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Rahab (Chaoswesen)

(erstellt: Mai 2010)

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1. Rahab, das mythische Seeungeheuer

Rahab (רַהַב rahav) von der Wurzel רהב rhb (Qal: „bestürmen / zusetzen“; Hif.: „bedrängen / verwirren“) bezeichnet ein mythisches Ungeheuer, das sechsmal im Alten Testament und einmal im Sirach-Buch genannt wird. In Hi 26,12, Ps 89,10f, Jes 51,9 sowie Sir 43,25 wird es im Kontext des Meeres verortet, so dass man davon ausgehen kann, dass es sich bei Rahab um ein Meeresungeheuer handelt (s.u.). Auf einen möglichen mesopotamischen Hintergrund von Rahab weist akkadisch rūbu, rubbu, da der Ausdruck auch das Überwallen von Wasser bezeichnen kann (s. Rüterswörden, 1993, 375).

Weniger durch seine Beziehung zum Meer als vielmehr auf Grund der Tatsache, dass Gott Rahab bezwungen hat, wird das Land Ägypten in Jes 30,7 und Ps 87,4 als „Rahab“ bezeichnet (s.u. 2.).

1.1. Rahab als Repräsentant des gottfeindlichen Meeres

Rahab Chaoswesem 1
Das Alte Testament teilt mit seiner Umwelt die Vorstellung, dass (Welt-)Schöpfung erst durch den Sieg eines Gottes über chaotische Mächte (→ Chaos) möglich wird. Zu diesen zählt auch das → Meer, welches das Land in der Vorzeit mit seinen Wassern überzogen hat. Ein assyrisches Rollsiegel aus Ninive könnte einen solchen Kampf auf ein wässriges Chaosmonster darstellen. Im babylonischen Epos → Enuma elisch ermöglicht der Sieg des Gottes → Marduk über die Urgottheit → Tiamat (Urozean) die Schaffung von Himmel und Erde (→ Schöpfung). Auch in der Literatur → Ugarits bildet das Meer (ugaritsch jammu) eine solche Chaosmacht, die von dem Gott → Baal besiegt werden muss. → Leviatan und Tannin (→ Schlange 3.2.) repräsentieren als Wesen des Meeres dessen chaotische, ursprünglich widergöttliche Macht sowohl in Ugarit als auch im Alten Testament. Rahab, aus Ugarit nicht bekannt, kommt im Alten Testament als drittes Monster noch hinzu. Doch anders als in Ugarit, wo der Gott Jammu jährlich wieder von Baal besiegt werden muss, gehen die Texte des Alten Testaments davon aus, dass Jhwh diese Bedrohung des Chaos ein für alle mal besiegt hat. In Ps 89,10 und Hi 26,12 klingt dieser Kampf aber noch an.

1. Ps 89,10f.: „10 Du beherrschst des Meeres Toben, erheben sich seine Wogen – du stillst sie. 11 Du hast Rahab zertreten, wie einen Erschlagenen, mit deinem starken Arm hast du deine Feinde zerstreut.“ In V. 11 kann sich Rahab angesichts der Nennung des Meeres in V. 10 auf das Meeresungeheuer beziehen, angesichts der Nennung von „Feinden“ aber auch auf die Feindmacht Ägypten. In jedem Fall sind Jhwhs urzeitliches Schöpferwirken, die Eingrenzung und Unterwerfung des Meeres sowie sein Wirken in der Geschichte Israels hier miteinander verbunden, um Jhwh als Herrn der Welt darzustellen.

2. Hi 26,12. Auch in Hi 26,12 („Durch seine Kraft hat er [sc. Jhwh] das Meer erregt und durch seine Klugheit Rahab zerschmettert.“) begegnet man dem urzeitlichen Sieg Jhwhs über das Meer und dessen Repräsentanten, hier Rahab. Es ist die „Klugheit“ Jhwhs, durch die er den Chaosmonstern überlegen ist und sie letztendlich besiegen kann. Die parallele Stellung von „Meer“ und „Rahab“ weist darauf hin, dass es sich bei Rahab um ein Seeungeheuer handelt.

3. Hi 9,13. In Hi 9,13 ist von den „Helfern Rahabs“ die Rede, die sich unter den Zorn Jhwhs beugen mussten – sie erinnern an die Helfer der das Chaos verkörpernden Göttin Tiamat des babylonischen Epos Enuma Elisch. Sie werden von Marduk nach seinem Sieg über Tiamat samt ihren Waffen niedergetreten (Enuma Elisch IV 118; Texte aus Mesopotamien). Wie Hi 26,12 soll diese Aussage die allem überlegene Macht Jhwhs zum Ausdruck bringen.

4. Jes 51,9. In die gleiche Richtung weist Jes 51,9, wo Rahab parallel zu Tannin, einem auch aus Ugarit bekannten Meeresungeheuer, genannt wird: „Wach auf, wach auf! Kleide dich in Kraft, Arm Jhwhs! Wach auf wie in den Tagen der Vorzeit, (wie bei) uralten Generationen! Bist du es nicht, der Rahab zerschmettert, Tannin durchbohrt hat?“ In einem Appell an Jhwh, seinem Volk in der Not zu Hilfe zu kommen (→ „Arm“ als Organ der Machtausübung) wird dieser an seine Heilstaten der Vorzeit erinnert, die Chaoswesen Rahab und Tannin besiegt zu haben (s. hierzu auch Hermisson, 2010, 222ff).

