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Prophetie (AT)

(erstellt: Mai 2014)

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1. Definition von Prophetie

Prophetie bezeichnet ein Phänomen, das in vielen Religionen bekannt ist, auch in den Nachbarkulturen Israels, wie im Alten Testament durchaus anerkannt wird (vgl. 1Kön 18,19; Jer 27,9). Unter einem „Propheten“ versteht man eine Person, die Botschaften einer Gottheit an eine dritte Partei vermittelt, ohne dass diese dritte Partei selbst in der Lage wäre, diese göttliche Botschaft zu vernehmen. Um die Aufgabe eines Propheten übernehmen zu können, benötigt die betreffende Person erstens eine spezielle psychische Disposition für paranormale religiöse Erfahrungen, wie sie erfahrungsgemäß nur wenigen Menschen gegeben ist, sie muss zweitens Einsichten gewinnen, von deren göttlicher Herkunft sie völlig überzeugt ist, und sie muss drittens spüren, dass sie von der Gottheit beauftragt ist, die empfangene Botschaft dem Adressaten auszurichten.

Der Prophet gehört damit zu den religiösen Spezialisten, die es vermögen zwischen Gott und Mensch zu vermitteln, er stellt aber einen besonderen Typ dar. Um der Klarheit willen sollte man die verschiedenen Typen derartiger Spezialisten begrifflich unterscheiden, auch wenn in der Realität vielfache Vermischungen vorkommen.

Wenn Propheten von sich aus bzw. allein auf Initiative einer Gottheit aktiv werden, sollte man von spontaner Prophetie sprechen, von einer befragenden Prophetie dagegen, wenn eine Gottheit im Auftrag von Menschen befragt und dem Auftraggeber eine Antwort übermittelt wird.

Vom Propheten zu unterscheiden ist der Mantiker (Orakeldeuter), der über die Fähigkeit verfügt, göttliche Botschaften aus Omina abzuleiten, ohne dass er dafür eine besondere göttliche Eingebung benötigt (→ Divination). Der Mantiker kann Vorzeichen interpretieren, die die Götter den Menschen zur Verfügung stellen. Dabei wendet er traditionelles technisches Wissen darüber an, welche Bedeutung die gleichen Omina früher gehabt haben (induktives Verfahren). Es gibt bestimmte Omina, die die Götter von sich aus den Menschen anbieten, z.B. den Lauf der Gestirne, den Vogelflug, die Geburt ungewöhnlich gestalteter Tiere u.a. Es gibt aber auch solche Omina, die die Götter auf Anfrage der Menschen aktivieren, die den Willen der Gottheit wissen wollen, wie z.B. Leberschau und Ölomina.

Der Prophet ist auch zu unterscheiden von einem Schamanen oder einem Reisenden in die spirituelle Tiefe der Realität (normalerweise als „Himmel“ bezeichnet). Ein Schamane verlässt seinen Körper und reist in die himmlische oder spirituelle Welt. Nach seiner Rückkehr kann er von den Erlebnissen dieser Reise berichten. Da die himmlische Welt, die Welt der Geister und Gottheiten, der alltäglichen Welt überlegen ist, haben diese Auskünfte für die Gestaltung der Alltagswelt normierende Funktion.

2. Begriffe für verschiedene Arten von Prophetie

Schon den alttestamentlichen Autoren war erkennbar, dass die Typen der verschiedenen Vermittlungsspezialisten sich im Laufe der Geschichte Israels entwickelt haben und Vermischungen vorkommen. In 1Sam 9,9 wird gesagt, dass der „Seher“ (רֹאֶה ro’ӕh) früher das war, was man neuerdings mit dem Titel „Prophet“ (נָבִיא nāvi’) bezeichnet. In 2Sam 24,11 wird Gad als „Prophet“ (נָבִיא nāvi’) eingeführt, gleichzeitig aber auch als „Visionär (חֹזֶה ḥozӕh) Davids“ betitelt. Die verschiedenen hebräischen Begriffe belegen, dass man die religiösen Vermittlungsspezialisten genau zu unterscheiden wusste. Im Zuge der literarischen Überlieferung setzte sich dann der Begriff נָבִיא nāvi’ als Sammelbezeichnung für alle Personen durch, die das „Wort JHWHs“ vermitteln konnten. Da die prophetische Literatur ständig von den → Auditionen der Propheten ausgeht, während sie nur selten von ihren → Visionen berichtet, ist es auffällig, dass es keinen hebräischen Begriff für die Audition gibt. Man hat den Eindruck, dass manchmal das Verb חזה ḥzh „schauen“ die Audition mitumfasst (z.B. Am 1,1 „Worte des Amos …, die er geschaut hat“).

2.1. Das griechische Wort „Prophet“

Das Wort „Prophet“ stammt aus dem Griechischen: προφήτης prophētēs ist gebildet aus der Präposition προ pro „vor / für“, dem Verb φημί phēmi „sagen“ und der Endung -tēs und bedeutet somit der „Vorsager / Fürsager“ bzw., wenn man προ pro als „anstelle von“ versteht, „derjenige, der für jemanden anderen spricht“. In der griechischen Kultur kommt das Wort vergleichsweise selten vor und diente zur Bezeichnung einer Person, die etwas vollmächtig im Namen einer Gottheit verkündet (Fascher). Die Übersetzer der → Septuaginta wählten das Wort als Äquivalent für das hebräische Wort נָבִיא nāvi’. Dadurch übernahm das griechische Wort προφήτης prophētēs den Bedeutungsgehalt des hebräischen Wortes נָבִיא nāvi’.

Bei der Übersetzung führte die Septuaginta eine Feinheit ein: In allen Fällen, in denen mit dem hebräischen נָבִיא nāvi’ ein falscher Prophet bezeichnet wurde, der sich den Status eines Gottessprechers also nur anmaßte, ohne von Gott dazu berufen zu sein, gebraucht sie das Wort ψευδοπροφήτης pseudoprophētēs. Dieses Wort scheint eine Neubildung der Übersetzer gewesen zu sein. Der Effekt dieser Unterscheidung war, dass die Leserschaft der griechischen Bibel, im Unterschied zu der der hebräischen, in jedem Fall sicher sein konnte, dass mit προφήτης prophētēs ausschließlich der wirklich von Gott berufene, also wahre Prophet bezeichnet wurde.

2.2. Die verschiedenen hebräischen Begriffe

2.2.1. נָבִיא nāvi’ „Prophet“. Das hebräische Wort נָבִיא nāvi’ stammt von der Wurzel נבא nb’, die ursprünglich am ehesten „benennen / ernennen“ bedeutet haben dürfte – so jedenfalls ist das Verb mit den gleichen Radikalen im Akkadischen zu verstehen (AHw; Jeremias 1976, 7). Das Verb נבא nb’ kommt nur in Stammesmodifikationen vor, die reflexiven und passiven Sinn haben. Daraus kann man schließen, dass die nāvi’-Tätigkeit als etwas erlebt wurde, was der Ausübende nicht aus eigenem Antrieb und aus eigenem Interesse wahrnimmt, sondern zu dem er von einer göttlichen Macht getrieben wird. Das Wort נָבִיא nāvi’ dürfte demnach so etwas bedeuten wie „der Ernannte / der (für eine Aufgabe) Bestimmte / der Berufene“.

Außerbiblisch begegnet das Wort נָבִיא nāvi’ in dem Lachisch-Ostrakon 3 (TUAT I, 621-622). Leider enthält der Brief nur wenige Andeutungen, worum es sich handelt. Am ehesten dürfte es darum gehen, dass der Absender seinem Brief eine Schrift eines Propheten angefügt hat, die mit der Zeile „Hüte dich!“ begann und vermutlich Warnungen enthielt, die der Empfänger angesichts des Anmarsches des babylonischen Heeres berücksichtigen sollte.

In der nachexilischen Sprachgeschichte ist נָבִיא nāvi’ zu einem Leitwort geworden, das alle Formen von Überbringung göttlicher Botschaften umfasst. In den früheren Phasen hat man allerdings verschiedene Spezialisten unterschieden.

Ein berühmter Fall, der die Geschichte des Begriffs נָבִיא nāvi’ beleuchtet, findet sich in dem Bericht über die Auseinandersetzung zwischen dem am Reichsheiligtum in → Bethel Aufsicht führenden Priester → Amazja und dem „Propheten“ Amos (Am 7,10-17). Amazja redet Amos zunächst als „Seher“ ḥōzӕh an, beschreibt dessen Tätigkeit aber mit dem Verb נבא nb’ (Am 7,12-13). Amos wehrt sich entrüstet mit der Aussage „Ich bin kein Prophet (נָבִיא nāvi’) und auch kein Prophetensohn (בֶּן־נָבִיא ben nāvi’)!“, gebraucht aber dann seinerseits das Verb נבא nb’, um in Worte zu fassen, wozu ihn JHWH berufen habe (Am 7,15). Amos versteht sich also nicht als נָבִיא nāvi’, damit wäre er offensichtlich Angehöriger eines Berufsstandes, dem der Priester am Staatstempel etwas befehlen könnte, er sieht sich vielmehr als simplen Laien, der von seiner Herde weg von Gott beauftragt wurde, die Tätigkeit eines נָבִיא nāvi’ auszuüben. Für spätere Redaktoren, sowohl diejenigen, die Am 3,7 eingefügt und damit Amos als einen aus der Kette der Propheten verstanden haben, die Gott geschickt hat, um sein Volk zur Umkehr zu rufen, als auch diejenigen, die die Amosschrift in den Kanonteil der hinteren Propheten (→ Kanon) eingereiht haben, war Amos im Vollsinne ein נָבִיא nāvi’. Erst recht für den griechischen Übersetzer des → Zwölfprophetenbuchs, der die Aussage des Amos „Ich bin kein Prophet“ in die Vergangenheit setzte. Die Aussage „Ich war kein Prophet“ galt für ihn nur für die Phase bis zum Zeitpunkt der Berufung.

2.2.2. חֹזֶה ḥozӕh „Visionär“. Das Hauptmerkmal, an Hand dessen man verschiedene Typen von Propheten unterschieden hat, war die Art und Weise des Empfangs der göttlichen Botschaft. Anscheinend hat man in dieser Hinsicht Kommunikationskanäle von unterschiedlicher Verlässlichkeit gesehen. Der Visionär wird gelegentlich neben den נָבִיא nāvi’ gestellt (vgl. 2Sam 24,11; 2Kön 17,13; Mi 3,5.7). Der Titel חֹזֶה ḥozӕh wurde möglicherweise vorwiegend in Juda gebraucht.

חֹזֶה ḥozӕh ist ein aktives Partizip von dem Verb חזה ḥzh, das ein visionäres Schauen bezeichnet, welches tiefer dringt als normales „Sehen“. Der חֹזֶה ḥozӕh ist also der „Visionär“.

2.2.3. רֹאֶה ro’ӕh „Seher“. Das Wort רֹאֶה ro’ӕh „Seher“ ist ein aktives Partizip vom Verb ראה r’h „sehen“. Die Wahl des Verbs impliziert, dass die Qualität der Wahrnehmung eines Sehers sich nicht gravierend von dem unterscheidet, was normale Menschen ebenfalls wahrnehmen könnten.

2.2.4. אִישׁ־הָאֱלֹהִים ’îš ha’älohîm „Gottesmann“. Auch der Titel אִישׁ־הָאֱלֹהִים ’îš ha’älohîm „der Mann Gottes“ wird zur Bezeichnung von Propheten gebraucht (z.B. 1Sam 2,27; 1Kön 12,22; 1Kön 17,24; 1Kön 20,28). Besonders in den Elia-Elisa-Erzählungen begegnen die Titel אִישׁ־הָאֱלֹהִים ’îš ha’älohîm und נָבִיא nāvi’ nebeneinander, ohne dass immer klar würde, inwiefern beide Begriffe verschiedene Funktionen bezeichnen. Möglicherweise ist der Titel auch nur im Nordreich beheimatet gewesen. Die Phrase „(der) Mann Gottes“ besagt zunächst einmal, dass der Mann zu Gott gehört. In 2Kön 4,9 wird der Mann auch als → „heilig“ bezeichnet, was impliziert, dass er unmittelbar zu Gott selbst gehört. Es spricht vieles dafür, dass אִישׁ־הָאֱלֹהִים ’îš ha’älohîm ein eigenständiger Begriff ist, der den Wundertäter, den von göttlicher Kraft erfüllten Menschen bezeichnet. Da → Elia und → Elisa als Propheten und auch als Wundertäter gelten, können in ihrem Falle beide Titel nebeneinander gebraucht werden.

2.2.5. Orakelspezialisten. Einen Haltungswechsel hat es innerhalb der Religionsgeschichte Israels insbesondere gegenüber den Formen der Mantik gegeben (→ Divination). In der vorstaatlichen Frühzeit scheint man solchen Praktiken unbefangen gegenüber gestanden zu haben. In der späten Königszeit scheint man aber nur noch vom intuitiven נָבִיא nāvi’ verlässliche Auskunft erwartet zu haben, während man andere Spezialisten, wie Mantiker, Wahrsager, Hellseher, Träumer (→ Traum) ausgeschlossen hat (vgl. Num 23,23; 1Sam 15,23; 2Kön 9,22; 2Kön 17,17; Jes 2,6; Mi 5,11; die ausführlichste Liste inkriminierter religiöser Spezialisten findet sich in Dtn 18,10-15).

3. Geschichte der Prophetenforschung

Die Geschichte der modernen Prophetenforschung kann man mit → Johann Gottfried Eichhorn (1752-1827) beginnen lassen, da er es war, der erstmals auf dem Boden historisch-kritischen Denkens eingehend dargelegt hat, dass der zweite Teil des → Jesajabuchs nicht von dem historischen Jesaja stammen kann, sondern die Eroberung Jerusalems (→ Zerstörung Jerusalems) schon voraussetzt (→ Deuterojesaja). Entschlossen zeichnete Eichhorn die Propheten in ihre historische Situation ein und gab die Vorstellung auf, wonach ein Prophet, kraft göttlicher Inspiration, zukünftige Ereignisse kommender Jahrhunderte in großer Genauigkeit voraussagen könne. Damit wurde die bis dahin selbstverständliche Annahme zerbrochen, dass die Prophetenbücher die Reden eines einzigen, namentlich bekannten, Propheten enthalten. Daraufhin folgte eine dynamische Entwicklung, die dazu führte, dass man heutzutage nur noch mit einem sehr geringen Bestand an originalem Überlieferungsgut rechnet.

3.1. Propheten als geniale Einzelpersönlichkeiten

Prophetie 1

Als erster großer Prophetenforscher auf der Basis historisch-kritischen Vorgehens gilt → Heinrich Ewald. In seinem Werk „Die Propheten des Alten Bundes“ (1840) versteht er die Propheten als diejenigen, die auf geheimnisvolle Weise vom Geist Gottes in die Lage versetzt werden, die „allgemeinen Wahrheiten, welche die Welt beherrschen“ zu fassen und ihren Mitmenschen zu verkünden (Ewald, Bd.1, 2). So sehr er die historischen Propheten als mündlich auftretende Künder begriff, entwickelte er doch auch schon Modelle, wie die prophetische Überlieferung verschriftet und gesammelt wurde. Mit Julius Wellhausen (1844-1918) ist der Nachweis verbunden, dass die Propheten die Gesetzesmaterialien des → Pentateuch noch nicht kannten, sie also nicht als Ausleger des Gesetzes begriffen werden dürften (Schlagwort „lex post prophetas“, das Gesetz ist erst nach den Propheten entstanden). Dies stellte die traditionelle Sicht von den Propheten als Gesetzesauslegern auf den Kopf. Damit wurden sie von dem im Volk allgemein anerkannten Gesetzesbestand gelöst und ihr Anspruch, das Gotteswort zu verkünden, noch stärker als bei Ewald individualisiert. Auf der Basis der Spätdatierung des Gesetzes entwarf → Bernhard Duhm (1847-1928) seine Sicht von den Propheten, deren geniale Einsichten, vermittelt durch gottunmittelbare Erfahrungen, die Religion Israels vorangetrieben hätten. Gustav Hölscher (1877-1955) betonte in seinem Buch „Die Profeten“ die Individualität der Propheten zudem dadurch, dass er ihre Botschaft auf irrationale ekstatische Erlebnisse zurückführte, die sich vernünftiger Beschreibung entzögen. Dieselben Autoren, die auf den Propheten als den genialen Einzelpersönlichkeiten insistierten, arbeiteten aber auf der anderen Seite mittels der Literarkritik immer schärfer heraus, wie stark die Prophetenbücher von späteren Redaktoren überarbeitet worden waren. Die Unterscheidung von echtem und unechtem Gut wurde eine zentrale Aufgabe, um die historische Einzelpersönlichkeit freizulegen. Dabei wurden die Nachträge nicht als genuine Prophetie, sondern als literarische Nachträge von Epigonen verstanden, die die eigentliche Botschaft der historischen Propheten verwässert oder sogar verfälscht hätten.

3.2. Prophetie als Funktion der Gesellschaft

Hermann Gunkel (1862-1932) nahm einerseits die Vorstellung vom Propheten als dem genialen Einzelnen auf und sprach ebenfalls von den „geheimen Erfahrungen“, ohne die man die Propheten nicht verstehen könne, aber er legte großes Gewicht darauf zu zeigen, wie sehr sie in die allgemeine Religionsgeschichte des Vorderen Orients und in die entsprechende Gattungsgeschichte gehörten. So sehr die Propheten individuelle Einsichten gehabt hatten, so mussten sie sich doch der vorhandenen Gattungen bedienen, um sich verständlich zu machen. Damit waren sie, unbeschadet der individuellen Verwendung der Gattungen eingebunden in das Leben des Volkes. Die Einzelpropheten, deren Individualität Duhm so sehr betont hatte, wurden begriffen als Vertreter eines Standes, der die prophetischen Gattungen ausgeprägt hatte.

Gerhard von Rad (1901-1971) wies nach, dass die Propheten nicht nur in Bezug auf die Gattungen gebunden waren, sondern auch in inhaltlichen Dingen. Sie hätten in Traditionen gestanden, die ihnen durch ihre soziale Herkunft und religiöse Sozialisation vorgegeben waren und die die selbstverständliche Grundlage ihres Empfindens und Denkens waren (Theologie, Bd. 2). Henning Graf Reventlow (1929-2010) hat aus der formalen und inhaltlichen Abhängigkeit der Propheten dann den Schluss gezogen, dass die Propheten in den offiziellen Kult einbezogen gewesen sein müssen.

