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Zwölfprophetenbuch

(erstellt: November 2007)

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1. Name und Umfang

1.1. Das Zwölfprophetenbuch – ein Buch aus 12 Schriften

Das Zwölfprophetenbuch umfasst die Schriften der sogenannten „Kleinen Propheten“: → Hosea, → Joel, → Amos, → Obadja, → Jona, → Micha, → Nahum, → Habakuk, → Zefanja, → Haggai, → Sacharja, → Maleachi. Die Zusammenstellung der 12 Einzelschriften zu einem Buch ist in der masoretischen Tradition eindeutig: Die Schlussmasora am Ende von Maleachi addiert den Wortbestand aller 12 Schriften und verzeichnet den Umstand, dass das Wort gegen den Zion in Mi 3,12 den mittleren Vers des Buches bildet. In der Masora heißt das Zwölfprophetenbuch schlicht "die Zwölf" (so die Schlussmasora in Übereinstimmung mit dem Babylonischen Talmud, Traktat Baba Batra 14b; Text Talmud).

Als ältester Beleg für die Existenz einer Zwölfprophetenbuch-Rolle gilt der Hinweis in Sir 49,10 (Lutherbibel: Sir 49,12; um 175 v. Chr.), wonach „die zwölf Propheten“, was vielleicht an dieser Stelle schon als Name für die Rolle fungiert, „Jakobs Volk Heilung brachten und ihm durch gewisse Hoffnung halfen“. Die erhaltenen Handschriften aus der judäischen Wüste belegen die Bucheinheit ebenfalls: Aus dem Wādī Murabba‘āt [Wadi Murabbaat] stammt eine relativ umfangreich erhaltene Rolle (Jo 2,20 bis Sach 1,4). In den, leider nur sehr fragmentarisch erhaltenen, Rollen aus der 4. Höhle von Qumran, von denen die ältesten aus der Mitte des 2. Jh. v. Chr. stammen, finden sich die Übergänge von einer Schrift zur nächsten innerhalb derselben Kolumne. Der Einsatz der folgenden Schrift ist lediglich durch drei Leerzeilen markiert. Diese Schreibtechnik belegt einerseits, dass die 12 Einzelschriften nicht als separate Bücher verstanden wurden, andererseits wurden sie auch nicht fortlaufend hintereinander geschrieben, die Leerzeilen markieren vielmehr einen gewissen Neueinsatz.

Obwohl in der antiken Handschriftentradition kein Zweifel daran besteht, dass diese zwölf Schriften als Bestandteile eines einzigen Buches begriffen wurden, fehlt dem Buch als Ganzem eine eigene Überschrift, wie sie die anderen drei Prophetenbücher → Jesaja, → Jeremia und → Ezechiel aufweisen. Statt dessen finden sich am Anfang von 9 Schriften eigene, prophetentypische Überschriften: Hos 1,1; Jo 1,1; Am 1,1; Ob 1; Mi 1,1; Nah 1,1; Hab 1,1; Zef 1,1; Mal 1,1, wohingegen Jona, Haggai und Sacharja Erzählungen über das Auftreten von Propheten darstellen und ohne eine Überschrift einsetzen.

Das Zwölfprophetenbuch gibt also viel deutlicher als die anderen Prophetenbücher zu erkennen, dass verschiedene Autoren aus unterschiedlichen Geschichtsepochen in diesem Buch vereint sind. Um schon im Begriffsgebrauch deutlich zu machen, dass einzelne Schriften, trotz ihrer Zuschreibung zu verschiedenen Autoren, als Bestandteile eines größeren Ganzen gemeint sind, empfiehlt es sich einem Vorschlag von Nogalski zu folgen und zwischen Schriften (engl. writings) und den mehrere Schriften umfassenden Büchern (engl. books) zu unterscheiden.

1.2. Zwölfprophetenbuch – Dodekapropheton

Darüber hinaus empfiehlt es sich, die Begriffe „Zwölfprophetenbuch“ und „Dodekapropheton“ klar zu unterscheiden. Da sich die griechische Fassung des Zwölfprophetenbuchs schon durch ihre Sprache, aber auch durch die andere Anordnung der Schriften und weitere Dinge von der masoretischen Fassung unterscheidet, erscheint es sinnvoll den griechischen Namen „Dodekapropheton“ auch ausschließlich zur Bezeichnung der griechischen Fassung zu verwenden und auf die masoretische Fassung mit dem Ausdruck „Zwölfprophetenbuch“ (engl. „Book of the Twelve (Prophets)“) zu verweisen. Das Neue Testament zitiert die Kleinen Propheten jedenfalls ausschließlich auf Griechisch.

2. Die chronologische Anordnung

2.1. Zwölfprophetenbuch

Bei der Zusammenstellung der Einzelschriften ging man nicht mechanisch vor, etwa indem man sie nach Abfassungszeit, Umfang oder Herkunft der Autoren ordnete, sondern gestaltete eine höhere Einheit, in der die Geschichte der Prophetensendungen Gottes an sein Volk repräsentativ zur Geltung kommen sollte. Klar erkennen lässt sich, dass die Schriften, die sich auf Grund inhaltlicher Hinweise einfach datieren lassen, in geschichtlicher Folge hintereinander stehen.

So beginnt die Prophetenreihe mit Hosea, weil in Hos 1,7 ein Wort gegen Jehu (841-813 v. Chr.) enthalten ist. Dann folgt Amos, der von der Datierung in der Überschrift (Am 1,1) her gleichzeitig mit Hosea aufgetreten ist, aber sich in Am 7,9 gegen Jerobeam II. (782-747 v. Chr.) richtet. Mi 1,1 positioniert Micha eindeutig nach Amos. Genauso eindeutig ist Zefanja einzuordnen. Haggais und Sacharjas Auftritte sind in die persische Zeit datiert.

