legt die Vermutung nahe, dass in der Zeit des Zweiten Tempels Privathäuser durchaus noch für synagogale Zwecke genutzt wurden (yMeg 3,1 [73d, 29-35]; Hüttenmeister, Synagogen, 204f.), was etwa den sehr geringen archäologischen Befund für diese Frühzeit erklären könnte.

2.5.2. Diaspora

Die Apostelgeschichte erwähnt Diasporasynagogen beziehungsweise Diasporagemeinde in Damaskus (Apg 9,2.20), Salamis (Apg 13,5), Antiochia in Pisidien (Apg 13,14.42), Ikonion (Apg 14,1), Thessalonich (Apg 17,1), Beröa (Apg 17,10), Athen (Apg 17,17), Korinth (Apg 18,4.7f.), Ephesus (Apg 18,19.26; 19,8) und wohl auch in Philippi (Apg 16,13.16; dort προσευχή / proseuchē). Früheste archäologische Zeugnisse von Diasporasynagogen aus der Zeit vom 2. Jh. v. Chr. bis zum 3. Jh. n. Chr. befinden sich auf der griechischen Insel Delos in der Ägäis (2. Jh. v. Chr), dem stadtrömischen Hafen Ostia (evtl. 1. – 4. Jh. n. Chr.), Dura Europos in Syrien, Stobi in Makedonien (wahrscheinlich spätes 3. Jh. n. Chr.) sowie Priene (3./4. Jh. n. Chr.) und Sardes (2. Jh. – 256 n. Chr.) in Kleinasien (Claußen 2002, 191-208; Claußen, 2005, 206-208). Auch wenn bereits für die Zeit vor 70 n. Chr. von antik-jüdischen Gemeinden in den meisten Provinzen des römischen Reiches (vielleicht nicht im Norden und im Westen) fern vom Jerusalemer Tempel auszugehen ist, so sind dies doch nur sehr wenige konkrete archäologische Belege, die wiederum nahelegen, dass ein großer Teil des antik-jüdischen religiösen und sozialen Lebens sich in Privathäuser abgespielt hat.

2.6. Rechtliche Rahmenbedingungen

Unter den vielfältigen antiken Vereinen gewährten die römischen Autoritäten den antik-jüdischen Synagogengemeinden einen eigenen Rechtsstatus und blieben von gelegentlichen Vereinsverboten bewusst ausgenommen. Vor allem Josephus weist in etwa dreißig offiziellen Dokumenten auf konkrete Rechte für Juden und ihre Gemeinden im → römischen Reich hin (Jos, Ant. 14; 16; 19). Konkret handelt es sich um:

Das Recht, über ihre eigenen Angelegenheiten zu entscheiden (Ant. 14,235.260);

Das Recht, sich zu versammeln und/oder einen eigenen Versammlungsort zu haben (Ant. 14,214-216.227.235.257f.260f.);

Das Recht zur Einhaltung des Sabbats (Ant. 14,226.242.245.258.263f.);

Das Recht, jüdische Festtage zu begehen (Ant. 14,213-216.257);

Das Recht, jüdische Speisevorschriften zu beachten (Ant. 14,226.245.261);

Das Recht, Finanzmittel einzusammeln und die Tempelsteuer zu entrichten (Ant. 14,214.227);

Die Befreiung vom Militärdienst (Ant. 14,223-240);

Die Befreiung von der Teilnahme am Kaiserkult (Ant. 19,280-285).

Von diesen sind die ersten beiden, Entscheidungs- und die Versammlungsfreiheit, sicher die bedeutendsten, die ein jüdisches Gemeinschaftsleben in der Diaspora überhaupt erst ermöglichen. Diesen grundsätzlich recht weitreichenden Rechtssatzungen stehen jedoch auch bei Josephus Berichte über Schwierigkeiten gegenüber, diese konkret vor Ort jeweils in Anspruch nehmen zu können (siehe z.B. für Sardes Jos Ant. 14,235; 259-261). Obwohl die generelle Rechtslage damit als großzügig bewertet werden kann, trafen die antik-jüdischen Gemeinden in manchen hellenistischen Städten nicht selten auf Ablehnung und Feindschaft. So mag es vor allem in der Frühzeit an vielen Orten schwierig gewesen sein ein eigenes Synagogengebäude zu errichten, was wiederum in Einklang mit dem geringen archäologischen Befund steht.

