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Pyramidentexte

(erstellt: November 2006)

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1. Allgemeines zu den Pyramidentexten

Jenseitsvorstellungen Ae 1

Die Pyramidentexte (Texte aus Ägypten 3) können als die älteste Sammlung religiöser Texte gelten, die wir aus dem alten Ägypten (und weltweit) kennen. Es handelt sich bei ihnen um funeräre Texte, die nach ihrem frühesten Anbringungsort benannt sind und zunächst tatsächlich allein im königlichen Gebrauch standen. Seit Unas (ca. 2342-2322 v. Chr.), dem letzten Herrscher der 5. Dynastie, sind (in unterschiedlichem Umfang) die unterirdischen Räume und Korridore, vor allem die Sargkammer, mitunter auch die Särge der königlichen Pyramiden in Saqqāra mit diesen Texten beschriftet.

1.1. Forschungsgeschichte

Die wissenschaftliche Entdeckung der Pyramidentexte geht auf den Winter 1880 / 1881 zurück, und die Aufarbeitung der schon bei ihrer Auffindung als überaus interessant eingeschätzten Texte begann ohne Verzögerung. In den Jahren 1882-1893 veröffentlichte Gaston Maspero (1894) die bis dato bekannten Texte nach den einzelnen Pyramiden geordnet. 1899 nahm Kurt Sethe die neuerliche Aufnahme der Pyramidentexte für das Wörterbuch der aegyptischen Sprache in Angriff und veröffentlichte die nun bekannt gewordenen 714 Sprüche in einer synoptischen Textausgabe (Sethe 1908-1910), die er später um einen kritischen Apparat und eine Konkordanz sowie epigraphische Bemerkungen erweiterte (Sethe 1922). Die von ihm gleichfalls begonnene Übersetzung der Texte samt ausführlichem Kommentar blieb unvollendet und wurde erst posthum veröffentlicht (Sethe 1935-1962). Auf die Publikation von Sethe geht die auch heute noch gültige Zitierweise zurück (PT für Spruch, Pyr. § für die einzelnen Abschnitte).

Die Entdeckung weiterer Pyramiden in den Jahren von 1924 bis 1936 brachte auch eine Verbreiterung der Textbasis mit sich. Diesem Umstand trug Raymond O. Faulkner (1969) mit einem Supplement zu Sethes Textausgabe Rechnung, in dem er die Sprüche 715-759 zusammenstellte (Fortsetzung der Zählung von Sethe) und der auf den entsprechenden Publikationen basierte. Seit 1951 sind bei erneuten Ausgrabungen in Saqqāra immer wieder neue Texte und Textfragmente in den bereits bekannten Pyramiden entdeckt worden, ihre Veröffentlichung ist erst teilweise abgeschlossen (zuletzt Leclant 2001).

1.2. Herleitung und Herkunft

Die früheste Niederschrift der Pyramidentexte finden wir bei Unas am Ende der 5. Dynastie (s.o.). Zuvor sollen die Texte, folgt man Kurt Sethe (1931), auf Papyrusrollen tradiert worden sein, was erst mit aufkommenden Zweifeln an der Gewährleistung eines regelmäßigen Totendienstes zugunsten einer Niederschrift in den Pyramiden selbst aufgegeben bzw. ersetzt wurde. In der Tat können wir davon ausgehen, dass die Texte oder zumindest ein Teil davon ein höheres Alter besitzen. Die Einschätzungen darüber, wie lange vor ihrer ersten Niederschrift die Pyramidentexte bereits formuliert waren, gehen allerdings deutlich auseinander. Das ursprüngliche Bild von Kurt Sethe, wonach die meisten Texte vorgeschichtlich seien und Zeugnisse aus den Anfängen der ägyptischen Kultur und Religion darstellten, hat inzwischen eine Relativierung erfahren bis hin zu der Einschätzung, dass die Pyramidentexte mit geringem zeitlichen Abstand zu ihrer frühesten Aufzeichnung entstanden seien.

Festzuhalten bleibt, dass wir keine einheitliche Abfassungszeit für die Pyramidentexte ansetzen können, sondern von Redaktionsstufen einzelner Teile dieses Corpus auszugehen haben. Die Inhalte der Pyramidentexte bieten dabei nur indirekt Anhaltspunkte für ihre zeitliche Einordnung. Es setzen aber z.B. Schilderungen in einigen Sprüchen, die sich an realweltlichen Gegebenheiten orientieren (s.a. 2.), die Existenz von staatlichen Strukturen und Beamtenhierarchien voraus. Auch sind bereits Glaubensvorstellungen, die an den Gott → Osiris geknüpft sind, in den Pyramidentexten greifbar. Da diese sich allerdings erst im Laufe des Alten Reiches durchsetzten und zunächst auch nicht für das königliche Dasein im Jenseits in Anspruch genommen wurden (s. 2.), müssen diese Texte entsprechend spät datieren. Dass darüber hinaus in den Pyramidentexten teilweise recht unterschiedliche Anschauungen hinsichtlich Tod und Jenseits zum Ausdruck gebracht werden, wird man am ehesten mit unterschiedlichen Entstehungszeitpunkten oder Schichten erklären müssen, möglicherweise aber auch mit der örtlichen Herkunft der einzelnen Sprüche. Eine zeitlich abweichende Abfassung ergibt sich im Übrigen auch aus der in den Pyramidentexten benutzten Sprache, die ältere wie auch jüngere Formen verwendet. Die Frage danach, inwieweit auch die Form der Texte mit ihrer Datierung korreliert, wird indes unterschiedlich beurteilt (vgl. 1.5). Ein weiterer Ansatzpunkt hat bislang weniger Beachtung gefunden, sollte jedoch nicht vernachlässigt werden, nämlich die abweichenden Kontexte, aus denen diese Texte stammen könnten und denen sie für ihre Niederschrift in den königlichen Pyramiden entnommen wurden (s. 3.).

