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Zitat (AT)

(erstellt: März 2011)

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1. Definition

1.1. Intertextualität, Zitat, Anspielung

Der Begriff des Zitats ist abzugrenzen gegenüber dem weiteren und teilweise auch Anderes meinenden Begriff der Intertextualität auf der einen und dem Begriff der Anspielung auf der anderen Seite.

1.1.1. Intertextualität. Intertextualität ist ein sehr weiter Begriff, damit können Bezüge zwischen einem Einzeltext und einem anderen Einzeltext gemeint sein (Text-Text-Beziehung), sehr wohl aber auch Bezüge zwischen einem Einzeltext und einer Vielzahl von anderen Texten, ja sogar einer umfassenden Tradition (Text-System-Beziehung). Intertextualitäten müssen nicht notwendigerweise intentional sein, sondern können auf allgemeinem Vertrautsein mit anderen Texten, ja einer ganzen Kultur beruhen. Sie müssen nicht einmal vom Autor eingebracht worden sein (produktionsseitige Intertextualität), sondern können durchaus erst vom Rezipienten entdeckt bzw. konstruiert werden (rezeptionsseitige Intertextualität).

Demgegenüber ist das Zitat die vom Autor intendierte Aufnahme eines anderen Textes (produktionsseitige Text-Text-Beziehung), die als solche auch in irgendeiner Form ausgewiesen ist (Markierung). Der Autor eines Textes kann dabei einen anderen, schriftlich verfassten Text zitieren, aber auch eine zuvor erfolgte mündliche Äußerung (intertextuelles Zitat). Eine eigene Form des Zitates liegt vor, wenn ein Textakteur in einem Text vorher Gesagtes oder Erzähltes aufgreift und diese Aufnahme als solche kennzeichnet (intratextuelles Zitat).

1.1.2. Anspielung. Eine Anspielung liegt vor, wenn die Aufnahme eines anderen Textes nicht explizit markiert ist.

Die letztere Abgrenzung ist zugleich die entscheidende Problemanzeige im Bereich der Bibelwissenschaften. Moderne, etwa literaturwissenschaftliche oder germanistische Abhandlungen sprechen in den Regel nur dann von einem Zitat, wenn ein Ausschnitt aus einem Text ausdrücklich nach den gültigen Konventionen als solches markiert ist, in modernen Texten in der Regel durch Anführungszeichen, gefolgt oder begleitet von Herkunftsangabe bzw. Quellenverweis oder aber – bei sehr bekannten Worten, deren Herkunft allgemein bekannt ist – einfach durch Anführungszeichen.

1.1.3. Zitat. Nun pflegten aber im Alten Orient und in der Frühantike Autoren einen anderen Umgang mit Zitaten: „The authors of antiquity were artisans rather than artists. Our preoccupation with originality would have been foreign to them, nor did they care about intellectual property.“ (van der Toorn, 2007, 5). Auch hinsichtlich Markierung und Wörtlichkeit muss man von anderen Gepflogenheiten ausgehen: „That is why quotations in biblical literature, as among Greek and Roman authors, are often from memory. Inaccuracies are not uncommon, and the reference to the author or the scroll – assuming the two are distinguished – is very general. The scroll served as a deposit box for the text; for daily use, people consulted their memory.“ (van der Toorn, 2007, 23).

Die explizite Markierung durch Anführungszeichen (oder einem graphischen Äquivalent) war unbekannt, aber auch die Markierung durch Herkunftsangabe wurde nur selten gebraucht. Man kann daraus folgern, dass alle weiteren Verweise auf andere Texte andere Formen der Intertextualität darstellen, etwa Anspielungen. Man muss aber prüfen, ob biblische Autoren andere, heute nicht mehr gebräuchliche Formen der Markierung verwendeten, ob also mithin Textphänomene, die auf den ersten Blick als Anspielungen gelten könnten, von den historischen Autoren und ihren Adressaten als Zitate verstanden wurden.

Diese Unschärfe hat dazu geführt, dass eine Reihe von Autoren einen weiteren Begriff von Zitat verwenden. Ihnen gelten nicht wenige biblische Texte als Produkte früher Schriftgelehrsamkeit, geschrieben von Experten für Experten, die auch kleinste Übereinstimmungen zwischen Texten als Zitate des älteren im jüngeren wahrnehmen konnten (vgl. dazu etwa Levinson, 1998; Levinson, 2008; Otto, 2006b, insb. 258). Fischer (2005, 64-67) klassifiziert die Möglichkeiten der Aufnahme anderer Texte, unterscheidet aber begrifflich zwischen Zitat in einem engeren Sinne, wie er auch in diesem Artikel gebraucht wird, und anderen Formen der Abhängigkeit.

Weiter ist zu beachten, dass nicht nur dann ein Zitat vorliegt, wenn auch der Spendertext überliefert ist. Spendertexte können verloren gegangen sein oder niemals existiert haben. Im letzteren Fall spricht man von einem „fingierten Zitat“. Fingierte Zitate sind zwar historisch anders zu bewerten als nicht-fingierte, nicht aber literaturwissenschaftlich und auch nicht exegetisch, entscheidend ist hier die textuelle Markierung als Zitat, denn fiktionalen Charakter haben alle Zitate, insofern sie am fiktionalen Charakter des Textes, in dem sie stehen, Anteil haben (vgl. dazu Koenen, 1996, 29, der hier den Spezialfall der Psalmen diskutiert, dessen Schlussfolgerungen aber auf alle Zitate zutreffen).

1.2. Markierung

Um in dieser schwierigen Frage etwas Boden unter die Füße zu bekommen, soll die allgemeine Fragestellung der „Skalierung der Intertextualität“ (Pfister, 1985, 26-29) in Bezug auf die engere Fragestellung der Markierung von Zitaten bedacht werden. Auch wenn man mit der Möglichkeit rechnet, dass antike Autoren andere Formen der Markierung von Zitaten verwendet haben, so behält man doch sinnvollerweise die Unterscheidung bei, dass als Zitat nur ein Textphänomen zu gelten hat, das eine – wie auch immer geartete – Markierung aufweist, die es als Zitat kenntlich macht.

1.2.1. Referentialität (Differenz zwischen Text und Zitat)

Ein Autor kann ein Stück aus einem anderen Text so verwenden, dass er es nahtlos in die eigene Darstellung oder Argumentation einflicht (Erwähnung). Er kann aber das fremde Stück auch so verwenden, dass gerade die fremde Abkunft zum entscheidenden Merkmal der Darstellung oder Argumentation wird (Referenz). Soll die erste Verwendung als Zitat erkannt werden, muss die explizite Markierung sehr deutlich sein, bei der zweiten Verwendungweise ist eine ausdrückliche Markierung impliziert.

1.2.2. Kommunikativität (Deutlichkeit der Markierung)

Ein Autor kann die Tatsache, dass er gerade zitiert, durch die literarische Gestaltung seines Textes sehr deutlich machen. Die Markierung kann den eigentlichen Darstellungs- bzw. Argumentationszusammenhang unterbrechen, etwa durch eine Einleitungsformel, einen expliziten Quellenverweis oder durch die Markierung des Zitatendes. Der Hinweis auf das Zitat kann aber auch beiläufig erfolgen, im Extremfall sogar entfallen (modern: Plagiat) oder nur auf der fraglosen Verweiskraft einer allgemein bekannten, eindeutigen Formulierung basieren. Je weniger der eigentliche Darstellungs- oder Argumentationszusammenhang unterbrochen wird, desto schwieriger ist es, ein Zitat zu identifizieren.

1.2.3. Autoreflexivität (Thematisierung der Zitation)

Ein Autor kann nicht nur ausdrücklich auf einen anderen Text verweisen, er kann darüber hinaus die Tatsache, dass er jetzt gerade zitiert, zum Thema machen. Solche Zitate sind per definitionem eindeutig zu erkennen.