Die nicht datierten Schriften wurden wohl auf Grund thematischer Verwandtschaft zwischen den datierten Schriften eingeordnet. Besonders augenfällig zeigt sich das da, wo Stichwortbezüge zwischen dem Ende der einen und dem Anfang der folgenden Schrift bestehen. Diese Stichwortanknüpfungen hat erstmals Franz Delitzsch beobachtet (Delitzsch, 1851), Nogalski (1993a) hat das Phänomen bisher am intensivsten studiert. Die augenfälligsten Bezüge sind: Hos 14,2 // Jo 2,12; Jo 4,16 // Am 1,2; Am 9,12 // Ob 19; Mi 7,18 // Nah 1,2 (beide Verse beziehen sich auf Ex 34,6f). Wörtliche Bezüge existieren allerdings nicht nur zwischen dem Ende der einen und dem Anfang der folgenden Schrift, sondern finden sich überall in den jeweiligen Schriften und verbinden auch solche Schriften, die nicht unmittelbar aufeinander folgen.

Die grobe Gliederung dieser geschichtlichen Folge ist in der hebr. Fassung so, dass zunächst die Botschaft der Propheten dargestellt wird, die den Untergang des Nordreichs angedroht haben: Das sind Hosea, Amos und (nur in Mi 1,2-7) auch noch Micha. Juda ist zunächst vom Geschick des Nordreiches ausgenommen worden, weil es sich auf die Botschaft Joels hin Hilfe suchend an Gott gewendet und Gott daraufhin sein Volk verschont hatte (Jo 2,18). Obadja und Jona thematisieren, wie die Völker mit dem Geschick Israels verknüpft sind. Mit Micha, Nahum, Habakuk und Zefanja werden dann die Propheten dargestellt, die Juda den Untergang angekündigt haben. Auch deren Warnungen verhallten, ohne nachhaltige Änderungen zu bewirken, so dass auch Juda unterging. Zwischen Zefanja und Haggai wird das babylonische Exil mit Schweigen übergangen. Mit Haggai, Sacharja und Maleachi kommt dann die prophetische Botschaft in den Blick, die die begrenzte Restitution Judas unter den Persern vorangetrieben hat, aber gleichzeitig darauf hinwies, dass die endgültige Gestalt des göttlichen Heilswillens für die Welt noch in der Zukunft liegt.

2.2. Dodekapropheton

Die Dodekapropheton-Fassung bietet die Abfolge: Hosea, Amos, Micha, Joel, Obadja, Jona, Nahum, Habakuk, Zefanja, Haggai, Sacharja, Maleachi. Diese ist gegenüber der Anordnung der hebräischen Vorlage klar erkennbar sekundär, denn sie folgt der Abfolge von Nordreichs- und Judaprophetie noch konsequenter, insofern sie die das Nordreich betreffenden Prophetien von Hosea, Amos und Micha als geschlossenen Block nach vorne zieht und die restlichen Schriften in ihrer Reihenfolge belässt, so dass es nach Micha nur noch um Juda und die Völker geht.

Auch in der Frage, an welche Stelle das Dodekapropheton innerhalb der Anordnung der prophetischen Bücher gehört, weichen die erhaltenen Handschriften voneinander ab. Codex Vaticanus (4. Jh.) und Codex Alexandrinus (5. Jh.) bezeugen die Abfolge 12+4 (Dodekapropheton + Jesaja + Jeremia + Ezechiel + Daniel), der Codex Sinaiticus (4. Jh.) dagegen die Abfolge 4+12 (Brandt, 183). Die Letztere gleicht der masoretischen Abfolge. Auch in diesem Fall ist die masoretische Reihenfolge die ältere. Die 12+4-Abfolge erklärt sich als bewusstes Vorziehen der nach Meinung der Septuaginta ältesten Prophetenschrift Hosea.

3. Textüberlieferung

3.1. Die hebräische Textüberlieferung

Die ältesten Handschriften des Zwölfprophetenbuchs stammen aus der 4. Höhle von Qumran. Wie im Falle anderer Prophetenbücher finden sich bereits Handschriften, die als Vorläufer des mittelalterlichen masoretischen Standardtextes zu bewerten sind (Brooke, 32 „proto-masoretic“ 4QXIIb; 4QXIIf). Daneben gibt es aber noch andere Textüberlieferungen. Gut zu greifen sind Manuskripte, die der Vorlage der Septuaginta nahe stehen (4QXIIc). Aber es gibt auch viele Texte, die sich in diese beiden Typen nicht recht einordnen lassen („non-aligned“ 4QXIIa; 4QXIIe; 4QXIIg). Die wohl älteste Handschrift 4QXIIa enthielt sehr wahrscheinlich Jona nach Maleachi. Diese Abfolge ist sonst nirgends belegt. Möglicherweise reflektiert sie ein redaktionelles Stadium, in dem man sich bezüglich der Einordnung von Jona noch nicht einig war (Schart, 1998, 2). Die Handschrift aus dem Wādī Murabba‘āt ist in Anordnung und Textbestand weitestgehend mit dem masoretischen Text identisch. Sie zeigt somit, dass im 1. Jh. n. Chr. die masoretische Textform sich durchzusetzen begann.

