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Epheser 2,(11-16)17-22 | 2. Sonntag nach Trinitatis | 09.06.2024

Einführung in den Epheserbrief

Die aktuellen Fragen, die in der Exegese des Epheserbriefs behandelt werden, drehen sich vor allem das Verhältnis von Ekklesiologie und Christologie sowie um die Vorstellungen zur Eschatologie.

1. Verfasser

In der Exegese herrscht große Einigkeit darüber, dass der Epheserbrief nicht von Paulus verfasst wurde. Dagegen sprechen die von den authentischen Paulusbriefen abweichende eigene Sprachgestalt (z.B. die Vorliebe für überlange Sätze) sowie theologische Weiterentwicklungen, besonders in Christologie und Kosmologie (z.B. Christus, der das All zusammenfasst Eph 1,10), Soteriologie (Gott hat uns mit auferweckt und eingesetzt im Himmel in Christus 2,6), Ekklesiologie (die über die einzelne Gemeinde hinaus wachsende Kirche als Leib mit Christus als Haupt, 1,22) und die Bedeutung der apostolischen Tradition, die die Existenz der Kirche garantiert (2,20). Hinzu kommt die weitgehende Abhängigkeit des Eph vom (früheren) Kolosserbrief, bis hin zu wörtlichen Übernahmen. Der namentlich unbekannte Verfasser des Eph fühlt sich der paulinischen Tradition verpflichtet (z.B. 2,8) und will sie in seiner eigenen Zeit, vermutlich zwischen 80 und 90 n. Chr., und unter anderen Umständen erneut zur Sprache bringen. Auch der Aufbau des Briefes entspricht im Wesentlichen den authentischen Paulusbriefen, vor allem mit der Aufteilung in einen eher grundlegend-lehrhaften und einen daraus Konsequenzen ziehenden paränetischen Hauptteil. Ungewöhnlich ist aber das Nebeneinander einer ausführlichen Eulogie und Danksagung im Eingangsteil (1,3-14. 15-23) und das Fehlen von Grüßen am Schluss.

2. Adressaten

Der Eph ist nach 1,1 und der Briefüberschrift ein Schreiben an die Christen in Ephesus. Allerdings fehlt die Ortsangabe in 1,1 in den ältesten Handschriften, und es finden sich keinerlei nähere Angaben zu den Adressaten; persönliche Notizen oder Grüße fehlen, die Mahnungen bleiben allgemein. Konkrete Probleme, die die Abfassung erklären könnten, werden nicht angesprochen. Nach 1,15; 3,2f.; 4,21 scheinen sich Verfasser und Adressaten nicht einmal persönlich zu kennen. Dass die Empfänger in Ephesus beheimatet seien, geht aus dem Text nirgends hervor. Der Eph ist deshalb vielfach als Traktat, theologische Abhandlung oder auch als „Rundschreiben“ bezeichnet worden. Diese Auffassung hat wegen der Allgemeinheit des Schreibens viel für sich. Ein „situationsloses Schreiben“ ist Eph dennoch nicht, auch wenn wir seine Situation nicht mehr im Detail rekonstruieren können. Offensichtlich hat sich der Verfasser aber veranlasst gesehen, grundlegende Gedanken über die christliche Existenz und die Kirche aufzuschreiben und dabei besonders die Einheit der Kirche hervorzuheben. Die frühe Verbreitung des Schreibens im westlichen Kleinasien spricht dafür, dass die Adressaten hier zu suchen sind. Von daher lag die Provinzhauptstadt Ephesus als zugeschriebene Adresse nahe, nicht zuletzt  deshalb, weil Paulus selbst sich längere Zeit in der Stadt aufgehalten hatte.

3. Entstehungsort

Was für die Adressaten gilt, gilt auch für den Entstehungsort des Schreibens. Das westliche Kleinasien ist ein Entwicklungszentrum des frühen Christentums, wie z.B. die in Offb 2f. genannten Städte (darunter auch Ephesus) belegen. Vermutlich ist das Schreiben in diesem Umkreis entstanden. Dass der Verfasser den Kol gekannt, geschätzt und verwendet hat, unterstreicht dies (Kolossä lag etwa 170 km östlich von Ephesus).

4. Wichtige Themen

Theologie, Christologie, Kosmologie und Ekklesiologie sind wichtige Themen des Eph - und sie sind eng miteinander verbunden. Der Kosmos besteht aus zwei Räumen, Erde (4,9) und Himmel (1,3.10; 2,6). Im himmlischen Bereich befinden sich die Engel, die Äonen, die Mächte und Gewalten (1,21; 2,7), zum Bereich der Erde gehört alles Vorfindliche, hier hat der Äon dieser Welt seinen Ort (2,2), und der Weltherrscher regiert (6,12). In Christus und durch ihn ist aber alles, was im Himmel und auf Erden ist, „zusammengefasst“, (1,10), und es gibt nichts mehr, was Christus nicht unterworfen wäre (1,23). Dies gilt nicht zuletzt für Juden und Heiden, die durch einen „Zaun“ getrennt waren (2,14). Aber auch dieser Zaun ist durch Christus aufgehoben, Gemeinschaft und Einheit sind möglich geworden. In der Kirche wird dies erkannt und geglaubt. Insofern ist sie Christi Leib, Christus ist in ihr gegenwärtig, sie repräsentiert die „Fülle Christi“. Deshalb kann auch, was vor Christus Juden und Heiden voneinander schied, nicht mehr trennen (2,11-13). Durch Christus, durch sein Blut gehören beide gleichermaßen zum „Leib Christi“ und haben Zugang zum himmlischen Bereich (2,6.18); dies aber nicht im Gegensatz zur Welt, sondern im Blick auf die Welt und mit der Aufgabe, allen Menschen und kosmischen Mächten das Geheimnis Gottes zu verkündigen und vorzuleben (3,10; im Blick auf den Apostel 6,19f.).