1.2.4. Strukturalität (Wörtlichkeit des Zitats)

Ein Autor kann den vorgegebenen Text wörtlich zitieren, oder weitgehend wörtlich mit geringfügigen Abweichungen oder aber „nur“ sinngemäß. Im Falle des wörtlichen Zitats kann eine weitere explizite Markierung knapp ausfallen oder – bei bekannten Texten („geflügelten Worten“) – ganz wegfallen. Je weiter ein Autor vom Originalwortlaut abweicht, wird die Zitathaftigkeit einer Textaufnahme immer geringer, es sei denn, er macht die Differenz durch explizite Markierung wett.

1.2.5. Selektivität (Erkennbarkeit des Zitats)

Autoren können in Form von Anspielungen größere Textzusammenhänge in den Blick nehmen, sie können aber auch gezielt eine Wortfolge aus einem anderen Text übernehmen. Nur in diesem letzteren Fall spricht man gewöhnlich von einem Zitat. Fehlt allerdings eine explizite Markierung im modernen Sinne, darf die Wortfolge eine Mindestlänge nicht unterschreiten, um noch eindeutig zugeordnet werden zu können.

1.2.6. Dialogizität (Bewertung des Zitats)

Ein Autor macht die Tatsache, dass er gerade zitiert dann besonders deutlich, wenn er sich vom Spendertext absetzt, ihn diskutiert oder in ein Gespräch mit ihm tritt.

2. Zitate in Erzähltexten

2.1. Intratextuelle Zitate

Im Vergleich zu modernen Texten ist das intratextuelle Zitat im Alten Testament sehr viel einfacher zu identifizieren und – je nach Maßgabe – auch häufiger als das intertextuelle. Die Art und Weise, wie intratextuell zitiert wird, kann zum Verständnis der oft schwierigen Sachlage bei intertextuellen Zitaten beitragen, daher setzt der folgende Durchgang mit einigen Beispielen für intratextuelle Zitate ein.

2.1.1. Ein Textakteur zitiert eine Rede eines anderen Textakteurs

1. Gen 3,1-3. Mit einem Zitat dieses Typs beginnt nach biblischer Darstellung die Trennung der Menschheit von Gott. Gen 2,16-17 lautet: „Und Gott Jhwh gebot dem Menschen und sprach: ‚Von jedem Baum des Gartens darfst du essen; aber vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, davon darfst du nicht essen; denn an dem Tag, da du davon isst, wirst du sterben / sterblich!‘“ Die Schlange verweist auf diese Gottesrede, wenn sie die Frau anspricht (Gen 3,1): „Hat Gott wirklich gesagt: ‚Von allen Bäumen des Gartens dürft ihr nicht essen?‘“ Darauf antwortet die Frau (Gen 3,2-3): „Von den Früchten der Bäume des Gartens essen wir; aber von den Früchten des Baumes, der in der Mitte des Gartens steht, hat Gott gesagt: ‚Ihr sollt nicht davon essen und sollt sie nicht berühren, damit ihr nicht sterbt / sterblich werdet!‘“

Dass es sich um Zitate handelt, wird durch zwei Arten von Markierungen signalisiert, zum einen durch die expliziten Rückverweise auf die vorher ergangene Rede („hat Gott wirklich gesagt“ und „hat Gott gesagt“), zum andern durch die aufgenommenen Ausdrücke „Baum“, „nicht essen“, „sterben / sterblich werden“ usw. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Schlange falsch und die Frau nicht wörtlich zitiert. Solche Zitate kommen auf Grund der vielen Dialoge in den alttestamentlichen Erzähltexten sehr häufig vor und sie sind fast immer ebenso inexakt wie im Falle von Gen 3,3.

2. Ex 19,23. In Ex 19,10 etwa befiehlt Jhwh dem → Mose: „Und grenze das Volk ringsum ab folgendermaßen: ‚Hütet euch, auf den Berg zu gehen oder auch nur sein Ende zu berühren! Jeder, der den Berg berührt, muss getötet werden.‘“ Später auf dem Berg nimmt Mose gegenüber Jhwh auf dessen Anordnung Bezug (Ex 19,23): „Das Volk wird den Berg Sinai nicht hochgehen können, denn du hast uns ja gewarnt und gesagt: ‚Umgrenze den Berg und erkläre ihn für heilig!‘“ Einmal ist das Volk, einmal der Berg das Objekt der Absperrung, desgleichen soll Mose das Volk heiligen (Ex 19,10) und nicht wie in Ex 19,23 rekapituliert, den Berg. Die Abweichung hat ihren Grund jedoch nicht darin, dass aus dem Gedächtnis zitiert wird, denn der gebende Text lag bei der Abfassung von Ex 19,23 ja unmittelbar vor, vielmehr wird hier wie auch anderswo sinngemäß und kontextbezogen zitiert.

3. 2Sam 1,16. In 2Sam 1,6-10 berichtet der → Amalekiter über die Todesumstände König → Sauls (2Sam 1,10a): „Da trat ich zu ihm und gab ihm den Todesstoß, denn ich erkannte, dass er nach seinem Fall nicht am Leben bleiben würde. …“. → David reagiert sofort (2Sam 1,16): „Dein Blut komme auf deinen Kopf! Denn dein Mund hat gegen dich ausgesagt, als du sprachst (לאמר lə’mor): ‚Ich habe den Gesalbten Jhwhs getötet.‘“ Die Bezugnahme Davids auf die Rede des Amalekiters ist deutlich als wörtliche Wiedergabe markiert (לאמר lə’mor „folgendermaßen“ / „als du sprachst“), gibt gleichwohl keineswegs den Wortlaut der vorher ergangenen Rede wieder, sondern formuliert die Interpretation Davids.

4. 1Kön 1,13.17. Ein anderer Fall liegt in 1Kön 1 vor, denn hier erinnert zunächst der Prophet → Nathan Königin → Batseba an einen Schwur Davids betreffs der Thronfolge (1Kön 1,13), die daraufhin David an diesen Schwur erinnert (1Kön 1,17). Dabei wird jeweils der Schwur Davids wörtlich zitiert: „Du hast bei Jhwh, deinem Gott, deiner Magd geschworen: ‚Dein Sohn Salomo soll nach mir König werden, und er soll auf meinem Thron sitzen.‘ …“. Das Brisante daran ist, dass dieser Schwur im Vorkontext nirgendwo erzählt wird, das Zitat somit ohne Spendertext ist. Allerdings bestätigt David in 1Kön 1,30, dass er den Schwur geleistet habe (zur Problematik vgl. Seiler, 1998, 36-37; Oswald, 2008b, 168-169).

5. 1Kön 22,12.15. In den soeben genannten Fällen bezieht sich der Textakteur ausdrücklich auf eine zuvor ergangene Rede zurück. Ein anderer Fall liegt in 1Kön 22 vor, wo das Orakel für König → Ahab dreimal fast wortgleich zur Sprache kommt, zunächst zweimal im Munde der Propheten Ahabs (1Kön 22,6.12), dann im Munde des Propheten → Micha ben Jimla (1Kön 22,15). Wie das erste Orakel so erheben auch die beiden Wiederholungen den Anspruch, Kundgabe von Gottesworten zu sein, keinesfalls will Micha ben Jimla die Propheten Ahabs zitieren. Doch auf Erzählebene ist ganz offensichtlich, dass hier Zitate vorliegen. Es ist für das Verständnis des Textes außerordentlich wichtig, dass alle drei Vorkommen des Orakels fast denselben Wortlaut haben (vgl. dazu Baumgart, 2006; Oswald, 2008a).

