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(erstellt: August 2010)

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1. Terminologie

1.1. „Strafe“ und „strafen“ im deutschen Sprachgebrauch

Im deutschen Sprachgebrauch wird Strafe im Allgemeinen als ein Übel verstanden, das jemand einem anderen mit Absicht zufügt, weil dieser eine missbilligte Handlung begangen hat. Der etymologische Ursprung des erstmals im Mittelhochdeutschen belegten Verbs „strafen“ (das Substantiv „Strafe“ begegnet erst später) liegt in der verbalen Zurechtweisung im Sinne von „schelten“ (so Grimm / Grimm). Im modernen Sprachgebrauch gewinnt das Wort einen darüber hinausgehenden negativen Klang, wie die in Wörterbüchern angebotenen Synonyme „rächen“, „sich revanchieren“, „heimzahlen“ oder „vergelten“ erkennen lassen.

1.2. Die Terminologie des biblischen Hebräisch

Dem eindeutig umrissenen deutschen Wortfeld steht eine Vielzahl hebräischer Begriffe gegenüber, die in deutschen Bibelübersetzungen mit „strafen“ bzw. „Strafe“ übersetzt werden. Eine dem deutschen Sprachgebrauch entsprechende einheitliche Vorstellung wird dabei nicht greifbar. Dieses Phänomen erklärt sich dadurch, dass das Alte Testament von der Vorstellung des → Tun-Ergehen-Zusammenhangs geprägt ist, nach der die Tat selbst notwendigerweise ihre Folgen in negativer wie in positiver Hinsicht entfaltet; vor diesem Hintergrund kennt das biblische Hebräisch keinen einheitlichen Begriff für „Strafe“ (s. Koch 1991a, 91).

Da die deutschen Bibelübersetzungen erheblich voneinander abweichen (s. dazu Reiterer), werden hier lediglich die wichtigsten hebräischen Lexeme erläutert, für die die gängigen Wörterbücher (Gesenius; HALAT) die Übersetzung „strafen“ bzw. „Strafe“ anbieten:

Die Vorstellung des Tun-Ergehen-Zusammenhangs schlägt sich zunächst in mehreren Wortstämmen nieder, die sowohl eine Tat als auch ihre Folge bezeichnen (zum Phänomen s. über Koch 1991a, 89ff, hinaus Fahlgren). Im Rahmen negativ qualifizierter Taten und ihrer Folgen – dann zuweilen übersetzt mit „Strafe“! – sind zu nennen: חטאת chaṭā’t bezeichnet sowohl die „Sünde“ als auch das aus ihr folgende „Unheil“ (vgl. Num 12,11; Spr 10,16; Gesenius: „Sündenstrafe“), ebenso עון ‘āwon (vgl. Gen 4,13; Jer 51,6; HALAT: „Strafe“, Gesenius: „Folge der Sünde“). Darüber hinaus umfasst פעלה pə‘ulāh die „Tat“ (vgl. Ps 17,4) und ihre positiven (vgl. Jes 49,4) wie negativen Folgen (vgl. Jes 65,7; Ps 109,20; HALAT: „Strafe“).

1.2.1. Wurzeln mit juridischem Ursprung

Dem juridischen Kontext sind die folgenden Lexeme zuzuordnen: שׁפט šfṭ lässt sich, wie auch andere semitische Sprachen belegen, nicht auf den forensischen Bereich begrenzen, sondern umfasst Verwaltung wie Rechtsprechung, wobei die Grundbedeutung – „herrschen“, „entscheiden“ oder „richten“ – nicht eindeutig bestimmt werden kann. Im forensischen Bereich bezeichnet שׁפט šfṭ neutral das richterliche Handeln, das in seinem Ergebnis durch צדק ṣdq Hif. „für gerecht erklären“ oder רשׁע rš‘ Hif. „für schuldig erklären“ näher bestimmt wird. שׁפט šfṭ selbst umfasst beides: „verurteilen“ (vgl. 1Sam 3,13; Ps 51,6; Ez 16,38; dann Gesenius: „verurteilen“, „strafen“, HALAT: „strafen“, „bestrafen“), allerdings seltener als „jemandem zu seinem Recht verhelfen“ (bevorzugt bei personae miserae vgl. Ps 10,18; Ps 82,3; Jes 17.23; vgl. die Bitte שׁפטני šåfṭenî „richte mich“ bzw. „schaffe mir Recht“ in Ps 7,9; Ps 26,1; Ps 35,24; Ps 43,1).