1.2. Rahab als ein Geschöpf unter anderen (Sir 43,24f)

Gegenüber Hi 26,12, Ps 89,10f und Jes 51,9, wo der Kampf Jhwhs gegen die chaotischen Mächte noch erkennbar ist, hat sich das Verständnis von Rahab in Sir 43,24f verändert. Rahab ist hier kein widergöttliches Monster mehr, sondern wird in die von Jhwh geschaffenen Lebewesen eingereiht: „Die zum Meer Hinabsteigenden erzählen von seiner Ausdehnung – hören unsere Ohren (davon), verstummen wir. Dort (gibt es) Wunderbares, erstaunlich ist sein Werk, Arten aller Lebewesen und gewaltige Seeungeheuer (רבה rbh vermutlich verschrieben).“ Wenn das → Sirach-Buch Rahab als גבורות gbwrwt „gewaltig“ beschreibt, dient dies dazu, die Schöpfermacht und Kraft Jhwhs besonders hervorzuheben: Die Artenvielfalt und der gewaltige Rahab dienen wie die unfassbare Ausdehnung des Meeres dazu, die Wunder der Schöpfung darzustellen. Sir 43,24f ist vermutlich von Ps 104,8-9 beeinflusst, wo neben der Weite des Meeres auch von den unterschiedlichen Lebewesen und Seeungeheuern, hier vertreten durch Leviatan, die Rede ist: „Da ist das Meer, groß und unermeßlich weit, dort Gewimmel ohne Zahl kleine Tiere mit großen. Dort ziehen Schiffe dahin, Leviatan – diesen hast du gebildet, mit ihm zu spielen.“ Nach Ps 104,8-9 hat Jhwh den Urwassern einen Ort zugewiesen, an dem sie bleiben müssen und ihnen eine Grenze setzt, die sie nie wieder überschreiten dürfen. Das bedeutet, dass das Meer als Chaosmacht eingegrenzt und damit zu einem Teil der Schöpfung wurde. Das einstige Ungeheuer, Leviatan, wird in Ps 104 zu einem Geschöpf Gottes unter anderen Meerestieren, ebenso wie Rahab in Sir 43,24f.

1.3. Rahab, Tannin und Leviatan – ein Monster oder drei?

Ein Problem, dem man in der Forschung in Verbindung mit den drei Chaosmonstern Leviatan, Rahab und Tannin immer wieder begegnet, ist die Frage, ob es sich hier um drei unterschiedliche Wesen oder nur um verschiedene Namen eines einzigen Ungeheuers handelt. M.E. spricht mehr für die erstere Variante. Denn es ist zwar nicht zu übersehen, dass sich, zumindest Tannin und Rahab, darin gleichen, dass sie zum einen in einer Verbindung zum Meer stehen (zu Tannin → Schlange 3.2.) und zum anderen beide als Bezeichnungen historischer Feinde – vor allem Ägypten – dienen (Jes 27,1; Ez 29,3; Ez 32,2 [Tannin]; Jes 30,7; Ps 87,4 [Rahab]). Auf der anderen Seite kann man aber Traditionen von Tannin und Leviatan in der ugaritischen Literatur verfolgen, was dafür spricht, dass im Alten Testament wie in Ugarit Überlieferungen unterschiedlicher „Monster“ verarbeitet worden sind.

2. Rahab als Bezeichnung Ägyptens

Das mythische Verständnis von Rahab als bezwungenes, nun nicht mehr gefährliches Ungeheuer bildet den Hintergrund der Formulierungen von Jes 30,7 und Ps 87,4, die das Land Ägypten als „Rahab“ bezeichnen.

1. Jes 30,7. Jes 30,6f erzählt von einer Karawane, die Schätze durch ein Land voller Gefahren zu einem Volk bringt, dessen Hilfe man erhofft, die aber letztendlich ausbleibt. Das Volk, „das nichts nützt“ (V. 6) wird in Jes 30,7 mit Namen genannt: Ägypten. „Nämlich Ägypten, dessen Hilfe nichtig und leer ist. Darum nenne ich es Rahab (רַהַב rahav), die zur Untätigkeit (Verurteilte).“ Der hebräische Text von Jes 30,6-7 birgt große Schwierigkeiten, für die in der Forschung unterschiedliche Lesungen vorgeschlagen worden sind (dazu Wildberger, 1982, 1157ff). Die Aussage, die der Vers machen will, ist dagegen klar: Das Land, auf dessen Hilfe man vergeblich wartet, ist Ägypten. Es verhält sich wie ein bezwungenes Ungeheuer, das nicht mehr angreifen kann: Ägypten kommt Jerusalem gegen das feindliche Assyrien nicht zu Hilfe.