Dies wird mit Hilfe verschiedener Bilder zum Ausdruck gebracht. Neben der Kirche als „Leib Christi“ wird sie auch als „Bauwerk“, in dem die Christen Wohnrecht haben, und als  „Tempel“ bezeichnet (2,19-22). Das Bauwerk ist jetzt schon existent (2,19f.), aber es wird auch noch daran gebaut, damit alle zur Erkenntnis des Sohnes Gottes kommen (4,11ff.). Im Rahmen der Haustafel wird das Verhältnis von Mann und Frau auf Christus und die Kirche gedeutet (5,25-32). Die verschiedenen Bilder zeigen, dass die Kirche nicht mit Sachstandsbeschreibungen zu erfassen ist, sondern als geglaubte Größe weit über ihre sichtbare Existenz hinaus reicht. Der Verfasser des Eph ist damit der erste christliche Theologe, der explizit eine Vorstellung von dem Phänomen Kirche entwickelt. Umstritten ist, ob der Eph damit die theologische Konzeption einer Universalkirche entwirft oder sich nach wie vor auf die Versammlung der Glaubenden bezieht, sodass die einzelnen Glaubenden im Blick bleiben. Beide Positionen sehen m.E. etwas Richtiges. Im Vergleich mit den unbestrittenen Paulusbriefen hat zweifellos bereits eine Entwicklung hin zur Kirche als einer die Ortsgemeinden überschreitenden Größe stattgefunden. Die Christen aller Gemeinden bauen gemeinsam an dem Bau weiter, der auf dem von den Aposteln und Propheten garantierten Fundament ruht und dessen Eckstein Christus ist (2,20). Die wachsende Zahl der Gemeinden führt aber auch zu Differenzen, und das macht die starke Mahnung zur Einheit verständlich (4,1-6). Christus ist das Haupt der Gemeinde, aber ist auch Herrscher über das  All (einschließlich aller gegenwärtig noch ungläubigen Menschen und überpersönlichen Mächte). Was in der Kirche schon erkannt wird, soll auch vor der Welt bekannt werden. Diesem Ziel dient die Einheit der Christen - und darauf liegt der Akzent, und (noch) nicht auf der Idee einer universalen Kirche im Sinne einer Heilsagentur.

Deshalb ist die Ekklesiologie auch nicht, wie oft vertreten wurde, das eine, zentrale Thema des Eph. Ohne die Christologie (und die damit verbundenen soteriologischen Aussagen) wären die Aussagen über die Kirche ihrer Grundlage beraubt. Was in der Kirche erkannt, geglaubt und von ihr in die Welt getragen wird, ist nicht in erster Linie eine Lehre von der Kirche, sondern ein Bekenntnis zu Christus (vor allem 1,3-14), der das ganze All zusammenhält. Ohne Christus als Eckstein und die apostolische Tradition (2,20) gäbe es die Kirche nicht. Ihre Aufgabe ist es, das von Christus erwirkte Heil für die ganze Welt zu verkündigen und durch ihr Handeln zu bezeugen.

Der ganze zweite Hauptteil des Eph und damit die Hälfte des Schreibens befasst sich mit der Lebensführung der Adressaten. Das hat Auswirkungen auf das Verständnis der Ekklesiologie. Gerade weil die Kirche das Geheimnis Gottes als Grundlage (1,10) und den Gottesgeist als Angeld hat (1,14), steht sie in der Gefahr, „geistlich abzuheben“ und sich über die Welt zu erheben (vgl. 2,8-10), die aber doch auch mit allem Drum und Dran von Christus zusammengehalten wird (1,10). Die umfangreiche Paränese ist deshalb die andere, notwendige Seite der ekklesiologischen Medaille. Die Lebenspraxis soll nicht nur dem Glauben der Christen entsprechen, sondern dazu helfen, den Menschenkindern (3,5) das Geheimnis Gottes zu erschließen.

Dass alles, was es im Himmel und auf Erden gibt, alle Menschen, alle Mächte und Gewalten, die von den Christen schon erkannte und geglaubte Erlösung in Christus ebenfalls erkennen und in das Gotteslob (1,3-14) einstimmen, steht freilich noch aus. Im Bild gesprochen: Der Leib Christi muss noch wachsen (4,15). Zwar sind die Christusgläubigen schon mit auferweckt und im Himmel eingesetzt (2,6), aber Vielen ist dieses Geheimnis noch fremd und unerschlossen, und Mächte und Gewalten kämpfen dagegen an (6,10). Insofern fehlt auch die Dimension der Zukunft im Eph nicht (formelhaft in 1,21). Es ist allerdings keine qualitativ andere und ganz neue Zukunft, sondern eine, die in Gottes Willen schon vor aller Zeit beschlossen ist und auf die die Christusgläubigen deshalb mit gutem Grund und fester Zuversicht hoffen können.