1.3. Texte und Quellen

Die Anzahl an Textzeugen für das Alte Reich ist wegen der exklusiv königlichen Nutzung der Texte überschaubar. Es sind die Pyramiden von Unas (mit der Sigle W), Teti (T), Pepi I. (P), Merenre (M) und Pepi II. (N), in denen während der 5. Dynastie (Unas) sowie der 6. Dynastie Pyramidentexte angebracht wurden.

Ferner sind diese Texte aus den Pyramiden der Gemahlinnen von Pepi II. (Udjebeten, Neith und Iput) und aus der Pyramide des Ibi (8. Dynastie) bekannt. Zudem können wir für einen weiteren Herrscher der sogenannten 1. Zwischenzeit indirekt erschließen, dass auch in seiner Pyramide Sprüche aus den Pyramidentexten aufgezeichnet wurden. Hingegen sind die Pyramiden des Mittleren Reiches ohne Pyramidentexte, während sie zu dieser Zeit in den Bestattungen von Privatleuten genutzt wurden und sich entsprechend ausbreiteten (s.a. 4.).

Das Corpus der Pyramidentexte ist in Sprüche unterteilt, die nach heutiger Zählung +/- 759 ausmachen (s. 1.). Keine der bekannten Quellen überliefert alle Sprüche der Pyramidentexte. Es wurde vielmehr für die Pyramide eines jeden Pharao das Textprogramm individuell zusammengestellt, was schon für sich genommen den produktiven Umgang mit dieser Spruchsammlung zeigt. So sind z.T. erhebliche Unterschiede zwischen den Textprogrammen der einzelnen Pyramiden zustande gekommen. Dabei können sowohl die Zahl der ausgewählten Texte wie auch die Sprüche selbst sehr verschieden sein. Aus der Pyramide des Unas ist eine Vielzahl von Texten bekannt, die später nicht mehr oder nur noch vereinzelt belegt sind. Das am breitesten angelegte Corpus findet sich bei Pepi II. aus dem Ende der 6. Dynastie. In der Pyramide des Ibi (8. Dynastie) treffen wir auf Texte, die in den früheren Pyramiden nicht zu finden sind.

Aus der Anbringung der Texte wie auch aus den Überschneidungen bei den Textprogrammen in den einzelnen Pyramiden ist erkennbar, dass die Sprüche der Pyramidentexte als Sequenzen miteinander verbunden waren (Altenmüller 1972). Was sich allerdings nicht daraus ableiten lässt, ist eine Reihenfolge innerhalb des gesamten Corpus.

1.4. Sprache und Schrift

Die Pyramidentexte sind in der Sprachstufe des sogenannten Altägyptischen abgefasst, der Sprache des Alten Reiches. Sie weisen dabei lautliche und grammatikalische Unterschiede zu anderen Texten des Alten Reiches auf, womit im Wesentlichen biographische Inschriften gemeint sind, und können diesen gegenüber als eine relativ altertümliche Sprachstufe angesehen werden. Die Orthographie ist insgesamt noch recht uneinheitlich und zeigt als besondere Eigenheit die Vermeidung oder Verstümmelung von Zeichen, die (bestimmte) Tiere oder Menschen vollständig abbilden. Grund dafür dürfte wenigstens zum Teil die Gefährlichkeit der abgebildeten Wesen im wirklichen Leben gewesen sein. Zudem zeigen die Pyramidentexte eine große Palette von Determinativen („Deutzeichen“), die in anderen zeitgleichen Texten und in späterer Zeit auch in den Pyramidentexten nicht mehr anzutreffen sind.

Geschrieben sind die Pyramidentexte zunächst, d.h. im Alten Reich, mit Hieroglyphen. Dabei können die Umrisse der einzelnen Zeichen grün gemalt sein, was als Hinweis auf die erhoffte Regeneration des verstorbenen Königs interpretiert werden darf. Späterhin wurden sie an das altertümliche Hieratisch (Kursivhieroglyphen) von → Sargtexten und → Totenbuch angepasst, mit denen sie sich teilweise auf demselben Textträger finden. Spätere Niederschriften der Pyramidentexte zeigen dann auch die in anderen funerären Texten übliche Verwendung rückläufiger Schrift („retrograd“).

1.5. Form und Aufbau

Die Pyramidentexte stellen eine Sammlung formal recht einheitlicher Texte dar, die allerdings in der Länge sehr stark variieren können. Bis auf wenige Ausnahmen sind die einzelnen Texte in ihren ältesten Niederschriften ohne einleitende Spruchtitel überliefert. Diese Titel müssen aber schon in den Vorlagen (o.ä.) vermerkt gewesen sein, da sie in späteren Belegen auftreten. An den Anfang eines Spruches ist üblicherweise der Vermerk ḏd mdw „zu rezitieren“ gesetzt, das Ende ist entweder (bei Unas) mit einem Querstrich oder (in den späteren Pyramiden) durch die Verwendung der ḥw.t-Hieroglyphe „Haus“, hier „Abschnitt“ gekennzeichnet. In den Pyramiden der 6. Dynastie ist der Rezitationsvermerk zusätzlich über jeder Kolumne angebracht. Die Niederschrift der Texte erfolgte in (senkrechten) Kolumnen. Anders als die späteren Textsammlungen Sargtexte und Totenbuch zeigen die Pyramidentexte keinerlei Illustrationen.

Ein Teil der Pyramidentexte ist in der 2. Pers. Sg. abgefasst, so z.B. Ritualtexte oder solche Sprüche, in denen sich der Sohn (→ Horus) an seinen verstorbenen Vater (→ Osiris) wendet. Andere Texte sind in der 1. oder 3. Pers. Sg. formuliert, was parallel zu sehen ist. Es kann davon ausgegangen werden, dass die ursprünglich in der 1. Pers. abgefassten Sprüche für die schriftliche Fixierung in die 3. Pers. umgesetzt wurden. Teilweise geschah dies auch mit den Sprüchen, die den Verstorbenen in der 2. Pers. ansprechen, woraus sich mitunter widersprüchliche Bezüge in den Texten ergaben.