2.1.2. Der Erzähler zitiert eine Rede eines Textakteurs

Gen 50,25 lautet: „Und Joseph ließ die Söhne Israels schwören und sprach: ‚Hat Gott euch dann heimgesucht, dann führt meine Gebeine von hier hinauf!‘“ Auf diesen Schwur nimmt der Erzähler in Ex 13,19 folgendermaßen Bezug: „Mose aber nahm die Gebeine Josephs mit sich. Denn dieser hatte die Söhne Israels folgendermaßen schwören lassen (לאמר lə’mor): ‚Gott wird euch gewiss heimsuchen. Dann führt meine Gebeine mit euch von hier hinauf!‘“

Das Zitat spielt zum einen mit der doppelten Bedeutung des Ausdrucks „Söhne Israels“ (in Gen 50,25 „die zwölf leiblichen Söhne Jakobs“, in Ex 13,19 „das Volk Israel“) und fügt zudem „mit euch“ hinzu.

In 1Sam 8,5 sagen die Ältesten Israels zu Samuel: „Jetzt aber, setze uns einen König ein, damit er uns richte, wie bei allen Nationen!“ Sogleich wiederholt der Erzähler, was soeben gesagt wurde (1Sam 8,6): „Und das Wort war übel in den Augen Samuels, dass sie sagten: ‚Gib uns einen König, damit er uns richte!‘ …“. Die Rede verwendet das Verbum „setzen“ (שׂים śîm), das Zitat dagegen „geben“ (נתן nātan).

2.1.3. Ein Textakteur zitiert einen Text des Erzählers

Dieser Fall ist interessant, da er in der bürgerlich-naturalistischen Erzählliteratur nicht vorkommt, denn ein Textakteur kann gar nicht wissen, wie der Erzähler formuliert. Anders dagegen etwa im Hiobbuch. Hiob wird gleich zu Beginn vom Erzähler folgendermaßen charakterisiert (Hi 1,1): „rechtschaffen und redlich und gottesfürchtig und das Böse meidend.“ Wenig später verwendet Jhwh im Gespräch mit dem Satan dieselben Worte (Hi 1,8).

2.2. Intertextuelle Zitate

2.2.1. Zitate aus anderen biblischen Büchern

1. 1Kön 14,6. Fälle von explizit markierter Zitation anderer Texte sind äußerst selten. 2Kön 14,6 lautet:

„Aber die Söhne der Totschläger tötete er [König Amazja] nicht, wie es im Buch der Tora des Mose geschrieben steht (כַּכָּתוּב kakātûv), wo Jhwh geboten hat (לאמר lə’mor): ‚Nicht sollen Väter um der Söhne willen getötet werden, und Söhne sollen nicht um der Väter willen getötet werden, sondern jeder soll für seine eigene Sünde getötet werden.‘“

Das Zitat stammt tatsächlich fast wörtlich aus Dtn 24,16, der Gesetzestext hat lediglich abweichend vom Zitat kein „sondern“, und formuliert das letzte Verbum pluralisch.

Die Begründung eines Tuns oder eines Geschehens damit, dass es in der Tora so geschrieben steht, kommt nicht häufig, aber doch gelegentlich vor (Dtn 28,58.61; Dtn 29,19.20.26; Dtn 30,10; Jos 1,8; Jos 8,34; Jos 23,6; 1Kön 2,3; Esr 3,2.4), aber nur in 2Kön 14,6 wird dabei die zu Grunde liegende Schriftstelle ausführlich, wenn auch mit Abweichungen, zitiert. Das Tora-Zitat wird von fast allen Auslegern einer späten Redaktionsschicht des → Deuteronomistischen Geschichtswerks zugewiesen (vgl. etwa Würthwein, 1984, 371).

2Kön 14,6 gebraucht zunächst „wie geschrieben (steht)“ (כַּכָּתוּב kakātûv) und anschließend לאמר lə’mor zur Einleitung des Zitats. Beide Ausdrücke werden vielfältig verwendet, sie können, müssen aber nicht ein Zitat einleiten (zur Formel כַּכָּתוּב kakātûv vgl. Fishbane, 1985, 213-216).

2. Jos 8,30-31. Ebenfalls aus der Tora wird in Jos 8,30-31 zitiert:

„Damals baute Josua Jhwh, dem Gott Israels, einen Altar auf dem Berg Ebal, wie Mose, der Knecht Jhwh, den Israeliten geboten hatte, wie im Buch der Tora des Mose geschrieben steht (כַּכָּתוּב kakātûv), einen Altar von ganzen Steinen, über denen man kein Eisen geschwungen hatte. …“.

Die Versicherung, Josua habe gemäß der Mosetora gehandelt, bezieht den gesamten Vorgang Jos 8,30-35 auf die Anordnungen Dtn 27,4-8, allein die technische Spezifizierung „von ganzen Steinen, über denen man kein Eisen geschwungen hatte“ wiederholt – wiederum mit geringfügigen Abweichungen – Teile aus Dtn 27,5-6 und kann damit als Zitat gelten.

Der Abschnitt Jos 8,30-35 wird von manchen Auslegern der deuteronomistischen Redaktion des → Josuabuches zugerechnet (etwa Nelson, 1997, 115-120), nach anderen gehört er zu den spätesten Einfügungen in das Josuabuch (etwa Knauf, 2008, 21.87; Oswald, 2009, 209). Dafür spricht nicht zuletzt, dass der Abschnitt Jos 8,30-35 MT zu den „fließenden Perikopen“ gehört: In der Septuaginta steht er nach Jos 9,2, in 4QJosha dagegen vor Jos 5,2.

3. Neh 13,1-2. Einschlägig ist weiter Neh 13,1-2.

„An jenem Tag wurde aus dem Buch des Mose vor den Ohren des Volkes vorgelesen, und man fand darin geschrieben (כתוב בו), dass ein Ammoniter und ein Moabiter nicht kommen darf in die Versammlung Gottes für ewig. Denn sie waren den Israeliten nicht mit Brot und mit Wasser entgegengekommen und hatten Bileam gegen sie gedungen, sie zu verfluchen, aber unser Gott hatte den Fluch in Segen verwandelt. …“.

Die in Neh 13,2 zitierte Bestimmung lautet in Dtn 23,4: „Ein Ammoniter und ein Moabiter darf nicht kommen in die Versammlung Jhwhs; auch die zehnte Generation von ihnen darf nicht in die Versammlung Jhwhs kommen, für ewig.“ Das Zitat lässt den Teil über die Generationen aus und ersetzt „Jhwh“ durch „Gott“, der Rest ist wörtlich übernommen. Die Fortsetzung Neh 3,2 beruht auf Dtn 23,5-6. Hier ist die Wiedergabe zwar freier, aber immer noch so markant, dass klar ist, dass nicht Num 22-24, sondern Dtn 23,5-6 paraphrasiert werden soll (zur literarischen Vorgehensweise ausführlich Blenkinsopp, 1988, 351).

Auch dieser Abschnitt wird gemeinhin zu den spätesten Stücken des → Nehemiabuches gezählt (vgl. Gunneweg, 1987, 163).

4. Esr 9,10-12. Warum nur so selten explizit aus der Tora zitiert wird, mag vielleicht ein Ausschnitt aus dem Bußgebet Esras (Esr 9,10-12) erhellen:

„Und nun, unser Gott, was sollen wir nach alldem sagen? Denn wir haben deine Gebote verlassen, die du durch deine Knechte, die Propheten, geboten hast, indem du sprachst (לאמר lə’mor): ‚Das Land, in das ihr kommt, um es in Besitz zu nehmen, ist ein beflecktes Land wegen der Befleckung der Völker der Länder, wegen ihrer Gräuel, mit denen sie es vom einen Ende bis zum andern durch ihre Unreinheit erfüllt haben. So sollt ihr nun nicht eure Töchter ihren Söhnen geben und ihre Töchter nicht als Frauen für eure Söhne nehmen, und ihren Frieden und ihr Wohl sollt ihr bis in Ewigkeit nicht suchen, damit ihr stark werdet und das Gute des Landes esst und es auf eure Söhne vererbt bis in Ewigkeit.‘ …“.