3.3. Propheten als Gerechtigkeitskämpfer

In den Sechzigerjahren des 20. Jh.s wurden die Propheten in ihrer politischen Brisanz relevant. Hans Walter Wolffs (1911-1993) „Die Stunde des Amos“ (1969) ist typisch für eine Forschung, die die historischen Auftritte der Propheten mit Hilfe sozialgeschichtlicher Modelle in die politischen Auseinandersetzungen der Zeit einzeichnete. Besonders zugespitzt wurde diese Richtung in der Theologie der Befreiung (Schwantes, Reimer; → Bibelauslegung, christliche). Die Propheten hätten für die Unterdrückten Partei ergriffen, ihre Gotteserfahrung sei geprägt gewesen von einer „Option für die Armen“. Die Anklagen hätten sich nicht auf das Volk als Ganzes, sondern lediglich auf die Unterdrücker bezogen, während den Armen Hoffnung gemacht worden sei.

3.4. Die Redaktionsgeschichte der Prophetenbücher

Mit Brevard Childs (1923-2007) begann eine Gegenbewegung, die betonte, dass die historischen Rekonstruktionen der originalen Auftritte wieder rückgebunden werden müssen an die prophetischen Bücher („Introduction“ 1979). Schließlich hätten die Redaktoren die Botschaft der historischen Propheten im Sinne der Überlieferungsgemeinschaft, der „community of faith“, so weiterentwickelt, dass sie in Gestalt der Bücher kanonisiert werden konnte. Nur so, in der kanonischen Endgestalt, dürften sie deshalb auch ihre normierende Funktion für die kirchliche Lehre ausüben. Dieser Impuls wurde parallel auch von Odil Hannes Steck (1935-2001) weiterentwickelt, der den Büchern den entscheidenden Ort innerhalb der Theologie der Propheten zubilligte (vgl. auch Jeremias 1996, 2003). Im Zuge dieser Hinwendung zur kanonischen Endgestalt wurde auch der Wert der vormodernen Exegese neu entdeckt und die christliche Bibel wieder als Einheit aus Altem und Neuem Testament begriffen.

4. Funktionen und Textgattungen der Prophetie

Die gesellschaftliche Rolle von Propheten können wir fast nur aus Texten rekonstruieren. Zum einen ist es noch nicht gelungen, Propheten bestimmte archäologisch greifbare materielle Hinterlassenschaften zuzuordnen. Zum anderen sind heutige Analogien schwer zu finden und wo diese zu finden sind, sind sie auf Grund der großen zeitlichen und kulturellen Distanz zum alten Israel schwierig auszuwerten, so dass der Wert der Analogien vage bleibt. Die Texte, die uns Aufschluss über die Funktionen und das Selbstverständnis der Propheten geben, umfassen verschiedene Gattungen, die wiederum ihren Sitz im Leben in bestimmten typischen Funktionen der Prophetenrolle haben.

Die Gattungen verwenden einerseits die Ich-Perspektive, beanspruchen also, in der Erfahrung des Propheten selbst zu wurzeln, aber andererseits auch die Fremd-Perspektive.

4.1. Prophetische Erzählgattungen

4.1.1. Auftrittsbericht

Über das Auftreten von Propheten kann ganz nüchtern berichtet werden. Diese Gattung beschreibt zuerst die Situation, die den Auftritt des Propheten provoziert hat (z.B. Kriegsnot, Krankheit des Königs), insbesondere stellt sie die Person vor, die Adressat der prophetischen Rede werden wird, lässt dann den Propheten auftreten, wobei dessen Status meist nur kurz genannt wird (gelegentlich steht aber sein Status in Frage, weshalb der Prophet sich legitimieren muss), gibt dessen Rede – möglichst als direktes Zitat – wieder und schildert die Reaktion des Adressaten. Gelegentlich überblickt der Verfasser des Berichts bereits, welche Folgen die Reaktion des Adressaten für diesen gehabt hat, und verweist dann darauf.

Ein sehr knappes Beispiel ist der Bericht in Am 7,10-17. Die Situation wird in Am 7,10-13 dadurch geschildert, dass der Adressat des Gotteswortes vorgestellt wird: → Amazja ist Priester am Tempel von → Bethel, das ist sein offizielles Amt. Er wendet sich einerseits an den König, seinen Dienstherrn, um ihn von den bedrohlichen Aktivitäten des Amos in Kenntnis zu setzen, denn seiner Einschätzung nach betreibt Amos einen Aufruhr. Anschließend versucht er aber, die Sache im Kontakt mit Amos dadurch zu regeln, dass er ihm nahelegt, seine Botschaft in Juda auszurichten. Im 2. Abschnitt tritt Amos auf (Am 7,14-17); dessen Rede wird wörtlich wiedergegeben. Diese Rede enthält einerseits einen Verweis auf seine Berufung (Am 7,15), auf Grund derer Amos keine Kompromisse machen kann, andererseits enthält sie eine Strafankündigung. Vermutlich wurde der Bericht von jemandem verfasst, für den die Erfüllung dieser Ankündigung außer Frage stand, so dass er mit der Rede des Amos enden kann, ohne eine eigene Einschätzung abzugeben.

Ein besonderes Phänomen ist es, wenn mehrere Berichte erzählerisch verknüpft und in zeitlicher Folge hintereinander geschaltet werden, so dass der Eindruck einer „Biographie“ eines Lebensabschnitts des Propheten entsteht, berühmtestes Beispiel ist die sog. „Baruchbiographie“ (Jer 36-45; → Baruch).

4.1.2. Prophetenerzählung

Darstellungen über das Auftreten von Propheten können auch spannend erzählt werden (→ Prophetenerzählung). Prinzipiell umfasst eine Erzählung die gleichen Formelemente wie der Bericht, nur dass der Erzähler Spannung in den Ablauf hineinbringt.

Ein schönes Beispiel ist die Erzählung von → Nabots Weinberg (1Kön 21). Die Schilderung der Situation umfasst den Abschnitt 1Kön 21,1-16, scheinbar gelingt es → Ahab und vor allem seiner Frau → Isebel mit üblen Mitteln, in den Besitz von Nabots Weinberg zu gelangen, den dieser, weil es sich um unverkäufliches Familienerbe handelt, dem König nicht verkaufen will. In diesem Moment, in dem der Leser entsetzt darüber ist, dass so etwas vorkommen kann, und gespannt ist, ob dieser Mord ungesühnt bleibt, lässt der Erzähler völlig unvermittelt den Propheten auftreten (1Kön 21,17-19). Erzählerisch wird der Prophet so eingeführt, dass das JHWH-Wort zitiert wird, mit dem → Elia beauftragt wurde, wobei als selbstverständlich vorausgesetzt wird, dass Elia dieses Wort auch tatsächlich ausgerichtet hat. Im dritten Abschnitt (1Kön 21,20-29) geht es dann um die Reaktion Ahabs und JHWHs Antwort darauf.

4.1.3. Prophetenlegende

Erzählungen über einen Prophetenauftritt können auch legendarisch ausgestaltet werden. Der Prophet verkörpert vorbildhaft die Werte des rechten JHWH-Glaubens, und seine unmittelbare Verbindung zu Gott kann durch machtvolle Mirakel hervorgehoben werden (→ Erzählende Gattungen). So wird z.B. in 2Kön 1 die Legende erzählt, wie Elia den Versuch des Königs → Ahasja vereitelt, von dem Gott Baal-Sebub Heilung zu erlangen (2Kön 1), weil es zum rechten JHWH-Glauben gehört, die Heilung allein von JHWH zu erwarten. Eindrücklich wird diese Position Elias von Gott dadurch bestätigt, dass auf Elias Bitte zweimal nacheinander Feuer vom Himmel fällt und 50 Hauptleute auf einen Schlag dadurch zu Tode kommen (2Kön 1,10.12). Die Überlieferer vergewissern sich hier der Überlegenheit der JHWH-Religion.

4.1.4. Konfrontation von Prophet gegen Prophet

Texte über Propheten tendieren dazu, massive Konflikte zu entfalten, am häufigsten den zwischen einem Propheten und dem König. Dies liegt daran, dass die Rolle des Propheten auf Konflikt hin angelegt ist. In den meisten Fällen bedient sich ja die Gottheit eines Propheten, um einer dritten Partei etwas ausrichten zu lassen, weil diese nicht von sich aus dem Gotteswillen entspricht. Wird sie mit dem Propheten konfrontiert, so stellen sich in aller Regel Widerstände ein. Für die Adressaten, die die göttliche Sendung des Propheten nicht überprüfen können, ist es besonders verwirrend, wenn mehrere Propheten auftreten, deren Botschaften sich widersprechen.

Sehr eindrücklich ist die Auseinandersetzung zwischen → Jeremia und → Hananja erzählt (Jer 28): Jeder der beiden Männer bekommt vom Erzähler den Titel נָבִיא nāvi’ „Prophet“ zugesprochen und jeder agiert gemäß des typischen Rolleninventars. Der Bericht vollzieht nach, wie schwierig es für die Zeugen der Auseinandersetzung ist, zu entscheiden, wem zu glauben ist. Beide Propheten bringen Argumente ins Spiel. So verweist Jeremia darauf, dass er in der Tradition seiner Vorgänger steht (Jer 28,8) und sich nicht durch Wunschvorstellungen beeinflussen lässt. Hananja dagegen kann mit dem Zerbrechen der Jochstange eine machtvolle Zeichenhandlung vollziehen (Jer 28,10). Erst die Bemerkung am Schluss (Jer 28,17), dass Hananja starb, ist vermutlich als Wahrheitsbeweis für Jeremia gedacht.

Das Deuteronomium, das die Prophetie zu den institutionellen Säulen Israels zählt, hat Kriterien entwickelt, was ein wahrer Prophet ist. Nach Dtn 13,5.10 darf der Prophet erstens auf keinen Fall, auch nicht dann, wenn er Beglaubigungswunder vollbringen kann, von dem Gott abspenstig machen, der sich im Exodus aus Ägypten offenbart hat (→ Exodustradition). Zweitens muss er in der Sukzession des → Mose stehen (Dtn 18,15) und drittens wird das Wort des wahren Propheten auch eintreffen (Dtn 18,21-22). Diese Vorstellung prägt auch das → Deuteronomistische Geschichtswerk, das sich große Mühe gibt zu zeigen, dass prophetische Ankündigungen alle wortwörtlich eingetroffen sind, auch wenn es Jahrzehnte gedauert haben mag, bevor dies geschah.

4.1.5. Symbolhandlung

Symbolhandlungen (→ Zeichenhandlung) haben sicherlich dazu gedient, Botschaften von großer Wichtigkeit besonders eindrücklich darzustellen und dadurch deren Resonanz im Volk zu vergrößern. Eine magische Seite der Handlung dürfte aber ebenso eine Rolle gespielt haben: Symbolhandlungen machen das den Zuhörern noch verborgene göttliche Vorhaben am Körper des Propheten sichtbar und setzen seine Realisierung dadurch in Gang (z.B. Jer 13,1-11; 1Kön 11,29-39; Jes 20; Hos 3,1-5).

Ein eindrückliches Beispiel ist die Benennung von gleich drei Kindern mit symbolischen Namen in Hos 1,4-9 (→ Hosea). Genannt wird erstens die Geburt des Kindes (Hos 1,3b.6.8), zweitens der göttliche Auftrag zur Wahl eines bestimmten Namens (Hos 1,4a.6aβ.9a) und drittens die Deutung des Namens (Hos 1,4b-5.6b-7.9b). Dass der Prophet die göttliche Anweisung auch ausführt, ist in diesem Fall als selbstverständlich vorausgesetzt und nicht mehr eigens erwähnt. Hosea stellt dar, wie Gott sein Bundesverhältnis zu Israel aufkündigt (→ Bund), was dann, nach Meinung der Tradenten, auch tatsächlich die Eroberung Israels durch die → Assyrer ermöglichte.

4.1.6. Gottesbefragung

Von einigen Propheten wird erzählt, dass sie von Bittstellern aufgesucht wurden, um Gott gezielt zu befragen (דרשׁ drš, Westermann 1974). Im Alten Testament kommen nur Befragungen im Falle von → Krankheit (z.B. 1Kön 14; 2Kön 8,7-15) oder nationaler Bedrängnis (z.B. 2Kön 19; 2Kön 22,12-20; vgl. Ez 20) vor.

Gelegentlich wird berichtet, dass der Bittsteller Geschenke übergibt (z.B. 1Sam 9,6-8; 1Kön 14,3). Diese dürften nicht nur die Wertschätzung des Propheten zum Ausdruck bringen, sondern auch die Erwartung reflektieren, dass der Prophet über die Möglichkeit verfügt, Gott im Sinne des Bittstellers zu beeinflussen. Die erhaltenen Berichte zeigen einerseits, dass sich der Prophet von Geschenken und anderen Dingen nicht beeinflussen lässt (Num 22,18; Num 23,26), andererseits wird durchaus argumentiert, Propheten redeten denen nach dem Munde, die ihnen materielle Gaben bringen (z.B. Mi 3,5).

4.1.7. Fürbitte

Dass Propheten nicht nur eine Art Sprachrohr Gottes sind, sondern auch die Macht der Fürbitte haben, zeigen Texte wie Am 7,2-3 und Am 7,5-6, die vorführen, wie → Amos JHWH von einem gefassten Entschluss wieder abbringen kann. Die Berichte über Fürbitten gleichen denen über Befragungen: Sie schildern zunächst die Notlage, sodann die Initiative dessen, der die Gottesbefragung in Auftrag gibt, schließlich wird die Auskunft des Propheten berichtet und endlich die Reaktion des Bittstellers (z.B. Jer 42,1-43,4; vgl. Jer 37,3-10).

Die im Alten Testament enthaltenen Fürbitten der Propheten führen letztendlich nicht zum von den Bittstellern gewünschten Erfolg. Jeremia wird sogar die Fürbitte von Gott verboten (Jer 14,11). Sehr ausführlich und eindrücklich wird → Mose als Fürbitter Israels dargestellt (Ex 32,11-14; Num 14,13-25; vgl. Dtn 9,18; Dtn 9,25-29), was aber auch nur zu einer Abmilderung der von Gott vorgesehenen → Strafe, nicht zu deren Aufhebung führt.

4.2. Prophetische Redegattungen

Entscheidend für den Propheten ist natürlich nicht der Auftritt als solcher, sondern das, was er sagt. Die Prophetenbücher enthalten deshalb vor allem Reden und nur selten Nachrichten über die Umstände, unter denen diese gehalten wurden. Allerdings verdankt sich ein großer Teil der Reden nicht dem mündlichen Auftritt, sondern redaktioneller Arbeit. Es gibt eigentlich keine Redegattungen, die von ihrem Ursprung her rein prophetischer Natur sind. Die Propheten haben vielmehr bestehende Gattungen für den prophetischen Gebrauch abgewandelt.

4.2.1. Gottesrede / Botenrede

Grundlegend für das Prophetenverständnis ist, dass das allgemein gebräuchliche und alltägliche Phänomen der Botensendung auf Gott übertragen wird (→ Botensendung / Botenformel / Botenspruch). Wie ein menschlicher Auftraggeber einem Boten den Auftrag erteilt, eine im Wortlaut feststehende Botschaft einem Adressaten zu übermitteln, so verstehen sich die Propheten als Boten Gottes, die den göttlichen דָּבָר dāvār „Wort / Sache“ überbringen (Jer 18,18; Jeremias 1976, 18). Zum Rollenmodell des prophetischen Gottesboten gehören konstitutiv folgende Elemente:

● Beauftragung durch JHWH.

● Aufsuchen des Adressaten (nur in Verhinderungsfällen ist die Verwendung eines Briefes möglich, Jer 29).

● Verweis auf den Auftraggeber mittels der auf JHWH hin abgewandelten Botenformel כֹּה אָמַר יהוה koh ’āmar JHWH „so hat JHWH gesagt“. In der Formel kann der Eigenname Gottes durch Hoheitstitel erweitert sein, z.B. „so hat JHWH Zebaoth“ gesagt, oder es können auch äquivalente Formeln benutzt werden, z.B. „Hört JHWHs Wort!“.

● Vortragen der Botschaft im Namen des Senders, also Gottes; dabei redet der Bote so, als stünde in seiner Person der Auftraggeber vor dem Adressaten. Der Auftraggeber ist der Bezugspunkt aller sprecherbezogenen Aussagen; wann immer der Bote z.B. das Personalpronomen der 1. Pers. gebraucht, ist JHWH selbst der Referent.

● In der Regel beschränkt sich der Prophet nicht auf das Vortragen des göttlichen Wortes, sondern fügt eigene Kommentare und Einschätzungen zum Inhalt und Stellenwert der übermittelten Botschaft hinzu.

● Da die Botschaft aus dem Wirklichkeitsraum der Gottheit stammt, hat sie einen Charakter, der über den normal-alltäglichen Wirklichkeitsraum hinausgeht: Das Wort ist in aller Regel poetisch formuliert, es verwendet ungewöhnliche Metaphern, sein Sinn liegt nicht unbedingt offen zu Tage, es legt verborgene Dinge frei, z.B. die geheimsten Gedanken und Wünsche der Adressaten, oder spricht von der Zukunft, als liege sie schon fest.

● Der Einleitung der Botenrede entspricht in wenigen Fällen eine Schlussformel, die das Ende des Spruches markiert, z.B. אָמַר יהוה ’āmar JHWH „hat JHWH gesagt“.

● Gelegentlich kommt es vor, dass die Ausrichtung des Gotteswortes mit nonverbalen Elementen verknüpft ist, z.B. im Zustand der Ekstase geschieht. Ezechiel erwähnt z.B. mehrfach, dass die „Hand JHWHs“ über ihn kam (z.B Ez 3,14; Ez 8,1; Ez 33,22); was immer das genau bedeutet, es ist zu vermuten, dass das auch Auswirkungen auf das äußerlich wahrnehmbare Verhalten hatte. Als nonverbales Element zählt auch der musikalische Vortrag (z.B. Jes 5,1-7 mit Instrumentalbegleitung?).