In den Pyramidentexten sind eine Reihe formaler Elemente anzutreffen, mit denen sprachliche Intensität erzeugt und die inhaltlichen Aussagen eines Textes betont werden. In seinen Untersuchungen zur Stilistik hat Otto Firchow (1953) den Parallelismus membrorum als grundlegendes Formelement erkannt. Neben der zweifachen Setzung eines Wortes, einer Wortverbindung oder eines Satzes bzw. der Aneinanderfügung zweier parallel aufgebauter Sätze mit gleichem oder sich ergänzendem Inhalt treffen wir auch auf Dreier- und Vierergruppen. Eine weitere, besondere Form macht die „Reihung“ von Elementen aus, die zu ganzen Litaneien ausgebaut sein kann. Firchow betont zugleich ausdrücklich, dass sich aus der Beobachtung stilistischer Besonderheiten der Pyramidentexte keine Textgruppen oder „Gattungen“ herausfiltern lassen oder diese damit begründet werden könnten und dass die Stilistik als Datierungsmerkmal untauglich sei. Firchow hatte über die Grenzen seiner stilistischen Analyse hinweg jedoch drei Textarten unterschieden (Firchow 1953, 236): Texte, die für den Kult der Götter und des (lebenden) Königs entstanden sind und die unverändert oder nur geringfügig abgewandelt in die Pyramidentexte übernommen wurden (z.B. PT 221). Sie stehen für die Verknüpfung von Königtum und Götterwelt und sichern die Machtübertragung an den König. Hinzu kommen Kompositionen wie z.B. PT 465, die eigens für den Verstorbenen geschaffen wurden und in denen z.B. eine Gottheit vom verstorbenen König angesprochen und aufgefordert wird, für ihn tätig zu werden. Als dritte Gruppe nennt Firchow „Sammeltexte“ wie etwa PT 482, die aus verschiedenen Komponenten zusammengesetzt sind.

Ausführlicher hatte sich bereits Siegfried Schott (1945) mit der Frage nach gattungsbezogenen Unterscheidungen innerhalb der Pyramidentexte auseinandergesetzt (s.a. Altenmüller 1972 und 1984). Danach ist die Menge der Pyramidentexte auf Grund von Form oder Schreibstil, Inhalt und Sprache in fünf (Text-)Gruppen („Gattungen“) zu unterteilen, und zwar in Dramatische Texte, Hymnen mit der Namensformel, Litaneien, Verklärungen und Zaubersprüche, für die Schott zugleich unterschiedliche Entstehungszeitpunkte annimmt.

Die Dramatischen Texte sind in Form von Gesprächen aufgebaut, wobei Vermerke zu den Szenen auf (Kult-)Handlungen hinweisen, die während der Rezitation vollzogen werden. Sprecher (Priester) wie auch Kultempfänger (verstorbener Pharao) sind als Götter gedacht, so spricht etwa Horus (= regierender König) zu seinem (verstorbenen) Vater Osiris (= verstorbener König). Zu den Dramatischen Texten zählt Schott z.B. Sprüche der Totenklage (PT 628-632) oder die Texte des Opferrituals.

Die Hymnen mit der Namensformel zeigen große Nähe zu den Dramatischen Texten. Sprecher dieser Texte ist der (Vorlese-)Priester, der sich mit seinen Worten vornehmlich an Osiris (= verstorbener König) richtet. Die Texte berichten von dem, was im Kult geschieht, und deuten die Reden aus den Dramatischen Texten mythisch aus. Namengebend für diese Gruppe von Texten ist der häufig angefügte Nachsatz „in Deinem Namen“ oder „in diesem Deinen Namen“. Auf diese Weise werden Kultsymbole, Kultgegenstände oder Kultorte in den Lobpreis der Götter einbezogen. Als Beispiel dieser Textgruppe können PT 355-357 und PT 364-374 angesehen werden.

Die Litaneien wiederum werden in enger Beziehung zu den Hymnen mit der Namensformel gesehen, inhaltlich (Götterkreis) wie formal (Aufbau). Sie bestehen aus der Aufzählung von Namen, Epitheta und Gegenständen, die über verschiedene Qualifizierungen („litaneiartig“) für den Verstorbenen erschlossen werden. Als Beispiel gelten PT 219f., PT 587 oder PT 601.

Die Verklärungen machen den weitaus größten Teil innerhalb der Pyramidentexte aus. Da sie zudem eine Vielzahl von Merkmalen zeigen, formale Unterschiede wie inhaltliche Verschiedenheiten aufweisen und offensichtlich auch weiterentwickelt wurden, gestaltet sich eine allgemeingültige Charakterisierung dieser Textgruppe schwierig. Zu den formalen Unterschieden gehört z.B. die Abfassung sowohl in der 1. bzw. 3. Pers. als auch in der 2. Pers. (Sg.), die sich teilweise aus redaktionellen Umarbeitungen und der Umsetzung von der gesprochenen in die Schriftsprache erklären lässt. Nach Schott richtet sich in den Texten, in denen der König angesprochen wird, Horus als Sohn an ihn und verklärt seinen Leichnam; die Texte in der 3. Pers. werden vom Vorlesepriester rezitiert und beziehen sich auf die zum Himmel aufsteigende „Seele“ des Verstorbenen.

Die Zaubertexte (z.B. PT 226-243, PT 276-299) dienen der Beschwörung und der Abwehr von Schlangen und anderer feindlicher Wesen sowie dem Abwenden der Schäden, die sie erzeugen können. Zumeist bestehen diese Sprüche aus kurzen Formeln, mit denen das schädigende Wesen ferngehalten werden soll. Die Beschwörungen sollen von einem Vorlesepriester rezitiert worden sein, der von sich selbst in der 3. Person spricht.