3.2. Die griechische Textüberlieferung

Die Übersetzung des hebräischen Zwölfprophetenbuchs in die griechische Sprache ergab sich zwanglos im Rahmen des größten Übersetzungsprojekts der Antike, der Septuaginta, in deren Verlauf nach und nach alle autoritativen Texte Israels in das Griechische übersetzt wurden. Wie in vielen anderen Fällen nahm man für diese Übersetzung nicht den proto-masoretischen Texttyp als Vorlage, sondern einen anderen Text. Dieser wurde allerdings sehr sorgsam und möglichst wörtlich übersetzt, wobei sich Fehler und Missverständnisse einschlichen. Da der Text der jüdischen Septuaginta bis auf minimale Fragmente nur in Abschriften des christlichen Alten Testaments erhalten geblieben ist, ist im Einzelfall nicht immer völlig sicher zu entscheiden, ob Varianten der griechischen Textüberlieferung christlichen Ursprungs sind oder sich der jüdischen Septuaginta verdanken oder gar auf die hebräische Vorlage der LXX zurück gehen.

Das griechische Zwölfprophetenbuch (= Dodekapropheton) ist textlich gut erhalten. Joseph Ziegler bietet in seiner Ausgabe des Dodekapropheton im Rahmen der Göttinger Septuaginta von 1940 eine erschöpfende Darstellung der Handschriftenlage (Ziegler, 7-119). Grob gesagt repräsentiert der alexandrinische Text, der in prominenter Weise vom Codex Alexandrinus dargeboten wird, die älteste erhaltene Textstufe, während der vom Codex Vaticanus repräsentierte Text bereits verschiedentlich nachträgliche Angleichungen an die masoretische Texttradition enthält. Seit Zieglers Arbeit ist ein spektakulärer Handschriftenfund hinzugekommen: die jüdische Dodekapropheton-Rolle aus dem Nachal Hever 8HevXIIgr, in der der Gottesname gemäß jüdischer Praxis mit althebräischen Konsonanten geschrieben ist (Garcia-Martinez, 105; Barthélemy; Tov / Kraft; Abbildung). Diese Rolle bezeugt, dass die Septuaginta nachträglich an den protomasoretischen Text angeglichen wurde. Solche Angleichungstendenzen finden sich in späterer Zeit vielfach, sowohl in der christlichen als auch in der jüdischen Tradition.

4. Entstehung

Die Rekonstruktion der Entstehung des Zwölfprophetenbuchs als Ganzem begann im 18. Jh. mit → Johann Gottfried Eichhorns Bemerkungen in seiner Einleitung. Trotzdem wurde dem Zwölfprophetenbuch als redaktioneller Einheit kein weiteres Augenmerk geschenkt. Nach dem Vorläufer von Budde (1921) formulierte Wolfe mit seiner 1933 an der Harvard Universität eingereichten Dissertation die grundlegende These, dass die Redaktionen im Zwölfprophetenbuch schriftenübergreifend gearbeitet und die vorgefundenen Sammlungen jeweils um weitere Schriften erweitert haben. Der Durchbruch gelang dann Nogalski (1993a; 1993b). Seitdem hat sich die Zwölfprophetenbuch-Forschung weltweit rasant entwickelt.

Als Konsequenz daraus ist die Zahl der redaktionsgeschichtlichen Thesen inzwischen stark angewachsen. Eine komplette Übersicht über die verschiedenen Entstehungstheorien kann in diesem Artikel nicht gegeben werden. Es mag genügen einige Hypothesen zu identifizieren, die sich breiterer Zustimmung erfreuen.

4.1. Das deuteronomistische Korpus (D-Korpus)

4.1.1. Die literarkritische Abgrenzung des D-Korpus

Nogalski hat auf die Gleichartigkeit der Überschriften Hos 1,1; Am 1,1; Mi 1,1 und Zef 1,1, hingewiesen: An vorderster Stelle steht die Formulierung „Wort (dāvār) JHWHs, das geschah zu…“ (mit der Ausnahme von Am 1,1, wo der Redaktor die von ihm vorgefundene Formulierung „Worte des Amos“ stehen ließ). Dann folgt ein Eigenname, und schließlich kommt die Datierung mit Hilfe von Königsnamen. Spricht dies alles schon sehr für gemeinsame Herausgeberschaft, so fällt weiter auf, dass die Überschriften sich zu einem sorgfältig gestalteten System ergänzen, das die vier Propheten wohl auf die Könige → Hiskia und → Josia hinordnen soll. Dies führte Nogalski dazu, ein „Deuteronomistic Corpus“ anzunehmen, das substantielle Teile von Hosea, eine Amosschrift, die mit der Doxologie in Am 9,5-6 abschloss (Am 1,1-9,6*), eine deuteronomistisch erweiterte Michaschrift (Mi 1-3*; Mi 6) und eine deuteronomistisch bearbeitete Zefanjaschrift umfasste, die mit einer harschen Ankündigung der unmittelbar bevorstehenden Bestrafung Jerusalems und Judas endete (Zef 1,1-3,8*; vgl. Precursors, 85-89.278-280; Processes, 274f).

Zwoelfprophetenbuch 1

Die These Nogalskis wurde von Aaron Schart, der den Namen „D-Korpus“ bevorzugte, weiter ausgearbeitet und modifiziert (Schart, 1998). Rainer Albertz (2001), der den Namen „Vierprophetenbuch“ (=VPB) einführte, und Jakob Wöhrle (2006) nahmen weitere Änderungen in der Textzuweisung vor. Hervorzuheben ist Wöhrles Vergleich des D-Korpus mit dem 2. Königsbuch, welcher deutlich macht, dass der Aufbau des D-Korpus ziemlich genau und zum Teil mit auffälligen Stichwortübereinstimmungen dem Aufriss des → deuteronomistischen Geschichtswerks folgt. Dabei gehen die Hosea- und Amosschrift 2Kön 17 parallel, die Michaschrift dem Bericht über die Hiskia-Zeit (2Kön 18) und die Zefanjaschrift berührt sich eng mit dem Bericht über Josia und den Untergang Judas und Jerusalems (2Kön 22-25). Die Parallelität zu 2Kön wurde offensichtlich ganz bewusst hergestellt.