4.2.2. Berufungsbericht

Von den meisten Propheten des Alten Testaments ist überliefert, dass sie nicht nur einmal, sondern immer wieder Botschaften empfangen haben. Von manchen Propheten existieren sogar Berichte von einer grundlegenden Erstberufung in die Funktion des Propheten (→ Berufungserzählung). Die vier Prophetenbücher (d.h. → Jesaja, → Jeremia, → Ezechiel, → Zwölfprophetenbuch) enthalten alle solche Berichte, so dass der Eindruck entsteht, eine Berufungserfahrung gehöre zur prophetischen Grundausstattung. Es gibt aber auch Schriften, die keinen Berufungsbericht enthalten (→ Hosea; → Joel; → Micha; → Zefanja; → Haggai; → Sacharja; → Maleachi). Die Propheten, auf die diese Schriften zurückgehen, haben dann entweder auf der Basis einer je und je geschehenden Eingebung prophezeit oder von ihrer Berufung nicht berichtet.

Der Berufungsbericht nennt zunächst die Umstände, unter denen die Berufung erfolgt, und gibt dann die Beauftragung des Kandidaten durch Gott wieder. Ein zentrales Element ist, dass der Berufungsbericht das Formelement des Widerstandes gegen die Berufung enthält. Der Widerstand stellt sicher, dass der Prophet die göttliche Stimme nicht durch eigene Wunschvorstellungen manipuliert.

4.2.3. Visionsbericht

Einige Male berichten Propheten von → Visionen, die ihnen zuteil geworden sind. Visionen werden im Alten Testament ausschließlich von Propheten aus der Ich-Perspektive erzählt (z.B. Am 8,1-2; Am 9,1-4; Jes 6,1-11). Im ersten Teil schildert der Visionär, was Gott ihm gezeigt hat, im zweiten schließt sich dann ein Redeteil an, in dem Gott dem Propheten den symbolischen Gehalt des Geschauten entschlüsselt. Der Visionsbericht fasst in Worte, wie sich dem Propheten mit Gewissheit das Kommen eines überwältigenden, unbegreiflichen göttlichen Zukunftsgeschehens aufdrängt. Visionen zielen auf das „Ende Israels“ (Am 8,2), den Abbruch des Gotteskontakts im Jerusalemer Tempel (Jes 6) oder, positiv, auf die Wiederherstellung des zerstörten Jerusalems (Sach 2,5-9). Ein besonders nachdrücklicher Effekt wird erzielt, wenn Visionen zu kunstvoll komponierten Zyklen zusammengestellt werden (Amos-Visionenzyklus: Am 7,1-3.4-6.7-8; Am 8,1-2; Am 9,1-4; Sacharja-Visionenzyklus: Sach 1,7-15; Sach 2,1-4.5-9; Sach 3,1-10; Sach 4,1-14*; Sach 5,5-11; Sach 6,1-8).

4.2.4. Prophetische Poesie

Prophetensprüche sind weit überwiegend poetisch abgefasst (→ Poesie). Sie weisen alle poetischen Merkmale auf, die auch andere poetische Texte, wie z.B. die → Psalmen, auszeichnen, wie die rhythmisch gebundene Zeile, den parallelismus membrorum, Reim und andere lautliche Strukturen sowie die metaphorische Sprache. Dabei tendieren sie dazu, die Standard-Bildungsmuster zu durchbrechen, und innovative Formen zu finden. Außerdem zeichnet sich prophetische Poesie durch hohe Emotionalität, drastische Metaphern und scharfe Polemik aus. Dies liegt zum einen daran, dass Sie Aufmerksamkeit beim Adressaten erreichen wollen, zum anderen daran, dass die Propheten auch neue Inhalte zum Ausdruck bringen wollen, was auch neue Formen verlangt.

4.2.5. Gerichtswort

Oft verwenden Propheten Redeformen des Rechtslebens (Boecker). Dies deckt sich mit ihrem vorrangigen Anliegen, nämlich Unrecht aufzudecken. Besonders häufig wird die Gattung des Gerichtswortes eingesetzt (→ Recht; → Gerichtswesen). Das Gerichtswort wandelt die Gattung ab, mit der in einer dörflichen Gerichtsverhandlung zum einen der Straftatbestand festgestellt und zum anderen die Strafe festgelegt wurde (Boecker, 151-159). In der ausgeführten Idealform umfasst das prophetische Gerichtswort die folgenden Elemente:

1) Höraufruf, mit dem der Prophet sich an die Adressaten richtet und ihre Aufmerksamkeit für das Wort JHWHs einfordert.

2) Anklage, die den Unrechtszustand als vollzogen (qatal) oder gegenwärtig andauernd (Partizip) benennt; auch „Scheltwort“ (Gunkel), „Begründung“ oder „Lagehinweis“ (Koch) genannt.

3) Überleitung zur Ankündigung durch לָכֵן lāken „darum / deswegen“.

4) Botenformel mit Verweis auf JHWH als Auftraggeber כֹּה אָמַר יהוה koh ’āmar JHWH „so hat JHWH gesprochen“.

5) Strafankündigung im Futur (jiqtol), auch „Drohwort“ (Gunkel) oder „Weissagung“ (Koch) genannt. Dass das kommende Unheil die sachgemäße Folge des begangenen Unrechts ist, kann dabei sprachlich durch die Wiederaufnahme von Leitbegriffen aus der Anklage unterstrichen werden.

6) Eine Abschlussformel, die das Ende der Gottesrede anzeigt.

4.2.6. Gerichtsrede

Ebenfalls aus dem Gerichtsverfahren stammt die Anklagerede (ריב rjb), die einen Prozessgegner vor einem Richtergremium eines Vergehens beschuldigt. Die Propheten gebrauchen die Gattung, um die Anklage zu formulieren, die JHWH gegen Israel vorzubringen hat. Im Unterschied zum Gerichtswort, das das Urteil fixiert, zeigt die Anklagerede JHWH als Ankläger, dem die beschuldigte Partei, jedenfalls theoretisch, noch Beteuerungen der Unschuld entgegenhalten könnte (Boecker, 78-94). JHWH appelliert an ein Richtergremium, das in der 2.Pers. direkt angeredet wird; gegenüber diesem Gremium beschuldigt er Israel, von dem in der Regel in der 3.Pers. geredet wird; ferner zieht er Zeugen hinzu und legt Beweise für Israels Schuld vor (z.B. Jer 2,10-13; Jes 5,3-4; Jes 1,2-3; Jes 3,13-15; Hos 4,1-2; Mi 6,1-8). Durchbrechungen dieser Form rühren z.B. daher, dass JHWH Ankläger und Richter in einer Person ist.

4.2.7. Mahnwort

Auffallend selten rufen die Propheten zu bestimmtem Verhalten auf, was man als Mahnwort bezeichnet. Das Mahnwort entstammt der weisheitlichen Unterweisung (→ Weisheitliche Gattungen), wo es sich an den Einzelnen richtet und ihm vor Augen stellt, wie er sich am besten zu verhalten hat, um einen von ihm bejahten Effekt – in der Regel ist das ein privater Nutzen – zu erzielen. In der Prophetie wird in der Regel das Kollektiv angeredet und es geht darum, wie dieses Kollektiv in Treue zu JHWH leben kann. Im Unterschied zur Weisheit, wo davon ausgegangen wird, dass der Einzelne ruhig abwägend frei entscheiden kann, gehen die Propheten davon aus, dass die Adressaten bereits mit verhängnisvollem Unheil konfrontiert sind, das es – unter Zeitdruck – noch abzuwenden oder abzumildern gilt (Am 5,4-5). Berühmt ist der, vermutlich sekundäre, Spruch Am 5,14-15, der besagt, dass angesichts der fortgeschrittenen Stunde, selbst im Idealfall der Befolgung der Mahnung des Propheten, sich JHWH allenfalls „vielleicht“ noch dazu bewegen lässt, einem „Rest Josefs“ gnädig zu sein (Am 5,14-15).

4.2.8. Wehewort

Das sogenannte Wehewort ist aus der → Totenklage abgeleitet. Im Bestattungszusammenhang beginnt es mit dem lang gezogenen Schmerzensschrei הוֹי hôj und beklagt dann den Verlust des Verstorbenen. Typischerweise wird diese Redeform von klagenden Frauen gebraucht. In der prophetischen Verwendung, die der historische Amos erfunden haben dürfte, wird der Tod eines Kollektivs beklagt, das dem Propheten noch lebendig und machtvoll gegenübersteht (z.B. Am 5,18).

4.2.9. Geschichtsrückblick

Gelegentlich streuen die Propheten in ihre Reden Geschichtsrückblicke ein. Diese verstärken zum einen die Anklage, und zwar dadurch, dass der Treue JHWHs und seinem heilvollen Wirken die Untreue und die Verbrechen Israels gegenübergestellt werden (z.B. Am 2,9-11; Hos 9,9-10). Der Rückblick lässt das Verhalten Israels auch als völlig unverständlich und selbstschädigend erscheinen. Zum anderen können die vielen Beweise der Liebe JHWHs zu seinem Volk auch die Hoffnung beflügeln, dass JHWH sein Volk nicht aufgeben kann (z.B. Hos 11,1-4.8-11; Ez 20).

In der Fortentwicklung der Prophetie hat man die vollmächtige Geschichtsdeutung als wichtige prophetische Aufgabe begriffen. Dies dürfte jedenfalls der Grund sein, warum spätere Überlieferer → Mirjam (Ex 15,20) und → Debora (Ri 4,4) den Titel „Prophetin“ zugelegt haben.

4.2.10. Disputationswort

Durchgehend erhält man den Eindruck, dass der Prophet auftritt, seine Botschaft verkündet, und dann wieder abtritt. Gelegentlich werden die Propheten aber auch in der diskursiven Auseinandersetzung mit ihren Hörern gezeigt (→ Disputationswort). Dies geschieht dadurch, dass der Prophet in seiner Argumentation Einwände der Gegner dadurch zu entkräften sucht, dass er von einer argumentativen Basis ausgeht, die er mit seinen Hörern teilt, um mittels mehr oder weniger logischer Folgerungsreihen um Einsicht in seine Botschaft zu werben (z.B. Jes 44,24-28). Völlig von Disputationsworten beherrscht ist die → Maleachischrift.

4.2.11. Fremdvölkerwort

Auch die Fremdvölker werden von den Propheten adressiert, obwohl diese von sich aus keine Rechtsverpflichtung gegenüber JHWH kennen. Doch auch ihnen wird Unheil angekündigt, wobei sich die Propheten auf ein Rechtsempfinden stützen, das für die Adressaten einsehbar sein sollte. Besonders ragen die Welt-Hauptstädte → Ninive und → Babylon heraus, die ihre Macht missbrauchen, um nicht nur Israel, sondern auch andere Völker zu unterdrücken (z.B. Jes 13; Nah). Darüber hinaus bestehen zu manchen Völkern traditionell enge Verbindungen, die auch besondere Verpflichtungen implizieren. Insbesondere das Brudervolk → Edom hat sich durch hinterhältiges feindseliges Verhalten massive Kritik eingehandelt (→ Obadja; Mal 1,2-5). Verfeindeten Fremdvölkern Unheil anzukündigen, zielt ursprünglich darauf, dem eigenen Volk Heil anzusagen, doch wird diese Intention in ihr Gegenteil verkehrt, wenn eine Reihe von Völkersprüchen wie in Am 1-2 in Worten gegen das eigene Volk gipfelt. Durch den Kontext können derartige Sprüche auf einer sekundären Ebene als Ankündigungen eines weltweiten Völkergerichts neu verstanden werden (vgl. Am 1-2 als unmittelbare Fortsetzung von Jo 4).

4.2.12. Heilswort

Die vier Prophetenbücher des Alten Testaments (→ Jesaja, → Jeremia, → Ezechiel, → Zwölfprophetenbuch) vermitteln ohne Zweifel den Eindruck, dass die wahren JHWH-Propheten für die Zukunft nahezu ausschließlich Unheil haben kommen sehen. In Jer 28,8 formuliert dies Jeremia auch als eiserne Regel und stellt damit das Heilswort Hananjas (Jer 28,2-4) in Frage. Mit der endgültigen → Zerstörung Jerusalems im Jahre 587 wendet sich aber das Blatt, insofern → Deuterojesaja das aus dem Kult stammende Heilsorakel mit der typischen Eröffnung „Fürchte dich nicht!“ abwandelt und es gebraucht, um im Namen JHWHs seinen deprimierten und traumatisierten Hörern zuzusagen, dass bei Gott die Heilswende bereits eingetreten ist (z.B. Jes 43,1-2).

Dies führt dazu, dass auch die Redaktoren anderer Prophetenbücher mehr und mehr Heilsworte einfügen, die in freudig gespannter Erwartung die Zeit nach dem Abbüßen der Strafe als universalen Friedenszustand beschreiben (dazu Westermann 1987; → Friede).

4.3. Ironische Verwendung von Gattungen

Propheten verwenden Gattungen auch in ironischer Weise, d.h. sie übernehmen die Gattungsmerkmale, um das Gegenteil dessen auszudrücken, was eigentlich das kommunikative Ziel der Gattung ist. Ironie ist nicht immer einfach zu erkennen, insbesondere wenn sie mit subtilen Mitteln arbeitet.

Ein schönes Beispiel ist das Weinberglied Jesajas (Jes 5,1-7), das, möglicherweise mit Musikbegleitung gesungen, wie ein Liebeslied beginnt und unter dem Bild des Weingärtners, der seinen Weinberg umsorgt, das Liebeswerben eines Mannes darstellt (Jes 5,1-2; Thiel), dann das Scheitern des Liebeswerbens feststellt, um danach die Adressaten als Richtergremium anzureden (Jes 5,3-4), das dem Spruch des Richters (Jes 5,5-6) beipflichten muss. Wie sich nach der Übersetzung der Bildsprache in die reale Situation herausstellt, haben sich die Judäer damit selbst überführt (Jes 5,7).

Ein weiteres Beispiel ist die ironische Verwendung des priesterlichen Aufrufs zur → Wallfahrt und zum → Opfer in Am 4,4-5, wo der Prophet in die Rolle des Priesters schlüpft und fast schon sarkastisch dazu aufruft zum Heiligtum zu kommen – um zu sündigen, wo doch der Besuch des Heiligtums der Rückbesinnung auf den Gotteswillen dienen soll.

5. Prophetinnen

Im Alten Testament gibt es nur ganz wenige Hinweise auf Prophetinnen. Die Relation zwischen männlichen und weiblichen Propheten dürfte, auch wenn man annimmt, dass die wenigen genannten Prophetinnen nur eine von den Autoren des Alten Testaments gefilterte minimale Auswahl aus einer in Wirklichkeit viel größeren Zahl von prophetischen Frauengestalten sind (I. Fischer), in etwa der historischen Wirklichkeit entsprechen, da ja auch von den männlichen Gestalten nur von einer kleinen Auswahl Nachrichten und Texte überliefert sind. Daran, dass es viel mehr Prophetinnen und Propheten gegeben hat, als schriftlich überliefert sind, kann kein Zweifel bestehen.

5.1. Mirjam. In Ex 15,20 wird → Mirjam als נְבִיאָה nəvî’āh „Prophetin“ bezeichnet, sie zeigt aber kein prophetisches Rollenverhalten. Sie führt den Gesang der Frauen zur Begrüßung der aus der Schlacht heimkehrenden Männer an. Den Titel „Prophetin“ hat ihr wohl ein Redaktor verliehen, der die freudige, hymnische Deutung des Schilfmeerwunders als eines kriegerischen Aktes JHWHs im Mirjamlied (Ex 15,21) als einen inspirierten Akt verstehen wollte.

5.2. Debora. In Ri 4,4 wird → Debora als Prophetin bezeichnet. Auch sie zeigt keinerlei Merkmale typisch prophetischer Aktivität. Eine Analogie zu Mirjam könnte man darin sehen, dass auch Debora ein Siegeslied nach einem JHWH-Krieg anstimmt (Ri 5).

5.3. Hulda. In 2Kön 22,14-20 begegnet die einzige echte Prophetin des Alten Testaments, die Prophetin → Hulda, die jedenfalls von einem typisch prophetischen Sendungsbewusstsein ergriffen ist und auch die Gottesbotenformel verwendet. Sie wird von den Beamten des Königs aufgesucht und befragt, äußert sich also nicht aus eigenem Antrieb. In ihrem Gerichtswort geht sie weit über das Ziel der Anfrage, ob nämlich das aufgefundene Buch authentisch ist, hinaus und kündigt die Exilierung Judas an. Der auftraggebende König → Josia wird von der göttlichen Strafe aber ausgenommen. Es spricht nichts dagegen, dass diese Episode – auch wenn die Darstellung deuteronomistisch bearbeitet ist (→ Deuteronomismus) – im Kern historisch ist. Bemerkenswert ist, dass in Jerusalem zur selben Zeit auch der Prophet → Jeremia aufgetreten ist, der aber von den Beamten des Königs nicht befragt wird (Fischer, 158). Über die Gründe kann man nur spekulieren. Es könnte sein, dass Hulda in dieser Angelegenheit, die den Tempel betraf, in besonderer Weise zuständig war, dass sie durch frühere Orakel bereits einschlägig bekannt war, dass sich die Beamten von Hulda eine Auskunft erwarten, die sie von Jeremia so nicht erwarteten, oder es kann auch damit in Zusammenhang stehen, dass der Verfasser der → Königsbücher die Existenz der Schriftpropheten mit Ausnahme Jesajas generell verschweigt.

5.4. Namenlose Prophetin in Jes 8. In Jes 8,3 wird eine namenlose Prophetin erwähnt, mit der Jesaja einen Sohn zeugt, dem er auf Anweisung JHWHs den Namen „Raubebald-Eilebeute“ (maher šālāl ḥāš baz) gibt. Wer immer diese Frau ist – für gewöhnlich nimmt man an, dass es sich um die Ehefrau des Propheten handelt – irgendetwas typisch Prophetisches wird ihr in der kurzen Notiz nicht zugeschrieben.