Die Überlegungen von Schott haben sich innerhalb der Ägyptologie weitgehend durchgesetzt, werden zumindest häufig übernommen (Altenmüller 1984). Allerdings ist die Unterteilung der Pyramidentexte in diese fünf Textgruppen und ihre Benennung als Gattungen nicht unumstritten. Kritik lässt sich z.B. an dem Terminus der „Verklärung“ festmachen. Diese Verklärungen, die als einzige Textgruppe eine aus dem Ägyptischen übernommene (Eigen-)Bezeichnung tragen, statten den Verstorbenen mit der Fähigkeit aus, als ein mit magischen Kräften versehener „Verklärter“ (oder „Totengeist“) im Jenseits existieren zu können. Die Texte lassen sich als Rezitationsliteratur charakterisieren, die im Kult für den Verstorbenen gesprochen wurde. Der verstorbene König kann dabei jede beliebige Gestalt annehmen und in jeder Gestalt angesprochen werden. Wenngleich die Texte während bestimmter Rituale rezitiert wurden, muss ein direkter Bezug zum Kult und zu konkreten Kulthandlungen nicht mehr gegeben sein. Eine genaue Abgrenzung der Gruppe „Verklärungen“ ist allerdings schwierig, nicht zuletzt deshalb, weil sich die Eigenbezeichnung in den ägyptischen Texten nicht immer findet und somit entsprechend großer Spielraum für Zuweisungen besteht.

Es ist zugleich jedoch deutlich, dass wir zumindest zwei Gruppen von Texten in den Pyramidentexten unterscheiden müssen. Dies sind, folgt man den Bezeichnungen von Jan Assmann (2002), zum einen die Totenliturgien („Verklärungen“), die als ursprüngliche Rezitationsliteratur aufzufassen sind, und zum anderen die eigentliche Totenliteratur, die dem Verstorbenen zu seinem eigenen Nutzen gleichfalls mit in sein Grab gegeben werden kann, die ihren Ursprung aber nicht in der Rezitationsliteratur haben muss.

Neben der Schwierigkeit, den Terminus der Verklärung auf die Pyramidentexte anzuwenden und eine Eingrenzung und Zuordnung vorzunehmen, zeigen die unterschiedlichen Ansätze auch, wie eng die Überlegungen einer formalen Unterscheidung innerhalb des Corpus der Pyramidentexte mit Aussagen zu deren Inhalt und ihrer Zweckbestimmung verbunden sind. Was die „Verklärungen“ anbelangt, so ist hierin eine inhaltliche Kategorie zu erkennen, während bei den übrigen „Gattungen“ vornehmlich mit formalen Kriterien gearbeitet wird, was gleichfalls nicht ohne Probleme ist (s.a. 2. und 3.).

2. Inhalt und Gedankenwelt der Pyramidentexte

Vieles, was uns in den späteren Textsammlungen → Sargtexte und → Totenbuch begegnet, ist in den Pyramidentexten bereits angelegt, wenngleich nicht in der gleichen Ausführlichkeit und Eindeutigkeit. In vielem sind die Pyramidentexte also Ausgangspunkt eines fortschreitenden gedanklichen Prozesses zu sehen, der sich in der funerären Literatur niedergeschlagen hat. Zugleich sind zwei grundlegende Unterschiede zwischen Pyramidentexten einerseits sowie Sargtexten und Totenbuch andererseits auszumachen. Zum einen ist in den Pyramidentexten ein großer Teil der Sprüche als Ritualtexte gekennzeichnet, die in den Sargtexten deutlich vermindert und im Totenbuch überhaupt nicht mehr auftreten. Zum anderen handelt es sich bei den Pyramidentexten um Spruchmaterial, das ein exklusiv königliches Jenseitsschicksal abbildet, was bei Sargtexten und Totenbuch nicht mehr der Fall ist. Während Ersteres für die Funktion der Texte, ihre Zweckbestimmung, von besonderem Interesse ist (s. 3.), lässt sich die Vorstellung einer königlichen Jenseitsexistenz auch deutlich aus den Inhalten ablesen. Die Pyramidentexte vermitteln uns einen hierarchisch strukturierten Totenglauben und → Jenseitsvorstellungen, d.h. die Pyramidentexte bringen elitäre Vorstellungen zum Ausdruck, indem das Dasein des Königs im Jenseits als grundsätzlich anders als das eines „normalen“ Sterblichen beschrieben wurde. Pharao erwartet auch nach dem Tod ein Fortleben, das seiner herausragenden, gleichsam göttlichen Stellung auf Erden gerecht wird. Erst allmählich dringen (mit der aufkommenden Osirisreligion) auch andere Vorstellungen in die Pyramidentexte ein (s. dazu im Folgenden).

Thema der Pyramidentexte ist die jenseitige Existenz des verstorbenen Königs. Die Texte liefern uns allerdings keine durchgängige oder einheitliche Schilderung dieser real nicht erfahrbaren, sondern nur gedanklich zu erschließenden Sphäre. Ebenso wenig können wir den Pyramidentexten eine allgemeingültige Schilderung entnehmen, wie diese Welt zu erreichen ist. Es sind auch keine narrativen Texte, die z.B. die mythischen Ereignisse um bestimmte Gottheiten oder Götterkreise aufgreifen und wiedergeben. Auf die tradierten Mythen nehmen nur kurze Abschnitte Bezug, selten geben Texte einen größeren Zusammenhang wieder (PT 477). Es ist aber offensichtlich, dass Mythen den Pyramidentexten zugrunde liegen und dass sie darauf Bezug nehmen, indem das Schicksal des verstorbenen (Königs) an mythische Vorgänge angebunden sein kann. Auf diese Weise werden nicht nur bestimmte Handlungen für den Verstorbenen geheiligt, es werden auch das Los des Verstorbenen „erklärt“ und verschiedene Gesichtspunkte des jenseitigen Daseins vermittelt.