Ebenso bezeichnet משׁפט mišpāṭ in diesem Zusammenhang neutral den Schiedsspruch oder Rechtsentscheid unbeschadet dessen, dass Gesenius für die Wendung דבר משׁפטים dibbær mišpāṭîm (2Kön 25,6; Jer 1,16; Jer 4,12 etc.) die Übersetzung „Strafurteile ausprechen“ bietet. Eindeutig bezeichnen jedoch die Nominalbildungen שׁפט šæfæṭ (Ex 6,6; Ex 7,4; Num 33,4; Spr 19,29; Ez 5,10 etc.; Gesenius und HALAT: „Strafgericht“) und שׁפוט šəfôṭ (Ez 23,10 und 2Chr 20,9 [s. dort jedoch BHS]; Gesenius: „Bestrafung“, HALAT: „Strafgericht“) eine Verurteilung.

Die allgemein semitisch belegte Wurzel דין dîn hat ihren Ursprung eindeutig im juridischen Gebrauch; mit der Grundbedeutung „richten“ umfasst sie – ebenso wie das häufig parallel verwendete שׁפט šfṭ – „Recht schaffen“ (z.B. für personae miserae Jer 21,12; Jer 22,16; Jer 30,13; Spr 31,9) wie „verurteilen“ (Gen 15,14; Ps 110,6; dann Gesenius: „strafen“). Das Hapaxlegomenon בקרת biqqoræt (Lev 19,20; Gesenius: „Züchtigung, Strafe“) bezeichnet im erläuterten Rechtsfall (entsprechend dem in HALAT benannten babylonischen Ursprung b/paqrū „Schadensersatzanspruch“) die Ersatzleistung (HALAT: „Schadensersatzpflicht“) nach dem Verkehr mit einer verlobten Sklavin, während im Anschluss (Lev 19,21f.) die davon abzugrenzende sakralrechtliche Folge benannt wird. Ebenfalls juridischen Ursprungs ist die Wurzel יכח jkch (Gesenius; HALAT u.a.: „strafen“) mit den Derivaten תוכחה tôkhechāh (Gesenius u.a.: „Strafe“, HALAT auch: „Strafgericht“ mit Kraus, 1145) und תוכחת tôkhachat (Gesenius u.a.: „Strafe“); s. dazu aber ausführlich Art. → Züchtigung 2.2.

1.2.2. Die Wurzel פקד

Die in allen semitischen Sprachen belegte Wurzel פקד pqd zeigt ein weites, sich auch in den Nominalbildungen spiegelndes Bedeutungsspektrum (dazu im Folgenden HALAT), das sich evtl. auf die Grundbedeutung „genau beobachten“ zurückführen lässt (so André, 709; anders HALAT, 900f; vgl. Koch 1991a und 1991c, dort v.a. 138 Anm. 33; Scharbert; Brünenberg): Dazu gehört zunächst die Bedeutung „prüfend sehen nach“ (z.B. in Ri 15,1; 1Sam 17,18) bis hin zum negativen Resultat „vermissen“ (z.B. in 1Sam 25,15). Dieses „sehen nach“ ist z.B. in Ps 8,5; Rut 1,6 Ausdruck intensiver Fürsorge im Sinne von „sich jemandes annehmen“ (HALAT). Spezifische Verwendungen findet פקד pqd in „ausheben / mustern“ (z.B. Num 1,3.19) und im verwaltungstechnischen Gebrauch „anweisen / befehlen / anbefehlen / vorschreiben“ (Num 4,27.49). Daneben gewinnt die Grundbedeutung dann z.B. in Ex 20,5; Am 3,2; Jer 11,22 einen vielfach belegten negativen Klang im Sinne von „zur Verantwortung ziehen / heimsuchen“ (HALAT; Gesenius dann: „strafen“): Die häufige theologische Verwendung lässt sich (mit Koch 1991a, 87, 92f und 1991c, 138 Anm. 33) so verstehen, dass JHWH eine bestehende Schuldrealität aufdeckt und sie hinsichtlich ihrer Wirkung in Kraft setzt. So lässt sich פקד pqd ebenso wie die Nominalbildung פקדה pəqudāh (Gesenius: „Strafe“) theologisch als Begriff der intensiven Anteilhabe JHWHs am Geschick des Menschen im positiven wie im negativen Sinne verstehen.