5. Besonderheiten

Das Schreiben ist mit dem Kol eng verwandt, und zwar im Blick auf den Gesamtaufbau (Eph 1-3 entspricht weitgehend Kol 1f., Eph 4-6 großenteils Kol 3f.) sowie den Textbestand und die Abfolge der einzelnen Aussagen; die Haustafeln sind vergleichbar (Eph 5,21-6,9; Kol 3,18-4,1) und es gibt etliche fast wörtliche Übereinstimmungen (z.B. Eph 1,1f. und Kol 1,1f.; Eph 6,21f. und Kol 4,7f.). Hinzu kommen große Ähnlichkeiten in theologischen Aussagen, vor allem zur Christologie (Christus als Haupt des Leibes = der Kirche 1,22; 4,15; 5,23; Kol 1,18; 2,19); zur Kosmologie (1,10.20-22) und zur bereits erfolgten Auferweckung der Christen (2,5.7; Kol 2,12f.; 3,1). Offensichtlich sind beide Briefe eng miteinander verwandt. Allgemein wird die literarische Abhängigkeit des Eph vom Kol angenommen. Für die Interpretation des Eph ist deshalb immer auch der Kol zu berücksichtigen.

Literatur:

  • Sellin, Gerhard: Der Brief an die Epheser, KEK, Göttingen 2008.
  • Lindemann, Andreas: Der Epheserbrief, ZBK NT 8, Zürich 1985.
  • Gese, Michael: Der Epheserbrief (BNT), Neukirchen-Vluyn 32022.

A) Exegese kompakt: Epheser 2,(11-16)17-22

11Διὸ μνημονεύετε ὅτι ποτὲ ὑμεῖς τὰ ἔθνη ἐν σαρκί, οἱ λεγόμενοι ἀκροβυστία ὑπὸ τῆς λεγομένης περιτομῆς ἐν σαρκὶ χειροποιήτου, 12ὅτι ἦτε τῷ καιρῷ ἐκείνῳ χωρὶς Χριστοῦ, ἀπηλλοτριωμένοι τῆς πολιτείας τοῦ Ἰσραὴλ καὶ ξένοι τῶν διαθηκῶν τῆς ἐπαγγελίας, ἐλπίδα μὴ ἔχοντες καὶ ἄθεοι ἐν τῷ κόσμῳ. 13νυνὶ δὲ ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ ὑμεῖς οἵ ποτε ὄντες μακρὰν ἐγενήθητε ἐγγὺς ἐν τῷ αἵματι τοῦ Χριστοῦ. 14Αὐτὸς γάρ ἐστιν ἡ εἰρήνη ἡμῶν, ὁ ποιήσας τὰ ἀμφότερα ἓν καὶ τὸ μεσότοιχον τοῦ φραγμοῦ λύσας, τὴν ἔχθραν ἐν τῇ σαρκὶ αὐτοῦ, 15τὸν νόμον τῶν ἐντολῶν ἐν δόγμασιν καταργήσας, ἵνα τοὺς δύο κτίσῃ ἐν αὐτῷ εἰς ἕνα καινὸν ἄνθρωπον ποιῶν εἰρήνην 16καὶ ἀποκαταλλάξῃ τοὺς ἀμφοτέρους ἐν ἑνὶ σώματι τῷ θεῷ διὰ τοῦ σταυροῦ, ἀποκτείνας τὴν ἔχθραν ἐν αὐτῷ. 17καὶ ἐλθὼν εὐηγγελίσατο εἰρήνην ὑμῖν τοῖς μακρὰν καὶ εἰρήνην τοῖς ἐγγύς· 18ὅτι δι’ αὐτοῦ ἔχομεν τὴν προσαγωγὴν οἱ ἀμφότεροι ἐν ἑνὶ πνεύματι πρὸς τὸν πατέρα. 19Ἄρα οὖν οὐκέτι ἐστὲ ξένοι καὶ πάροικοι ἀλλ’ ἐστὲ συμπολῖται τῶν ἁγίων καὶ οἰκεῖοι τοῦ θεοῦ, 20ἐποικοδομηθέντες ἐπὶ τῷ θεμελίῳ τῶν ἀποστόλων καὶ προφητῶν, ὄντος ἀκρογωνιαίου αὐτοῦ Χριστοῦ Ἰησοῦ, 21ἐν ᾧ πᾶσα οἰκοδομὴ συναρμολογουμένη αὔξει εἰς ναὸν ἅγιον ἐν κυρίῳ, 22ἐν ᾧ καὶ ὑμεῖς συνοικοδομεῖσθε εἰς κατοικητήριον τοῦ θεοῦ ἐν πνεύματι.