5.5. Noadja. In Neh 6,14 wird eine Prophetin Noadja namentlich aus einer Gruppe von Propheten hervorgehoben, die anscheinend Nehemias Mauerbau verhindern wollten. Mehr erfährt man über Noadja nicht, so dass nicht klar wird, ob sie den Titel zurecht trägt.

5.6. Prophetinnen in Ez 13. In Ez 13,17-23 ist eine scharfe Polemik gegen Frauen enthalten, „die aus eigenem Antrieb als Prophetinnen auftreten“ (Ez 13,17). Ihnen wird eine große Macht im Volk zugeschrieben. Wie man aus der ihnen angekündigten Strafe erschließen kann, handelt es sich bei ihnen aber um Frauen, die im Auftrag von Kunden magische Praktiken ausführen, zum Teil mit dem Ziel, andere Menschen durch Zauber zu schädigen.

5.7. Texte von anonymen Prophetinnen in den Prophetenbüchern? Die Suche nach Texten von anonymen Prophetinnen in den redaktionellen Schichten der Prophetenbücher scheitert daran, dass nicht genügend Datenmaterial vorhanden ist, um die Sprache einer Prophetin sicher von der eines männlichen Kollegen zu unterscheiden. Dies hat andererseits auch zur Konsequenz, dass man nicht mit Sicherheit ausschließen kann, dass Texte von anonymen Prophetinnen in den Prophetenbüchern enthalten sind.

Insgesamt war aber die Prophetenrolle in Israel eine männliche Domäne. Darin unterscheidet sich Israel deutlich von den in den Mari-Briefen erwähnten Propheten der Stadt → Mari und von den Propheten, deren Aussprüche in den neuassyrischen Sammeltafeln erhalten sind (→ Prophetie im Alten Orient). Dort liegt der Frauenanteil deutlich höher als im Alten Testament. Das könnte damit zu tun haben, dass die Propheten in Israel allgemein ein hohes Ansehen genossen und deshalb innerhalb einer patriarchalen Gesellschaft mehr Männer diese Rolle anstrebten als Frauen.

Es ist aber bemerkenswert, dass in der Geschichtserzählung Israels von Genesis bis 2Könige nicht nur die großen Schriftpropheten, außer Jesaja, verschwiegen werden, sondern stattdessen Prophetinnen, noch dazu an bedeutsamen Wendepunkten der Geschichte, erwähnt werden. In der Gesamtkomposition der Geschichtserzählung entsteht sogar eine Rahmung: Prophetinnen begegnen in der vorstaatlichen Phase Israels (Mirjam, Debora) und in der letzten Phase des Staates Juda (Hulda). Irmtraud Fischer formuliert den Sinn der Rahmung so: „Mit Debora und Hulda in der Nachfolge des Mose werden eben nicht auch noch zwei Frauen in die sonst nur durch männliche Propheten begleitete Geschichte eingeschrieben. Die Rahmung schreibt vielmehr die prophetische Funktion – primär und ultimativ – den Frauen zu.“ (Fischer, 184).

6. Das innere Erleben der Propheten

Die markanteste Eigenheit und das konstitutive Rückgrat der Prophetie ist die subjektive Gewissheit, das Wort JHWHs klar und deutlich zu vernehmen. Nach → Gunkel sind die „geheimen Erfahrungen“ das eigentliche Geheimnis der Propheten, das auch der Schlüssel zu ihrem Verständnis ist. Diese Gewissheit war schon in der Antike nur wenigen Menschen beschieden. Es gab keine technische Verfahren (z.B. Rauschmittel) oder Ausbildungswege, wie man dahin gelangen konnte. Nach Überzeugung der Propheten war es die unwiderstehliche Kraft der göttlichen Stimme, die jemanden zum Propheten machte. Wie kamen sie aber dazu, diese Stimme wahrzunehmen?

Ein Beispiel, wie der junge → Samuel es lernt, unter Anleitung des erfahrenen Priesters → Eli die göttliche Stimme zu hören, sie als solche zu identifizieren und mit ihr umzugehen, findet sich in 1Sam 3,1-18. Wie verlässlich die Geschichte das typische innere Erleben von Propheten reflektiert, ist schwer zu sagen, jedenfalls hat es sich die Überlieferungsgemeinschaft, die diese Geschichte hervorbrachte und verschriftete, in einem, wohl nicht als Ausnahme gemeinten, Fall so vorgestellt.

6.1. Methodologische Probleme psychologischer Untersuchungen

Die hohe innere Gottesgewissheit im Verein mit bestimmten abnormalen Merkmalen des äußeren Auftretens hat immer schon psychologische Erklärungsversuche herausgefordert. Mit dem Namen Sigmund Freud (1856-1939), dem Vater der modernen Psychologie, ist eine massive Religionskritik mit großer Breitenwirkung verbunden. Psychologische Untersuchungen können noch heute die Tendenz haben, den Propheten eine krankhafte Psyche zu unterstellen, um den Wahrheitsgehalt ihrer Eingebungen komplett zu leugnen. Diese Tendenz ist keinesfalls notwendig und sollte für eine historisch vorgehende Religionspsychologie als Vorurteil aufgeklärten westlichen Denkens gegenüber antiken Gesellschaften unter erheblichem Verdacht stehen: Die seelischen Prozesse der Individuen und vor allem ihre Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft haben sich über die Jahrtausende gravierend verändert. Moderne Rückprojektionen, die den alten Israeliten die gleiche Psyche unterstellen wie postmodernen westlich-aufgeklärten Menschen, sind anachronistisch.

6.2. Die intuitive Wahrnehmung der göttlichen Stimme

Es ist klar, dass die Gewissheit der Propheten, unmittelbar die Stimme Gottes zu vernehmen, eine besondere psychische Disponiertheit voraussetzt. Die Propheten erzeugen den Eindruck, dass der Prophet Gott als innere Stimme zu sich sprechen hört (→ Audition). Es scheint so gut wie keine Zweifel zu geben, was die göttliche Stimme sagt und was demgegenüber die eigenen Gedanken des Propheten sind. Die göttliche Stimme wird als von außen kommende, unbedingten Gehorsam erzwingende Größe erlebt, nicht als Endresultat eines Reflexions- und Abwägungsvorganges. Dieses Verständnis wird sehr anschaulich deutlich im Falle von → Jeremia. Jeremia leidet sogar unter der göttlichen Stimme, kann sich ihrer aber nicht erwehren (Jer 20,7-9). Das Element des äußeren Zwanges findet sich als Formelement auch in den prophetischen Berufungsberichten, allerdings liegt dort der Ton darauf, dass Gott letztendlich den Widerstand des Propheten überwinden und die Zustimmung des Propheten erreichen kann, so dass fortan die göttliche Stimme und der Prophet harmonieren. Bei manchen Propheten findet sich auch gar kein Anzeichen von Widerstand, eher eine positive Verstärkung des eigenen Ichs, die das Gefühl der Überlegenheit über alle falschen Wahrnehmungen Gottes durch die Gegner mit sich bringt (vgl. Mi 3,8).

6.3. Äußere Anlässe für die Wahrnehmung der göttlichen Stimme

Gelegentlich gibt es Hinweise darauf, dass die Wahrnehmung der göttlichen Stimme durch äußere Anlässe hervorgerufen ist. Jeremia überkommt zum Beispiel eine Eingebung, als er einem Töpfer bei der Arbeit zusieht (Jer 18,1-6). Der Prophet befindet sich in keinem außergewöhnlichen Bewusstseinszustand, er ist nicht besessen oder in Trance, gleichwohl erkennt er in einem völlig normalen alltäglichen Vorgang, den jeder Israelit viele Male gesehen hat, eine besondere Botschaft der göttlichen Stimme. Dabei besteht zwischen dem Vorgang und der Aussage der göttlichen Stimme eine symbolische Relation, die freilich nur der Prophet herzustellen vermag.

Solche intuitiven Prozesse im erweiterten Wachzustand scheinen auch abgelaufen zu sein, wenn der Prophet etwa sah, wie bestimmte Adressaten demonstrativ ihren Luxus genossen (z.B. Am 3,9-12; Am 4,1-3; Am 6,1-6). In solchen Fällen durchschaute der Prophet, dass es sich nicht um unmaßgebliche Einzelfälle, sondern um Indikatoren für den Zustand ganzer Gruppen oder der gesamten Gesellschaft handelte und es drängte sich ihm unvermittelt die Gewissheit auf, wie Gott darauf reagieren würde.

Auch das Studium älterer Prophetensprüche scheint die Intuition angeregt zu haben. Ausgiebig ist das im Falle von → Daniel geschildert (Dan 9). Dieser ist zwar keine historische Gestalt, aber die Schilderung dürfte trotzdem eine tatsächlich bestehende Weise des Umgangs mit autoritativen Texten voraussetzen. Die Berufungsvisionen Jeremias zeigen jedenfalls Einflüsse aus den Amosvisionen (Schart 2004) und Ez 7 nimmt wörtlich Am 8,2 auf.

6.4. Vision

In der → Vision wird dem Propheten im Wachzustand vor seinem inneren Auge etwas Rätselhaftes gezeigt, wobei das Geschaute mehr oder weniger weit von realen Vorgängen entfernt sein kann. Im Falle von Am 8,1-2 scheint das Geschaute z.B. nur ein leerer Erntekorb zu sein, im Falle von Ez 1-3 dagegen handelt es sich um ein mehrstufiges Geschehen voller Bewegung, in dessen Mittelpunkt eine, im Vergleich zur Thronvision in Jes 6, bizarre Schilderung des mit Rädern versehenen Thronwagens Gottes steht. Der Visionär kann in die geschaute Welt eintreten und in ihr agieren. So erhält Ezechiel den Befehl, eine Schriftrolle zu essen, was er auch tut (Ez 3,1-3). Während die geschauten Gegenstände und Szenen darauf deuten, dass sich der Visionär in einem abnormalen psychischen Raum bewegt, deutet bei der Versprachlichung des Geschauten nichts darauf hin, dass der Prophet den normalen Raum seines Denkens und Sprechens verlässt. Sosehr der Vision eine hohe Bedeutung zuzukommen scheint, zeigt der Umstand, dass der Visionsbericht immer in verständliche Sprache mündet, dass sie auf das normale Wachbewusstsein des Visionärs zielt.

6.5. Besessenheit

Bei den Gruppenpropheten kommt noch ein anderes Phänomen in den Blick, das der Besessenheit. Bei der Besessenheit ergreift eine andere spirituelle Wirkmacht, in der Regel der → Geist, Besitz von der betreffenden Person, wobei deren Bewusstsein völlig von dieser Wirkmacht kontrolliert wird (vgl. 1Sam 10,6; Seierstad, 185). Dieser Kontrollverlust der Person, äußert sich dann so, dass die Person Verhaltensmerkmale an den Tag legt, die sie sonst nie machen würde, so liegt → Saul z.B. nackt auf dem Boden (1Sam 19,24; → Nacktheit). In 1Kön 22,24 gibt es ebenfalls die Vorstellung, dass Gott durch den Geist JHWHs zum Propheten redet, wobei man sich nach 1Kön 22,10 eine Gruppe besessener Personen vorzustellen hat.

Die Vorstellung, dass der Geist in einem Propheten wirkt, findet sich in der Schriftprophetie nur ganz am Rande. Am deutlichsten in dieser Hinsicht sind ein paar Wendungen bei Ezechiel, wo es in Ez 2,2 und Ez 3,24 z.B. heißt, dass der Geist in den Propheten „hineinkommt“. Auch die Aussage Ezechiels, dass „die Hand JHWHs auf [ihn] fiel“ (Ez 8,1; vgl. cf. Ez 1,3; Ez 3,14.22; Ez 33,22; Ez 37,1; Ez 40,1) könnte auf Besessenheit verweisen (Wilson 1979, 325). In Hos 9,7 stehen „Prophet“ (נָבִיא nāvi’) und „der Mann des Geistes“ (אִישׁ הָרוּחַ ’îš hārûaḥ) im synonymen Parallelismus zueinander. Ob Besessenheit im Blick ist, muss jedoch offen bleiben. Auch in Jo 2,28 und Mi 3,8 sind Geistphänomene genannt, wobei weniger an Besessenheit als an eine Befähigung zu intuitiver Wahrnehmung gedacht zu sein scheint.

6.6. Ekstase

In der → Ekstase steigert eine Person ihre Kräfte, zu denen auch die Fassenskraft ihres Wahrnehmungsvermögens gehört, in einem den Normalzustand deutlich übersteigenden Maß. Der Steigerung der Rezeptionskraft entspricht die Enthemmung der verbalen und der non-verbalen Ausdrucksformen. Im Unterschied zur Besessenheit übernimmt aber kein fremdes spirituelles Wesen die Kontrolle, vielmehr bleibt der Ekstatiker Subjekt seines Tuns, seines Fühlens und seines Erleidens. Gustav Hölscher (1914), der erste Alttestamentler, der die moderne Psychologie auf die biblischen Propheten angewandt hat, hat das Phänomen der Ekstase für besonders typisch und erklärungskräftig gehalten, wobei er allerdings nicht zwischen Ekstase und Besessenheit unterschied. Er sah allerdings selbst schon die Schwierigkeit, dass die allermeisten erhaltenen Prophetensprüche sorgfältige Reflexion und kunstvolle poetische Gestaltung verraten. In der Tat spürt man den prophetischen Sprüchen hohe Emotionalität und innere Erregung, zum Teil mit körperlichen Begleiterscheinungen, ab, Hinweise auf regelrechte Ekstase fehlen jedoch weitgehend (Seierstad).

6.7. Symbolische Handlungen als Krankheitssymptome

Die oft drastischen symbolischen Handlungen der Propheten, Jesaja läuft 3 Jahre lang nackt durch Jerusalem (Jes 20,2-3), Ezechiel verliert die Sprache (Ez 3,26) und liegt 390 Tage auf der linken Körperseite (Ez 4,4-5), haben ebenfalls über die besondere Disposition der prophetischen Psyche spekulieren lassen. Insbesondere die Handlungen Ezechiels hat man als krankhafte psychosomatische Zwangshandlungen verstanden, die schon von Ezechiel selbst, aber erst recht von den Überlieferern als symbolische Handlungen gedeutet wurden (Klostermann; Jaspers; Lang 1981, 57-76; Poser, 11-29).

6.8. Prophetenbuchentstehung und Gruppenpsychologie

Man kann, wie gesagt, über die historischen Propheten wenig Sicheres sagen, insbesondere was ihre Psyche anlangt. Viel mehr kann man sagen über die Redaktionsgeschichte, die schließlich zu den Prophetenbüchern geführt hat. Versteht man die Überlieferungsgemeinschaft, die über die Jahrhunderte ein Buch hervorgebracht hat, als eine personalanaloge Größe, so lässt sich auch die Frage nach der Psyche des Propheten stellen, der durch die an der Redaktion beteiligten Gruppe literarisch imaginiert wird. Ebenso kann man nach der Psyche der Gruppe fragen, die, oft über Jahrhunderte, den Buchproduktionsprozess vorangetrieben hat. Dabei wird man mit recht komplexen psychischen Modellen arbeiten müssen, die auch historische Entwicklungen und Umbrüche berücksichtigen. In diesem Sinne führt Poser (2012) die Diskussion weiter, die das ganze Buch Ezechiel als „Trauma-Literatur“ versteht.

7. Prophetie in der Gesellschaft Israels

Die Prophetengestalten, die uns durch die Bücher unter ihrem Namen vor Augen gestellt werden, sind eindrucksvoll in ihrer Unabhängigkeit, Unerschrockenheit und Konsequenz, mit denen sie ihre göttlichen Eingebungen an ihre Adressaten richteten, vor allem an das Volk Israel, aber auch – obgleich vor heimischer Kulisse gesprochen – an Fremdvölker, mit denen das Schicksal Israels verbunden war, und sogar an die Natur. Sie erscheinen als die großen Einzelnen, deren Anspruch, das Wort Gottes auszurichten, selbstverständlich zu akzeptieren ist und dem alle anderen Institutionen und Repräsentanten Israels sich hätten unterwerfen sollen, wenn sie daran interessiert gewesen wären, das Volk im Einklang mit seinem Gott zu leiten. Dieses Bild ist ein Ideal, das sich der rückblickenden Erfahrung verdankt. Die historische Realität war sicher komplizierter. Die Rekonstruktion kann sich leider nur auf wenige Angaben in den Prophetenbüchern selbst stützen, am ehesten noch auf die Berichte und Erzählungen über das Auftreten von Propheten. Die Zufälligkeit und Diversität des Datenmaterials und das weitgehende Fehlen von besser bekannten religionsgeschichtlichen Analogien setzt der Rekonstruktion Grenzen; grobe Trends lassen sich aber doch beobachten.

7.1. Der Prophet zwischen Charisma und Amt

Schwierig zu entscheiden ist die Frage, ob der Prophet als Amtsträger zu verstehen ist. Der Begriff Prophet bezeichnet eine gesellschaftlich akzeptierte Rolle, die Einzelne für sich beanspruchen können (Peterson; Lang 1980a und 1980b). Diskutiert wird, ob es sich um ein regelrechtes Amt handelt oder um ein sporadisches Phänomen ohne institutionelle Verfestigung (→ Charisma). Max Weber hat den Propheten als „einen rein persönlichen Charismaträger“ im Gegensatz zum Amt begriffen (1922, 250). Wie immer bei solchen Fragen hängt die Entscheidung davon ab, wie man die Begriffe definiert. Von einem „Amt“ sollte man nur sprechen, wenn eine Institution die Befugnisse des Amtes garantiert und den Amtsinhaber durch eine formale Autorität beruft und absichert. Das Amt sollte durch die Institution auf Dauer gestellt sein, die auch den Nachfolger oder die Nachfolgerin bestimmt. Bei Propheten gibt es nur im Fall von Elia den Fall, dass dieser seinen Nachfolger Elisa auswählt, allerdings gibt es keine förmliche Amtsübergabe, weil Elisa eine eigene spirituelle Erfahrung machen muss, ehe er den Mantel Elias aufnehmen und tragen kann (2Kön 2,8-15). Außerdem sollte ein Amt grundsätzlich allen dafür qualifizierten Personen offen stehen. Den Amtsinhabern wird die Autorität von der Institution verliehen. Der Prophet dagegen beansprucht diese von sich aus in einer informellen, charismatischen Weise. Trotzdem hängt natürlich auch die Rolle eines Propheten an der gesellschaftlichen Akzeptanz und dem Ansehen, das einem so Auftretenden entgegengebracht wird. Die Entscheidung darüber, ob die Rolle des Propheten zu Recht beansprucht wird, muss das soziale Umfeld dann auf Grund von spirituellen Maßstäben fällen (vgl. 2Kön 3,12 Anerkennung Elisas).