4.1.2. Die Intentionen des D-Korpus

Das D-Korpus stellt die Propheten vor allem so dar, dass sie von der Gesetzesüberlieferung abhängen: Sie prangern den Abfall vom göttlichen Willen an und fordern ultimativ die Rückkehr zum tora-gemäßen Verhalten. Besonders deutlich wird das in den redaktionellen Zufügungen: die Hoseaschrift wird mit einem Umkehrruf abgeschlossen (Hos 14,2-4), der anscheinend weder im Nordreich noch im Südreich (vgl. die Anklage in der von der D-Redaktion formulierten Juda-Strophe Am 2,4-5) Gehör findet.

Wie Schart herausgearbeitet hat, wird die von den Propheten angekündigte göttliche Strafe als Einlösung der Fluchandrohungen des Deuteronomiums aufgefasst. Nur in den Schriften des D-Korpus (Hos 4,10a; Am 5,11; Mi 6,14-16 und Zef 1,13b), und zwar in allen Fällen in sekundären Textpassagen, findet sich das dem deuteronomischen Fluchkapitel Dtn 28,15f. nahestehende Textmuster des Nichtigkeitsfluches: Einem menschlichen Bemühen, die eigene Existenz zu sichern, wird für die Zukunft die völlige Vergeblichkeit angesagt, z.B. in Am 5,11 (vgl. Dtn 28,30.39): „Ihr habt prächtige Weingärten angelegt, aber ihr werdet ihren Wein nicht trinken.“ Die Strafe JHWHs erhält dadurch einen rechtlich abgesicherten Charakter, denn sie ist nichts weiter als das, was im deuteronomischen Gesetz für rechtbrecherisches Verhalten angedroht worden war.

Das Verhältnis zum deuteronomistischen Geschichtswerk (DtrG) wird unterschiedlich bestimmt. Auf der einen Seite wird das D-Korpus in großer sachlicher Nähe zum deuteronomistischen Geschichtswerk gesehen. So äußert Schwesig die These, das Vierprophetenbuch sei die exemplarische Darlegung dessen, was die in 2Kön 17,12.23 so wichtigen „meine Knechte die Propheten“ tatsächlich gesagt hätten (Schwesig, 45 Anm. 6). Demgegenüber hält Wöhrle das D-Korpus für einen „Gegenentwurf zum DtrG“ (Wöhrle, 276), insofern in Zef 3,11-13 eine Zukunft imaginiert würde, die völlig ohne Königtum auskomme. Schart verweist dagegen darauf, dass das Nordreichskönigtum zwar scharf attackiert und sein Untergang als gerechte Strafe dargestellt werde, das davidische Königtum dagegen von Kritik verschont bleibe. Zwar würden in Zef 1,8 auch Königssöhne, also einzelne Mitglieder der königlichen Familie, als Opfer von JHWHs Strafhandeln genannt, aber das mache das Fehlen einer Kritik am davidischen Königtum als solchem um so auffälliger. Man könne deshalb annehmen, dass das D-Korpus am davidischen Königtum implizit festhalte.

4.1.3. Der historische Ort des D-Korpus

Das D-Korpus setzt 2Kön 25 offensichtlich literarisch voraus und wurde deshalb frühestens in der Zeit des babylonischen Exils abgefasst. Nach Albertz (Albertz, 185) und Wöhrle kommt speziell die ausgehende Exilszeit nach 550 in Betracht. Als Entstehungsmilieu sei der Kreis derjenigen anzunehmen, die von den Bayloniern im verwüsteten Land belassen wurden (Wöhrle, 281-282).

4.2. Eine Vorstufe des D-Korpus: Hosea und Amos als Zweiprophetenbuch

Fragt man nach Vorstufen für das D-Korpus, so hat besonders die These eines Teile von Hosea und Amos umfassenden Zweiprophetenbuchs Beachtung gefunden. Jörg Jeremias hat die These vertreten, dass Hosea- und Amosschrift aufeinander zu redigiert wurden (Jeremias, 1996). Diese Beobachtungen hat Schart zu der These ausgebaut, dass die Hosea- und die Amosschrift vom selben Kreis herausgegeben wurden, um eine zusammenfassende Begründung für den Untergang des Nordreichs zu geben (Schart, 1998, 101-155).

4.3. Bearbeitungen des D-Korpus

Das D-Korpus wurde über mehrere Stufen weiter bearbeitet. Markante Einschnitte bilden die Einfügung von Nahum und Habakuk sowie die Anfügung eines dem Mehrprophetenbuch-Redaktor bereits vorgegebenen Berichts vom Auftreten der Propheten Haggai und Sacharja (Hag 1-2*; Sach 1-8*). Die Rekonstruktion dieser Prozesse ist stark umstritten. Unabhängig davon, wie sie genau abgelaufen sein mögen, gelangt man in den meisten Modellen zu einer Schicht, die das nachmalige Zwölfprophetenbuch stark geprägt hat, der Endredaktion aber vorausging: Diese Schicht hat, wie immer man sie ansonsten genauer rekonstruieren will, Jo 1-4* eingeschlossen.