Es sind also durchaus verschiedene und uneinheitliche Vorstellungen über das Jenseits und die dort lebenden Gestalten, mit denen die Pyramidentexte konfrontieren. Die verschiedenen Vorstellungen stehen mitunter direkt nebeneinander, was nach „logischen“ Gesichtspunkten nicht nur als widersprüchlich, sondern auch als verwirrend, wenig systematisch und entsprechend der Wirkungskraft der Texte abträglich angesehen werden könnte. Ganz offensichtlich ist dies vom altägyptischen Leser und Nutzer nicht in gleicher Weise empfunden worden. Vielmehr haben wir in dieser vielfältigen Annäherung ein Prinzip zu erkennen, mit dem die Wirksamkeit der Inhalte um ein Vielfaches erhöht wurde und das infolgedessen als positiv angesehen wurde („multiplicity of approaches“ nach H. Frankfort oder „komplementäre Logik“ nach E. Hornung). Grundlage all dieser Vorstellungen ist die Überzeugung, dass mit dem Tod ein Leben in einer neuen Daseinsform und an einem anderen Ort beginnen wird.

Der folgenden Strukturierung der in den Pyramidentexten zum Ausdruck gebrachten Ideen zu einem jenseitigen Dasein liegen unterschiedliche Zeitschichten in den Texten zugrunde, d.h. die Vorstellung, wonach der verstorbene König als Stern am Nachthimmel steht, ist älter als seine angenommene jenseitige Existenz beim Sonnengott. Das Eindringen der Religion des Gottes Osiris wiederum hat als jüngste Glaubensvorstellung in den Pyramidentexten zu gelten. Dessen ungeachtet sind in den Pyramidentexten immer wieder Verknüpfungen zwischen den einzelnen Jenseitshoffnungen vorgenommen worden, die sich mitunter nur schwer zu einem – in unserem heutigen Sinne – einheitlichen Bild zusammenfügen lassen.

2.1. Der Aufstieg des verstorbenen Königs zum Himmel

Mit seinem Tod löst sich Pharao von der diesseitigen Welt und steigt zum Himmel auf, der Himmelsaufstieg ist ursprünglich also mit dem Königstod verbunden und ihm vorbehalten. Dieser Aufstieg wird nicht unbedingt in menschlicher Gestalt bewältigt, dann z.B. über eine (Himmels-)Leiter, sondern es wird der König gern in der Gestalt von Lebewesen gezeigt, die auf Grund ihrer Natur und Fähigkeiten (Fliegen, Springen, Schnelligkeit) dazu besonders gut geeignet scheinen. Auch auf Naturgewalten (z.B. Wind) oder göttliche Gestalten kann zurückgegriffen werden. Doch ist dieser Himmelsaufstieg des verstorbenen Königs weniger als ein kosmisches Phänomen zu sehen, denn es wird dieses Bild vor allem dazu benutzt, um einen sozialen Bezug erkennbar zu machen. Der Himmel ist als Aufenthaltsort der Götter zu verstehen, und zu diesen gesellt sich der verstorbene König. Die Ankunft im Himmel kommt einer Heimkehr gleich, Pharao wird einer der dort lebenden göttlichen Wesen (PT 217). So kann die Ankunft des verstorbenen Königs am Himmel, wie sie in den Pyramidentexten beschrieben wird, mitunter Züge tragen, die auch beim Erscheinen Pharaos in seiner irdischen Residenz zu erwarten wären: Thronen und Audienz (Pyr. §§ 754f., Pyr. §§ 1562f.). Auch sonst sind des öfteren irdische Verhältnisse nachgezeichnet und werden diese auf die jenseitige Existenz projiziert, etwa mit der Nennung von Titeln, die am königlichen Hof zu finden sind (Pyr. §§ 565f.). Die Projektion der Begebenheiten aus der realen Welt untermauert einmal mehr den Herrschaftsanspruch des verstorbenen Königs auch im Jenseits.

Der Vorstellung, wonach Pharao nach seinem Tod zum Himmel aufsteigt, wurde im Übrigen auch in der Architektur der königlichen Bestattungsanlagen des Alten Reiches Ausdruck verliehen. Sie schlägt sich (u.a.) in der himmelwärts gerichteten Gestalt der Pyramiden nieder.

2.2. Das jenseitige Dasein des verstorbenen Königs am Himmel

Als jenseitiges Gefilde erschließt sich in den Pyramidentexten vor allem der Himmel. Dabei sind es sowohl Phänomene des Tages- wie des Nachthimmels, die eine Rolle spielen, ohne dass beides allerdings streng voneinander getrennt wäre. Die Himmelskonstruktionen, die den Vorstellungen von einer jenseitigen Existenz zugrunde liegen und sich in den Pyramidentexten niederschlagen, sind unterschiedlicher Art. So kann der Himmel als die Göttin → Nut gedacht sein, die mit dem Verschlucken und Gebären der Gestirne (Sonne und Sterne) den ewigen Kreislauf in Gang hält oder an bzw. in deren Körper die Gestirne entlang fahren. Es kann der Himmel aber auch als Ozean, als Himmelsgewässer gedacht sein. Explizit wird dies nicht geäußert.

Als älter hat die Vorstellung zu gelten, nach der den verstorbenen König eine jenseitige Existenz als Stern am Firmament, und zwar am nördlichen Nachthimmel erwartete (Kees 1956, 87ff.). Dort stehen die Zirkumpolarsterne, die „Unvergänglichen“, die nie untergehen. An ihr Schicksal bindet sich der verstorbene König an. Gleichzeitig wird aber auch das Phänomen, wonach Sterne eine Zeitlang nicht am Himmel sichtbar sind, nicht verleugnet, sondern produktiv aufgenommen. Dies ist z.B. bei den Dekansternen, die 70 Tage im „Haus des Geb“ ruhen, der Fall.