7.2. Die Prophetie im Ämtergesetz des Deuteronomiums

Das → Deuteronomium beschreibt in seinem Ämtergesetz eine bemerkenswerte institutionelle Verfassung des Volkes. Genauer beschrieben und in ihrem Verhältnis zueinander bestimmt werden der → Priester, der → König, der → Richter (→ Gerichtswesen) und der Prophet. Es wird deutlich, dass der Prophet als das höchste „Amt“ gilt. Mehrere Deutungsmöglichkeiten bietet der Vers Dtn 18,5: Ist daran gedacht, dass es nur einmal einen Propheten wie → Mose geben wird? Oder daran, dass JHWH immer wieder Propheten erwecken wird. Oder soll zwischen gewöhnlichen Propheten und solchen unterschieden werden, die Mose gleichkommen? Im Rahmen des Institutionengefüges scheint eine wenn auch nicht ständige, so doch immer wieder erfolgende Sendung von Propheten die einleuchtendere Variante zu sein.

7.3. Institutionelle Unabhängigkeit

Grundlegend für die Prophetie ist eine gewisse Freiheit gegenüber Adressaten, Auftraggebern und anderen Institutionen. Von dem Propheten wird ja die Vermittlung des göttlichen Wortes erwartet und jedem ist klar, dass dieses vom Propheten nicht manipuliert werden kann und darf, sosehr man sich das vielleicht auch wünscht. Der Prophet muss sagen, was die Gottheit will, und darin muss er unbestechlich sein. Dies bringt zum Beispiel der König in 1Kön 22,16 zum Ausdruck, der den Propheten beschwört, nicht ihm zu Gefallen zu weissagen, sondern allein der Eingebung JHWHs zu folgen. Subjektiv gesehen haben die Propheten selbst, aber auch ihre Adressaten, dieses Ideal sicher weitgehend gelebt. Aus der soziologischen Außenperspektive wird trotzdem deutlich, wie sehr Propheten durch ihre Herkunft, durch ihre ökonomischen und traditionellen Abhängigkeiten und durch die Erwartungshaltung ihrer support groups und Gegner beeinflusst waren. In Situationen, in denen Propheten sich untereinander den göttlichen Ursprung ihrer Botschaften bestritten, haben sie auch selbst zu dem Argument gegriffen, die jeweils andere Partei sei durch sachfremde Interessen und Abhängigkeiten bei der Wahrnehmung der göttlichen Stimme beeinträchtigt oder würde ihre eigene Einsicht oder eigenes Wunschdenken als göttliche Stimme ausgeben.

Obwohl die Propheten im Auftrag JHWHs, also der höchsten Autorität des Volkes Israels, sprechen, haben sie keine formale Macht, um Gehör, Zustimmung oder gar die Umsetzung von Forderungen zu verlangen. Sie müssen sich deshalb auf die Einsicht der Angeredeten, die Akzeptanz ihrer göttlichen Sendung durch die Adressaten oder die Drohwirkung der angekündigten Straffolgen verlassen. Dabei zeigt Jer 18,18, dass der Prophet sich mit allen überwerfen konnte, die sonst für die Leitung Israels verantwortlich waren (vgl. auch Zef 3,3-4).

7.3.1. Verhältnis zu Königen

In den Berichten in den → Samuelbüchern und → Königsbüchern gibt es viele enge Verbindungen zwischen Prophetie und → Königtum. → Nathan erscheint wie jemand, der zum königlichen Hofstaat gehört und jederzeit Zutritt zum König hat. Das hindert ihn aber nicht daran, den König im Falle seines Ehebruchs mit → Batseba scharf zu tadeln (2Sam 12,1-15). Nathans Kritik am König, so scharf sie im Einzelfall ist, tastet aber das Königtum als JHWH-gemäße Regierungsform nicht an. Im berühmten Nathan-Orakel (2Sam 7), dessen historischer Kern freilich umstritten ist, sagt er im Namen JHWHs der Daviddynastie ewigen Bestand zu (2Sam 7,16). Die meisten Propheten scheinen die jeweilige Regierungsform zu akzeptieren, in vorexilischer Zeit das davidische Königtum, in nachexilischer Zeit das persische.

Grundsätzliche Kritik am Königtum findet sich bei → Hosea, der den König selbst allerdings nicht anspricht, sondern eher die, die „Könige machen“ (Hos 8,4). Dass die Kritik so gemeint ist, dass das Königtum als solches abgelehnt wird, ist eher unwahrscheinlich. Eher dürfte es so sein, dass spätere Überlieferer die hoseanische Kritik als eine Kritik am Abfall Israels vom davidischen Königtum interpretiert haben.

In Am 7 wird Amos’ Prophetie vom Priester → Amazja als gegen König und Land gerichtet verstanden, ohne dass Amos selbst diese Auffassung bestätigt. Der Vers Am 7,9, der der 3.Vision eine Unheilsankündigung gegen → Jerobeam II. redaktionell einschreibt, dürfte die Botschaft des Amos an Hoseas Königskritik angleichen wollen.

Unabhängig davon, ob der König selbst Ziel der prophetischen Kritik war, so ist es unstrittig, dass die jeweilige Hauptstadt, → Samaria oder → Jerusalem, scharf kritisiert wurde. Die Hauptstadt mit ihren Mitgliedern der königlichen Familie, ihren Beamten und Steuereinziehern sowie mit dem Monopol für den Fernhandel wurde insbesondere in den sozialkritischen Passagen als Wurzel der Ausbeutung identifiziert (→ Sozialkritik).

Micha überträgt die Kritik von Hosea und Amos an den Verhältnissen in Israel auf Juda und Jerusalem. Selbst in der Dorfkultur der Landbevölkerung verwurzelt brandmarkt er die rücksichtslose Ausbeutung der Dorfbewohner durch ökonomisch machtvolle Kreise der Hauptstadt. Eine direkte Königskritik findet sich nicht, aber wenn Mi 5,1 im Kern auf den historischen Propheten zurückzuführen ist, so erwartete er das Auftreten eines idealen Herrschers, der das davidische Königtum zu seiner eigentlichen Bestimmung bringen würde. Dies kann man als implizite Kritik an den gegenwärtig herrschenden Königen auffassen. Interessant ist auch, dass der Titel „König“ vermieden wird, was sich als eine implizite Kritik an dem gegenwärtigen Zustand des Königtums interpretieren lässt.

Jesaja, der in Jerusalem zu Hause war und dessen Denken aus den Lokaltraditionen dieser Stadt gespeist war, hatte anscheinend Zugang zum König, allerdings ist das Zusammentreffen mit → Ahas (Jes 7) außerhalb des Königspalastes lokalisiert. Auch seine Botschaft enthält keine Kritik am König. Die berühmten sogenannten „messianischen“ Passagen (z.B. Jes 11,1-5), die das Auftreten eines idealen zukünftigen Friedensherrschers erwarten, stammen kaum vom historischen Propheten, zeigen aber, dass die Redaktoren ebenfalls eine implizite Kritik am gegenwärtig herrschenden König eingeflochten haben. Der künftige Herrscher trägt weder den Titel „König“ noch wird erwähnt, dass er gesalbt würde. Vergleichbar sind die Titel für den künftigen Herrscher: נָשִׂיא nāśî’ „Fürst“ im Ezechielbuch, „JHWHs Diener“ und „Siegelring“ bei Haggai (Hag 2,23) sowie „Spross“ bei Jeremia und Sacharja (Jer 23,5; Jer 33,15; Sach 3,8; Sach 6,12).

Die neutestamentliche Rede vom „Messias“ („Gesalbter“; → Messias) und die, freilich völlig inoffizielle, „Salbung“ Jesu durch eine unbekannte Frau (Mk 14,3), schließen insofern nicht an die alttestamentliche Sprachregelung an, auch wenn sachlich eine große Kontinuität besteht.

7.3.2. Verhältnis zu Priestern

Von einigen Propheten ist überliefert, dass sie den Kult, vor allem den Staatskult, heftig kritisiert haben (→ Kultkritik). → Amos und → Jesaja hatten gerade am Tempel Visionen erhalten, in denen sie JHWH gesehen haben (Jes 6; Am 9,1-4). Trotzdem beinhalteten die Visionen die Zerstörung des jeweiligen Tempels. Die Kritik der Propheten (z.B. Am 5,21-25; Jes 1,12-15) war sicher nicht als eine grundsätzliche Ablehnung jeglichen Kultes gemeint, vielmehr ging es um die Ablehnung bestimmter Kultpraktiken und bestimmter Heiligtümer. In diesem Zusammenhang gerieten sie auch mit Priestern in Konflikt (z.B. Hos 4,4-10; Am 7,10-17; Ez 22,26; Mi 3,11).

In der nachexilischen Zeit ändert sich die Lage grundsätzlich: → Haggai und → Sacharja setzen sich für die Wiedererrichtung des Jerusalemer Tempels ein. → Joel scheint den Kult unterstützt zu haben; jedenfalls fordert er zu einer Bußversammlung am Tempel auf (Jo 2,12-14). In Sach 3,1-10 wird das nach dem → Exil eingeführte Amt des Hohenpriesters von JHWH her legitimiert (Pola 173-223). → Maleachi setzt den funktionierenden Tempelkult voraus und kritisiert Laien und Priester wegen der unaufrichtigen und nachlässigen Befolgung der Kultvorschriften (Mal 1,6-8; Mal 2,1-9), die womöglich noch gar nicht so lange in Geltung waren, sondern erst durch bestimmte Kreise innerhalb der Priesterschaft am wiedererrichteten Tempel als Reaktion auf die Zerstörung des ersten Tempels entworfen worden waren.

7.3.3. Verhältnis zu Weisen

Die Weisen werden nur ganz selten von den Propheten erwähnt. Namentlich Hans Walter Wolff hat die These vertreten, dass Amos stark von weisheitlichem Denken beeinflusst war (Wolff 1964; → Weisheit). In Jes 5,21 richtet sich Jesaja unter anderem auch gegen Weise, denen vorgeworfen wird, dass sie die Weisheit Gottes verfehlen würden, weil sie sich selbst für klug halten.

7.3.4. Verhältnis zu Ältesten und Richtern

Jede Siedlung, ob Stadt oder Dorf, hatte eine weitgehende Selbstverwaltung, vor allem in Familien- und Rechtsangelegenheiten. In Konfliktfällen traten die Repräsentanten des Dorfes, die sogenannten Ältesten, zusammen und entschieden den Fall. Auch an dieser Rechtsinstitution gab es prophetische Kritik.

Amos nennt Rechtsbeugung als ein Thema (Am 5,7). In der Rechtsversammlung werden diejenigen, die sich für das Recht einsetzen angefeindet (→ Recht). Dabei geht es Amos offensichtlich darum, die traditionellen Rechtsnormen gegen Neuerungen zu verteidigen, die seiner Meinung nach völlig dem natürlichen Verhalten und dem Erfahrungswissen widersprechen (vgl. Am 6,12). Leider wird aus den Prophetentexten nicht genau deutlich, welche Missstände der Prophet im Auge hat. Ein sehr anschaulicher Text, der einen schlimmen Fall von Rechtsbeugung schildert, ist die Erzählung von → Nabots Weinberg (1Kön 21). Die Erzählung stellt eine scharfe Polemik gegen König → Ahab und vor allem gegen seine Frau → Isebel dar. Ob der Fall deshalb historisch so passiert ist, mag dahingestellt bleiben, dass es aber Kreise gab, die sich vorstellten, dass der König so oder so ähnlich handelt, beweist die Existenz dieser Geschichte und ihre Kanonisierung. In vergleichbarer Weise prangert Jes 1,23 Bestechlichkeit an. Im Unterschied dazu hat Amos nicht die → Bestechung von Zeugen vor Augen, sondern kritisiert, dass sich das Rechtsempfinden der Dorfältesten von dem traditionellen Wertekonsens wegentwickelt. Insbesondere die Rücksichtslosigkeit und Mitleidslosigkeit, mit der Rechtsinstrumente eingesetzt werden, die eigentlich dem Schutz des Schwachen dienen sollen, erregen den Propheten, so etwa, dass der gepfändete Mantel über Nacht nicht, wie es der Norm entspräche, zurückgegeben wird (Am 2,8; vgl. Ex 22,26-27).

Insgesamt stehen hinter der prophetischen Kritik gesellschaftliche Umbrüche im großen Stil, wobei die Propheten eher auf der Seite derer stehen, deren Welt nun plötzlich zusammenbricht, während denjenigen, die diese Umbrüche rücksichtslos zu ihrem eigenen Vorteil nutzen, die göttliche Strafe angekündigt wird.

7.4. Akzeptanz in der Gesellschaft

Die Propheten haben das Grundproblem, dass sie, weil sie subjektiv davon überzeugt sind, im Dienste des Gottes Israels zu stehen, von ihrem Gegenüber unbedingte Gefolgschaft erwarten, die Angeredeten aber keine Möglichkeit haben, den prophetischen Anspruch auf seine Validität hin zu überprüfen. Sie haben ihre eigene Beziehung mit diesem Gott und müssen von daher beurteilen, ob die Propheten glaubwürdig sind. Stimmt die Botschaft der Propheten mit dem Wissen der Adressaten überein, ist es für diese keine Schwierigkeit, die göttliche Sendung zuzugestehen, stimmt sie aber nicht überein, entsteht das Problem, dass die aktuelle Botschaft der Propheten dem widersprechen kann, was an Überlieferungswissen und eigenen Gotteserfahrungen vorliegt, ohne dass Gott selbstwidersprüchlich wird. In solchen Fällen müssen die Angeredeten zu Mitteln greifen, die es erlauben, die Propheten zu überprüfen. Ein Mittel ist z.B. die Einholung einer zweiten prophetischen Meinung; so holen die Könige Israels und Judas zusätzlich die Meinung Micha ben Jimlas ein, obwohl vorher bereits 400 Propheten übereinstimmend geweissagt haben (1Kön 22,7-9). Ein anderes Beispiel ist, wie der König → Josia nach Auffindung eines Buches im Tempel die Hinzuziehung der Prophetin Hulda einleitet, um dessen Wahrheitsgehalt zu ermitteln (2Kön 22,13-20).

Wenn sich prophetische Ansprüche nicht plausibilisieren lassen, kommt es zu deren Ablehnung. Immer wieder gibt es Hinweise darauf, dass die historischen Propheten von der großen Mehrheit ihrer Zeitgenossen und von den Verantwortungsträgern angefeindet wurden. Wilson (1980) spricht von „peripheral prophecy“. Andererseits muss es Leute gegeben haben, die die Propheten unterstützt haben. Das → Jeremiabuch gibt den besten Einblick in die Lage am Königshof, an dem verschiedene Fraktionen und manchmal auch dieselbe Person verschiedene Positionen gegenüber Jeremia eingenommen haben. Gelegentlich hat die Opposition gegen Propheten sogar dazu geführt, dass sie mit dem Tod bedroht (Jeremia; z.B. Jer 26,8) oder sogar getötet wurden (Jer 26,20-23; vgl. Lk 13,34; vitae prophetarum).

Der wichtigste Hinweis darauf, dass es Sympathisanten gegeben haben muss, die den Propheten unterstützt und an die bleibende Bedeutung seiner Botschaft geglaubt haben, sind die Prophetenbücher selbst. Jemand muss die Auftritte der Propheten memoriert, weitererzählt und schließlich aufgeschrieben haben.Die Tradenten fühlten sich auch legitimiert, die bleibende Bedeutung der prophetischen Botschaft durch die Hinzufügung aktuell neu auftretender Sprüche zu erweitern (Steck 1996).

8. Arten von Propheten

Propheten treten in vielfältigen Formen auf. Man kann verschiedene Merkmale heranziehen, um Typen zu unterscheiden.

8.1. Gruppenpropheten

In der Regierungszeit → Sauls, so wird berichtet, habe es Propheten in Gruppen gegeben, wobei anscheinend alle Gruppenmitglieder den Titel נָבִיא nāvi’ trugen (1Sam 10,5; 1Sam 19,18-24). Kennzeichnend für ihre Weise der Gottverbundenheit war, dass sie von einem Gottesgeist besessen waren, der sie die Selbstkontrolle verlieren und sie zu einer anderen Person werden ließ (1Sam 10,6.10; 1Sam 19,20; 1Sam 19,23). Darauf, dass man sich vom → Geist ergreifen ließ, bereitete man sich anscheinend mit Hilfe von → Musik vor, wobei an Ekstase fördernde Musik zu denken ist (2Kön 3,15Elisa). Glaubt man der Darstellung, die sicherlich Saul herabsetzen will, so war der Geistbesitz der Gruppe ansteckend, jedenfalls sprang er auch auf Saul über. Der Geist, der von der Gruppe Besitz ergriff, scheint keine verständlichen Orakel hervorgebracht zu haben, sondern eher einen rauschhaften Trance-Zustand. Von Saul wird berichtet, dass er völlig die Kontrolle verlor, sogar seine Kleider auszog, und, nachdem die Ekstase beendet war, so erschöpft war, dass er stundenlang nackt liegen blieb (1Sam 19,24). Ein solches Phänomen wird nicht die Regel, sondern eher die Ausnahme gewesen sein; trotzdem dürfte der völlige Verlust der Selbstkontrolle ohne verständliche Gottesbotschaft diesen Typ von Prophetie verdächtig gemacht haben, so dass man im Alten Testament von diesem Typ in späterer Zeit nichts mehr hört.