1.2.3. Die Wurzel נגף

Hinter נגף nægæf (Gesenius: „Plage, v. Gott verhängte Strafe“) steht entsprechend der Wurzelbedeutung נגף ngf (HALAT: „durch Stoß verletzen, schlagen“; vgl. auch die Nominalbildung מגפה maggefāh) in Ex 12,13; Ex 30,12; Num 8,19; Num 17,11f. und Jos 22,17 primär die Vorstellung physischer Gewalt bzw. ihrer Folgen (vgl. auch נגע ng‘ und נגע næga‘).

1.2.4. Fazit

Das alttestamentliche Hebräisch kennt wie dargelegt kein Lexem, das dem deutschen Wortfeld „Strafe“ bzw. „strafen“ entspricht. Daher lässt sich der Begriff „Strafe“ unbeschadet landläufiger Praxis nicht ohne Weiteres mit dem Alten Testament in Verbindung bringen. Dieser Hintergrund ist bei den folgenden Abschnitten des Artikels zu berücksichtigen: Entsprechend der bevorzugten Anwendungsbereiche der Strafe im deutschen Sprachgebrauch werden zunächst die „Strafen“ bzw. Rechtsfolgen des alttestamentliches Rechts (2.) und „Strafe“ als pädagogisches Handeln erläutert (3.). Dem folgen Erwägungen zum alttestamentlichen Gottesbild (4.).

2. „Strafen“ im alttestamentlichen Recht

Die Rechtsprechung erfolgt im alten Israel durch die rechtsfähigen Vollbürger, die im Tor (vgl. Dtn 21,19; Dtn 25,7) zusammen gerufen werden. Diese sogenannte Ortsgerichtsbarkeit ist dabei für Findung und Umsetzung des Urteils zuständig. Fragt man in modernen Kategorien nach den dabei explizit genannten „Strafen“ bzw. Rechtsfolgen (s. dazu auch Boecker, 31f; zu den hier nicht erläuterten rechtshistorischen Zusammenhängen s. → Recht, zu literargeschichtlichen vor allem → Bundesbuch, → Heiligkeitsgesetz, → Deuteronomium), treten bereits die Eigenarten der hier vorausgesetzten Rechtskultur deutlich hervor:

2.1. Geld- oder Vermögensstrafen

Geld- oder Vermögensstrafen im eigentlichen Sinn kennt das Alte Testament nicht. Geld- und Sachleistungen, wie sie vor allem im kasuistischen Recht (→ Recht) entfaltet werden (z.B. Ex 21,37-22,3.8), richten sich direkt an den Geschädigten und dienen damit dem Schadensausgleich; wenn sie den Wert des Streitgegenstands übersteigen, wird in der Regel nachvollziehbar ein darüber hinausgehender Schaden oder Aufwand kompensiert.

2.2. Freiheitsstrafen

Freiheitsstrafen im modernen Sinn sind dem alttestamentlichen Recht ebenso unbekannt, was weitgehend auch für den Alten Orient gilt (zur Ausnahme Ägypten vgl. Gen 39,20ff und TUAT II 872 und III 254; s. ausführlich → Kerker). Freiheitsentzug begegnet in Jer 20,2; Jer 29,26 und 2Chr 16,10 lediglich als eine von der Obrigkeit vollstreckte vorübergehende Zwangsmaßnahme; wenn er (spät) evtl. in Esr 7,26 als rechtliche Sanktion in den Blick kommt, dann erst als Ausdruck fremder Rechtspraxis (Boecker, 115).

2.3. Körperstrafen

Prügelstrafe begegnet lediglich in Dtn 25,1-3 und vermutlich in Dtn 22,13-18 (V.18 יסר jsr [→ Züchtigen 2.1.], wird hier über die mündliche Rüge hinaus gehen!); Dtn 25,1-3 schärft zudem eine Begrenzung der Prügel ein, um die Würde des Delinquenten zu schützen.