Die Vorstellungen einer solaren Jenseitsexistenz sind an die Sonne und die Gestalt des Sonnengottes → Re gekoppelt, denn der Sonnengott ist es, der in seinem Tageszyklus bei Tag den Himmel durchzieht und bei Nacht den Verstorbenen Licht bringt. Somit sind die Phänomene von Tag- und Nachthimmel ihm untergeordnet. Diese Fokussierung auf den Himmel als jenseitigem Bereich und auf den Sonnengott, die mehrheitlich die Jenseitsvorstellungen der Pyramidentexte ausmacht, dürfte durch die heliopolitanischen Glaubenslehren des Alten Reiches wesentlich bestimmt sein (→ Heliopolis). So wie sie den (lebenden) König als „Sohn des Re“ verstehen (entsprechend ist einer der insgesamt fünf Namen Pharaos betitelt), so gehen sie von einer Lokalisierung auch des Jenseits vor allem im Himmel aus, dem Reich des Sonnengottes Re. Er ist der dortige unumschränkte Herrscher (auch der Verstorbenen) und mit einem eigenen Hofstaat umgeben, der ihn auf seiner Fahrt begleitet. Neben dem einmaligen Himmelsaufstieg treffen wir deshalb in den Pyramidentexten auf die Reise des verstorbenen Königs an der Seite des Sonnengottes, die immer wiederkehrend auch den Charakter eines „Aufstiegs“ haben kann. Das Verhältnis des verstorbenen Königs zum Sonnengott ist dabei durchaus ambivalent oder unterschiedlich definiert. So tritt Pharao allgemein in der Gemeinschaft und in der Nähe des Sonnengottes auf (Pyr. §§ 954f.), er erbittet Hilfe und Unterstützung von Re, Pharao strebt aber auch Wesensgleichheit mit dem Sonnengott an und bedroht ihn gar, um so zu seinem Ziel und zu unumschränkter Herrschaft zu kommen. Zumeist möchte er aber in der Gemeinschaft mit dem Sonnengott Re und als dessen Sohn im Jenseits existieren. Der König wird so in den Zyklus des Sonnenlaufes mit einbezogen, zugleich ist diese Sonnenfahrt als eine Art Herrschaftsantritt zu sehen. Was der Verstorbene für sich konkret wünscht, ist die Mitfahrt in der Barke des Sonnengottes (Pyr. § 922f.), die über den Himmel und verschiedene Jenseitsgefilde zieht, die er mitunter aber auch allein steuert. Dabei sind es zwei Barken (Tages- und Nachtbarke), die ihm dafür zur Verfügung stehen. Gemeinhin ist es der Osten des Himmels, zu dem der Verstorbene gelangen möchte, denn der Osten ist der Ort, an dem die Sonne bzw. der Sonnengott nach seiner Verjüngung aufgeht und an dem auch die Sterne erstmals sichtbar werden. Bei dieser Fahrt wie auch bei der Reise über den Himmel kann der Verstorbene immer wieder auf Hindernisse treffen, die es zu beseitigen gilt. So müssen bei Fährmann oder Torhüter z.B. Wissensprüfungen abgelegt werden oder es erfolgen Anrufungen an die Götter um deren Hilfe (um z.B. auf dem Flügel des Thot zu einem Ort überzusetzen), aber auch Drohungen und Bedrohungen der Götter.

Die Himmelstopographie, nimmt man die Gesamtheit der Pyramidentexte, wird durchaus widersprüchlich geschildert bzw. es werden Örtlichkeiten genannt, die nicht unbedingt in eine eindeutige räumliche Beziehung zueinander zu setzen sind, sondern sich in gewisser Weise überlagern und sich gegenseitig ergänzen. Zu den Örtlichkeiten, die für den Verstorbenen von Bedeutung sind, die er passieren muss oder zu denen er gelangen möchte, gehören (u.a.) der „Gewundene Kanal“, der „Feuersee“ und das „Opfergefilde“ (s.a. Krauss 1997). Letzteres steht insbesondere für die Garantie immerwährender Nahrungsfülle.

Die gedankliche Hinwendung zum Osten bzw. zum östlichen Horizont als Ort der Regeration findet eine architektonische Umsetzung z.B. mit der Verlagerung des Totentempels von der Nord- an die Ostseite der Pyramide.

2.3. Das jenseitige Dasein des verstorbenen Königs als Osiris

Der jenseitigen Existenz des Königs am Himmel ist das Los der Menschen gegenübergestellt, die in der Erde ruhen. Dorthin und zum Gott Geb möchte der verstorbene König nicht gelangen (Pyr. § 308). Das Jenseits als unterirdischer Bereich bleibt in den Pyramidentexten demzufolge noch weitgehend ausgespart und ist im Wesentlichen negativ konnotiert: „Sein (des Verstorbenen) Abscheu ist die Erde” (Pyr. § 308b, s.a. Pyr. §§ 231, 1641). Diese Abwertung einer unterirdischen Welt, die späterhin als Herrschaftsbereich des Gottes Osiris gilt, geht mit der fehlenden Anerkennung des Westens als Bereich der Verstorbenen einher. Auch er ist noch nicht in dem Maße präsent, wie wir es aus späteren Texten kennen. Diese Vorstellung lässt sich zwar in privaten Inschriften bereits ausmachen, ist aber in der königlichen funerären Literatur des Alten Reiches nicht präsent.

Gänzlich ausgespart werden kann der unterirdische Bereich allerdings nicht. Die diversen Naturphänomene, an die das Schicksal des Verstorbenen in gewisser Weise angebunden ist, erzwingt die Anerkennung auch dieses Bereiches. Dazu gehört ganz allgemein der Sonnenlauf, aber auch die Unterscheidung zwischen Sternen, die untergehen, und solchen, die dies nicht tun. Zudem erfordert die Ganzheitlichkeit des Weltbildes die Konstruktion einer „Gegenwelt“ zum Himmel. Diese wird z.B. deutlich, wenn Geb als Erde nicht zuletzt deshalb Tore öffnet, um der Sonne den Weg freizugeben. Dieser unterirdische (Jenseits-)Bereich wird allmählich zum Bereich des Gottes Osiris, der späterhin diesen Bereich gänzlich beherrscht.