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Übersetzung

11 Deswegen erinnert euch daran, dass einst ihr, die Heiden im Fleisch (wart), „Unbeschnittenheit“ genannt wurdet von der sogenannten „Beschneidung“ am Fleisch, die mit der Hand vollzogen wird, 12 dass ihr zu jener Zeit ohne Christus wart, ausgeschlossen vom Bürgerrecht Israels und fremd den Bundesschlüssen der Verheißung, ohne Hoffnung und ohne Gott in der Welt. 13 Jetzt aber in Christus Jesus seid ihr, die ihr einst fern wart, nahe geworden in dem Blut des Christus. 14 Er selbst nämlich ist unser Friede, der aus beiden eins gemacht und die Trennwand des Zauns beseitigt hat, die Feindschaft, in seinem Fleisch, 15 (der) das Gesetz der Gebote in den Anordnungen vernichtet hat, damit er die zwei in sich zu einem neuen Menschen schaffe, Frieden machend, 16 und die beiden versöhne in einem Leib mit Gott durch das Kreuz, (der) die Feindschaft getötet hat, in sich. 17 Und kommend verkündete er Frieden euch, den Fernen, und Frieden den Nahen; 18 denn durch ihn haben wir den Zugang, beide, in einem Geist, zu dem Vater. 19 Folglich seid ihr nun nicht mehr Fremde und Beisassen, sondern ihr seid Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes, 20 aufgebaut auf dem Fundament der Apostel und Propheten, sein Eckstein (aber) ist Christus Jesus, 21 in dem das ganze zusammengefügte Gebäude wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn, 22 in dem auch ihr mitaufgebaut werdet zu einer Wohnung Gottes im Geist.

1. Fragen und Hilfen zur Übersetzung

V. 12: ἄθεοι ἐν τῷ κόσμῳ meint hier keinen allgemein religiösen oder philosophischen Atheismus, sondern hat im Kontext des Verses bereits die Konnotation von hoffnungslosem Fernsein von Gott.

V. 14: μεσότοιχον ist die Trennwand, φραγμός bedeutet Einfriedung, Zaun, Mauer. Die auffällige Zusammenstellung verweist am ehesten auf die Tora als Abgrenzung den Heiden gegenüber, was durch den folgenden V. 15a aufgenommen ist.

V. 17: καὶ ἐλθὼν ruft nicht das Kommen des irdischen Jesus in Erinnerung, sondern fasst das Kommen und Wirken Jesu Christi im Blick auf den ganzen Kosmos zusammen.

V. 19: Die Begriffe ξένος, πάροικος, συμπολίτης entstammen der öffentlich-politischen Sprache, während οἰκεῖος stärker die Hausgemeinschaft im Blick hat.

V. 20: Das Bild ist etwas inkonsistent (die Christen sind „erbaut“ …), die Formulierung zielt schon auf die Stichworte οἰκοδομή und ναός in V. 21.ἀκρογωνιαῖος beschreibt Christus nicht als Schlussstein im Gewölbe, sondern als Eckstein, der „Richtung und Winkel des ganzen Gebäudes festlegt“ (Sellin, 238).

V. 21f.: Die beiden Relativsätze, mit ἐν ᾧ beginnend, beziehen sich gleichermaßen auf Christus in V. 20.

2. Beobachtungen zur literarischen Gestaltung

V. 11f. setzt ein mit dem Einst-Jetzt-Schema und unter der Perspektive des Kontrasts zu den Heilszusagen für Israel (einst unbeschnitten, ohne das Bürgerrecht Israels, ohne Bundesschlüsse der Verheißung). Daher hatten die heidenchristlichen Adressaten einst keine Hoffnung und waren „ohne Gott in der Welt“. Jetzt aber haben sie Anteil am Heil, u.z. aufgrund des Heil schaffenden Blutes Christi. Das Einst-Jetzt-Schema ist in V. 13 mit dem Gegensatz fern-nah verbunden, der in V. 17 wieder aufgegriffen wird. In V. 11 ̶ 13 und V. 19 ̶ 22 sind die Adressaten direkt angesprochen. Dazwischen findet sich in V.14 ̶ 18 eine Darlegung der Heilstat Christi (vgl. 1,3 ̶ 14), die in der Aussage kulminiert, dass Christus die Trennung zwischen Juden und Heiden aufgehoben (V. 13f.), Frieden geschaffen (εἰρήνη in V. 14.15.17 bzw. die Vernichtung der Feindschaft in V. 14.16) und das, was einst getrennt war, vereint hat (ὁ ποιήσας τὰ ἀμφότερα ἓν V. 14, εἰς ἕνα καινὸν ἄνθρωπον V. 15, ἐν ἑνὶ σώματι V. 16, ἐν ἑνὶ πνεύματι V. 18 und die Komposita mit συν- in V. 19 ̶ 22). V. 14 ̶ 18 werden damit als inhaltliche Grundlage für die rahmenden Abschnitte 11 ̶ 13 und 19 ̶ 22 erkennbar. Um einen übernommenen „Hymnus“ handelt es sich nicht; Strophen oder ein bestimmtes Metrum lassen sich nicht aufweisen, und die intensiven Verbindungen zum Briefganzen zeigen, dass auch in 2,14 ̶ 18 der Verfasser spricht.