Verstümmelungsstrafen, die vor allem im Codex → Hammurabi häufig begegnen, werden im alttestamentlichen Recht abgesehen von der singulären Bestimmung in Dtn 25,11f nicht gefordert. Auch die viel zitierte Talionsformel „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ (vgl. Ex 21,25; Lev 24,18.20; Dtn 19,21; dazu Boecker, 149-153; Otto, 73-81; → Recht) lässt (anders als z.B. Codex Hammurabi z.B. § 192; Texte aus Mesopotamien) keinen Rückschluss auf eine entsprechende strafrechtliche Praxis zu: Im ursprünglichen Zusammenhang der nomadischen Rechtsprechung dient sie der Eindämmung unverhältnismäßiger Blutrache („nur ein Auge …); im Rahmen des alttestamentlichen Rechts hat sie sich bereits zu einem dabei auf den jeweiligen Rechtsfall bezogenen Grundsatz entwickelt, nach dem Ansprüche eines Geschädigten angemessen ausgeglichen werden.

2.4. Todesstrafen

Die im Alten Testament am häufigsten belegte → Todesstrafe ist die Steinigung (סקל sql und – vor allem in → Priesterschrift, → Ezechiel und Chronikbüchern – רגם rgm); sie darf auch dort vorausgesetzt werden, wo die Art der Todesstrafe nicht explizit bestimmt wird (Boecker, 31). Explizit genannt wird sie bei kultischen (z.B. Ex 19,13; Lev 20,2; Lev 24,14; Num 15,35f; Dtn 13,11; Dtn 17,5), darüber hinaus bei sexuellen Vergehen (Dtn 22,21.24; Ez 16,40; Ez 23,47). Singulär bleibt die ausdrückliche Nennung der Steinigung als Tierstrafe (Ex 21,28-32 – milder hier Codex → Hammurabi §§ 250ff.) und zur Bestrafung eines ungehorsamen Sohnes (Dtn 21,21). Erzählende Texte deuten darauf hin, dass es zur Steinigung auch außerhalb eines Rechtsverfahrens in Lynchsituationen kam (Ex 17,4; Num 14,10; 1Sam 30,6; 1Kön 12,18 par. 2Chr 10,18). Kommt es nach dem Rechtsverfahren zu einer Steinigung, so ist die Gemeinschaft (s.o.) nicht nur an der Urteilsfindung, sondern auch an der Vollstreckung beteiligt (s. Lev 24,14; Num 15,35f; Dtn 21,21; Dtn 22,21); die Zeugen, deren Aussagen den Prozessausgang im Wesentlichen bestimmen, haben dabei zu beginnen (Dtn 17,7) und laden dadurch im Fall einer Falschaussage besondere Schuld auf sich. Die Vollstreckung erfolgt außerhalb der Ortschaft (1Kön 21,13). Die Form der Strafe entspricht damit ihrer Intention, wie sie z.B. in Dtn 21,21; Dtn 22,21 zum Ausdruck kommt: „So sollst du das Böse aus deiner Mitte fortschaffen.“ Im Hintergrund steht auch hier die Vorstellung, dass dem Täter entsprechend dem → Tun-Ergehen-Zusammenhang eine Schuldrealität anhaftet, die die Gemeinschaft dauerhaft gefährdet.

Die Absicht, diese Schuldrealität mit dem Täter zu tilgen, mag auch hinter der ungleich seltener belegten Todesstrafe durch Verbrennung stehen, die in Jos 7,25 zur Steinigung hinzutritt. In den beiden Rechtsbestimmungen, die diese Sanktion fordern, werden sexuelle Delikte geahndet (Lev 20,14; Lev 21,9; vgl. auch Gen 38,24).