Es sind zunächst die Zeugnisse von Privatleuten, die den stetigen (und unaufhaltsamen) Aufstieg des Glaubens vermitteln, wonach jeder Verstorbene das Schicksal des Osiris durchlebt und damit den Tod überwinden kann. In den jüngeren Pyramiden zum Ende des Alten Reiches wird in (entsprechend jüngeren Texten) aber zunehmend auch die Existenz des verstorbenen Königs als Osiris herausgestellt. Dieses neu aufkommende, sich allmählich durchsetzende Gedankengut steht zwar im Widerspruch zu der bislang angenommenen, rein himmlischen Existenz des verstorbenen Königs, wird dieser aber zur Seite gestellt. Mitunter finden wir Versuche, diese unterschiedlichen Vorstellungen auszugleichen oder aneinander anzupassen, z.B. dann, wenn der chthonische Gott Osiris in das himmlische Jenseits versetzt und durch Geb als dessen Erbe beim Sonnengott eingeführt wird. Auch kann nun der verstorbene König als Osiris zum Himmel aufsteigen (Pyr. §§ 1686ff.) oder es ist Orion als „Vater der Götter“ gleichzeitig (ein) Erscheinungsbild des Gottes Osiris.

Aus den Inhalten der Pyramidentexte lassen sich also verschiedene → Jenseitsvorstellungen herausfiltern. Zudem sind sie aber auch nach anderen Gesichtspunkten inhaltlich zu erschließen. Dazu könnte z.B. die in den Texten erfasste → Götterwelt gehören.

3. Bedeutung und Funktion der Pyramidentexte

Schon die frühesten Aufzeichnungen der Pyramidentexte in unterirdischen, nach der Beisetzung verschlossenen und dann unzugänglichen Räumlichkeiten machen den Nutzen dieser Texte allein für den verstorbenen König erkennbar. Für ihn und seine Belange, die im Wesentlichen in einer gelungenen Ankunft im Jenseits und einer ewigen, glücklichen Existenz in der jenseitigen Welt bestehen, wurden diese Texte konzipiert bzw. zusammengestellt. Gleichwohl entstammen die Pyramidentexte der diesseitigen Welt und müssen (teilweise) auch in diesem Kontext gesehen werden („Sitz im Leben“).

Bei einer größeren Anzahl von Sprüchen aus den Pyramidentexten ist offensichtlich, dass sie einen rituellen Bezug besitzen und während eines Rituals gesprochen worden sind. Darauf deuten u.a. der häufig verwendete Rezitationsvermerk und die Form der Texte. Einige dieser Sprüche sind in ihrer Anwendung sehr spezifisch (Pyr. §§ 600f. zur Weihung der Pyramide), viele wird man aber keinem bestimmten Ritual zuweisen können. Reinigungsriten etwa (Pyr. §§ 32, 423, 436) oder Räucherungen (Pyr. §§ 414, 591, 622) sind zu verschiedenen Anlässen denkbar. Auch bei Hymnen dürfte dies der Fall sein. Andere Texte besitzen diesen Ritualcharakter nicht, sondern sind offensichtlich für den Gebrauch im Jenseits durch den Verstorbenen konzipiert worden.

In unterschiedlicher Weise ist nun für die Niederschriften der Pyramidentexte im Alten Reich die Frage beantwortet worden, wie die einzelnen Sprüche ihre Wirksamkeit entfalten sollten, ob hinter der Anbringung und Verteilung der Texte ein System zu erkennen ist und welches. Kurt Sethe (1931) hatte gerade dies noch geleugnet. Er erkannte in den Pyramidentexten vornehmlich Verklärungen, die zur Rezitation im Totenkult verwendet wurden. In den Pyramiden seien die Texte ohne eine bestimmte Ordnung an die Wand gebracht worden, um vom verstorbenen König bei seiner Auferstehung und für seine Verklärung abgelesen werden zu können. Die Texte konnten zudem durch ihre bloße Anwesenheit magisch wirksam werden. Dieser Ansatz von Sethe ist im Wesentlichen von Winfried Barta (1981) weitergeführt und verfeinert worden. Barta erkennt in den Pyramidentexten gleichfalls Verklärungssprüche. Als solche gehörten die Pyramidentexte nach Auffassung von Barta zum Grabinventar und dienten so bestimmten Aufgaben (z.B. Existenzsicherung). Die durch Verklärung und (Grab-)Ausstattung erreichte Vergöttlichung sollte es dem verstorbenen König ermöglichen, im Jenseits eine göttliche Rolle und zwar speziell die des sich zyklisch mit Osiris vereinigenden Sonnengottes (Vereinigung von Ba und Leichnam) zu spielen. Über dessen Eigenschaften und Handlungen berichten die Texte in ihrer Funktion als Biographie. Damit wäre dem Verstorbenen in Analogie zum kosmisch-solaren Bereich eine sich in endloser Folge erneuernde Jenseitsexistenz gesichert. Jürgen Osing (1986) geht zwar einen anderen Weg, spricht sich aber – unter Berufung auf Barta – gleichfalls gegen eine Interpretation der Pyramidentexte als einem fortlaufenden Ritualtext (dazu im Folgenden) aus. Dies begründet er zum einem mit der Wiederkehr bestimmter Themen (und Texte) an festgelegten Stellen in der Bestattung (z.B. apotropäische Sprüche an den Zu- und Durchgängen, Versorgungs- und Verklärungstexte in der Sargkammer). Zum anderen verweist er auf die große Variationsbreite zwischen den Textprogrammen in den einzelnen Pyramiden und die wechselnde Verteilung der Sprüche innerhalb der Pyramiden.