3. Literarischer Kontext

Der Abschnitt 2,11-22 ist vielfach mit anderen Teilen des Eph verknüpft. Die Verbindung mit der Eulogie in 1,3 ̶ 14 wurde bereits erwähnt. Apostel und Propheten sind auch in 3,5f. als Fundament genannt, ebenso ist dort von den Heiden als „Miterben und Mitgenossen der Verheißung Christi“ die Rede. Das Einst-Jetzt-Schema findet sich noch in 2,1 ̶ 3 und 3,5f., der Gedanke der Einheit spielt am Beginn des paränetischen Teils in 4,3 ̶ 6.13 eine herausragende Rolle, das Wachstum (des Gebäudes) ist in 4,16 in etwas anderer Terminologie aufgegriffen, vom neuen Menschen ist erneut in 4,24 die Rede und 6,15 spricht vom „Evangelium des Friedens“. Diese Verknüpfungen weisen darauf hin, dass 2,11 ̶ 22 nicht nur eine wichtige Bedeutung im ersten „dogmatischen“ Hauptteil des Eph (Kapitel 1 ̶ 3) hat, sondern auch die Grundlage für den paränetischen Teil bildet (Sellin, 206: „Eph 2,11 ̶ 22 ist tatsächlich die sachliche Mitte dieser Schrift“). Der Abschnitt greift seinerseits Motive unterschiedlicher Provenienz auf. In V. 13.17 klingen Jes 52,7; 57,19 an. Jes 57,19 ist in der jüdischen Auslegungsgeschichte meist auf die Nähe bzw. Ferne zur Tora hin interpretiert worden, manchmal aber auch im Blick auf Israeliten und Proselyten. Die durch Christus abgebrochene „Trennmauer des Zauns“ V. 14 nimmt auf die Vorstellung von der Tora als einem vor heidnischen Einflüssen schützenden Zaun Bezug (vgl. EpArist 139.142). Die starke Betonung des durch Christus geschaffenen Friedens nimmt die politische Friedensidee auf, die seit Augustus eine wichtige Rolle in der römischen Kaiserideologie spielt, und übersteigt sie zugleich (im Eph geht es um kosmische Versöhnung). Der Gedanke der Einheit im Gegenüber zu einer zum Streit neigenden Vielheit ist philosophisch (z.B. bei Philo) vorgegeben und bereits bei Paulus (vgl. Gal 3,28) aufgegriffen. Schließlich ist als unmittelbare Vorlage Kol 1,20 ̶ 23; 2,11 ̶ 14 zu nennen, wo bereits ähnlich argumentiert wird.

4. Schwerpunkte der Interpretation

In V. 14 ̶ 18 steht das Frieden-Machen Christi im Zentrum (inhaltlich wird damit 1,10 aufgenommen), und damit setzt auch die eigentliche Predigt-Perikope ein. Der Friede gilt allen, den Fernen und den Nahen; die vorangehenden Verse machen deutlich, dass damit Heiden und Juden gemeint sind. Beide haben gleichermaßen Zugang zu Gott. V. 19 ̶ 22 ziehen daraus die Konsequenz: Die Adressaten sind nun nicht mehr Fremde, die sie einst waren, sondern „Mitbürger der Heiligen“; damit sind, dem überwiegenden Sprachgebrauch des NT entsprechend, die Christen gemeint, im Zusammenhang mit V. 12 vermutlich zunächst Judenchristen. Zusammen mit ihnen sind nun aber auch die ehemaligen Heiden „Hausgenossen Gottes“. In V. 20 ̶ 22 dominiert die Vorstellung vom Haus, dem Christus als Eckstein Richtung und Maß gibt und das auf dem Fundament der Apostel und Propheten aufgebaut wird. Dieses Gebäude ist aber nicht fertig; an ihm wird weiter gebaut, es wächst zu einem „Tempel im Herrn“ und die einst Fernen gehören jetzt, genauso wie die Juden, wesentlich dazu. In 4,12 wird dieser Gedanke mit dem Bild vom Leib Christi zum Ausdruck gebracht, der auferbaut werden soll, und 4,16 verwendet in diesem Zusammenhang erneut den Begriff des Wachstums (τὴν αὔξησιν τοῦ σώματος). Nach 1,22f. hat Christus zwar die Herrschaft über das All bereits angetreten; in der Kirche ist dies schon in ganzer Fülle präsent, jedoch noch nicht im Kosmos. Deshalb ist die Kirche eine dynamische, im Wachstum begriffene Größe, zu deren Gedeihen Gott nach 4,11f. alles Notwendige schon bereitgestellt hat. Dort wird dies auf die Gründungsgestalten (Apostel, Propheten) und die jetzigen Leiter (Evangelisten, Hirten, Lehrer) hin präzisiert; hier geht es neben Aposteln und Propheten vor allem um Christus als Eckstein. Dass Christus alles, was im Himmel und auf Erden existiert, „zusammengefasst“ hat (1,10), zeigt sich in der Kirche konkret daran, dass nun alles Trennende zwischen „Fernen“ und „Nahen“ aufgehoben ist. Was aus dem Kosmos werden soll, ist in der Kirche schon abgebildet.

Die Begriffe ξένος, πάροικος, συμπολίτης entstammen der öffentlich-politischen Sprache, während οἰκεῖος stärker die Hausgemeinschaft im Blick hat und schon auf die Bau-Metaphern in V. 20 ̶ 22 vorausweist (ἐποικοδομέω, ἀκρογωνιαῖος, οἰκοδομή, ναός, συνοικοδομέω und κατοικητήριον): Im Bau der Kirche haben alle Christusgläubigen uneingeschränktes Wohnrecht; niemand ist nur geduldet (πάροικος) oder fremd, durch Christus haben alle den gleichen Zugang zu Gott, als „Hausgenossen Gottes“ bauen alle an ihr mit.