Vor allem in der → Estererzählung (z.B. Est 2,23) ist in deutschen Übersetzungen oft von „hängen“ die Rede, doch dürfte die Pfählung gemeint sein. Bei ihr wurde ein Pfahl durch den Bauch in die Brust getrieben und anschließend aufgerichtet, um den Getöteten zur Schau zu stellen. Im alttestamentlichen Recht wird diese für den Alten Orient auch auf Abbildungen belegte Praxis nur in Dtn 21,22f erwähnt, jedoch nicht in einer Strafbestimmung, sondern um festzusetzen, wann der Getötete abgenommen werden soll.

Bei den o.g. „Strafen“ ist zu beachten, dass die Aufzählung nur ausdrücklich entfaltete Rechtsfolgen berücksichtigt und damit weite Teile des alttestamentlichen Rechts ausblendet: Das sog. apodiktische Recht (→ Recht; s. auch Boecker, 166-180) kennt in prohibitiver Formulierung („Du sollst…“ bzw. „Du sollst nicht…“) keine oder in Partizipial- oder Relativsatzform nur pauschale Sanktionen wie Verfluchung (→ Fluch) oder Todesforderung mit der Formulierung „er muss unbedingt getötet werden“ (מות־יומת môt-jûmāt), aus denen sich keine strafrechtliche Praxis ableiten lässt; das alttestamentliche Recht lässt sich hier eher als Ethos denn als ius beschreiben. Die aus moderner Sicht drastische Todesforderung und die Todesstrafe insgesamt erklären sich aus der Intention dieses Rechts: Es zielt auf den Schutz der Gemeinschaft. Wo diese in ihren Grundlagen vor allem durch Verletzung der familienrechtlichen Normen (vgl. z.B. Inzestverbote Lev 18,7-18 oder Elternminderung Dtn 27,16), Menschenraub (z.B. Ex 21,16) oder Mord (z.B. Ex 21,12 vgl. Dtn 27,24) gefährdet wird, greift die „Generalprävention des Todesrechts“ (Otto u.a., 30-47). Auch darüber hinaus z.B. beim Schadensausgleich (z.B. Ex 21,37-22,3.8 s.o.) geht es um die Befriedigung entstandener Ansprüche und damit um die Wahrung der sozialen Balance. So ist das alttestamentliche Recht sensu stricto ein „Recht ohne Strafidee und ein Recht der Friedenspflicht“ (Seebass, 17).

3. „Strafe“ in der Pädagogik

Das Alte Testament kennt, wie insbesondere die alttestamentliche → Weisheit zeigt, „Strafe“ als Mittel der Erziehung. Körperliche Gewalt als Mittel der Erziehung wird dabei vorausgesetzt (z.B. Spr 13,24; Spr 20,30), ist allerdings nur eine Option erzieherischen Handelns, das in der Regel mit יסר jsr „züchtigen“, מוסר mûsār „Züchtigung“ oder יכח jkch „zurechtweisen“, תוכחת tôkhachat „Zurechtweisung“ umschrieben wird und zunächst vor allem die mündliche Zurechtweisung bzw. Ermahnung bezeichnet (s. ausführlich → Züchtigung, → Erziehung).

Wenn die alttestamentliche Weisheit körperliche Gewalt als Mittel der Erziehung akzeptiert, reflektiert sie zugleich auch ihre Grenzen. Letzten Endes gilt: Gegen Torheit helfen auch keine Schläge (z.B. Spr 27,22). Und wer sich der weisheitlichen Ermahnung entzieht, muss entsprechend dem → Tun-Ergehen-Zusammenhang mit Konsequenzen rechnen: Ein verkehrter Lebensstil führt der Erfahrung der Weisen nach zu einem entsprechenden Ergehen (vgl. Spr 10,21; Spr 16,22). Vor eben diesen Konsequenzen will die weisheitliche Ermahnung bewahren (z.B. Spr 15,10; Spr 23,13f.); es geht ihr um eine Erziehung zum Guten, um eine Anleitung zu einem gelingenden Leben.