Von → Elisa wird berichtet, dass er in einer Gemeinschaft mit anderen Personen und deren Angehörigen lebte. Solche Gruppen scheint es an verschiedenen Stätten gegeben zu haben. Die Gruppenmitglieder wurden als „Prophetensöhne“ bezeichnet (2Kön 6,1; 2Kön 2,3; 2Kön 2,5; 2Kön 2,7.15; vgl. Amos’ Aussage, er sei kein בֶּן־נָבִיא ben nāvi’ „Sohn eines Propheten“ Am 7,14). Dem entspricht, dass Elisa als „Vater“ angeredet wurde (2Kön 2,12; 2Kön 13,14). Innerhalb der Gemeinschaft scheint eine Art Unterricht erfolgt zu sein, wenn man die Phrase, dass man „vor Elisa saß“ (2Kön 6,1) so deuten kann, ohne dass erkennbar würde, was genau bei diesen Zusammenkünften ablief.

In 1Kön 22, einem polemisch und mit viel Ironie erzählten Text, tritt eine Gruppe von 400 Propheten auf, die als „Königspropheten“ bezeichnet werden. Sie heißen anscheinend so, weil sie vom König „angestellt“ oder jedenfalls ausgewählt sind, um für ihn „JHWH zu befragen“ (vgl. Jer 27,9), d.h. ihm in wichtigen Fragen zu sagen, ob eine Unternehmung im Einklang mit dem Willen Gottes steht. Die Einholung von Orakeln zu diesem Zweck war weithin geübte Praxis im gesamten Alten Orient. Die Gruppe scheint einen Anführer gehabt zu haben, der sogar namentlich genannt wird.

Dass Propheten auch in Gruppen auftraten, ist insofern bedeutsam, als auch von den Einzelpropheten zu vermuten ist, dass sie in eine support-group eingebettet waren.

8.2. Einzelpropheten

Die ältesten historisch verlässlichen Einzelpropheten sind → Gad und → Nathan. Gad wird als „Seher (חֹזֶה ḥozӕh) Davids“ (2Sam 24,11) bezeichnet, Nathans Titel lautet „der Prophet“. Der Gebrauch von נָבִיא nāvi’ mit Artikel scheint speziell für Nathan reserviert zu sein. Möglicherweise wird er damit gegenüber anderen Propheten seiner Zeit hervorgehoben oder er soll als vom König unabhängig charakterisiert werden.

8.3. Kultpropheten

Um die sogenannte Kultprophetie ist eine große Diskussion geführt worden (s. → Mowinckel, Johnson, Jeremias 1970). Klar ist, dass es im Hebräischen kein Wort für Kultprophet oder Tempelprophet oder Ähnliches gibt. Es gibt aber das Phänomen, dass die erhaltenen Prophetenschriften den kanonisierten Propheten in Auseinandersetzung mit anderen Propheten zeigen, denen unterstellt wird, dass sie nicht von JHWH gesandt seien. Für die These, dass es Kultpropheten gegeben hat, sprechen folgende Beobachtungen:

● In der späten Königszeit werden Priester und Propheten etwa 30 Mal nebeneinander genannt. Diese gemeinsame Nennung kann u.U. auf eine Annäherung der Tätigkeiten beider Gruppen deuten (Plöger).

● Es gibt wenige Prophetenschriften, die relativ wenig bis gar keine Kritik an Israel enthalten und nur den anderen Völkern Unheil ankündigen. Genannt werden immer Nahum und Habakuk. Das Fehlen der Israelkritik könnte damit zu tun haben, dass diese Schriften auf Propheten zurückgehen, die keine solche Kritik geäußert haben, weil sie lediglich systemstabilisierende Prophezeiungen äußern konnten oder durften.

● In den → Psalmen gibt es bei vielen Klageliedern das Phänomen des Stimmungsumschwungs. Damit ist gemeint, dass der klagende Beter plötzlich von der Gewissheit der Erhörung seiner Klage erfüllt wird und aus dieser Stimmung heraus schon Töne des Dankliedes anstimmt. Eine Möglichkeit, um diesen Stimmungsumschwung zu erklären, besteht in der Annahme, dass eine andere an der gottesdienstlichen Zeremonie teilnehmende Gestalt dem Beter die Erhörung im Namen Gottes vollmächtig zugesprochen hat. Joachim Begrich hat erschlossen, dass ein Priester eine solche Erhörungszusage gesprochen habe. Wie eine solche Erhörungszusage aussah, die im Zusammenhang des Psalters nicht erhalten ist, kann man aus → Deuterojesaja erschließen. In der Tat passen die Heilszusagen Deuterojesaja vorzüglich als göttliche Antwort auf vorausgehende Klagen, wie sie in den Psalmen und den → Klageliedern Jeremias erhalten sind. Inzwischen sind jedoch viele Texte mit Heilszusagen in Mesopotamien gefunden wurden. Namentlich → Assurbanipal hat Heilszusagen auf Tafeln gesammelt, um die Legitimität seines Königtums zu unterstreichen. Aus diesen Texten lässt sich erkennen, dass Propheten und Prophetinnen solche Heilsorakel an den König gesprochen haben. Leider überliefern die Tafeln nur die Heilsorakel selbst, nicht jedoch die Umstände, unter denen sie geäußert wurden, so dass nicht klar wird, in welcher Beziehung die Propheten der gesammelten Sprüche zum König standen. Dass der König die Orakel sammeln ließ, heißt nicht notwendig, dass er die Orakel bestellt, gekauft oder erzwungen hat.

8.4. Heilsprophetie und Unheilsprophetie

Unter einem Heilspropheten versteht man einen Propheten, dessen Botschaft Heil für die Adressaten beinhaltet. Der Gegenbegriff ist der „Unheilsprophet“ bzw. „Gerichtsprophet“. In einem weiten Sinn gebraucht, ist Heilsprophet ein deskriptiver, wertneutraler Begriff, in einem engeren Sinn wird er aber auch polemisch verwendet. Dann bezeichnet er einen Propheten, der dort Heil verkündet, wo eigentlich Unheil das Richtige wäre. Dieser engere Gebrauch nimmt die Polemik der kanonisierten Propheten gegen ihre Gegner auf, denen sie fehlenden Gotteskontakt und sogar bewusste Verfälschung vorwarfen (z.B. Jer 23,17; Jer 28,8; Mi 3,5; Ez 13,7.10.16). Vergleicht man die kanonisierten Unheilspropheten mit ihren Gegnern oder mit den Prophetien aus Mesopotamien, so fällt in der Tat auf, mit welch radikaler Kritik sie aufgetreten sind. Gleichwohl enthalten alle Prophetenbücher Heilsworte für die eschatologische Zukunft. Das letzte Ziel Gottes mit der Welt ist nicht das Unheil, sondern das Heil; und das Unheil ist der Durchgang zu vollgültigem Heil.

8.5. Schriftprophetie

Unter „Schriftprophet“ versteht man einen Propheten, dessen Sprüche in einer eigenen Sammlung unter seinem Namen überliefert sind. Ob der historische Prophet selbst die Niederschrift seiner Worte vorgenommen, diktiert oder veranlasst hat, ist dabei unwesentlich. Als ältester Schriftprophet gilt → Amos.

8.6. Tradentenprophetie

Da die Prophetenbücher des Alten Testaments nur zum kleinsten Teil auf die historischen Personen zurückgehen, deren Namen sie noch immer tragen, der weitaus größte Teil dagegen von anonym bleibenden Schriftstellern stammt, die im Namen des historischen Propheten viel später entstandene Texte hinzufügten, stellt sich die Frage, ob nur die ursprünglichen, mündlich auftretenden Propheten als Propheten gelten können oder ob nicht die Fortschreibung und Erweiterung erhaltener prophetischer Texte ebenso als Prophetie bezeichnet werden kann (→ Redaktoren; → Fortschreibung). Diese Frage stellt sich insbesondere dann dringend, wenn man damit rechnet, dass Textpassagen, die den Prophetenbüchern hinzugefügt wurden, ihrerseits auf die mündliche Verkündigung von Propheten zurückgehen. Ein berühmtes Beispiel ist der als „Deuterojesaja“ bezeichnete Buchteil Jes 40-55, von dessen Grundstock allgemein angenommen wird, dass er auf die mündliche Verkündigung eines Propheten zurückgeht.

8.7. Schriftgelehrte Prophetie

Als „schriftgelehrt“ bezeichnet man eine Prophetie dann, wenn sie nach Inhalt, Motivik und Sprache so eng an verschiedene ältere, schriftlich fixierte autoritative Schriften anknüpft, dass die Leserschaft sie ohne die Kenntnis dieser Bezugstexte, auf die oft nur durch charakteristische Begriffe oder knappe Zitate angespielt wird, nicht mehr wirklich verstehen kann (Bergler; Lau; Zapff; Jeremias 2002).

9. Botschaft

Die primäre Aufgabe des Propheten ist es, den göttlichen Willen zu Gehör zu bringen, in der frühen Phase gegenüber Einzelnen, dann auch gegenüber bestimmten Gruppen, die den Bestand des ganzen Volkes gefährden, zunehmend aber auch gegenüber dem Volk als Ganzem. Da sich der Wille Gottes auf das gesamte Leben richtet, also kein Bereich der Lebenswirklichkeit ausgespart bleibt, kann sich der Prophet auch zu jedem Sachverhalt äußern. In aller Regel meldet er sich aber zu Wort, wenn der Bestand des ganzen Volkes in Gefahr steht, dabei kann es sein, dass das Schicksal des Volkes vor allem am Verhalten von Einzelpersonen hängt, z.B. an dem des Königs. Im Laufe der Geschichte hat sich aber erwiesen, dass es notorische Themen gab, die die Propheten immer wieder angesprochen haben. Dabei lässt sich feststellen, dass konkrete Rechtsnormen, auch die Zehn Gebote (→ Dekalog), nur eine geringe Rolle gespielt haben.

9.1. Treue gegenüber Gott

Das wichtigste Thema der Propheten ist Gott selbst, schließlich verstehen sie sich als Sprecher JHWHs und innerhalb der Gesellschaft als diejenige Kraft, die dafür sorgt, dass Gottes Stimme Gehör und Beachtung findet. Vorausgesetzt ist, dass Israel das Volk Gottes ist und sein Heil von einer gelingenden Beziehung zu Gott abhängt. Israel kommt damit eine besondere Verantwortlichkeit in der Völkerwelt zu (Am 1-2). In erster Linie geht es also um das Volk, das Kollektiv, in zweiter um bestimmte Gruppen oder Einzelne. Unabhängig davon, ob der Begriff בְּרִית bərît „Bund“ verwendet wird (→ Bund), geht es sachlich um genau das, das Treueverhältnis zwischen zwei Personen. Einige Male wird dieses Treueverhältnis auch als eine → Ehe vorgestellt (z.B. Hos 1-3). Die Propheten melden sich insbesondere dann zu Wort, wenn dieses Treueverhältnis auf dem Spiel steht. Es geht um persönliche Vergehen: Treuebruch, Beleidigung, Missachtung, Ungehorsam, Hinwendung zu anderen Göttern und Göttinnen. Da dieses Treueverhältnis von Gott her unerschütterlich festgehalten wird, reizen Gott beständige Verletzungen durch das Volk zum → Zorn. Irgendwann ist eine definitive Grenze erreicht und JHWH kann seinen Zorn nicht mehr zurückhalten. Die Propheten bringen diese Komponente oft auch sehr emotional zum Ausdruck.

9.2. Kultkritik

Mit dem Treueverhältnis zu JHWH hängt auch JHWHs kultische Verehrung zusammen. Dabei gibt es drei Richtungen der Kritik (→ Kultkritik): Der erste Punkt ist, dass der Kult JHWH nicht angemessen ist, weil nicht wirklich JHWH im Kult verehrt wird, sondern irgendwelche Konstrukte, die der Einbildung oder dem Wunsch der Verehrerinnen und Verehrer entsprechen. → Hosea hat das klassisch formuliert, indem er das stiergestaltige goldene Kultbild (→ Goldenes Kalb), die Hinwendung zu → Baal und die Riten an den Höhenheiligtümern (→ Kulthöhe) beklagt. Der zweite Punkt ist, dass der Kult nicht im Einklang mit dem Handeln der Kultteilnehmer steht. Dies hat klassisch → Amos herausgestellt (z.B. Am 5,21-27). Der dritte Punkt ist, dass der Kult nicht rite und mit der nötigen Ernsthaftigkeit betrieben wird. Darauf haben vor allem → Joel (Jo 2,12-14) und → Maleachi (Mal 1,6-8) Wert gelegt.

9.3. Gesellschaftskritik

Das Gottesvolk hat sich, das ist für die Propheten selbstverständlich, als eine harmonische Gemeinschaft zu organisieren, in der alle Teile zu ihrem Recht kommen und man gemeinschaftlich das Land so bebaut, dass es nachhaltigen Ertrag bringt. Wo immer sie dieses Ideal massiv gefährdet sehen, melden sie sich zu Wort. In den sozialkritischen Texten (z.B. Am 2,6-8; Am 5,7; Am 6,12; Am 8,4-8; Jes 1,21-27; Mi 2,1-4; Zef 1,10-12; Jer 22,13-19; → Sozialkritik) kommt zum Ausdruck, dass extreme Ungleichverteilung von Wohlstand von den Propheten als Indikator dafür genommen wird, dass mit dem verarmten und ausgebeuteten Dorfgenossen auch Gott missachtet wird. Ob das Insistieren auf Solidarität und Gleichheit mit der sozialen Herkunft der Propheten zusammenhängt, wird namentlich am Beispiel von Amos diskutiert. Leider erlauben die wenigen Angaben in Am 1,1 und Am 7,14-15 keine definitive Entscheidung, ob der historische Amos ein armer Wanderarbeiter oder ein wohlhabender und gebildeter Rinderbesitzer war. Werden juridische Themen angesprochen, so hängt das in der Regel mit der Sozialkritik zusammen. Die Rechtsinstitutionen schaffen es nicht mehr, die Schwachen zu schützen.

Auch in Fragen der Außenpolitik haben sich Propheten zu Wort gemeldet, und zwar insbesondere im Kriegsfall (z.B. Hos; Jes 7,1-9; Jer 27,1-13; Ez 17,11-21). In der Regel warnen sie davor, sich an Aufständen gegen die herrschenden Großmächte zu beteiligen. Ein gutes Beispiel ist Jeremia, der die Einwohner Jerusalems dazu aufruft, sich dem anstürmenden König → Nebukadnezar zu ergeben (Jer 27; Kegler; vgl. für Ezechiel auch Lang 1978).

9.4. Strafansage

Die Propheten sind grundsätzlich der Überzeugung, dass Israel wegen der kultischen und gesellschaftlichen Missstände von JHWH zur Rechenschaft gezogen werden wird. Nach Lage der Dinge kann das Strafmaß nur der Untergang der Staaten Israel und Juda sein. Oft benutzen sie Todesmetaphorik.

Die Prophetenbücher sind durchzogen von Bildern der Angst, der Zerstörung, der Schändung und des Todes. In den meisten Fällen gibt es keine Zuversicht, dass das angekündigte Unheil noch abgewendet werden kann. Auch für die Hoffnung auf die Bewahrung eines → Restes bleibt wenig Platz. Es sind vor allem die exilisch-nachexilischen Redaktoren, die von einem Rest reden.

Diese düstere Unheilserwartung, die in Prophetenkreisen seit Amos über 150 Jahre hinweg aufrecht erhalten wurde, hat sich mit dem Untergang von Hauptstadt, Tempel, Königsdynastie und der Exilierung großer Bevölkerungsgruppen schließlich auf schlimme Weise bestätigt, was wiederum die Propheten, die das haben kommen sehen, ins Recht gesetzt hat.

9.5. Heilvolle Zukunft

Aber die Prophetenbücher richten auch den Blick über die vollzogene Strafe hinaus. Und da sehen die Propheten bzw. deren Überlieferer, eine neue Heilszeit heraufziehen, die noch prächtiger werden wird, als alles, was Israel bisher erlebt hat (→ Eschatologie). Ein gerichtetes und geläutertes Israel wird endlich alle Segnungen des lebensfördernden Gottes in Ruhe und Harmonie mit der Völkerwelt und im Einklang mit der Natur genießen können.

Die Diskussion, ob ein solcher hoffnungsfroher Blick über die vollzogene → Strafe hinaus schon von den historischen Propheten eröffnet wurde oder erst von den späteren Redaktoren der Prophetenbücher, die in der Zeit der erfüllten Katastrophe lebten, flammt immer wieder auf. Der Mainstream teilt die Ansicht, dass die Heilspassagen erst der exilisch-nachexilischen Zeit zugehören. Trotzdem erzeugt die Komposition der Bücher den Eindruck, dass die Propheten schon zu ihren Lebzeiten auch von der positiven Zukunft nach dem Strafgericht sprachen.

10. Geschichte der Prophetie

Prophetie 1

Wie alle gesellschaftlichen Institutionen hat auch die Prophetie große geschichtliche Umwälzungen erlebt. Die in den vorherigen Abschnitten aufgezeigten typischen Merkmale und Vollzüge von Prophetie sind idealtypischer Art und müssen immer auf die jeweilige geschichtliche Situation hin zugespitzt werden. Von grundlegender Bedeutung für die Beschreibung der geschichtlichen Entwicklung ist die Datierung. Die Datierung der prophetischen Texte ist zwar in einer vermeintlich günstigen Lage, insofern die Namen der Propheten und die Zeit ihres Auftretens in den allermeisten Fällen genau angegeben sind (s. die Tabelle: Überblick über Prophetinnen und Propheten in der Geschichte Israels; vgl. Brouwer, 96-99), allerdings hat die historische Kritik an der Verlässlichkeit dieser Angaben erhebliche Bedenken angemeldet. Hinzu kommt, und das ist das gravierendste Problem, dass die moderne Literarkritik hinter den Prophetenerzählungen und den Prophetenbüchern unzählige anonyme Autoren ermittelt hat, von denen der Name gar nicht, die soziale Einbettung nur sehr fragmentarisch und die Datierung nur sehr grob ermittelt werden kann. Im Folgenden kann es daher nur um eine schemenhafte Darstellung der Mainstreamsicht gehen.

Die Geschichte der Prophetie lässt sich am besten durch die nationalen Katastrophen in Perioden einteilen, die als Erfüllung vorausgehender prophetischer Strafansagen verstanden wurden, z.B. die Eroberung des Nordreichs Israel durch die Assyrer (722 v. Chr.), in deren Umfeld die Schriftprophetie entstand, und die Eroberung Judas durch die Babylonier (587 v. Chr.), die die Kanonisierung der judäischen Prophetie entscheidend beförderte.