5. Theologische Perspektivierung

Der Text setzt eine ganz bestimmte historische Situation voraus. Der Glaube an Christus hatte sich im paulinischen Missionsgebiet zunächst unter Diasporajuden und Gottesfürchtigen ausgebreitet, dann aber zunehmend auch „Heiden“ gewinnen können, und das in einem Maß, das die Zahl der Judenchristen bald überstieg. Die Adressaten des Eph sind ehemalige Heiden; sie werden angesprochen als solche, die einst fern waren von allem, was dem Gottesvolk Israel an Heil zugesprochen und verheißen ist. Jetzt aber ist die Trennung von Gottesvolk und den übrigen Menschen aufgehoben; durch Christus sind auch die (früheren) Heiden nicht mehr „ohne Gott in der Welt“ (V. 12).

Die Kirche ist als dynamische Größe im Wachsen begriffen. Im Vergleich mit dem Kol , der von konkreten Differenzen in der Gemeinde weiß (vgl. Kol 2,8.16ff.), ist der Eph weniger spannungsgeladen. Die wachsende Zahl der Gemeinden und die notwendige Klärung ihres Verhältnisses zur nicht christlichen Umwelt macht aber die starke Mahnung zur Einheit verständlich (4,1-6). Der Einheitsgedanke dient nicht nur dem Wachstum der kirchlichen οἰκοδομή, sondern entspricht vor allem dem Frieden, den Christus gestiftet hat. Wichtig ist, dass die Unterscheidung von fern und nah nicht mehr greift. Es geht dabei nicht um eine Umkehrung von nah und fern, sondern um die Aufhebung dieser Differenz. Der von Jesus Christus geschaffene Friede umfasst beide gleichermaßen und zielt darüber hinaus auf die ganze Welt. Der umfangreiche paränetische Teil des Eph macht allerdings deutlich, dass hinter diesem großartigen Bild (und mit seiner Hilfe) die alltägliche Realität bewältigt werden muss.

Potenziellen Predigthörer:innen sind die Gedanken und Metaphern des Textes vermutlich eher fremd. Sie haben keine nicht christliche Vergangenheit, von dem Begriffspaar fremd-nahe beziehen sie vermutlich eher die Nähe als die Ferne auf sich selbst, das Wachstum der Kirche widerspricht der gegenwärtigen Erfahrung und auch der Einheitsgedanke ist nicht gerade das, was einem zur gegenwärtigen kirchlichen Situation in den Sinn kommt. Kann der Predigttext einen Perspektivenwechsel initiieren? Und falls ja, auf welche Weise?

B) Praktisch-theologische Resonanzen

1. Persönliche Resonanzen

Zu Recht wird am Ende die Fremdheit vieler Vorstellungen für heutige Hörer benannt, doch bietet die Perikope auch vielfältige Anknüpfungsmöglichkeiten für aktuelle Fragestellungen, die weiterzuentwickeln lohnt.

Das Einst-Jetzt-Schema spiegelt die Konversionserfahrungen des 1. Jahrhunderts, in dem die Menschen meist als Erwachsene zum Glauben gekommen sind. Es argumentiert daher mit einem völlig anderen Erfahrungshintergrund als die volkskirchliche Kindertaufpraxis. Doch deutet die Haustafel (Eph 5,21-6,9; vgl. Kol 3,18-4,1) für Ehepaare, Sklaven und Kinder darauf hin, dass bei der Bekehrung eines ganzen Hauses (Apg 11,14; 18,8; 1Kor 1,16) Kinder (Eph 6,1-4; vgl. Kol 3,20f) kaum ausgeschlossen gewesen sein dürften, sondern bereits ebenfalls mitgetauft wurden.

Die Kategorien „nah“ und „fern“ (Eph 2,13.17) werden heute meist nicht auf den Gegensatz zwischen Juden und Heiden bezogen, sondern soziologisch gebraucht für die Bandbreite zwischen religiös Distanzierten und kirchlich Hochverbundenen. Vor diesem Hintergrund ließe sich in der Kirche die Zusammengehörigkeit unterschiedlicher Milieus herausarbeiten, wie sie der unterschiedlichen ethnischen, sozialen und kulturellen Herkunft in den paulinischen Gemeinden entspricht, die in Christus gleich gerechtfertigt, gleicher Ehre und Würde sind (vgl. Gal 3,27f; 1Kor 12,12ff; Kol 3,11). Hier liegen in der Öffnung und Überschreitung von Milieugrenzen nach wie vor große Chancen für den Aufbau einer Kirchengemeinde. Angesichts des Antijudaismus in unserer Gesellschaft ist daran zu erinnern, dass der Epheserbrief an die Beschneidung als Bundeszeichen, die Bundesschlüsse mit seinem Volk und die Verheißungen für Israel anknüpft (2,12), durch die wir als Christen den Juden näher verbunden sind als anderen Völkern. Diese bleibende Verbundenheit mit Israel, d.h. dem Judentum, bekommt angesichts der jüngsten Ereignisse eine geradezu bedrängende Aktualität.