Breiten Raum in der wissenschaftlichen Erforschung der Pyramidentexte nahm über viele Jahre die Deutung der Pyramidentexte als königliches Begräbnisritual ein. Dieser Ansatz geht auf Siegfried Schott (1950) zurück. Er sieht in dem größten Teil der Pyramidentexte (königliche) Rezitationstexte, die während der Bestattung des verstorbenen Königs vorgetragen wurden und bestimmte Ritualhandlungen begleiteten. Dabei vermutete Schott eine Rezitation der Texte im Pyramidentempel und setzte die einzelnen Raumelemente im Tempel mit den Räumen im Innern der Pyramide in Beziehung. Die Texte sollten dem verstorbenen König zur jenseitigen Existenz verhelfen. Die Vorstellung, wonach die Pyramidentexte ein Ritualgeschehen wiedergeben, ist vor allem von Joachim Spiegel (1953, 1955, 1971) und dann von Hartwig Altenmüller (1972) weiter ausgearbeitet worden, wobei zwischen beiden Entwürfen jedoch nicht unerhebliche Unterschiede bestehen. So soll z.B. nach der Auffassung von Spiegel das Begräbnisritual während der Bestattung vom Vorlesepriester in der Pyramide, dem Ort des Geschehens, direkt von der Wand abgelesen worden sein, während Altenmüller die Pyramidentexte als Rezitationstexte auffaßt, die zum Begräbnisritual gesprochen wurden. Die Pyramidentexte sind also nicht das eigentliche Ritual, Ort der Handlung ist neben dem Pyramideninnern auch der Totentempel.

Bereits zuvor hatte Alexandre Piankoff (1969), wiederum auf der Basis der Unaspyramide, ein – vom Begräbnis offenbar unabhängiges – Auferstehungsritual angenommen, das den Texten zugrunde liegen soll. Die Texte schildern nach seiner Auffassung den Aufstieg des verstorbenen Königs zu seinem Vater, dem Allgott. Zugleich betrachtet er die Texte als ohne System zusammengestellte Sammlung religiöser Sprüche. Auch in jüngeren Untersuchungen zur Bedeutung der Pyramidentexte wird zunehmend von der Annahme abgerückt, die Texte würden ein konkretes Ritualgeschehen wiedergeben. Dafür kann der Ansatz von James P. Allen (1994) stehen. Er setzt als Ausgangspunkt seiner Interpretation des Textprogramms in der Unaspyramide wiederum die Spruchsequenzen, in die sich die Pyramidentexte unterteilen lassen. Diesen Sequenzen ordnet er Themen zu (z.B. Opfer, Wiederauferstehung des Königs, Schutz) und betrachtet nun die Anbringung der einzelnen Sequenzen (z.B. Leserichtung) und die Verteilung der Sequenzen innerhalb der Pyramide. Auf diese Weise kann Allen eine gedankliche Abfolge in den Texten rekonstruieren, mit der die Reise des verstorbenen Königs hin zu ewigem Leben nachgezeichnet wird. Von der Dat „Unterwelt“, wo er als Osiris liegt und die in der Architektur der Sargkammer entspricht, löst er sich, so dass sein → Ba („Seele“) hin zum östlichen Horizont (als Ort der Regeneration) aufsteigen (Vorkammer) und sich Pharao schließlich mit der Dämmerung aus dem Horizont erheben kann (Durchgang von der Vorkammer zum Korridor).

4. Überlieferung der Pyramidentexte

Die exklusiv königliche Nutzung der Pyramidentext während des Alten Reiches löst sich zum Ende der 6. Dynastie auf. Zu diesem Zeitpunkt werden die Texte nicht nur für Pepi II. verwendet, sondern auch die Pyramiden von dessen Gemahlinnen sind mit Texten aus diesem Corpus dekoriert. Wie die Pyramide des Ibi aus der 8. Dynastie zeigt, bleiben die Pyramidentexte jedoch auch noch während der 1. Zwischenzeit königliche Begräbnistexte. Erst im Mittleren Reich können wir ihr Fehlen in königlichen Bestattungen beobachten. Die Übernahme der Pyramidentexte als funeräre Texte durch Privatleute, hohe und höchste Beamte, in der 1. Zwischenzeit und im Mittleren Reich führt zur weiteren Verbreitung. Unter diesen Quellen ist die Mastaba des Sesostris-anch in al-Lišt aus der 12. Dynastie von besonderem Interesse (Hayes 1937), da sich in ihr der Textbestand aus der Pyramide des Unas nahezu unverändert wiederfindet.

Schon im Alten Reich ist die Existenz und Verwendung unterschiedlicher Versionen eines Textes nachweisbar, vor allem bei Pepi II. stehen sie auch direkt nebeneinander. Textarbeit ist zudem in noch einem anderen Zusammenhang nachweisbar, denn mit der 1. Zwischenzeit sind Pyramidentexte – als Ganzes oder abschnittsweise – auch in das Corpus der sogenannten → Sargtexte aufgenommen worden. Diese neu redigierten Texte, gänzlich neues Textmaterial wie auch die ursprünglichen Pyramidentexte machen die funeräre Literatur des Mittleren Reiches aus.

Unabhängig davon, dass Pyramidentexte oder Teile davon in Sprüchen der Sargtexte aufgehen, bleiben sie als eigenständige Texte bestehen. Über das Mittlere und Neue Reich werden Pyramidentexte bis in griechische Zeit (4.-1. Jh. v. Chr.) tradiert (Allen 2006, 1950). Insbesondere in Beamtengräbern des Neuen Reiches sowie in spätzeitlichen Gräbern werden sie immer wieder aufgenommen. Die in Gräbern und auf Särgen der Spätzeit niedergeschriebenen Pyramidentexte zeigen dabei eine besondere überlieferungsgeschichtliche Nähe zu den Abschriften des Alten Reiches und besonders zu den Texten in der Pyramide des Unas, der als erster Herrscher Pyramidentexte in seiner Bestattung anbringen ließ. Es handelt sich dabei um exakt ausgeführte Abschriften, die teilweise die Orthographie des Alten Reiches bewahren. Die späten Abschriften könnten also unmittelbar auf Vorlagen des Alten Reiches zurückgehen. Neben bekannte Sprüche treten auch unbekannte Texte. Es standen also offensichtlich weit größere Mengen von Texten zur Verfügung, als uns in den Pyramiden des Alten Reiches überliefert wurden.

Literaturverzeichnis

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Abbildungsverzeichnis

  • Pyramide des Unas (5. Dyn.). © public domain (Foto: Klaus Koenen, 2004)
  • In der Pyramide des Teti. Aus: Wikimedia Commons; © public domain; Zugriff 18.04.2008

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