Das einleitende לאמר lə’mor kennzeichnet das Folgende als Zitat. Literarisch handelt es sich aber um eine eigenständig gestaltete Blütenlese aus Dtn 7,1-4; Dtn 11,8-9; Dtn 23,4-7; Lev 18,24, nicht um die Wiedergabe einer zusammenhängenden Wortfolge. Vor allem aber verweist die Zitateinleitung gar nicht auf die Tora, sondern auf die Verkündigung der Propheten (vgl. dazu Gunneweg, 1985, 168).

Man argumentiert der Sache nach mit den Anliegen der Tora, beruft sich aber nicht auf sie als legitimierende Schrift und zitiert sie daher auch nicht wörtlich. Ein vergleichbares Vorgehen findet sich etwa in Jer 34,14; Jer 44,4. Auch die sog. Geschichtssummarien (z.B. Num 20,15-16; Dtn 6,21-23; Jos 24) paraphrasieren zwar ausgiebig die Erzählungen des Pentateuch, zitieren aber niemals. Lediglich 2Makk 1,29 – wiederum ein im Rahmen der alttestamentlichen Literaturgeschichte sehr später Text – ergänzt eine Paraphrase von Ex 15,13.17 durch den Verweis „wie Mose gesagt hat“.

5. Jer 26,18. Der neben 2Kön 14,6 ausgeprägteste Fall einer Zitation liegt in Jer 26,18 vor. Dort treten die Ältesten des Landes auf und erklären:

„Micha, der Moreschiter, hat in den Tagen Hiskias, des Königs von Juda, geweissagt und zum ganzen Volk Juda gesprochen (לאמר lə’mor): ‚So spricht Jhwh Zebaoth: Zion wird zum Acker gepflügt, und Jerusalem wird zu Trümmerhaufen und der Berg des Hauses zu Waldeshöhen.‘“

Die Übereinstimmung mit Mi 3,12 ist nahezu vollständig, sodass man davon ausgehen muss, dass dem Autor von Jer 26,17-19 das Michawort schriftlich vorlag (Stipp, 2002). Gleichwohl ist zu beachten, dass die Ältesten nicht auf ein Buch referieren, sondern auf die mündlich ergangene Verkündigung.

2.2.2. Der Sonderfall Deuteronomium

Ein Großteil des Buches → Deuteronomium ist als Moserede gestaltet, in der Mose wiederum mehrfach an Reden Gottes, des Volkes oder an eigene Reden erinnert und diese auch wörtlich zitiert.

Als Beispiel sei Dtn 1,6-18 angeführt. In Dtn 1,6-8 zitiert Mose eine Gottesrede an das Volk, in Dtn 1,9-13 seine eigene Rede an das Volk, in Dtn 1,14 die Antwort des Volkes und in Dtn 1,16-17 eine Moserede an die Richter. Dieses Darstellungsprinzip durchzieht das gesamte Buch, das letzte derartige Zitat findet sich in Dtn 31,2: „… Und Jhwh hat zu mir gesagt: ‚Du wirst den Jordan nicht überqueren.‘ …“.

Insbesondere auf Reden, die im Zusammenhang mit der Gesetzgebung am Gottesberg ergangen sind, nimmt Mose in seiner Mahnrede wiederholt zitierend Bezug (Dtn 5,6-21; Dtn 5,24-27; Dtn 5,28-31.32-33; Dtn 9,12.13-14; Dtn 9,26-29; Dtn 10,1-2; Dtn 10,11), aber auch im eigentlichen Gesetzeskorpus finden sich zwei solche Zitate (Dtn 18,16.17-22). Im Anschluss an Dtn 5,31 muss sogar die gesamte folgende Gesetzesverkündigung als Zitat dessen verstanden werden, was Jhwh am Gottesberg dem Mose mitgeteilt hat.

Der Dekalog Dtn 5,6-21 ist anders als sein Pendant Ex 20,1-17 nicht als direkte Gottesrede gestaltet, sondern als Zitat Moses jener Gottesrede (Dtn 5,4-5):

„4 Von Angesicht zu Angesicht hat Jhwh auf dem Berg mitten aus dem Feuer mit euch geredet – 5 ich stand zwischen Jhwh und euch zu jener Zeit, um euch das Wort Jhwhs zu verkünden, denn ihr fürchtetet euch vor dem Feuer und stieget nicht auf den Berg, – indem er sprach (לאמר lə’mor): ‚ …‘“.

Der literarische Status der Zitate im Deuteronomium ist unterschiedlich. Eindeutig intratextuell ist Dtn 31,2, wo das eigentliche Zitat „Du wirst den Jordan nicht überqueren“ wörtlich Dtn 3,27 entnommen ist. Dagegen ist die Beurteilung des Dekalogs abhängig vom jeweils bevorzugten literargeschichtlichen Pentateuch-Modell. Nach der einen Auffassung zitiert Dtn 5 den Exodus-Dekalog (Kratz, 2000, 131; Köckert, 2007, 42), nach der anderen handelt es sich jedoch um ein „Quasi-Zitat“ (Dohmen), da dem Verfasser von Dtn 5 der Exodus-Dekalog noch nicht vorgelegen habe (Dohmen, 2005, 55; Otto, 2006a, 71; in der Konsequenz ähnlich schon Van Seters, 1994, 270-280). Ein Grenzfall ist die Formulierung im Munde Jhwhs „wie ich (dir/euch) geboten habe“ (etwa Ex 23,15; Lev 8,31; Lev 10,18; Dtn 5,12.16; Dtn 12,21; Dtn 20,17), die Levinson im Sinne eines weiteren Begriffs von Zitat als „citation tag“ bezeichnet (Levinson, 1998, 41.46-48; zur besonderen Kommunikationsstruktur des Deuteronomiums vgl. Hardmeier, 2005).

2.2.3. Zitation von Dokumenten

Ein Grenzfall zwischen Inhaltsangabe und Zitation liegt vor, wenn der Erzähler den Inhalt von Dokumenten mitteilt. Handelt es sich um Requisiten der Erzählung, die – nach Maßgabe des Textes – nicht auf ein Dokument in der Welt der Adressaten referieren, spricht man wohl am besten von Inhaltsangabe. Beispiele sind: der Brief Davids an Joab (2Sam 11,15), der Brief Jehus an die Söhne Ahabs (2Kön 10,6), der Brief des Propheten Elia an König Joram (2Chr 21,12-15) und der Brief Jeremias an die Exilierten in Babylon (Jer 29,4-23). Hierher gehören auch Inschriften: etwa die Tafel bzw. das Rollsiegel des Sohnes Jesajas (Jes 8,1), die Holzblöcke Ezechiels (Ez 37,16), das sprichwörtliche Menetekel (Dan 5,25).

Zwei Grenzfälle seien ausführlich erläutert. Nach dem Tod Sauls singt David ein Klagelied (2Sam 1,19-27). Nicht David als Textakteur, sehr wohl aber der Erzähler kennzeichnet seine Wiedergabe des Liedes als Zitat aus einem Schriftstück (2Sam 1,18): „Siehe, es ist geschrieben im Buch Jaschar.“ Vgl. dazu McCarter, 1984, 67-68.74).

Auf ähnliche Art ist der sog. „Psalm Hiskias“ (Jes 38,10-20) in die Erzählung eingebunden, denn auch dieser wird in Jes 38,9 nicht im Munde Hiskias eingeführt, sondern als Schriftstück, aus dem der Erzähler zitiert: „Ein Schriftstück Hiskias, des Königs von Juda …“. Es ist sicher kein Zufall, dass dieses – narratologisch gesprochen – außerhalb der Erzählwelt stehende Stück im Paralleltext 2Kön 20 fehlt. Die Ausleger werten die auffällige Einfügung des Psalms denn auch nahezu einhellig literarkritisch aus, meinen aber gleichwohl, den vom Redaktor gesetzten Zitationsmarker, das Wort Schriftstück (מכתב miktāv), emendieren zu müssen (Wildberger, 1982, 1442.1454-1455; Kaiser, 1983, 315.320-321).