2. Ps 87,4. Ps 87 besingt als Korachpsalm (→ Korach) die überragende Bedeutung der Gottestadt → Zion und Jhwhs Liebe zu ihr. Auch der Text von Ps 87 bietet einige Schwierigkeiten, was in der Forschung zu unterschiedlichen Deutungen, vor allem auch der Aussage von V. 4 geführt hat (vgl. hierzu Hossfeld / Zenger, 2000, 551ff): „Ich will Rahab und Babel erwähnen vor denen, die mich kennen, siehe Philistäa und Tyrus zusammen mit Kusch. Dieser ist dort geboren.“ Nach Hossfeld / Zenger (2000, 557f.) werden hier Angehörigen der genannten Völker, zuerst der beiden Feindmächten Ägypten, bezeichnet als „Rahab“, und Babel, dann aber auch der Länder → Philistäa, → Tyrus und → Kusch (Äthiopien) durch Jhwh eine „rechtlich verbindlich (…) personale Bindung (…) an Zion / Jerusalem“ (ebd. 557), eine Art „Bürgerrecht“ zugesprochen. Diese fünf Länder stehen nach Hossfeld / Zenger für den ganzen Erdkreis, dessen Mittelpunkt Zion bildet. H.-J. Kraus (2003, 769) vermutet dagegen, dass mit der Nennung der Völker in V. 4 die in diesen Ländern geborenen Israeliten gemeint sind. „Jhwh zählt die Völker auf, unter die Israel zerstreut ist“ und Zion ist „die Mutter aller zerstreut lebenden Israeliten“. Im Gegensatz zu Jes 30,7, wird in Ps 87,4 vorausgesetzt, dass die Bezeichnung „Rahab“ für das Land Ägypten bekannt ist. Das könnte daraufhin deuten, dass Ps 87,4 Jes 30,7 voraussetzt bzw. im Psalm der jüngere Text vorliegt.

3. Rəhavîm in Ps 40,5

Nur einmal belegt ist die Pluralform von רַהַב rahav in Ps 40,5 („Glücklich der Mann, der sein Vertrauen auf Jhwh setzt und sich nicht wendet zu den Drängern / Verwirrern und in Lüge Verstrickten“). Aus dem Kontext und in der Verbindung mit den „in Lüge Verstrickten“ ergibt sich, dass es sich bei den רְהָבִים rəhāvîm um Gegner der Jhwh-Treuen handeln muß. In der Forschung wird die Bedeutung von רְהָבִים rəhāvîm üblicherweise von dem Verb רהב rhb „bedrängen / verwirren“ abgeleitet. Insofern es sich um eine singuläre Form handelt, lassen sich die „Dränger“ aber nicht einer bestimmten Gruppe oder Geisteshaltung zuordnen (vgl. hierzu Kraus, 2003, 461). Spronk (1995, 1294f.) sieht hier eine Verbindung zu widergöttlichen Kräften in Verbindung mit Rahab, möglicherweise sogar zu dämonischen Kräften der Unterwelt.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1993
  • Dictionary of Deities and Demons in the Bible, Leiden u.a. 1995
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003
  • Herders Neues Bibellexikon, Freiburg i.Br. 2008

2. Weitere Literatur

  • Day, J., 1985, God’s conflict with the dragon and the sea, Cambridge u.a.
  • Gunkel, H., 1895, Schöpfung und Chaos in Urzeit und Endzeit: eine religionsgeschichtliche Untersuchung über Gen 1 und ApJoh 12, Göttingen
  • Hermisson, H.-J., 2010, Deuterojesaja (BK.AT XI/13), Neukirchen-Vluyn
  • Holm, A., 2003, Art. Rahab, Calwer Bibellexikon Bd. 1, Stuttgart, 1110-1111
  • Hossfeld, F.-L. / E. Zenger, 2000, Psalmen 51-100 (HThK.AT), Freiburg i.Br. u.a.
  • Jirku, A., 1966, Der Mythus der Kanaanäer, Bonn
  • Kraus, H.-J., 7. Aufl. 2003, Psalmen 1-59 (BKATXV/1), Neukirchen-Vluyn
  • Kraus, H.-J., 7. Aufl. 2003, Psalmen 60-150 (BKATXV/2), Neukirchen-Vluyn
  • Reiterer, Fr.V., Art. Rahab, Herders Neues Bibellexikon, Freiburg i.Br. 2008, 618
  • Rüterswörden, U., 1993, Art. רהב rahab, Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament VII, Stuttgart u.a., 372-378
  • Sauer, G., 2000, Jesus Sirach / Ben Sira (ATD Apokryphen Bd. 1), Göttingen
  • Spronk, K., 1995, Art. Rahab, Dictionary of Deities and Demons in the Bible, Leiden u.a., 1292-1295
  • Wildberger, H., 1982, Jesaja. 3. Teilband: Jesaja 28-39 (BK.AT X/3), Neukirchen-Vluyn

Abbildungsverzeichnis

  • Jagd auf einen Drachen mit wellenförmigem Körper (assyr. Rollsiegel; Ninive; 8.-7. Jh. v. Chr.). Aus: A. Jeremias, Handbuch der altorientalischen Geisteskultur, Berlin 2. Aufl. 1929, Abb. 239a

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