Hinter dem Bild vom Wachstum (2,21) steht im Epheserbrief die Erfahrung einer wachsenden Kirche, die sich in Kleinasien und nach Europa ausweitet. Doch geht es hier nicht nur um eine quantitative Zunahme, sondern vor allem um ein qualitatives Verständnis im Wachsen auf Christus als Haupt hin (4,15f). Hier treten die Aufgaben der Predigt, der Lehre und der Bildung durch das Evangelium des Friedens Christi ins Blickfeld, die keineswegs überholt sind, sondern eine wesentliche Aufgabe kirchlicher Funktionsträger (4,11) bleiben und gerade heute angesichts des Traditionsabbruchs eine besondere Herausforderung darstellen.

Theologischer Ausgangspunkt und bleibende Grundlage ist das Evangelium des Friedens, den Christus selbst durch sein Blut gestiftet und verkündigt hat (2,13-17). Damit überträgt dieser Paulusschüler den Gedanken der Feindschaft und Versöhnung von der vertikalen Beziehung zu Gott in Röm 5,1-11 auf die horizontale zwischenmenschliche Feindschaft und Versöhnung zwischen Juden und Heiden, die Christus durch seinen Tod überwunden hat. Das Evangelium des Friedens (Eph 2,17; 6,15) ist das Evangelium (3,6-8), das die ganze frohe Botschaft von der Rettung und dem Heil in Christus umfasst (1,13) von der Erwählung vor Grundlegung der Welt (1,4) über die Erlösung durch sein Blut (1,7; vgl. Röm 3,24f) in der Vergebung der Sünden (1,7) bis zum Erlangen des verheißenen Erbes (1,14; 3,6). Dass durch die Versöhnung mit Gott auch zwischen Menschen unterschiedlicher religiöser Herkunft Zäune abgebrochen und Mauern eingerissen werden, Feindschaft überwunden, Versöhnung gestiftet und Frieden gemacht wird, hat im Epheserbrief etwas Völkerverbindendes. Doch zielt er nicht einfach auf die Vereinten Nationen, sondern auf die Kontinente übergreifende Einheit der weltweiten Kirche in Christus, die die von Paulus gegründeten Gemeinden rings ums Mittelmeer verbindet. Im paränetischen Briefteil werden aus diesen lehrhaften Aussagen Folgerungen gezogen in der Ermahnung, in aller Demut, Sanftmut und Geduld einander in Liebe zu ertragen (4,2.15f; 5,2.25), untereinander freundlich und herzlich zu sein, einander zu vergeben, wie Gott in Christus vergeben hat (4,32), und zu wandeln in Liebe (5,2), Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit (5,8f) sowie sich einander unterzuordnen in der Furcht Christi (5,21).

Die Rede vom „Zugang zum Vater“ ist ein kultischer Ausdruck für das Hinzutreten des Kultpersonals zum Heiligtum, das Herantreten zu Gott (2,18; 3,12; vgl. Röm 5,2; Hebr 7,25; 10,19f). Dieser Zugang zum Vater hat im Gottesdienst seinen Sitz im Leben, auf den auch andere liturgische Elemente hinweisen, die im Epheserbrief auffallend gehäuft begegnen (1,3-20; 3,14-21; 4,4-6; 5,14.19; 6,18-20). Hier im Gottesdienst sind die nichtjüdischen Gemeindeglieder nicht mehr „Gäste und Fremdlinge / Beisassen“ (2,19), nicht mehr „ausgeschlossen vom Bürgerrecht Israels“ (2,12) und „den Bundeschlüssen der Verheißung fremd“ (2,12), sondern durch den Frieden und die Versöhnung Christi (2,14-17) „Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen“ (2,19), d.h. „Miterben“, „zu seinem Leib gehörig“ und „Teilhaber der Verheißung in Christus Jesus durch das Evangelium“ (3,6), die nun ebenfalls ihr „Bürgerrecht im Himmel“ haben (Phil 3,20) als „Erbteil der Heiligen“ (Kol 1,12; vgl. Eph 1,18). So könnten mit den „Heiligen“ wie auch sonst im Epheserbrief einfach die „Gläubigen“ gemeint sein (Eph 1,1), die in Christus durch den Heiligen Geist geheiligt sind (1Kor 1,2; 6,11.19) und mit dem Heiligen Geist versiegelt diesen als Unterpfand des Erbes zur Erlösung empfangen haben (Eph 1,13f). Doch dürfte die Mitbürgerschaft mit den Heiligen (Eph 2,19) nicht nur auf die volle, gleichberechtigte Gemeinschaft aller Gemeindeglieder jüdischer und nichtjüdischer Herkunft zielen, sondern – wie in den Texten von Qumran, aber auch Gemeinden Kleinasiens (Offb 1,3-11; 2f; 4f) – zugleich die Gemeinschaft mit den Himmlischen einschließen, d.h. den Engeln (1Thess 3,13), die im himmlischen Gottesdienst vor Gottes Thron versammelt sind. Den „Zugang zum Vater“ erhalten die Gläubigen daher in der Feier des Gottesdienstes, der sie als „Hausgenossen Gottes“ mit den Engeln in Gottes Thronsaal verbindet und am himmlischen Gottesdienst teilhaben lässt (vgl. Hebr 2,12; 4,16; 10,19–25; 12,23), in den sie miteingesetzt sind (Eph 2,6; vgl. Kol 3,1f) und einstimmen mit ihren Psalmen, Hymnen und geistgewirkten Liedern (Eph 5,19; vgl. Kol 3,16), wie umgekehrt auch die Engel ihrerseits im Gottesdienst der Gemeinde anwesend sind (1Kor 11,10; Gese, 69).