In diesem Zusammenhang bietet es sich an, auf die Quellenhinweise des → Königebuches einzugehen. Die Darstellung der meisten israelitischen und judäischen Könige beschließt ein Hinweis wie dieser (2Kön 13,12): „Und die übrige Geschichte des Joasch und alles, was er getan hat, und seine Machttaten, wie er mit Amazja, dem König von Juda, Krieg geführt hat, ist das nicht geschrieben im Buch der Geschichte der Könige von Israel?“ Diese Hinweise machen deutlich, dass es zitable Quellen für die Darstellung der Könige gegeben hat, sie machen aber zugleich deutlich, dass das, was im Königebuch tatsächlich geschrieben steht, kein Zitat aus diesen Chroniken ist.

Interessant ist, bei welchen Dokumenten eine Inhaltsangabe bzw. Zitation fehlt: beim Buch, das zur Zeit → Josias im Tempel gefunden wird (2Kön 22), beim Gesetzbuch, das → Esra verliest (Neh 8) und bei der Schriftrolle, die → Jeremia anfertigen lässt (Jer 36). Diese Leerstellen sind fortdauernder Anlass zu Spekulationen darüber, welches Gesetzbuch wohl zur Zeit Josias gefunden worden sein könnte, welchen Umfang das Gesetzbuch des Esra hatte und welche Worte die sog. Urrolle Jeremias umfasste.

Deutlich als Zitate zu verstehen sind dagegen die Dokumente, die in das → Esrabuch eingeflochten sind, denn diese haben – nach Maßgabe der Darstellung – eine aktuelle Bedeutung für die Rezipienten des Buches: ein hebräisches Edikt des → Kyros (Esr 1,2-4), der Anklagebrief gegen Jerusalem an Artaxerxes (Esr 4,11-16), der Antwortbrief des Artaxerxes (Esr 4,17-22), der Brief → Tattenais an Darius (Esr 5,7-17), das aramäische Memorandum über ein Edikt des Kyros (Esr 6,3-5), das Edikt des Darius (Esr 6,6-12) und das Artaxerxes-Edikt (Esr 7,12-26).

Die Markierung als Zitat wird dadurch hervorgehoben, dass der Erzähler ausdrücklich auf ein Dokument verweist, in Esr 4,11.23; Esr 5,6; Esr 7,11 durch die Bezeichnung Abschrift (פַּרְשֶׁגֶן paršægæn), in Esr 6,2 durch die Bezeichnung Memorandum, Protokoll (דִּכְרוֹנָה dikhrônāh). Gunneweg (1985, 84) bemerkt, dass die Vorstellung, man habe eine Abschrift verlesen, auf der Erzählebene sachlich keinen Sinn macht, und übersetzt daher den fraglichen Ausdruck (פַּרְשֶׁגֶן paršægæn) mit „Inhalt“. Wahrscheinlicher aber ist, dass der Autor mit der Verwendung des Terminus Abschrift (פַּרְשֶׁגֶן paršægæn) bewusst die Erzählsituation verlässt, um seinen Adressaten die Authentizität des Zitierten zu versichern: Nicht die Empfänger des Briefes in der Erzählung, sondern die Leser des Buches haben eine Abschrift vorliegen.

Verstärkt wird die Zitathaftigkeit der Briefe und Edikte zudem durch die aramäische Sprache, in der die Dokumente gehalten sind. Auf Esr 1,2-4 trifft Letzteres nicht zu, daher fehlt dort auch die Kennzeichnung als „Abschrift“.

Das erzählerische Mittel der Einflechtung und Zitation von offiziellen Briefen in die Darstellung findet seine Fortsetzung in den → Makkabäerbüchern, in denen eine Vielzahl solcher Dokumente vorkommt.

3. Zitate in prophetischen Reden

Das Thema wurde von Hans Walter Wolff monographisch behandelt. Seine Schlussfolgerung sei als Motto vorangestellt: „Im Zitat wird das Wort des Menschen als Schuld vor Gott bloßgelegt.“ (Wolff, 1937, 112).

Es ist beileibe keine Selbstverständlichkeit, dass in Prophetenworten auch Worte von Zeitgenossen und anderen Sprechern zitiert werden, denn „Prophetenworte werden als Gotteswort erfahren und weitergegeben“ (Rendtorff, 2001, 229). Doch im Prophetenwort kommen Menschenwort und Gotteswort, Gesellschaftsanalyse und Zukunftsansage zusammen (Zenger, 2008, 426). Deutlich wird diese Zweiseitigkeit an der Zweiteilung des Prophetenwortes, die in vielen, vor allem älteren Prophetenworten zu finden ist. Ein erster Teil zeigt die Schuld der Adressaten auf, ein zweiter kündigt die von Gott herbeigeführten Unheilskonsequenzen an (vgl. dazu Westermann, 1964, 93-98; von Rad, 1981, 16-18). Im ersten Teil sind häufig Zitate der Angesprochenen, der zweite Teil wird häufig durch die Formel „So spricht Jhwh“ (כה אמר יהוה koh ’āmar Jhwh) eingeleitet, was für unsere Fragestellung von Belang ist.

3.1. Die Formel „so spricht Jhwh“

Die Formel „so spricht“ (כה אמר koh ’amar) kommt nicht nur in prophetischen Reden vor, dort aber gehäuft und wirkungsgeschichtlich weitreichend, sodass das Thema als Ganzes hier behandelt werden soll (→ Prophetische Redeformen). Nach traditioneller und bis heute weit überwiegender Auffassung handelt es sich dabei um die sog. Botenformel. Der Vorgang wurde idealtypisch so vorgestellt: Bei der Botenbeauftragung instruiert der Sender N.N. den Boten mit den Worten: „So sollst du sagen: ‚So spricht (כה אמר koh ’āmar) N.N.: {Botschaft}‘“. Bei der Botschaftsausrichtung sagt dann der Bote: „So hat N.N. gesprochen (כה אמר koh ’āmar): {Botschaft}.“ Dieser Vorgang wurde „auf das Geschehen der Prophetie übertragen“ (Westermann, 1964, 72). Prophetie besteht nach dieser Auffassung darin, eine zuvor aufgetragene Botschaft wortwörtlich wiederzugeben. Von daher ist die Schlussfolgerung naheliegend:

„Weil der alttestamentlichen Prophetie die Gewißheit zugrunde liegt, kein eigenes Wort zu erzeugen, sondern Botschaftsdienst zu verrichten, kann man ihre Rede im Kernstück ‚Zitat‘ nennen.“ (Wolff, 1937, 38)

Wolff bezeichnet die koh-’amar-Formel in diesem Zusammenhang als „Zitationsformel“. Träfe dies zu, müsste man jedes Prophetenwort, oder zumindest jedes mit der koh-’amar-Formel eingeleitete, als Zitat verstehen. Dieser Mehrheitsauffassung stand und steht eine Minderheitsmeinung entgegen, die sowohl den Botencharakter der alttestamentlichen Prophetie als auch die Zitationsfunktion der koh-’amar-Formel in Frage stellt. Umfassend bearbeitet wurde das Problem von Wagner, 2004, Forschungsüberblick 25-62, an den sich die folgende Darstellung hält.

Danach ist – für die vorliegende Fragestellung aufs Äußerste komprimiert – zu unterscheiden zwischen der einfachen koh-’amar-Formel (כה אמר) „so spricht N.N.: …“ und der erweiterten ki-koh-’amar-Formel כי כה אמר … „denn so hat N.N. gesprochen: …“. Die erste Variante, die sehr häufig in Prophetenworten anzutreffen ist, markiert das Folgende jedoch nicht als Zitat, sondern dient zunächst der Identifikation desjenigen, dessen Worte gerade verlauten. Zudem hat die Formel proklamatorische Funktion, d.h. beim Aussprechen der Worte durch den Sprecher spricht zugleich der in der koh-’amar-Formel Genannte (deklarativer Sprechakt). Der Vorgang ähnelt dem der amtlichen Verkündigung eines königlichen Erlasses, zum Vergleich kann man etwa Esr 1,2 oder die Behistun-Inschrift Darius’ (TUAT I/4, 419-450) heranziehen. Vgl. die Zusammenfassung bei Wagner, 2004, 308-313.

