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(erstellt: Februar 2008)

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1. Alter Orient

Wuestentiere 1

Zu den Topoi, die die gegenmenschliche Welt beschreiben, gehören im Alten Orient neben Gebirge und Sumpf besonders Trümmer und Ruinen, die von bestimmten Tieren bevölkert werden. Eine wichtige Aufgabe des altorientalischen Königs ist es daher, diese Tiere zu jagen, um damit die Ordnung des Reiches zu garantieren (Maul, 2000, 24) beziehungsweise das Land der Feinde der Vernichtung anheim zu stellen, um so die eigene Macht zu demonstrieren. → Assurbanipal beschreibt die Wüste als „eine Stätte des Durstes und Hungers, wo kein Vogel des Himmels je geflogen ist, worin keine Wildesel (und) Gazellen je geweidet haben“ (Prisma A VIII 87-90; Weippert, 1973/74, 43) und als „Region des Dursts, die Stätte des Hungers … wo es Steppengetier nicht gibt und die Vögel des Himmels nicht nisten“ (Prisma A VIII 106-110; Weippert, 1973/74, 44). In der Thronfolgevereidigung → Asarhaddons werden bei Vertragsbruch nicht nur Krankheiten angedroht, die Sin auferlegen soll, sondern auch Verwilderung: „Wie ein Wildesel, eine Gazelle in der Steppe sollt ihr umherlaufen!“ (kīma serrēme ṣabīti ṣēru rupdā; TUAT I, 170, §39). Die Inschrift → Sfire I A 32f. droht die Verwüstung Arpads an: „…Sein Gras soll zur Einöde werden, und Arpad soll ein Ruinenhügel werden, als [Lagerstätte des Wildgetiers und] der Gazellen und der Schakale / Füchse [שׁעל] und der Hasen und der Wildkatzen und der Eulen und der …, die das und der Elstern!“ (KAI 222). Die Vernichtungsschilderung in der Inschrift von Tell Dēr ‘Allā (→ Sukkot [Tell Der Alla]) beschreibt das Ergebnis der Verwüstung folgendermaßen: „Wo der Stecken Schafe weidete, fressen (nun) Hasen das [G]ras“ (Z. 30; Weippert / Weippert, 1982, 103; TUAT II, 138ff). Die ägyptische Prophetie des Neferti (Z. 35f.) droht an, dass das Chaos unter anderem in Gestalt wilder Tiere aus der Wüste, die das Wasser des Nils trinken werden, in Ägypten einbricht (TUAT II, 102ff).

Auch im Bildmaterial ist die Vorstellung vertreten, dass zur gegenmenschlichen Welt bestimmte Tiere wie der Wildesel bzw. der Onager, Hund und Schwein gehören, wenn z.B. die Dämonin Lamaschtu stehend auf einem Onager [→ Wildesel] dargestellt wird (Abb. 1).

2. Altes Testament

2.1. Tiere als Exponenten einer feindlichen Welt

Ähnlich wie im Alten Orient gehört im Alten Testament zur Beschreibung von Trümmerstätten die Nennung der unheimlichen Tiere, die in den Ruinen und der Verwüstung hausen (Riede, 2000, bes. 377-390). Zu den Tieren, die die Wüste zum lebensgefährlichen Ort machen gehören u.a. → Gazellen, → ZiegenböckeWildesel, verschiedene → Vögel (→ Eule), heulende Tiere (→ Dämonen), → Strauß, → Schakal, → Löwe oder → Schlange und → Skorpion. Die ausführlichsten Beschreibungen solcher Szenerien finden sich im Fluch über Babylon in Jes 13,21f. sowie über Edom in Jes 34,11-15.

Häufig lassen sich die genannten Tiere im naturwissenschaftlich zoologischen Sinn nicht eindeutig bestimmen. Das hat wohl zwei Gründe: Erstens entziehen sich die biblisch-hebräischen Tiernamen dem exakten System gegenwärtiger Naturwissenschaft. Sie wollen kein solches System darstellen bzw. ist ein solches nicht mehr zu erschließen (vgl. Müller, 1991, 185-205). Zweitens erscheint die Funktion der genannten Wesen und Tiere in den Texten des Alten Testaments viel wichtiger als ihre exakte zoologische Einordnung. Ruinen, Wüste und Sumpf werden durch die Tiere, die als „typische Exponenten einer gegenmenschlichen, menschenbedrohenden Welt“ (Riede, 2003, 292; vgl. Janowski / Neumann-Gorsolke, 1993, 217: „Dämonische[ ], dem Menschen und seiner Lebenswelt feindlich gesonnene[ ] Mächte[ ]“) gelten, zu „Bereichen der Antiordnung“ (Riede, 2003, 294). Wenn die Wesen und Tiere nicht eindeutig zu identifizieren sind, werden sie noch unheimlicher und weniger fassbar.

2.2. Wüstlinge (ציים)

In Jes 13,21, Jes 34,14 und Jer 50,39 werden im Zusammenhang mit prophetischen Schilderungen der Ruinen Babylons und Edoms verschiedene Tiere genannt, zu denen u.a. die ציים ṣijjîm (→ Dämonen) gehören. In Jes 23,13, Ps 72,9 und Ps 74,14 wird das Wort für Menschen gebraucht.