10.1. Vorkönigliche Zeit

In der alttestamentlichen Sicht auf die vorkönigliche Zeit werden nur wenige Gestalten erwähnt, die man unter den Begriff „Prophet“ fassen kann. Dies hat man schon im alten Israel so empfunden und mit einem Wechsel der Bezeichnung im Laufe der Sprachgeschichte erklärt (1Sam 9,9). Gleichwohl kommt der Begriff נָבִיא nāvi’ einige wenige Male vor: → Abraham (Gen 20,7); → Aaron als Prophet des Mose (Ex 7,1); → Mirjam (Ex 15,20), → Mose (Dtn 34,10; vgl. Num 12,5-8); → Debora (Ri 4,4-10); ein namenloser Prophet (Ri 6,8, es handelt sich um eine späte Zufügung); → Samuel (1Sam 3,20); ekstatische Gruppenpropheten (1Sam 10,5-12; 1Sam 19,20-24). Aus historisch-kritischer Sicht stammt die Bezeichnung der Einzelgestalten als נָבִיא nāvi’ in allen Fällen erst aus der Königszeit oder noch späterer Zeit. Allein bei den Gruppenpropheten dürfte die Verwendung des Titels נָבִיא nāvi’ historisch sein, allerdings sind diese Gestalten keine Propheten im Sinne der oben gegebenen Definition, da von einer Botschaft an eine dritte Partei nichts verlautet. In der vorköniglichen Zeit hat es also vermutlich bestimmte Spezialisten zum Verkehr mit der Gottheit gegeben, aber keine Propheten.

10.2. Frühe Königszeit und Reichsteilung

Mit dem Beginn des Königtums finden sich in den Texten des Alten Testaments Berichte über das Auftreten von Propheten im vollen Sinne der Definition. Der Prophet → Gad (1Sam 22,5) gibt → David in einer unüberschaubaren Krisensituation den Ratschlag, seinen Aufenthaltsort zu wechseln, was David auch macht. Über die näheren Umstände der Ratserteilung wird nichts gesagt, vermutlich handelt es sich aber um eine Antwort auf eine Befragung durch David, wie sie sich auch sein Widersacher Saul erhofft, der aber keine göttlich inspirierte Auskunft erhält (1Sam 28,6.15). Auch in 2Sam 24,11 reagiert Gad auf ein Gebet Davids.

Ebenfalls in den Umkreis des Königs David gehört der Prophet → Nathan, dem die berühmte Nathansweissagung in den Mund gelegt wird (2Sam 7), die der davidischen Dynastie ewigen Bestand auf dem Thron Jerusalems zusichert. Nathan ist im Rahmen der Thronwirren um den altersschwachen David auf der Seite → Salomos und hilft mit, dass dieser Davids Nachfolger wird (1Kön 1,38-40). Ob ihn dazu eine göttliche Eingebung ermächtigt hat, ist nicht gesagt, aber wohl implizit vorausgesetzt.

Historisch gesehen ist es wahrscheinlich, dass sich David mit den Propheten Gad und Nathan umgab und sich deren Rat auch beugte. Insbesondere Nathan nimmt sich eine erstaunliche Freiheit gegenüber dem König heraus. Sosehr die Rolle des Nathan auch aus späterer Perspektive aufgewertet worden ist, so dürfte auch der historische Nathan eine beträchtliche Unabhängigkeit gegenüber dem König gehabt haben.

Ahija von Silo ist der erste Prophet, der, gemäß der deuteronomistischen Darstellung (→ Deuteronomismus), mit seinem Gotteswort an → Jerobeam I. die Teilung von Nord- und Südreich als Strafe für den Abfall Salomos ankündigt (1Kön 11,29-39; vgl. 1Kön 14,2). Tatsächlich vollzieht sich wenige Jahre später diese nationale Katastrophe.

An den Königshöfen in Jerusalem und im Nordreich dürfte es, soviel wird man an historisch Zutreffendem aus den Berichten extrahieren können, Propheten gegeben haben, deren Hauptaufgabe es war, in existenzentscheidenden Situationen, z.B. im Kriegsfall, für den König Gott zu befragen. Auf diese Gottesentscheide hat man auch gehört. Sicherlich ist der Auftritt des Ahija von Silo stark aus späterer Perspektive übermalt, dass aber auch Jerobeam auf einen Propheten hörte, ist nicht unwahrscheinlich.

10.3. Der Untergang der Omri-Dynastie

Während man aus den → Königsbüchern den Eindruck gewinnt, dass in Jerusalem das Auftreten von Propheten auf den Königshof begrenzt blieb und sich die Prophetie über den Status des Hofpropheten nicht hinausentwickelte, vollzog die Prophetie im Nordreich eine dynamische Entwicklung. So finden sich dort – historisch sicherlich kaum zutreffend – große Mengen von Propheten, und zwar sowohl im Auftrag JHWHs (1Kön 18,4: 100) als auch im Auftrag kanaanäischer Gottheiten (1Kön 18,19: 450 Baal-Propheten und 400 Aschera-Propheten; 1Kön 22,6). Vor allem aber sind → Elia und → Elisa als herausragende Einzelgestalten zu nennen. Unter den stark legendarisch und deuteronomistisch übermalten Erzählungen dürfte eine beachtliche historische Realität liegen. Sie treten mit der Gottesgewissheit und dem Botenverständnis auf, wie es dann die Schriftpropheten auch auszeichnet. Den Erzählungen nach dürfte es vor allem Elias Eifer für die Verehrung „JHWHs allein“ zu verdanken sein (z.B. 1Kön 18), dass die wirtschaftlich sehr erfolgreiche Omri-Dynastie (→ Omri) mit ihrer sehr engen Verzahnung mit Phönizien zu Fall kam. Sehr bemerkenswert ist der Hinweis, dass ein Schüler Elisas den Militärführer → Jehu zum König salbte, der daraufhin tatsächlich putschte und sich zum König machte (1Kön 19,16; 2Kön 9,1-14).

10.4. Der Untergang des Nordreichs

Im Schatten des Untergangs des Nordreiches entsteht die Schriftprophetie. Von den Propheten → Amos und → Hosea sind Sammlungen von Prophetensprüchen überliefert, in die auch Fremdberichte (Am 7,10-17; Hos 1,2-9) eingestreut sind. Nach den Überschriften (Am 1,1; Hos 1,1) werden beide Propheten zum Teil in die Regierungszeit derselben Könige, nämlich Usija (ca. 783-742 = → Asarja) und → Jerobeam II. (ca. 786-746), datiert. Demnach hätten sie sich gegenseitig kennen können. Die ältesten literarischen Schichten dieser Schriften dürften die mündliche Verkündigung dieser Gestalten ziemlich zutreffend reflektieren. Stark umstritten ist, welche Textpassagen zur ältesten Schicht gehören. Je nachdem ergibt sich ein völlig verschiedenes Bild von der ursprünglichen mündlichen Verkündigung.

Folgt man den klassischen Analysen von Hans-Walter Wolff (1961; 1969) und Jörg Jeremias (1983; 1995), die den Mainstream repräsentieren, so haben Amos und Hosea in bemerkenswerter Radikalität den zentralen Institutionen des Nordreichs, wie sie sich insbesondere in der Hauptstadt → Samaria präsentierten, völliges Versagen gegenüber dem Gotteswillen vorgeworfen und dafür eine vernichtende Strafe erwartet, von Amos z.B. als das „Ende Israels“ bezeichnet (Am 8,2). Als die → Assyrer die Hauptstadt schließlich eroberten, Massen der Bevölkerung deportierten und das Land als Provinz ihrem Reich eingliederten, wurden diese Vorgänge von den Überlieferern der Prophetenworte als Erfüllung der prophetischen Botschaft verstanden und die Wortesammlungen der beiden vermutlich als ein Buch herausgegeben (Schart 1998).

Es ist bemerkenswert, dass sich der historische Amos, der nach Am 1,1 aus → Tekoa in Juda stammt, seine Botschaft aber in Israel ausgerichtet hat, nicht als נָבִיא nāvi’ verstanden hat, obwohl seine Sprüche alle Merkmale prophetischer Redeformen aufweisen. Die der ältesten Schicht der Hosea-Sammlung zu Grunde liegende mündliche Verkündigung zu rekonstruieren, ist sehr schwierig. Redeformen, die denen des Amos gleichen würden, wie das Gerichtswort und die Botenformel, finden sich aber in ihr wohl nicht; ob sich Hosea als נָבִיא nāvi’ verstanden hat, ist ebenfalls unklar.

10.5. Die Bedrohung Judas durch die Assyrer

Nachdem das Nordreich Israel untergegangen war, brachten Flüchtlinge aus dem Norden die Worte-Sammlungen von Hosea und Amos mit nach Juda und Jerusalem. In Aufnahme und in Auseinandersetzung mit diesem Erbe nahm die Prophetie im Südreich einen gewaltigen Aufschwung. Die assyrische Expansion begnügte sich nicht mit der Eroberung des Nordreichs Israel, sondern griff nach Süden aus. Fieberhaft wurde, jedenfalls in manchen Kreisen, nach dem Weg gesucht, wie Jerusalem dem Schicksal, das Israel getroffen hatte, entkommen konnte. Diejenigen Propheten, von denen ihrerseits Wortsammlungen erhalten geblieben sind, Jesaja, Micha, Zefanja, nahmen die Gerichtsbotschaft des Amos und des Hosea auf und applizierten sie auf Juda und Jerusalem. Auch diese würden von Gott dem Untergang überlassen, weil sie sich gegenüber dem Willen Gottes verfehlt hätten.

Jesaja stammt offensichtlich aus Jerusalem, was den starken Stellenwert der →Zionstradition verständlich macht, die mit dem Staatstempel verknüpft war. Seine mündliche Verkündigung wird für gewöhnlich in die Jahre 740-700 datiert. Demnach war er ein Zeitzeuge des sog. → Syrisch-Ephraimitischen Krieges sowie der Eroberung des Nordreichs und der Invasion Judas durch → Sanherib, der im Jahre 701 → Jerusalem „gleich einem Käfigvogel“ (TUAT I, 389) einschloss, dann aber wieder abzog, ohne die Stadt einzunehmen.

Micha stammt aus → Moreschet (Mi 1,1) im Einzugsgebiet der Philisterstadt Gat. Aus seiner landjudäischen Perspektive erlebt er den Zion als eine Größe, für deren Ausbau die skrupellosen und völlig korrupten Führungskreise der Stadt Blut vergießen. Seine Anklagen gipfeln in der Voraussage, dass der Zion zu einem Feld verwandelt wird und Jerusalem zu einem felsigen Hügel (Mi 3,12). Dieses Wort hat sich, nach der Erzählung in Jer 26,16-19, den Landjudäern so fest in das Gedächtnis gebrannt, dass es fast 100 Jahre später der Verteidigung Jeremias dienen konnte.

Wie durch ein Wunder überlebte Jerusalem den Ansturm der Assyrer, insbesondere den Feldzug Sanheribs. Im assyrischen Königspalast konnte stolz die Eroberung von → Lachisch dargestellt werden, aber nicht die von Jerusalem. Die judäische Gerichtsprophetie hatte sich insofern nicht bewahrheitet, als Jerusalem die Zerstörung erspart blieb, gleichwohl waren sich die Überlieferer sicher, dass es sich nur um einen Aufschub handelte, wenn sich die Verhältnisse nicht endlich dem Gotteswillen anpassten. → Manasse gab den prophetischen Kreisen keine Hoffnung, mag seine Politik der Anpassung an den assyrischen Druck auch dem davidischen Königtum einen gewissen Spielraum bewahrt haben.

Ein Wechsel bahnte sich an, als das imposante assyrische Weltreich innerhalb weniger Jahrzehnte in sich zusammenbrach und schließlich durch die → Babylonier beerbt wurde.

Nahum dürfte in diese Zeit gehören. Wenige Jahre vor dem Untergang → Ninives im Jahr 612 sah er eben diesen Untergang kommen und stimmte bereits die Schmählieder an, in die seine Landsleute – im Chor mit den von Ninive unterdrückten und durch hohe Tributzahlungen ökonomisch ausgesaugten Völkern – dann einstimmen würden. Die Nahumschrift ist insofern etwas Besonderes, als sie keine Kritik am eigenen Volk enthält, allenfalls werden implizit alle gewarnt, die sich mit dieser zum Untergang bestimmten Stadt einlassen.

Mit dem Thronwechsel zu → Josia gewannen die Kreise in Jerusalem an Einfluss, die unter Manasse in der Opposition waren. Sie forcierten umfassende Reformen, hinter denen der ernsthafte Wille erkennbar ist, aus den Worten der Gerichtsprophetie kultische, rechtliche und politische Konsequenzen zu ziehen. Wie weit die in 2Kön 23 berichteten Maßnahmen historisch glaubwürdig sind, ist umstritten; dass gar keine Reformen stattfanden, ist aber ebenfalls völlig unwahrscheinlich (vgl. Pietsch).

10.6. Der Untergang Judas und Jerusalems

Zefanja soll laut Überschrift (Zef 1,1) unter → Josia aufgetreten sein. Diesem König war es beschieden in der ruhigen Phase zwischen dem Untergang des Assyrerreiches (Eroberung Ninives 612), den Nahum als Strafe für die Ausbeutung und Unterdrückung der Völker angekündigt hatte, und dem Vordringen der Babylonier eine umfangreiche Reform durchzuführen, die sich den Werten und Zielen der Schriftprophetie verpflichtet wusste. Auch in der Zefanjaschrift gibt es Anspielungen auf den Bericht von der Reform. Sollten diese auf den historischen Propheten zurückgehen, so hat Zefanja die Reform wohl unterstützt, dann aber doch enttäuscht festgestellt, dass sie die kriminellen Machenschaften der Machthaber in der Hauptstadt nicht bremsen konnten, sodass der Untergang Judas und Jerusalems nicht aufzuhalten war. Möglicherweise geht auch die Beschreibung der Strafe als eines Läuterungsvorgangs in Zef 3,11-13 im Kern auf den historischen Propheten zurück, auch wenn sich die literarische Fixierung und die kompositionelle Stellung als Scharnier zwischen Straf- und Heilsansage der literarischen Ausarbeitung verdanken.

Auch → Jeremia gehört in die Zeit Josias. Auf Grund der umfangreichen Berichte über das Ergehen Jeremias (sogenannte „Baruchbiographie“), die einen weitgehend historisch glaubwürdigen Eindruck machen, bekommt man einen guten Eindruck davon, was der Prophet alles zu erleiden hat, weil sein Aufruf, sich dem babylonischen König, den er sogar als „Knecht JHWHs“ bezeichnet (Jer 43,10; Jer 27,6), zu ergeben, den königlichen Plänen widerspricht und der König anscheinend den Einfluss Jeremias in der Bevölkerung fürchtet und ihn mundtot zu machen sucht. Jeremia erlebt dann mit eigenen Augen, wie Juda überrollt, eine Festung nach der anderen erobert und schließlich Jerusalem belagert und das erste Mal erobert wird (597 v. Chr.). Nach dieser ersten Eroberung wird relativ ausführlich von der Auseinandersetzung mit anderen, später so genannten „falschen“, Propheten erzählt. Berühmt, und historisch glaubwürdig, ist die Auseinandersetzung mit dem Propheten → Hananja (Jer 28), in der sich Jeremia zur Legitimation der eignen Botschaft bereits auf eine bekannte und autoritative Tradition von Unheilsansagen stützen kann (Jer 28,8). Für Jeremia ist die Bestrafung Jerusalems mit der ersten Eroberung noch nicht vorbei. In dieser Phase hat er wiederholt dazu aufgerufen, sich dem König Nebukadnezar zu unterwerfen, denn er sei der von JHWH erwählte König, auch für Jerusalem und Juda. Und er sollte Recht behalten. Der von Nebukadnezar eingesetzte Vasallenkönig → Zedekia probt den Aufstand, woraufhin Jerusalem ein zweites Mal erobert und nun auch zerstört wurde (587 v. Chr.; → Zerstörung Jerusalems). In diesem Moment verkündet Jeremia, dass die Zerstörungsphase 70 Jahre, also zwei Generationen lang, dauern wird, danach aber erwartet er einen Wiederaufbau des Landes.

Im → Ezechielbuch sind wenige Texte biographischen Inhalts enthalten. Es spricht alles dafür, dass er Priester am Jerusalemer Tempel war (Ez 1,3). So erklärt sich, dass in seiner Gottesvorstellung der am Tempel präsente כְּבוֹד יהוה kəvôd JHWH „Herrlichkeit JHWHs“ die zentrale Rolle spielt und vor allem, dass für ihn die Forderung nach Reinheit des Volkes grundlegend für den Willen Gottes ist. Als Priester war er mit Reinheitsfragen ja ständig befasst. Ezechiel wurde bereits im Rahmen der ersten Eroberung Jerusalems im Jahre 597 nach Babylon deportiert und wirkte dann dort, weshalb er die endgültige, zweite Eroberung nicht mit eigenen Augen sah. Bemerkenswert ist die Utopie des Verfassungsentwurfs (Ez 40-48), die spätere Redaktoren in Ezechiels Geist dem Buch hinzugefügt haben. Hier wird der Idealzustand Israels ganz genau beschrieben und vor allem der neue Tempel auf die Elle genau vorgestellt.

Die Eroberung Jerusalems, die Deportation eines großen Teiles der Bevölkerung nach Babylon (→ Exil), das Ende des davidischen Königtums und die Zerstörung des Tempels wurden von den Zeitgenossen als die große Erfüllung aller prophetischen Strafansagen und damit als die Strafe Gottes für über viele Generationen hinweg praktizierte Frevel verstanden. Indem man sich dieser Einsicht unterstellte, konnte man an der Gottheit JHWHs und an seiner Gerechtigkeit festhalten. Diejenigen Propheten, die durch die Ereignisse bewahrheitet worden waren, wurden nun gesammelt, bearbeitet, verteilt und studiert.