4.4. Eine Schicht aus Joel und Sach 14

4.4.1. Die literarkritische Abgrenzung der Joel-Sach 14-Schicht

Nogalski hatte die redaktionelle Hauptarbeit bei der Erstellung des Zwölfprophetenbuchs einem „Joel-related layer“ zugewiesen. Dieser habe 11 Schriften (außer Jona) vereinigt und so nachbearbeitet, dass sie alle mit dem endgeschichtlichen Szenario harmonieren, das in der Joelschrift ausführlich dargelegt ist (Nogalski, 1993b, 275-278). Nogalski geht davon aus, dass der Joel-Redaktor das D-Korpus mit Nahum*, Habakuk* und dem Korpus Hag 1 bis Sach 8* zusammenführte und aus vorgefundenem Spruchmaterial die Schriften Joel und Obadja speziell für ihre Verwendung im Zwölfprophetenbuch schuf. Am Schluss wurde noch eine prophetische Disputationssammlung als Gegengewicht zu Sach 7-8 angehängt und unter dem Namen „Maleachi“ (Mal 1,1) als eigenständige Schrift markiert. Beherrschendes Thema sei das Kommen des Tages JHWHs, der nun so verstanden sei, dass er die endgültige, eschatologische Durchsetzung der Herrschaft JHWHs bringe. Dies beinhalte den Sieg über die widergöttlichen Mächte, die innerhalb von Joel als Heuschreckenheer symbolisiert seien (vgl. auch die Hinweise auf Heuschrecken in Nah 3,15-16* und Hab 3,16b-17), und die Verwandlung der Natur.

Nogalskis These wurde von Schart aufgenommen (Schart, 1998, 261-282), der allerdings Maleachi nicht zum von ihm sogenannten Joel-Obadja-Korpus rechnet. Seiner Meinung nach hat Sach 14 als zusammenfassendes Schlussgemälde aller Aspekte des Tages JHWHs den Schluss des Korpus gebildet. Diese These ist von Beck (241) und vor allem von Gärtner, für die Sach 14 die gleiche Funktion im Buchganzen wahrnimmt wie Jes 66 für das Jesajabuch, erhärtet und weitergeführt worden.

4.4.2. Der historische Ort der Joel-Sach 14-Schicht

Der historische Ort der Joel-Sach 14-Schicht ist schwierig zu bestimmen. Geht man davon aus, dass der in Sach 14 für die Endzeit erwartete Fall Jerusalems durch eine reale militärische Niederlage inspiriert ist, so könnte die Eroberung Jerusalems durch Ptolomaios im Jahre 302 vorausgesetzt sein. Die Vorstellung, dass Israel in der Endzeit einem schmerzhaften Reinigungsprozess unterworfen werden wird, könnte sich der Erfahrung scharfer Parteiengegensätze im hellenistischen Juda verdanken (Roth, 295-298), deren friedvollen Ausgleich man sich nicht mehr vorstellen konnte.

4.5. Die Endredaktion

Angesichts divergierender redaktionsgeschichtlicher Modelle ist verständlich, dass über den Charakter der Endredaktion in der gegenwärtigen Forschungssituation wenig Sicheres gesagt werden kann. Folgt man Schart, so sind die letzten Schriften, die dem Zwölfprophetenbuch hinzugefügt wurden, Jona und Maleachi gewesen.

4.5.1. Die Einfügung der Jonaschrift

Mit der Einfügung der Jonaschrift kamen einige neue Gedanken in das Zwölfprophetenbuch hinein.

Erstens wird nun nicht nur der Verkündigung, sondern auch dem Ergehen des Propheten theologischer Wert beigelegt (ähnliches sieht man an der Einfügung von Jes 36-39 und Jer 26-29; Jer 36-44).

Zweitens wird nun eine gegen Joel gerichtete Satire aufgenommen (Schart, 1998, 287-289). Während Joel die Völker so schildert, dass sie von einer latenten Aggression gegen den Zion geprägt sind, die jederzeit in einen totalen Kriegszug umschlagen kann (Jo 4), sieht es Jona genau anders herum: Sogar Ninive, die Hauptstadt des furchterregenden Assyrerreiches kann sich bekehren. Die entsprechenden Bußhandlungen in Jon 3,5-9, die sogar die Tiere einbeziehen, werden zudem als viel eindrucksvoller hingestellt als die Buße Judas, die Jo 2,18 lediglich stillschweigend voraussetzt.

Drittens ist der Gegensatz zu Nahum auffällig. Während die Jonaschrift Ninive eine mit größtem Ernst durchgeführte Busse zuschreibt, kündigt Nahum der Hauptstadt des Assyrerreiches die Entehrung und gnadenlose Zerstörung an. Dieser Gegensatz dürfte so aufzulösen sein, dass die Endredaktion stillschweigend davon ausgeht, dass Ninive nach einer gewissen Frist wieder in seine alte Bosheit zurückgefallen ist. Diese Meinung könnte auch in den völkerkritischen Zusätzen Mi 1,2; Mi 5,8.14; Mi 6,1 und Mi 7,13 impliziert sein, die Jeremias als die jüngste Redaktionsschicht in Micha einstuft (Jeremias, 2007, 120). Demnach wäre die Meinung der Endredaktion, dass Ninive zwar auf den Auftritt Jonas reagiert, sich aber der Botschaft Michas widersetzt habe, weshalb dann Nahum Ninive erneut die Strafe JHWHs ankündigen musste.

4.5.2. Die Einfügung der Maleachischrift

Nach dem imposanten endgeschichtlichen Szenario in Sach 14 folgt noch eine Schrift, die so gar nicht zu der hochgespannten Naherwartung passt, die Sach 14 prägt. Die Gegner Maleachis sind vielmehr von dem Gefühl geprägt, JHWH hätte sie verlassen. Demgegenüber schärft Maleachi ein, dass bis zum Eintreffen der Endereignisse das Einhalten der Tora das angemessene Verhalten ist. Das Kommen des Tages JHWHs werde diejenigen belohnen, die sich trotz entmutigender Erfahrungen in der Jetzt-Zeit nicht vom tora-gemäßen Verhalten abbringen lassen, den Frevlern aber das Verderben bringen (Schart, 2003).