Im Unterschied dazu leitet die erweiterte ki-koh-’amar-Formel – und nur diese – tatsächlich Zitate ein, und dies nicht nur in Prophetenworten, sondern auch in Erzählzusammenhängen. Als Beispiel sei Am 7,10-11 genannt:

Und Amazja, der Priester von Bethel, sandte zu Jerobeam, dem König von Israel, und ließ sagen (לאמר lə’mor): „Amos betreibt eine Verschwörung gegen dich mitten im Haus Israel. Das Land kann all seine Worte nicht ertragen. Denn so hat Amos gesprochen (כי־כה אמר עמוס): ‚Durchs Schwert wird Jerobeam sterben, und Israel wird ganz bestimmt aus seinem Land gefangen wegziehen.‘“

Es ist ganz offensichtlich, dass hier keine Botenformel vorliegt, denn von Amos stammt der Auftrag, Jerobeam zu informieren, nicht. Der Bote vermeldet vielmehr im Auftrag des → Amazja eine prägnante Zusammenfassung der Verkündigung des Amos und gibt diese als Zitat aus. Weitere Beispiele für diesen Gebrauch der ki-koh-’amar-Formel sind Jos 7,13; 1Kön 11,31; 1Kön 17,14; 2Kön 4,43 (vgl. Wagner, 2004, 153-159).

Die Zitatfunktion der ki-koh-’amar-Formel findet auch in Prophetenworten Verwendung. Am 5,4 muss wohl so übersetzt werden: „Denn so hat Jhwh zum Haus Israel gesprochen (כי כה אמר יהוה לבית ישׂראל): ‚Sucht mich, so werdet ihr leben!‘ …“. Amos verkündet hier kein aktuelles Jhwhwort, vielmehr „handelt es sich am ehesten um ein Zitat aus der Tradition“ (Jeremias, 1995, 65; Wagner, 2004, 209-218).

Jer 4,3 lautet: „Denn so hat Jhwh gesprochen (כי כה אמר יהוה) zu den Männern von Juda und zu Jerusalem: ‚Brecht euch einen Neubruch (נירו לכם ניר) und sät nicht unter die Dornen!‘“ und zitiert damit Hos 10,12: „Säet euch nach Gerechtigkeit! Erntet gemäß der Gnade! Brecht euch einen Neubruch (נירו לכם ניר)! …“.

Dieses und weitere Beispiele für die Verwendung der ki-koh-’amar-Formel bei Wagner, 2004, 219-244.

3.2. Buchtypische Verwendungen des Stilmittels „Zitat“

Vorauszuschicken ist, dass das Stilmittel des Zitats in Redetexten zu unterscheiden ist von dem des Sprecherwechsels. Letzteres kommt in den Prophetenbüchern, aber auch in den Psalmen häufig vor, und ist Ausdruck des dramatischen Charakters dieser Texte (Utzschneider, 2005, 11-16). Beim Zitat liegt gerade kein Sprecherwechsel vor, vielmehr signalisiert der Sprecher, dass es jetzt er selbst ist, der etwas sagt, was zuvor ein anderer oder andere gesagt haben. Sprecherwechsel sind oft ohne Einleitung, Zitate werden dagegen durch die ki-koh-’amar-Formel und andere Sprechaktbezeichner markiert.

Was für das Amosbuch generell gilt, dass es für die prophetischen Redeformen schulbildend war (zweiteiliges Gerichtswort, Wehruf), gilt auch für den Einsatz des Stilmittels des Zitats. Am 4,1-3 wendet sich gegen die reichen Damen von Samaria (Am 4,1):

„Hört dies Wort, ihr Kühe Baschans auf dem Berg Samarias, die die Geringen unterdrücken, / die Armen schinden, und zu ihren Herren sagen: / ‚Bring her, dass wir trinken!‘ …“.

Im ersten, anklagenden Teil des Wortes zitiert Amos die Protzerei der Frauen. Die direkte Rede verstärkt den Eindruck der Verwerflichkeit solchen Tuns. Darauf folgt die hier als Schwurrede gestaltete Gerichtsankündigung. Ein ähnliches Zitat findet sich in Am 6,13.

Das oben bereits besprochene Traditionszitat Am 5,4 wird in Am 5,14 weitergeführt: „Sucht das Gute und nicht das Böse, damit ihr lebt, und auf dass so Jhwh, der Gott der Heerscharen, mit euch sei, wie ihr sagt.“ Die abschließende Wendung „wie ihr sagt“ (כַּאֲשֶׁר אֲמַרְתֶם ka’ǎšær ’ǎmartæm) weist das Vorhergehende als Zitat einer verbreiteten Auffassung aus, obgleich diese in der 1. Pers. Pl. formuliert sein müsste (vgl. dazu Mays, 1981, 101-102; Sweeney, 2000, 236-237). Zur Zitationsweise bei Amos vgl. zusammenfassend Wolff, 1969, 116.

Im Hoseabuch spielt das Stilmittel des Zitats keine Rolle, sehr wohl dagegen im Michabuch. Ähnlich wie Am 5,14 werden an zwei Stellen gängige Worte zitiert, die den Angesprochenen als – in den Augen Michas trügerische – Versicherung dienen, dass Gott ihnen zugewandt ist (Mi 2,6-7; Mi 3,11).

Im Michabuch wird in Mi 3,5 zum ersten Mal jenes Wort zitiert, das die prophetischen Gegner im Munde führen und dass ihnen den Namen „Heilspropheten“ eingebracht hat: „So spricht Jhwh über die Propheten, die mein Volk irreführen: Wenn sie etwas zu beißen haben, / rufen sie: ‚Frieden / Heil!‘ …“. Die Zitierung und damit verbundene Zurückweisung des Heilsrufes der sog. Heilspropheten ist ein mehrfach wiederkehrendes Stilmittel in der Schriftprophetie (Jer 6,14; Jer 8,11; Jer 23,17; Ez 13,10). Zur Zitationsweise bei Micha vgl. zusammenfassend Wolff, 1982, xviii-xix.

Für Jesaja ist charakteristisch, dass bei ihm das Zitat der Äußerung und die eigene Bewertung desselben in eins fallen. Die Äußerungen der Jerusalemer Kultpropheten gibt er so wieder (Jes 28,10): „Denn er [der Prophet] sagt: ‚Zaw la zaw, zaw la zaw, kaw la kaw, kaw la kaw, hier ein wenig, da ein wenig!‘“ Dass Jesaja sinnlose Laute reproduziert, ist zugleich ein Urteil über deren Urheber. In Jes 28,15 zitiert Jesaja die politische Elite Jerusalems: „Denn ihr sagt: ‚Wir haben einen Bund mit dem Tod geschlossen und mit dem Scheol einen Vertrag gemacht. Wenn die einherflutende Geißel hindurchfährt, wird sie uns nicht erreichen, denn wir haben Lüge zu unserer Zuflucht gemacht und in Trug uns geborgen.‘“ Wahrscheinlich haben die Zitierten etwas in der Art gesagt: „Wir haben einen Bund mit einer verlässlichen Großmacht geschlossen …“, doch für Jesaja ist dies ein Bündnis, das ins Verderben führt, also ein Bund mit dem Tod. Und diese, seine eigene Bewertung legt er seinen Gegnern in den Mund, die sich damit selbst bezichtigen. In Jes 30,10-11 zitiert Jesaja Aufforderungen des Volkes an die Seher: „… die zu den Sehern sagen: ‚Seht nicht!‘ und zu den Schauenden: ‚Schaut uns nicht das Richtige! Sagt uns Schmeicheleien! Schaut uns Täuschungen! Weicht ab vom Weg, biegt ab vom Pfad! Lasst uns in Ruhe mit dem Heiligen Israels!‘“ Es ist natürlich das Urteil Jesajas, dass das, was die Leute hören wollen, Schmeicheleien und Täuschungen sind. In Jes 30,16 wendet Jesaja eine andere Strategie an. Das Zitat bringt zwar die Haltung der Gegner zum Ausdruck, ist aber so gestaltet, dass sich die Entgegnung Jesajas effektvoll anschließen lässt: „Ihr sagtet: ‚Nein, sondern auf Pferden wollen wir fliegen‘, darum werdet ihr fliehen; und: ‚Auf Rennern wollen wir reiten‘, darum werden eure Verfolger hinter euch her rennen.“ Zur Zitationsweise bei Jesaja vgl. zusammenfassend Wildberger, 1982, 1699-1701.