2.2.1. Begriff

Der Begriff ציים ṣijjîm kann wohl am Besten mit „Wüstlinge“ übersetzt werden. Er leitet sich aus einer hypothetischen Wurzel צִיי ṣîj* ab und ist verwandt mit dem Begriff ציה ṣijjāh „Trockenlandschaft / trocken“. Da eine genaue zoologische Bestimmung des Begriffs nicht möglich ist, werden die ציים ṣijjîm häufig auch als → Dämonen verstanden.

2.2.2. Verwendung

1) Tiere: Die „Wüstlinge“ ציים ṣijjîm sind nach Jes 13,21-11; Jes 34,14 und Jer 50,39 fest in den Topos der Vernichtungsschilderung von Städten eingebunden. Eine genaue Identifizierung des Begriffs wird anscheinend von den Texten selbst vermieden. Möglicherweise ist diese Uneindeutigkeit beabsichtigt, um die Ungreifbarkeit der peripheren Gegenwelt zu betonen. Es geht den Texten um die eindrückliche Schilderung dessen, was aus der Abwendung von Jahwe entsteht bzw. wie die Peripherie durch die Zuwendung Gottes zum Lebensraum umgekehrt werden kann. So wird einerseits den unheimlichen Szenen eine eigene, von Jahwes Wirken unabhängige Realität abgesprochen und erfahren andererseits die Bilder eine besondere Eindrücklichkeit.

Jes 34,13f. und Jer 50,39 gebrauchen die Begriffe ציים ṣijjîm und איים ’ijjîm „Heuler“ parallel (→ Dämonen). Neben → Schakal (תנים tannîm), → Strauß (בנות יענה bənôt ja‘anāh), → Ziegenbock (שׂעיר śā‘îr) und → Lilit bevölkern ציים ṣijjîm und איים ’ijjîm die Trümmer Edoms in Jes 34,13-14. Jer 50,39 zählt איים ’ijjîm und ציים ṣijjîm und sowie Strauße (בנות יענה bənôt ja‘anāh) unter die Trümmerbewohner → Babylons.

Jes 13,21f. berichtet in der Vision von der Zerstörung Babylons davon, dass neben den „Wüstlingen“ (ציים ṣijjîm) und „Heulern“ (איים ’ijjîm, אחים ’ochîm [→ Eule)] auch Schakale (תנים tannîm), Ziegenböcke (שׂעירים śə‘îrîm) und Strauße (בנות יענה bənôt ja‘anāh) die Trümmer bevölkern.

2) Menschen: Die ציים ṣijjîm scheinen, wenn sie in Jes 23,13 sowie Ps 72,9 und Ps 74,14 allein verwendet werden, eher menschliche „Wüstlinge“ bzw. Wüstenbewohner zu bezeichnen, die ebenfalls im Kontext von Vernichtung genannt werden.

Für Jes 23,13 legt sich statt ציים ṣijjîm II die Bedeutung ṣî I „Schiff“ nahe (vgl. Num 24,24; Jes 33,21; Ez 30,9; Dan 11,30). Möglicherweise ist aber in der Wortwahl die Assoziation mit der – auch hier im Hintergrund stehenden – Verwüstung einer Stadt bzw. eines Landes beabsichtigt, so dass zumindest eine Doppeldeutigkeit im Vers enthalten wäre: „Denn Assur hat es bestimmt für Wüstlinge“ – d.h. entweder für ein Wüstenvolk oder wüste Menschen, die das zerstörte Land in Besitz nehmen.

Ps 72,8-11 listet (fremdländische) Machthaber auf, die sich dem König beugen müssen. In diesem Kontext können wohl auch die ציים ṣijjîm in Ps 72,9 als menschliche „Wüstlinge“, d.h. als Wüstenbewohner, verstanden werden, so dass hier der Herrschaftsbereich des Königs von den Enden der Erde bzw. vom Meer bis in die Wüste gezogen würde.

Ps 74,14 spricht davon, dass Jahwe das zerschlagene Haupt des → Leviatans dem Volk, den ציים ṣijjîm (לעם לציים) zum Fraß vorwirft. Mit dem Aussetzen eines Wasserwesens wie des Leviatans in der Trockenheit der Wüste sowie sein Gefressenwerden durch Wüstenwesen (vgl. Ps 63,11) wird die Machtenthebung und Tötung des Leviatans besonders drastisch in Szene gesetzt (vgl. 4Esra 6,49-52).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

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  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
  • Biblisches Reallexikon, 2. Aufl., Tübingen 1977
  • Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 5. Aufl., München / Zürich 1994-1995
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • Dictionary of Deities and Demons in the Bible, 2. Aufl., Leiden 1999
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003

2. Weitere Literatur

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Abbildungsverzeichnis

  • Die Dämonin Lamaschtu, auf einem Onager reitend (Amulett aus Stein, Nordwestmesopotamien, 800-550 v. Chr.). Aus: O. Keel, Das Recht der Bilder gesehen zu werden. Drei Fallstudien zur Methode der Interpretation altorientalischer Bilder (OBO 122), Freiburg (Schweiz) / Göttingen 1992, Abb. 283; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz

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