2.7. Synagogengottesdienst

Als wichtigste Elemente antik-jüdischer Synagogengottesdienste lassen sich Schriftlesung (Apg 15,21) und Schriftauslegung (Apg 13,15.42; u.a.), Gebet (Mt 6,5) und Unterricht (Mt 4,23; 9,35; Mk 1,21; 6,2; Lk 4,15; u.a; Joh 6,59; Apg 18,4; 19,8) nennen. Im Zentrum steht dabei die öffentliche Toralesung. (Apg 15,21; 2Kor 3,15). Die Lesung aus den Prophetenbüchern scheint dagegen jüngeren Datums zu sein. Lk 4,17-21 (vgl. mMeg 4,1) kann als ältester Beleg für diese Praxis gelten, während Philo für Ägypten nur Toralesung und auslegende Predigt erwähnt (Hyp. 7,11-14). Die einzigen Zeugnisse antiker Synagogenpredigten liegen in drei hellenistisch-jüdischen Texten in armenischer Sprache vor (Siegert 1980, 9-83; Siegert 1982). Über die konkrete Liturgie dieser Gottesdienste wissen wir jedoch nur sehr wenig.

Die in der Diaspora vorwiegend gebräuchliche Bezeichnung προσευχή (proseuchē, „Gebet“ und davon abgeleitet „Bethaus“) unterstreicht die Bedeutung des Gebetes für den Synagogengottesdienst. Besonders Philo stellt die Synagoge als einen Ort des Schriftstudiums und der Lehre dar und versucht sie damit, seinen Lesern als eine Art Philosophenschule nahe zu bringen (Som. 2,127). In der Frühzeit lässt sich die später übliche Differenzierung in Synagoge und Lehrhaus noch nicht nachweisen. Ein für die Durchführung des Gottesdienstes konstitutives Quorum von zehn Männern (minjan) ist erst in der Mischna belegt (mMeg 4,3). Auch Frauen durften an frühen Synagogengottesdiensten selbstverständlich teilnehmen (Lk 13,10-17; Apg 16,13; 17,4.12; Jos Ant. 14,260; Bell. 2,560). Auch dies passt gut in ein Gesamtbild, nach dem vor allem in der Frühzeit ganz analog zu den Hausgemeinden (Apg 18,7; 1Kor 16,19; Phlm 2) des entstehenden Frühchristentums auch antik-jüdische Gemeinde sich an vielen Orten vor allem in einer Art „Haussynagoge“ im Kontext von Privathäusern versammelten und erst allmählich in speziell gewidmeten Synagogengebäuden.

Literaturverzeichnis

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Abbildungsverzeichnis

  • „Theodotos, (Sohn) des Vettenus, Priester und archisynagōgos, Sohn eines archisynagōgos, Enkel eines archisynagōgos, erbaute/renovierte die synagōgē zum (Vor-)Lesen des Gesetzes und Lehren der Gebote, und das Gasthaus und die Kammern/Nebenräume und die Wasserinstallationen zur Herberge für diejenigen aus der Fremde, die sie benötigen. Sie (sc. die synagōgē) haben begründet seine Väter und die Ältesten und Simonides.“ © Sodabottle (Own work) [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/ licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons)
  • Die Synagoge in Gamla mit dem Eingang in der west-/südwestlichen Mauer und der Miqwe unter weißer Überdachung im Hintergrund © www.HolyLandPhotos.org
  • Die Synagoge auf Masada mit Sitzbänken und Säulen
  • Die Synagoge auf dem Herodium, Festung und Grabstätte Herodes’ des Großen, mit Säulen und umlaufenden Sitzbänken

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