Die letzten Verse von Maleachi (Mal 3,22-24) überschreiten in ihrem Horizont sehr wahrscheinlich schon den Rahmen des Zwölfprophetenbuchs und klären am Ende des Kanonteils Nebiim grundsätzlich das Verhältnis von Gesetzesüberlieferung, die durch Mose repräsentiert wird, und prophetischer Tradition, die von Elija verkörpert wird.

4.5.3. Der historische Ort der Endredaktion

Die Endredaktion muss, wie Sir 49,10 (Lutherbibel: Sir 49,12 ) nahe legt, um 175 v. Chr. abgeschlossen gewesen sein. Setzt Sach 14 tatsächlich die Eroberung Jerusalems im Jahre 302 voraus, dann fällt die Endredaktion vermutlich in das ausgehende 3. Jh. v. Chr. Sollte es weiter zutreffen, dass der Jona-Autor als „Vertreter des Diasporajudentums“ einzustufen ist (Roth, 168), so dürfte der Umstand, dass die positive Sicht Ninives durch die Einstellung Jonas vor Nahum implizit konterkariert wurde, darauf hindeuten, dass die Endredaktion einen Mittelweg zwischen völkerkritischen Kreisen im Land Israel, wie sie vor allem in Jo 4 zu Wort kommen, und prohellenistischen Gemeinden der Diaspora suchte, die hinter der Jonaschrift stehen.

5. Theologie

Die biblisch-theologischen Themen des Zwölfprophetenbuchs sind auf der Basis der Exegese der Einzelschriften ja vielfach behandelt worden. Die Frage im hiesigen Zusammenhang ist lediglich, ob sich durch das Verständnis des Zwölfprophetenbuchs als einer redaktionellen Großeinheit neue Impulse für den Diskurs ergeben.

5.1. Die Reihe der Propheten

Als Erstes kann man diesbezüglich nennen, dass die Einzelschriften im Sinne der kanonischen Endgestalt nun einen bestimmten geschichtlichen Platz erhalten (Seitz). Jeder der Propheten ist Teil der gesamten Kette, ruht deshalb auf der Verkündigung seiner Vorgänger, hat das Wort Gottes in eine bestimmte Lage hinein auszulegen und wird seinerseits im Fortgang der Prophetensendungen Gottes neu beleuchtet, eventuell sogar später korrigiert. Themen, die ein Prophet angeschnitten hat, werden so von einem anderen fortgeführt. Tendenziell ergibt sich im Fortgang des Lesens eine immer reichere Vorstellung vom Handeln JHWHs.

5.2. Der Tag JHWHs

Das zentrale Thema des Zwölfprophetenbuchs ist der „Tag JHWHs“ יום יהוה jôm JHWH (Beck, Schwesig). Für das Verständnis der Endfassung ist sehr wahrscheinlich vorauszusetzen, dass die Leserschaft nicht nur die exakte Phrase „Tag JHWHs“, sondern jede Erwähnung eines zukünftigen Tages, an dem JHWH die Geschichte definitiv umgestaltet, auf den Tag JHWHs beziehen soll. Aus dieser Perspektive gelesen, referieren auch unscheinbare Phrasen wie „am Ende der Tage“ (Mi 4,1) oder das häufige „an jenem Tag“ (bajjôm hahû’) auf den Tag JHWHs. Der „Tag JHWHs“ bezeichnet einen zukünftigen Tag, an dem JHWH machtvoll, für alle sichtbar und endgültig seinen Willen durchsetzen wird.

Die Phrase findet sich bereits in der ältesten Schrift der Sammlung (Am 5,18) und geht sehr wahrscheinlich auf die mündliche Verkündigung des historischen Amos zurück, der eine positiv besetzte Erwartung seiner Gegner polemisch ins Gegenteil umwandelte. Leider lässt die Metaphorik des Textes keine Schlüsse auf die konkret erwarteten Wirkungen zu, die auf Seiten der Gegner mit dem Tag JHWHS verbunden waren. Amos sieht dagegen voraus, dass dieser Tag des göttlichen Eingreifens das völlige Gegenteil des Erwarteten bringen wird, nämlich völlige Finsternis, also Lebensminderung bis hin zum Tod. Amos bezog den Tag JHWHs also auf eine bestimmte Gruppe und erwartete sein Kommen als Strafaktion für eben diese Adressaten innerhalb einer überschaubaren Zeitspanne.

Schon die Redaktoren der ältesten Amosschrift weiteten die Vorstellung auf das Nordreich Israel aus. Zefanja übertrug die Tag JHWHs-Vorstellung dann auch auf Juda (Zef 1). Im Joel-Sach 14-Korpus hat die Vorstellung dann eschatologische und universale Qualität gewonnen. Es geht nicht mehr nur um die Welt der Menschen, sondern auch um die Natur. Am Tage JHWHs wird alles Gottwidrige beseitigt, so dass alles Gottgemäße sich frei entfalten kann. Die Natur wird paradiesisch aufblühen und dem Menschen überreich ihre Früchte zum Genießen geben; alle Menschen werden sich dem wahren Gott zuwenden und von Gott Weisung erhalten und annehmen. Alle Dinge werden die Harmonie ausleben können, zu der sie der Schöpfer bestimmt hat. Das Zwölfprophetenbuch bietet einerseits eindrückliche Schilderungen dieses harmonischen Endzustands. Man denke nur an das Wort vom Umschmieden der → Schwerter zu Pflugscharen in Mi 4,1-4, an den Überfluss der Natur in Jo 4,18 oder die völkerverbindende Feier des Laubhüttenfests in Jerusalem in Sach 14,16. Andererseits wird aber auch in vielen Texten festgehalten, dass Gott für die Beseitigung der gottwidrigen Kräfte, da diese sich nicht freiwillig bekehren, sondern bis in den eigenen Untergang an ihrer Verkehrtheit fest halten, nur unter Einsatz von Gewalt sorgen kann. So oder so greift das Zwölfprophetenbuch die Sehnsucht des Menschen nach umfassendem Wohlergehen auf und hält fest, dass Gott diese Sehnsucht stillen will. Auch wenn es so aussieht, als müsse man sich mit ungerechten Zuständen aller Art abfinden, sei es im Bereich politischer Strukturen, kultischer Riten oder nachbarschaftlicher Beziehungen, weil sie scheinbar so gefestigt und mächtig daherkommen, kommt es doch darauf an, die Hoffnung auf den Tag JHWHs wach zu halten.