Deuterojesaja und Tritojesaja greifen nur vereinzelt zum Stilmittel des Zitats, solche von Gegnern gibt es gar nicht. Stattdessen werden zweimal Stimmen zitiert, die an der deuterojesajanischen Trostbotschaft zweifeln, einmal das Volk (Jes 40,27): „Warum sagst du, Jakob, und sprichst du, Israel: ‚Mein Weg ist verborgen vor Jhwh, und meinem Gott entgeht mein Recht?‘“, das andere Mal Jerusalem (Jes 49,14): „Aber Zion sagt: ‚Verlassen hat mich Jhwh, der Herr hat mich vergessen.‘ …“.

Weiter ist das zweite → Gottesknechtslied (Jes 49,1-6) zu nennen, das ab Jes 49,3 nur noch aus Zitaten besteht. Zunächst zitiert der Gottesknecht seine Erwählung durch Jhwh und seinen Einwand (Jes 49,3-4): „Und er sprach zu mir: ‚Mein Knecht bist du, Israel, an dem ich mich verherrlichen werde.‘ Ich aber sprach: ‚Umsonst habe ich mich abgemüht …‘“. Schließlich wird noch einmal Jhwh zitiert (Jes 49,5-6): „Aber jetzt spricht / sprach Jhwh …“. (vgl. die schematische Darstellung der Kommunikationsstruktur bei Hermisson, 2003, 330).

Darüber hinaus können Jes 45,19; Jes 52,7 als Zitat verstanden werden, sowie in Tritojesaja Jes 56,12; Jes 58,3; Jes 65,8 und Jes 66,5.

In Jer 7,4 zitiert Jeremia seine Gegner, die im Tempel eine Heilsgarantie sehen: „Und verlasst euch nicht auf die Lügenworte (לאמר lə’mor): ‚Der Tempel Jhwhs, der Tempel Jhwhs, der Tempel Jhwhs!‘ – diese / sie (הֵמָה hemāh), …“. Der Anfang des Zitats ist durch die Redeeinleitung לאמר lə’mor markiert, diskutiert wird, ob das ungewöhnliche הֵמָה hemāh das Zitatende markieren soll (vgl. dazu Fischer, 2005, 297). Thematisch ähnlich gelagert werden auch die Worte derer, die auf die starke Befestigung Jerusalems vertrauen, zitiert (Jer 21,13).

Solche Zitate der Gegner Jeremias, die anders als bei Jesaja tatsächlich deren Standpunkt zum Ausdruck bringen, sind typisch für Jeremia. So lautet der Vorwurf in Jer 8,8: „Wie könnt ihr sagen: ‚Wir sind weise, und das Gesetz Jhwhs ist bei uns?‘ Aber siehe! Zur Lüge hat es der Lügengriffel der Schriftgelehrten gemacht. …“. In den sog. Konfessionen werden die Anschlagspläne der Feinde Jeremias als Zitat eingeführt (Jer 11,19.21; Jer 18,18; Jer 20,10). Mehrfach werden auch die Worte der prophetischen Gegner Jeremias zitiert, zunächst der Inhalt (Jer 6,14; Jer 8,11; Jer 23,17), im sog. Propheten-Zyklus aber auch die metakommunikativen Formeln, die diese Propheten verwenden (Jer 23,25, Jer 23,31; Jer 23,34.38). Zitate volkstümlicher Auffassungen treten gehäuft in Jer 2 auf (nach Fischer, 2005, 64, elf Zitate). Zur Zitationsweise bei Jeremia vgl. zusammenfassend Trapp, 1992; Fischer, 2005, 64.

Im Ezechielbuch dient das Zitat in besonderer Weise der Auseinandersetzung des in der babylonischen Deportation wirkenden Propheten mit den im Land Juda Zurückgebliebenen. Deren Haltung und Selbstverständnis werden mehrfach in Form von Zitaten in das Gotteswort eingeflochten (Ez 8,12; Ez 11,3; Ez 11,15; Ez 18,2.19.25; Ez 33,23). Zur Zitationsweise bei Ezechiel vgl. zusammenfassend Zimmerli, 1979, 54*-55*).

Notierenswerte Beispiele für Zitate gibt es wieder im Sacharjabuch. Der Autor von Sach 1,1-6 gibt sich als Glied in der Sukzession von Propheten zu verstehen, indem er in Anlehnung an Jer 25,5 die Verkündigung seiner Vorgänger zitiert (Sach 1,4): „Seid nicht wie eure Väter, denen die früheren Propheten zuriefen: ‚So spricht Jhwh Zebaoth: Kehrt doch um von euren bösen Wegen und von euren bösen Taten!‘ …“.

Dient in Sach 1,4 das Zitat der Betonung der Kontinuität der prophetischen Verkündigung, so hat das Zitat von Am 7,14 in Sach 13,5 die gegenteilige Absicht: „So einer wird sagen: ‚Ich bin kein Prophet (לא נביא אנכי), ein Mann, der seinen Acker bebaut, bin ich, denn der Ackerbau ist mein Erwerb von meiner Jugend an.‘ …“. Obwohl nicht durch Einleitung als Zitat markiert, ist die Übereinstimmung in der Formulierung „Ich bin kein Prophet“ im Verbund mit der Weiterführung zum Thema Broterwerb so signifikant, dass von einem bewussten Zitat ausgegangen werden muss (vgl. dazu ausführlich Willi-Plein, 2007, 206-210).

4. Zitate in den Psalmen und Threni

Wie die Prophetensprüche so sind auch die Psalmen Reden und weisen die typischen Gestaltungsmittel wie Sprecherwechsel, Adressatenwechsel und Zitation auf. Letzteres findet sich in den Psalmen freilich bedeutend seltener als in den Prophetenbüchern, sodass die folgende Darstellung auf eine gewisse Vollständigkeit hoffen darf.

Zitiert werden neben Worten von menschlichen Zeitgenossen des Psalmbeters auch Gottesworte. Das ist erklärungsbedürftig, weil Psalmen eigentlich ganz überwiegend Gebete an Gott sind: „Die zitierten Gottesworte haben als Argumentationsbasis eine dienende Funktion“ (Koenen, 1996, 71, zum Ganzen 29-66). Dabei sind solche Gottesworte, die in die Gegenwart des Psalmbeters hineinsprechen – es handelt sich um Fälle von Sprecherwechsel, die hier unberücksichtigt bleiben können – zu unterscheiden von denen, die Gott früher gesprochen hat und jetzt zitiert werden.