4. JHWH – ein „strafender“ Gott?

Grundsätzlich verhält sich JHWH zu den Taten des Menschen, indem er dafür sorgt, dass der Tat ein entsprechendes Ergehen folgt (so z.B. פקד pqd, s.o. 1.2, aber auch גמל gml, שׁוב šwb, שׁלם šlmVergeltung 2.). Darüber hinaus schafft er aber auch (z.B. durch den Kult) Möglichkeiten (der → Sühne; s. auch → Rechtfertigung [AT] 5.), durch die der Mensch den Folgen seines Handelns entzogen wird. Der → Tun-Ergehen-Zusammenhang lässt sich dabei nicht als immanente Kategorie beschreiben. Die Eigenwirksamkeit menschlichen Tuns und das Wirken JHWHs korrelieren, ohne einander auszuschließen. Die landläufige Rede vom „strafenden Gott“ des Alten Testaments verkürzt jedoch den alttestamentlichen Glauben: Dass bereits das deutsche Wort „Strafe“ kein hebräisches Äquivalent findet, wurde dargelegt (s.o. 1.2). Positiv lässt sich diesem Befund gegenüber auf zentrale und in ihrer Summe im wahrsten Sinne des Wortes beziehungsreichere Termini wie Eifer, → Zorn, aber auch → Barmherzigkeit und sogar → Reue verweisen, die JHWHs Verhalten gegenüber den Menschen beschreiben.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
  • Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
  • Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 6. Aufl., München / Zürich 2004
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1993-2001
  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007

Weitere Literatur

  • André, G., 1989, Art. פקד, in: ThWAT VI, Stuttgart u.a., 708-723
  • Boecker, H.J., 1976, Recht und Gesetz im Alten Testament und im Alten Orient (NStB 10), Neukirchen-Vluyn
  • Brünenberg, E., 2003, Wenn Jahwes Widerstand sich regt – Überlegungen zum alttestamentlichen Verständnis von Strafe, in: K. Kiesow (Hg.), Textarbeit. Studien zu Texten und ihrer Rezeption aus dem Alten Testament und der Umwelt Israels (FS P. Weimar; AOAT 294), Münster, 53-74
  • Fahlgren, K.H., 1932, ṣədakā nahestehende und entgegengesetzte Begriffe im Alten Testament, Uppsala 1932
  • Grimm, J. / Grimm, W., Das Deutsche Wörterbuch (im Internet)
  • Knierim, R.P., 1999, Zum alttestamentlichen Verständnis von Strafe, in: J.A. Loader / H.V. Kieweler (Hgg.), Vielseitigkeit des Alten Testaments (FS G. Sauer; WAS 1), Frankfurt a.M., 103-120
  • Koch, K., 1991a, Gibt es ein Vergeltungsdogma im Alten Testament, in: ders., Spuren des hebräischen Denkens. Beiträge zur alttestamentlichen Theologie. Gesammelte Aufsätze, Bd. 1, Neukirchen-Vluyn, 65-103
  • Koch, K., 1991b, Wesen und Ursprung der „Gemeinschaftstreue“ im Israel der Königszeit, in: ders., Spuren des hebräischen Denkens. Beiträge zur alttestamentlichen Theologie. Gesammelte Aufsätze, Bd. 1, Neukirchen-Vluyn, 107-127
  • Koch, K., 1991c, Der Spruch „Sein Blut bleibe auf seinem Haupt“ und die israelitische Auffassung vom vergossenen Blut, in: ders., Spuren des hebräischen Denkens. Beiträge zur alttestamentlichen Theologie. Gesammelte Aufsätze, Bd. 1, Neukirchen-Vluyn, 128-145
  • Kraus, H.-J., 5. Aufl. 1978, Psalmen (BK XV), Neukirchen-Vluyn
  • Otto, E., 1994, Theologische Ethik des Alten Testaments (ThW 3,2), Stuttgart / Berlin / Köln
  • Reiterer, F., 2003, Strafe in der Bibel – Erfindung der Übersetzer? Beobachtungen zum interpretatorischen Charakter von Übersetzungen, in: F. Sedlmeier (Hg.), Gottes Wege suchend. Beiträge zum Verständnis der Bibel und ihrer Botschaft (FS R. Mosis), Würzburg, 467-496
  • Scharbert, J., 1972, Das Verbum PQD in der Theologie des Alten Testaments, in: K. Koch (Hg.), Um das Prinzip der Vergeltung in Religion und Recht des Alten Testaments (WdF CXXV), Darmstadt, 278-299
  • Seebass, H., 1992, Recht und Gesetz im Alten Testament, GluL 7, 17-27

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