5.3. Das Wesen JHWHs

Ein weiteres großes Thema ist die Beschreibung des Wesens JHWHs. Das Zwölfprophetenbuch enthält an mehreren Stellen wörtliche Zitate der berühmten Auflistung der Eigenschaften JHWHs in Ex 34,6-7 und wandelt diese charakteristisch ab. Während Ex 34,6-7 JHWHs Wesen in bipolarer Spannung beschreibt, insofern Gott einerseits barmherzig und gütig ist, andererseits aber auch seine Strafgerechtigkeit durchsetzt, wobei freilich die gütige Seite bei weitem überwiegt, zitiert Jo 2,13 nur den ersten Teil von der Barmherzigkeit Gottes. Diesem wird noch die steigernde Aussage zugefügt, dass Gott „sich des Bösen gereuen lässt“. JHWH wartet nur darauf, einen „einmal gefassten Vernichtungsbeschluss … noch in letzter Stunde zurück(zu)nehmen“ (Jeremias, 2007, 31). In der Jona-Erzählung wird dann geschildert, wie der frustrierte und zornige Prophet am Rand der bußfertigen Stadt Ninive sitzt, der Gott doch noch ihre Bosheit vergeben hat, und lieber sterben will als weiter Zeuge des Umstands zu sein, dass Gottes Barmherzigkeit und Reue selbst „dem ärgsten Feind Israels“ gilt (Jeremias, 2007, 107). Wörtlich wird Jo 2,13 aufgegriffen und in satirisch verzerrtem Gewand noch weiter entgrenzt: Auch der Strafbeschluss über eine der schlimmsten imperialen Mächte ist eigentlich nur gefasst, um ihn zurücknehmen zu können.

Doch im Verlauf des Zwölfprophetenbuchs folgen weitere Bezugnahmen auf Ex 34,6-7. In Mi 7,18 wird von Ex 34,6-7 – ähnlich wie Joel – nur der erste, positive Teil zitiert. Israel kann sich darauf verlassen, dass JHWH für sein Volk letztlich der gütige und barmherzige Gott bleibt, auch wenn die gegen das sündige Gottesvolk verfügten Strafaktionen diese letzte Perspektive verdunkeln mögen.

Dagegen wird am Anfang der unmittelbar folgenden Nahumschrift (Nah 1,2-3) nur der zweite, negative Teil von Ex 34,6-7 zitiert. Im Gegensatz zu Jona, der Zeuge der Verschonung Ninives wurde, sieht Nahum voraus, wie JHWH eben dieser Stadt den völligen Untergang bereitet, wobei JHWH die Wesensbestimmung der Strafgerechtigkeit ausagiert. Für die Leserschaft stellt sich die Frage, wie sich Nahums Position mit derjenigen von Jona verträgt. In der jüdischen Auslegung wurde als eine mögliche Erklärung vertreten, Ninive sei in der Zeit zwischen dem Auftreten Jonas und Nahums zu seinem vorherigen bösen Verhalten zurückgekehrt (Ego). Dies dürfte die Endredaktion schon so ähnlich gesehen haben (siehe 4.4.1). Hinzuweisen ist aber auch darauf, dass in Sach 14 für den Tag JHWHs eine Scheidung innerhalb der Völkerwelt erwartet wird: Diejenigen Kräfte, die die Abwendung von JHWH und die Gewalt gegen sein Volk propagieren, finden ihr Ende (Sach 14,12-13), während der Rest der Völker sich mit dem Gottesvolk friedlich vereinigen wird, um gemeinsam in Jerusalem das Laubhüttenfest zu feiern (Sach 14,16).

Hintereinander gelesen ergeben die verschiedenen Aussagen zum Wesen JHWHs ein spannungsreiches Geflecht. Sie zeigen, wie die Propheten darum rangen, ihre temporäre und situationsbezogene Gotteswahrnehmung mit dem zu vermitteln, was sie als zeitüberdauerndes Wesen JHWHs verstanden. Das Zwölfprophetenbuch präsentiert die Wesensaussagen nicht als in der Wüste geoffenbarte Beschreibung des Ansichseins JHWHs wie Ex 34,6-7, sondern stellt sie hinein in die geschichtlichen Auseinandersetzungen, in die die Propheten verstrickt waren. Damit erhalten sie einen zeitlich begrenzten, durch die Persönlichkeit des Propheten eingefärbten, fragilen Charakter und verlieren etwas den Status von unveränderlichen Seinsbestimmungen. Sie werden vielmehr in der Anwendung, in der prophetischen Nutzung vorgeführt.