Ein Teil der zitierten Gottesworte ruft Zusagen an König David oder an die Davididen in Erinnerung (Ps 2,7-9; Ps 21,9-13; Ps 89,3-5.20-23.35-38; Ps 110,1.4; Ps 132,11-12.14-18). Diese stammen wohl zum Teil aus Krönungs- und / oder Jubiläums-Zeremonien, wie etwa Ps 2,7-9: „Ich [der König] will die Urkunde Jhwhs zitieren (אספרה חק יהוה)! / Er hat zu mir gesprochen (אמר אלי): ‚Mein Sohn bist du, …“. In Ps 110,1 zitiert eine Amtsperson im Auftrag des Königs die Herrschaftszusage: „Spruch Jhwhs für meinen Herrn: ‚Setze dich zu meiner Rechten, / bis ich deine Feinde gemacht habe / zum Schemel deiner Füße!‘“

Ein anderer Teil zitiert Heilszusagen an das Volk (Ps 60,8-10 // Ps 108,8-10; Ps 68,13-14.23-24; Ps 105,11.15) oder in einem Fall auch einen Schuldspruch über das Volk (Ps 95,10).

Bisweilen ist nicht eindeutig, ob ein Zitat vorliegt oder nicht, so etwa im Falle der Gottesrede Ps 82,2-7. Nach Auffassung von Koenen (1996, 62) zitieren diese Verse eine Rede, die Gott im himmlischen Thronrat gehalten hat. Es fehlt aber eine entsprechende Einleitung, sodass man auch an Figurenrede zu denken hat (so Hossfeld / Zenger, 2000, 480-481).

Ps 90,3 rekurriert je nach Deutung auf ein Grundsatzwort Gottes am Anfang der Menschheitsgeschichte: „… und du sprachst (ותאמר wattomær): ‚Kehrt um, ihr Menschensöhne!‘“ (Koenen, 1996, 30) oder auf den beständigen Wechsel der Generationen. In diesem Sinne übersetzt Krüger (1997, 73) „und hast dann immer wieder gesagt (ותאמר): ‚Kehrt zurück, Menschen-Kinder!‘“ und wahrt damit den Zitatcharakter, während Hossfeld / Zenger (2000, 610) ein präsentisch-iteratives Verständnis vertreten: „und sprichst (ותאמר wattomær): „Kehrt zurück, Adamskinder!‘“, womit kein Zitat mehr vorliegt.

Insgesamt fällt auf, dass ein überproportional großer Anteil der zitierten Gottesworte in den Königspsalmen zu finden ist. Herrschaft kann im Alten Orient und im Alten Israel grundsätzlich nur von Gott legitimiert werden.

Die aus Menschenmund stammenden Zitate sind überwiegend Äußerungen von Gegnern des Psalmbeters und dienen damit der Profilierung der Kontroverse. Man kann diese Zitate unterteilen in solche, die als Teil der Feindklage den Gegnern des Beters in den Mund gelegt werden (Ps 3,3; Ps 22,9; Ps 35,21.25; Ps 41,6; Ps 59,8; Ps 64,6; Ps 70,4; Ps 71,11), und solche, die in eher typisierender Weise den Sprecher als Gottlosen oder als Feind des Volkes charakterisieren sollen (Ps 10,4.6.11.13; Ps 12,5; Ps 14,1 // Ps 53,2; Ps 73,11; Ps 74,8; Ps 79,10; Ps 83,5; Ps 94,7; Ps 137,7). Nur zwei Zitate stammen nicht aus dem Mund von Gegnern: Ps 4,7 gibt die zweifelnde Frage vieler Unbekannter wieder: „Viele sagen (רבים אמרים rabbîm ’omrîm): ‚Wer wird uns Gutes schauen lassen?‘ …“. Ps 11,1-3 zitiert eine unwillkommene Aufforderung zur Flucht (vgl. dazu Seybold, 2003, 304-305).

Die Klagelieder zeigen im Wesentlichen einen ähnlichen Gebrauch des Zitats. Klgl 2,15.16 zitieren Gegner des Beters, während Klgl 2,12 und Klgl 3,18.54 die Gegenseite, die gegenwärtig Leidenden, zitieren. Klgl 3,54-57 stellen mit drei oder gar vier Zitaten ein kurzes Drama dar: Klgl 3,54 zitiert den bedrohten Beter: „Ich bin verloren“. Er ruft den Namen „Jhwh“ (Klgl 3,55) und die Bitte „Verbirg nicht dein Ohr meinem Stöhnen!“ (Klgl 3,56), sodass schließlich Gott antwortet: „Fürchte dich nicht!“ (Klgl 3,57). Weitere Zitate liegen in Klgl 4,15.20 vor.

5. Zitate im Predigerbuch

Ein Problem ganz eigener Art stellt das → Predigerbuch dar, denn es ist offensichtlich, dass darin eine Mehrzahl von Meinungen und Ansichten zu Wort kommt. Während ein Teil der Ausleger diese Divergenzen biographisch oder literarkritisch lösen will (Forschungsgeschichte bei Krüger, 2000, 32-35), vertreten andere die Auffassung, Kohelet zitiere an vielen Stellen abweichende Auffassungen, die er dann diskutiert und abweist, das sog. „Zitatenmodell“ (Forschungsgeschichte bei Schwienhorst-Schönberger, 2004, 67-68). Notorisch schwierig ist dabei die Identifikation der zitierten Worte (Krüger, 2000, 24), denn die üblichen Zitationsmarker (etwa Varianten der Wurzel אָמַר ’āmar „sagen“ oder andere) fehlen. Als Zitat erkennbar sind diese eingestreuten Sentenzen daher zum einen an ihrer geschlossenen Gestaltung: „Sie heben sich durch ihre formale Gestaltung (etwa durch den Parallelismus membrorum) vom Kontext ab und formulieren inhaltlich eine aus sich selbst verständliche Behauptung“ (Krüger, 2000, 24). Zum andern sind sie an ihrer inhaltlichen Abweichung identifizierbar: „Nach allem, was bisher von Kohelet zur Frage nach dem, was ‚gut‘ ist gesagt wurde, kann Pred 7,3 nicht die Meinung Kohelets sein.“ (Schwienhorst-Schönberger, 2004, 368).

Im Falle von Pred 7,1-14 hilft zudem die Einleitung Pred 6,10-12, insbesondere Pred 6,11: „Denn es gibt viele Worte, die die Nichtigkeit nur größer machen. Welchen Nutzen hat der Mensch davon?“ Solche Worte werden – darin besteht ein gewisser Konsens – in Pred 7,1-6a und Pred 7,8-12 zitiert und in Pred 7,6b-7 und Pred 7,13-14 kommentiert (Krüger, 2000, 250-254; Schwienhorst-Schönberger, 2004, 368-383 mit kleinen Unterschieden).

Dennoch scheint die Schwierigkeit, Zitat und Kommentar bei Kohelet eindeutig zu trennen, nicht nur an der kulturellen Distanz zwischen damals und heute zu liegen, sondern zumindest in einigen Teilen beabsichtigt zu sein. Kohelet ziele auf „Mehrdeutigkeit …, um die Leser zu einer mehrfachen Lektüre sowie zu einer eigenen Urteilsbildung zu provozieren“ (Krüger, 2000, 37; Schwienhorst-Schönberger, 2004, 68-69).

Als Beispiel für die Schwierigkeiten bei der Identifikation von Zitaten sei Pred 7,26 herangezogen. Eine Übersetzungsmöglichkeit lautet „Da finde ich nun bitterer als den Tod das Weib (ומוצא אני מר ממות את־האשׁה), …“ und lässt sich als eine „Beobachtung“ Kohelets verstehen (Hertzberg, 1963, 138.157). Andere übersetzen „Und dauernd finde ich: Bitterer als der Tod ist die Frau. …“ und verstehen dies im Sinne von „Dauernd finde ich die Ansicht“ und damit als Zitat einer anderen Meinung (Schwienhorst-Schönberger, 2004, 68.400-404; Forschungsgeschichte 402).

Literaturverzeichnis

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  • Zimmerli, W., 1979, Ezechiel (BK XIII/1), 2. Aufl., Neukirchen-Vluyn

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