2. Thematische Fokussierung

Die ganze Metaphorik rückt Kirche und Gemeinde mit dem Gottesdienst ins Zentrum mit den beiden Bildfeldern vom Bauen und Wachsen der Gemeinde. Bildspender ist der Tempel als Haus Gottes, d.h. als der Ort, da dessen Heiligkeit, Herrlichkeit und Ehre wohnt und mit dem Trishagion gepriesen wird (Jes 6,3). Paulus überträgt das Bild vom Haus Gottes auf die Gemeinde. Im Epheserbrief wird es von einem Paulusschüler in bezeichnender Weise weiterentwickelt.

3. Theologische Aktualisierung

Der Friede Christi „in einem Leib“ und „in einem Geist“ (2,14-18; vgl. 4,3f) weist auf die Einheit der Kirche als zentrales Thema des Epheserbriefs hin, für die er sieben Kennzeichen nennt im Bekenntnis zu dem einen Geist, dem einen Herrn, dem einen Gott und Vater aller (4,4-6). Mithilfe dieser sieben Kennzeichen der Einheit aufzuzeigen, dass die Kirchen in der Ökumene in diesem Bekenntnis tatsächlich mehr verbindet, als sie durch unterschiedliche Strukturen z.B. in den Ämtern trennt, wäre eine lohnende ökumenische Perspektive für die Predigt nach dem Motto „ein Herr, ein Glaube (an den Sohn Gottes; 4,13), eine Taufe“ (4,5). Weil Christus diese Einheit bereits „gemacht“ (2,14) und „geschaffen“ hat (2,15), gilt es diese nicht erst herzustellen, sondern „zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens“, den Christus gestiftet und verkündigt hat (4,3; vgl. 2,14-18).

Diese Einheit ist kein fester Zustand, sondern ein dynamischer Prozess. Sie zu bewahren, meint nicht das Festhalten am Status quo, sondern ist von einer endzeitlichen Hoffnung getragen (1,14.18; 4,3f.30). Auch metaphorisch gesprochen ist die Einheit des Leibes Christi kein statischer Bau, sondern organisch im Wachsen begriffen (2,21; 4,15f), prozesshaft im Aufbau (2,20-22; 4,12.16), in einer Entwicklung des Reifens und Erwachsenwerdens, der Vervollkommnung auf Christus hin (4,13.15). Daher wird die Einheit der Kirche niemals in einer irdischen Körperschaft aufgehen, sondern erst am Ende der Zeiten zu ihrem Ziel gelangen. Sie ist durch das Versöhnungswerk Christi vorgegeben, aber in ihrem Wachstum noch nicht abgeschlossen. Der Leib Christi wächst prozesshaft weiter der Vervollkommnung entgegen. Damit wird die Einheit der Kirche in gemeinsamen (ökumenischen) Gottesdiensten schon gegenwärtig leibhaftig sichtbar, aber zugleich auf die künftige Vollendung hin eschatologisch offengehalten.

4. Bezug zum Kirchenjahr

Der Wochenspruch für den 2. Sonntag nach Trinitatis ist eine Einladung, die den Trost des Evangeliums für den Gottesdienst ins Zentrum rückt: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken“ (Mt 11,25). Dieser Einladungsruf hallt wider im Wochenpsalm (Ps 36,10: „bei dir ist die Quelle des Lebens“) und in der alttestamentlichen Lesung für den Sonntag aus Jes 55,1-5. Dieser Text stammt aus dem zweiten Teil des Propheten Jesaja (40-55; Deutero-Jesaja), der nicht nur mit seiner Heilsbotschaft einsetzt: „Tröstet, tröstet, mein Volk!“ (40,1) und mit der Einladung schließt an „alle, die durstig sind“ (55,1-5), sondern auch den urchristlichen Evangeliumsbegriff angeregt hat durch „die Füße des Freudenboten, der da Frieden verkündigt, Gutes predigt, Heil verkündigt“ (Jes 52,7; vgl. 61,1; Röm 10,15; Eph 6,15) denen in der „Ferne“ und denen in der „Nähe“ (Eph 2,13.17; vgl. Jes 57,19 [Tritojesaja]).

Mit dem Gegensatz von „nah“ und „fern“ ist heute die Frage nach der Zuwendung zu kirchlich Distanzierten und dem Verhältnis zu den Hochverbundenen berührt, d.h. die Herausforderung Milieugrenzen zu überwinden, zur Versöhnung beizutragen, bei der Integration und Inklusion unterschiedlicher Milieus in der Gemeindearbeit bzw. Kirche insgesamt mitzuwirken. Hier wäre auch die Verbundenheit mit Israel zu bedenken.

Die Frage nach der Einheit ist heute auch eine Herausforderung für die Ökumene vor Ort mit anderen ACK-Kirchen, aber auch mit Gemeinden anderer Sprache und Herkunft, denen durch die Flüchtlinge in unserem Land wachsende Bedeutung zukommt. Hier könnte der Predigttext nicht nur als Impuls für die Ökumene am Ort genutzt werden, sondern auch für die Zuwendung zu anderen und die Verantwortung für die Welt.

Autoren

  • Prof. Dr. Peter Müller (Einführung und Exegese)
  • Prof. Dr. Ulrich Heckel (Praktisch-theologische Resonanzen)

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