6. Auslegungsgeschichte

Jede der Schriften des Zwölfprophetenbuchs hat eine intensive Auslegung erfahren. Im Zusammenhang dieses Artikels ist lediglich danach zu fragen, ob die Zwölf Propheten bewusst als Ganzheit wahrgenommen und entsprechend ausgelegt wurden. Dies ist nur ganz am Rande der Fall gewesen.

6.1. Die Idee eines prophetischen Schriftenkorpus

Am bedeutsamsten ist sicherlich die Idee geworden, dass Gott seinem Volk kontinuierlich Propheten sandte, deren Schriften, obwohl sie ursprünglich für eine bestimmte Situation gemeint waren, auch den späteren Generationen zur Gotteserkenntnis dienen sollten. Diese Idee führte nicht nur dazu – sukzessive – ein Zwölfprophetenbuch zu erstellen, sondern darüber hinaus auch das corpus propheticum, also die Sammlung der vier prophetischen Bücher Jes, Jer, Ez und Zwölfprophetenbuch, und sogar den Kanonteil Nebiim („Propheten“, der die sog. Vorderen Propheten einschließt, also die Bücher Josua bis 2. Könige). Weil das Christentum Jesus von Nazareth als Erfüllung und Ziel der Prophetenkette verstand, schloss man in die christliche Bibel die jüdischen Schriften als ersten, grundlegenden Teil ein. Der Islam verstand über Jesus hinaus Mohammed als Siegel der Propheten. Zwar hielt man die jüdischen und christlichen Überlieferungen über die Propheten nicht uneingeschränkt für vertrauenswürdig, aber der Koran enthält viele positive Erwähnungen der Propheten, die Mohammed vorausgegangen sind. Von den Zwölfen ist allerdings nur Jona (arabisch Junus) erwähnt. Als Ganzheit kommen sie nicht vor.

6.2. Das Dodekapropheton im Neuen Testament

Das Dodekapropheton wird insgesamt 33 Mal im Neuen Testament zitiert (vgl. Jesaja 72, Jeremia 10 und Ezechiel 5; Utzschneider). Eindeutige Hinweise darauf, dass das Neue Testament die Existenz eines Zwölfprophetenbuchs voraussetzt, gibt es nicht. Immerhin ist es wahrscheinlich, dass der Ausdruck „Buch der Propheten“ in Apg 7,42 das Zwölfprophetenbuch bezeichnet, da diese Annahme die Verbindung von „Buch“ im Singular und „Propheten“ im Plural am besten erklärt. Auch der ungewöhnliche Präpositionsgebrauch „in Hosea“ in Röm 9,25 könnte so zu verstehen sein, dass Paulus damit Hosea aus den Zwölfen ausgrenzt. Dass das Verständnis der Einzelstellen durch die Wahrnehmung des Buchganzen geprägt ist, lässt sich allerdings nicht erkennen.

6.3. In der Kunstgeschichte

Die einzelnen Propheten sind in der jüdischen wie der christlichen Kunstgeschichte häufig behandelte Gestalten. Für das Christentum ist besonders die Vorstellung leitend gewesen, dass die Propheten das Auftreten und das Geschick Jesu Christi geweissagt haben. Neben der Darstellung einzelner Propheten, die bestimmte Dinge des Lebens Jesu Christi vorhergesagt haben, so etwa Jesaja die Jungfrauengeburt (Jes 7,14) oder sein Leiden (Jes 53) und Micha seine Geburt in Betlehem (Mi 5,1), finden sich auch viele Darstellungen, in denen gleich mehrere Propheten zusammen auftreten. Meistens werden diejenigen zusammen genommen, die in besonders eindrücklicher Weise auf Jesus Christus hingewiesen haben.

Zwoelfprophetenbuch 1

Darstellungen, die dezidiert und ausschließlich die Zwölf Propheten als in sich geschlossene Gruppe darstellen, sind sehr selten. Ein eindrucksvolles Beispiel findet sich in der Nordrose der Kathedrale in Chartres (Abb. 1; Hinweis von Anton Weininger). Im Zentrum der ringförmigen Komposition findet sich eine Darstellung der Maria mit dem Jesuskind. Der innere Ring wird von vier Tauben und acht Engeln gebildet, der mittlere Ring stellt 12 Könige Israels dar und der äußere Ring umfasst die zwölf Propheten des Zwölfprophetenbuchs: Oben in der Mitte beginnt der Zyklus mit „Osias“ (= Hosea), links daneben folgt „Johel“, rechts daneben befindet sich „Amos“, ganz unten im Zentrum ist „Malachias“.

Zwoelfprophetenbuch 2

Eine bekannte Darstellung von Fra Angelico zeigt z.B. eine Vision Ezechiels. Der Künstler stellt das Rad des visionären Himmelsgefährtes in den Mittelpunkt, das er als eine Darstellung eines „biblischen Rads“ versteht: Im äußeren Kreis des Rades sind zwölf alttestamentliche Gestalten dargestellt, im Innern acht der zwölf Apostel. Von den 12 im Zwölfprophetenbuch enthaltenen Propheten sind allerdings lediglich Micha, Jona, Joel und Maleachi erwähnt, die restlichen Personen stellen David, Moses, Salomon, Ezechiel, Jeremia, Esra, Daniel und Jesaja dar. Obwohl also zwölf „Propheten“ begegnen, handelt es sich nicht um diejenigen des Zwölfprophetenbuchs, vielmehr ist die Zwölfzahl eher von den 12 Aposteln abgeleitet.

Literaturverzeichnis

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Abbildungsverzeichnis

  • Die Zwölf Propheten (Nordrose der Kathedrale in Chartres; 13. Jh.).
  • Ezechiels Vision eines Rades mit 8 Aposteln und 12 Propheten (Fra Angelico; ca. 1450).

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