Das → deuteronomistische Geschichtswerk (→ Deuteronomismus) unternahm es, die Geschichte Israels in einer radikal selbstkritischen Weise in den Blick zu nehmen. Die Geschichte Israels wurde als eine nur durch wenige positive Ausnahmen unterbrochene Folge von Verfehlungen gegen die fundamentalsten Normen des Gotteswillens dargestellt. Dabei wurde den Propheten, die nun als eine homogene Reihe begriffen und als „Knechte JHWHs“ tituliert werden, jedenfalls von manchen Bearbeitern, eine wichtige Funktion in der Geschichte zuerkannt: Sie hätten Israel gewarnt und gemahnt, ihr Ruf zur Umkehr sei aber ungehört verhallt (z.B. 2Kön 17,13; vgl. 1Kön 14,8b.9; 2Kön 21,10-11). Rätselhaft ist der Umstand, dass das Deuteronomistische Geschichtswerk die Schriftpropheten mit Ausnahme von Jesaja verschweigt, wobei Jesaja in einer ganz anderen Rolle gezeigt wird als in der Jesajatradition, was später durch die Übernahme der Kapitel der Königsbücher in das Jesajabuch ausgeglichen wurde (2Kön 18,3-20,19 // Jes 36-39), wo doch das Deuteronomistisches Geschichtswerk in einer Zeit verfasst wurde, in der erste Fassungen von großen Prophetenbüchern entstanden.

10.7. Die babylonische Zeit

Nach der babylonischen Eroberung, der Jahrzehnte langen Exilierung wichtiger Bevölkerungsteile nach Babylon und der Flucht eines Teils der Bevölkerung nach Ägypten keimte die Hoffnung auf Restitution des Volkes auf, als sich am Horizont der Aufstieg der → Perser abzeichnete, die zunächst Babylon erobern und dann als Weltmacht ablösen konnten. Der Prophet → Deuterojesaja, dessen Verkündigung hinter den Texten in Jes 40-55 steht, trat auf und verkündete eine bevorstehende neue Heilszeit, eine wunderbare Restitution des so schlimm geschändeten → Zion. Die Bestrafung des Volkes galt ihm als abgegolten (Jes 40,2), seine Aufgabe sah er darin, dem Volk Trost zu spenden. Er war vermutlich der erste, der einen strengen und auch theoretisch zu Ende gedachten Monotheismus vertrat, der also mögliche andere Götter nicht nur nicht verehrte (Monolatrie), sondern die Existenz anderer Götter bestritt. Diese religiöse Konsequenz hielt ihn nicht davon ab, den Perserkönig → Kyros II. als den Messias Israels anzuerkennen (Jes 45,1), dessen Herrschaft sich das Gottesvolk folglich unterzuordnen habe.

10.8. Die persische Zeit

Als die Perser die Herrschaft über Palästina übernahmen, erwiesen sie sich als erstaunlich tolerant, insbesondere gegenüber dem judäischen Kult, der sogar vom Großkönig gefördert wurde. Nach einem kurzen Aufflackern der Hoffnung, dass wieder ein Davidide regieren würde, bei → Haggai und → Sacharja, erkannte man die persischen Könige als legitim an.

Haggai und Sacharja setzten sich für die Wiedererrichtung des Tempels in Jerusalem ein, was auch zum Erfolg führte. Sie verbanden das mit hohen Erwartungen an eine wunderbare Zukunft. Sie fühlten sich wohl durch die eindringlichen Worte Deuterojesajas gegen die Mutlosigkeit und Verzweiflung seiner Hörerschaft legitimiert. In die gleiche Richtung gingen viele anonyme Nachträge in den nun entstehenden Prophetenbüchern. Berühmte Texte von anonymen Propheten sind etwa der Text vom neuen → Bund in Jer 31,31-34 und die Vision vom im Gesetz JHWHs gegründeten universalen Völkerfrieden, der es ermöglichen würde, auf Waffen künftig zu verzichten, so dass die → Schwerter zu Pflugscharen umgeschmiedet werden könnten (→ Eschatologie).

Diese Hoffnungen erfüllten sich allerdings nicht. Ihre Erfüllung musste deshalb jenseits der vorfindlichen Geschichte, „am Ende aller Tage“ (Mi 4,1; Jes 2,2) erhofft werden. In der Gegenwart dagegen blieb umstritten, was der Gotteswille sei und wie ihm am besten unter den Bedingungen der, ja gottgewollten, persischen Vorherrschaft nachzukommen sei. Die Disputationen, die im Hintergrund der → Maleachischrift stehen, zeigen eine Stadtgesellschaft, die bei der Versorgung des Kultes und anderen Fragen tief zerstritten ist. Die Maleachischrift selbst hält dann fest, wie diese Debatten im Sinne JHWHs zu entscheiden sind.

Wie es scheint, hat es keine Prophetien gegeben, jedenfalls wurden keine bewahrt, die den Untergang des persischen Reiches angekündigt haben. Ein Grund dafür könnte sein, dass sich nach den enttäuschten Erwartungen im Umkreis der Wiedererrichtung des Tempels immer mehr die Überzeugung entwickelte, dass unter den Bedingungen der Geschichte überhaupt keine vollkommene Realisierung des Gotteswillens vorstellbar ist (→ Apokalyptik).

10.9. Die hellenistische Zeit

Einen sehr markanten Umbruch in der Geschichte Israels bildet die rasante Umgestaltung des Vorderen Orients im Nachgang zum Eroberungsfeldzug Alexanders des Großen. Dieser Umbruch scheint von prophetischer Seite kaum mehr kommentiert worden zu sein. Der Name Alexander findet sich in der prophetischen Literatur nicht. Dies ist umso auffälliger, als hinter Sach 9 der Zug des Alexanderheeres nach der Schlacht bei Issos an der Mittelmeerküste hinab nach Ägypten zu stehen scheint. Dabei begreift der Text, mit dem der „Deuterosacharja“ genannte Teil der Sacharjaschrift einsetzt, den Feldzug als Strafgericht im Sinne JHWHs. Die Hoffnung der Passage richtet sich aber nicht auf Alexander, sondern auf einen endzeitlichen Friedensherrscher, der, anders als der Pferdeliebhaber Alexander (→ Pferd), auf einem gewöhnlichen → Eselreiten würde.

Unter Alexander und seinen Nachfolgern entstand eine hellenistische Verschmelzungskultur mit erstaunlichen kulturellen und technischen Fortschritten. Diese stieß vielfach auf Zustimmung, aber hier und da auch auf Ablehnung. Innerhalb Judas bildeten sich zwei Flügel heraus. Der eine sah sich vor allem durch den Propheten → Joel ausgesprochen, welcher, entweder er selbst oder ein Bearbeiter, sich von dem künftigen → Tag JHWHs eine grundlegende Reinigung der Völkerwelt erwartete, dessen Ergebnis es sei, dass „kein Fremder mehr durch Jerusalem hindurchziehen würde“ (Jo 4,17).

Sein Gegenspieler ist der Autor der → Jonaerzählung, einer gegen Joel gerichteten satirischen Novelle, der die Heiden als Vorbild für echte Umkehr hinstellt, wohingegen er die Hauptfigur, den Propheten Jona ben Amittai, als widergöttlichen Dickkopf darstellt, der bis zur Gefährdung seiner eigenen Existenz daran festhält, dass Gott seine Gnade nicht auf die große Stadt Ninive ausweiten dürfe (Schart 1998).

Mit dem → Danielbuch, dessen Entstehen in die Verfolgungszeit unter → Antiochus IV Epiphanes fällt, beginnt der Übergang zur → Apokalyptik. Das Danielbuch selbst gehört nach jüdischem Verständnis nicht zu den Prophetenbüchern. Unterscheidet man klar zwischen Prophetie und Apokalyptik, so ist diese Klassifizierung im Recht, macht man diese Unterscheidung nicht, so ist die traditionelle christliche Zuordnung Daniels zu den Propheten zumindest nachvollziehbar.

10.10. Die Kanonisierung der Prophetenbücher

Das Phänomen des Prophetenbuchs ist ein Alleinstellungsmerkmal Israels in seiner Umwelt und weit darüber hinaus (Jeremias 1996). Allein der Koran stellt noch ein vergleichbares Werk dar.

In Israel hat man wichtige Prophetenworte nicht nur in Archiven gesammelt, das hat man auch in Mari und Assyrien getan (→ Prophetie im Alten Orient), sondern man hat diese Sammlungen aktualisierend bearbeitet und als eigenständige Bücher verbreitet. Diese Bücher wurden zum Rückgrat der Entwicklung der Prophetie in Israel. Einerseits haben spätere Propheten aus der Lektüre ihrer Vorgänger Inspiration für mündliche Auftritte empfangen und andererseits haben Redaktoren, vor die Notwendigkeit gestellt, das literarische prophetische Erbe als Bucheinheit der interessierten Leserschaft, mit einem Begriff von Brevard Childs der „community of faith“, unter dem Eindruck neu auftretender Prophetie aktualisierend zu durchdenken und systematisch zu präsentieren, neue Gottessprüche hinzugefügt.

Leider enthält das Alte Testament nur wenige Hinweise, denen man etwas über den Prozess der Sammlung entnehmen kann. Hab 2,2 zeigt, dass der Prophet etwas aufschrieb, um möglichst viele Leser und Hörer zu erreichen. In Jes 8,16 ist berichtet, dass der Prophet in seinen Schülern etwas versiegelt. In Jer 36,4 diktiert → Jeremia dem Schreiber → Baruch eine Zusammenstellung seiner bisherigen Sprüche. In Jer 36,32 ist davon die Rede, dass dem zweiten Exemplar der Rolle mit Jeremiasprüchen weitere Sprüche hinzugefügt wurden, ohne dass gesagt wird, dass die Sprüche von Jeremia selbst stammen. → Ezechiel muss in seiner Berufungsvision eine Schriftrolle essen, auf der entweder die Sprüche stehen, die er dann selbst verkünden soll oder eine Auswahl der Sprüche der früheren Propheten, die es dann Ezechiel ermöglichen seinen Prophetenauftrag wahrzunehmen.

In dem Lachischbrief Nr. 3 (→ Epigraphik) wird erwähnt, dass dem Brief das Schriftstück eines Propheten angehängt ist (TUAT I, 621-622). Leider nennt der Verfasser nur die Titelzeile des Schriftstücks „Hüte dich!“, so dass man nicht weiß, was in dem Brief stand. So oder so ergibt sich ein Einblick, wie prophetische Schriftstücke verteilt wurden.

Das sind wenige und isolierte Notizen, sie passen aber zu dem Modell, das sich die Literarkritik vom Entstehen der Prophetenbücher macht (Jeremias, Zenger, Steck): Am Anfang stand in aller Regel eine historische Gestalt, die mündlich gegenüber bestimmten Adressaten auftrat und einzelne Sprüche, die auf genau diese Situation gezielt waren, äußerte. In der Regel geschah das nicht unter vier Augen, sondern in der Öffentlichkeit, um die Adressaten und ihre Sympathisanten bloß zu stellen und unter Druck zu setzen und gleichzeitig für die eigene Position Unterstützung zu finden. Die Verschriftung diente zuerst der Verbreitung der prophetischen Worte (so auch bei Hab 2; Jer 36; Lachischbrief 3). In Jes 8 zeigt sich aber das zweite wichtige Motiv der Verschriftung, die Entdeckung der bleibenden Gültigkeit der prophetischen Einsichten: Angesichts dessen, dass das prophetische Wort bei den Angesprochenen kein Gehör findet, wird es der nächsten Generation anvertraut. Dadurch kann man erstens später beweisen, dass JHWH die Strafe bereits im Vorhinein angekündigt hatte (z.B. Jes 48,3; Jes 44,8), weswegen es keine Entschuldigung für Fehleinschätzungen und Fehlverhalten gibt. Zweitens kann man beurteilen, ob sich Zukunftsansagen auch erfüllt und somit als wahr erwiesen haben. Drittens kann das anvertraute Wort von den Schülern den Adressaten erneut vor Augen gehalten werden, sollte sich an ihrem Verhalten nichts ändern. Viertens enthalten die Worte exemplarische Urteile über gesellschaftliche Fehlentwicklungen, die als Beispiel für die Beurteilung gleichartiger späterer Fälle dienen können (Jer 26, Rechtsverfahren gegen Jeremia). Und fünftens lässt sich neu auftretende Prophetie danach beurteilen, ob sie in Kontinuität mit dem steht, was sich bereits bewährt hat (vgl. Jer 28,8 „die Propheten vor mir“). Unter dem Eindruck der geschichtlichen Bewahrheitung der prophetischen Sprüche, vor allem durch das assyrische und babylonische Exil, wurden sowohl die alten Sprüche bewahrt als auch neue Sprüche hinzugefügt, die mehr oder weniger als im Geiste des historischen Propheten gesprochen akzeptiert wurden. Nur im Falle des → Zwölfprophetenbuchs erfährt man von einigen der nachfolgenden Propheten auch den Namen, in den anderen Fällen und in den anderen Prophetenbüchern bleiben die Autoren der hinzugefügten Sprüche anonym. Hinzu kamen Sprüche und Zusätze, die gar nie mündlich geäußert worden waren, sondern von vorneherein für ihren literarischen Kontext und die entsprechende Leserschaft gedichtet und eingefügt wurden.

Die Prophetensprüche in Mari und in Assyrien (→ Prophetie im Alten Orient) fand man in Archivräumen des Königshofes. Im Falle der assyrischen Sammeltafeln, die aus den Regierungszeiten von → Assarhaddon (681-669 v. Chr.) und → Assurbanipal (669-630 v. Chr.) stammen, sollten sie wohl der Legitimation der Könige dienen. Ob die Tafeln jemals in diesem Sinne auch benutzt wurden und die Texte das Archiv verlassen haben, muss mangels Nachrichten offen bleiben. In Mari waren die Prophetensprüche in Briefe an den König eingebettet. Die am Hof Zurückgebliebenen, oft Frauen, wollten den außerhalb befindlichen König Zimri-Lim über die Prophetensprüche informieren, damit dieser den in ihnen zum Ausdruck kommenden Willen der Götter bei seinen Entscheidungen berücksichtige. Eine weitere Verwendung der Sprüche war sehr wahrscheinlich nie geplant, auch wenn sich die schlimmsten Befürchtungen, die nur gelegentlich einmal in den Briefen laut werden, dadurch bewahrheitet haben, dass → Hammurabi von Babylon Mari schließlich eroberte und in Schutt und Asche legte. Diesem Feuer ist es zu verdanken, dass die Tontafeln gebrannt wurden und dadurch bis heute erhalten geblieben sind. Während der Zweck der Zusammenstellung der assyrischen Sammeltafeln dafür sorgte, dass keine königskritischen Sprüche aufgenommen wurden, so gibt es unter den Briefen in Mari doch einige, die auch Kritik am König enthalten.

In Israel wurden die Prophetensprüche vermutlich zunächst im Schülerkreis und nicht am Königshof gesammelt. Der einzige Fall, der von einer Aushändigung einer Prophetenspruchrolle an den König berichtet (Jer 36), zeigt auch, dass dies das Ende der Rolle bedeutete: Der König verbrannte sie. Dies kann man als Indiz dafür werten, dass die Prophetenschriften abseits des Könighofes, als eine Art „Oppositionsliteratur“ weitertradiert wurden.

Spätestens nach der Eroberung Jerusalems fanden die Propheten, die dieses Ereignis hatten kommen sehen, allgemeine Anerkennung. Die Schriften wurden erneut überarbeitet und als Bücher publiziert. In der Zeit des Exils entstanden Vorformen aller vier Prophetenbücher (→ Jesaja, → Jeremia, → Ezechiel, → Zwölfprophetenbuch). Im Falle des Zwölfprophetenbuchs dürfte das D-Korpus (Vorformen von Hosea, Amos, Micha, Zefanja auf einer Rolle; Nogalski, Schart 1998, Albertz, Wöhrle) entstanden sein. Gewisse Zusätze in den Prophetenbüchern, wie etwa die Doxologien in der Amosschrift, wurden immer wieder als Indizien dafür genommen, dass die Prophetenbücher im Gottesdienst verlesen wurden. Auf jeden Fall sind die exilischen Buchfassungen in der Perserzeit noch stark erweitert und aneinander angeglichen worden. Selbst in hellenistischer Zeit arbeitete man an den Büchern weiter. Das zeigt das hebräische Jeremiabuch sehr deutlich, weil es noch stark erweitert und umorganisiert wurde, nachdem eine Fassung bereits in das Griechische übersetzt worden war.

Mit dem Übergang zur Apokalyptik endet in der biblischen Tradition die Erstellung und Fortschreibung von prophetischen Büchern. Selbst kleine Änderungen im Rahmen der Erstellung einer Abschrift wurden immer weniger möglich.

10.11. Die griechische Übersetzung der Prophetenbücher

Eine bedeutsame Leistung war die Übersetzung der Prophetenbücher in das Griechische. Nachdem die Tora in Alexandrien übersetzt worden war (ursprüngliche Septuaginta), empfand man bald die Notwendigkeit, auch die Prophetenbücher zu übersetzen. Vermutlich wurden zuerst das Jesaja- und dann das Zwölfprophetenbuch übersetzt. Bisher ist die griechische Zwölfprophetenbuchrolle aus dem Naḥal Ḥever beim Toten Meer (Koordinaten: N 31° 24' 59'', E 35° 21' 32''; 8HevXIIgreek) die mit weitem Abstand am besten erhaltene Kopie einer solchen Übersetzung. Sie repräsentiert aber nicht den ursprünglichen Übersetzungsstil, sondern die sogenannte kaige-Rezension, die versucht, für jede Kleinigkeit des hebräischen Originals ein Äquivalent zu finden, auch wenn das für den Sinn des Textes unerheblich und im Griechischen stilwidrig ist (→ Septuaginta).

Die griechischen Übersetzungen unterscheiden sprachlich genau zwischen den wahren Propheten Gottes und den falschen Propheten, für Letztere erfanden sie das Wort ψευδοπροφήτης pseudoprophētēs. Sie sind im Allgemeinen stärker eschatologisch orientiert und entwickeln in diesem Zusammenhang die Vorstellung von einem eschatologischen Gesalbten: „christos“ (z.B. Am 4,13LXX). Im Hebräischen wird ja der Titel „Gesalbter“ ausschließlich auf gegenwärtig herrschende Gestalten angewendet.

Während Jesus und seine unmittelbaren Anhänger und Anhängerinnen die Propheten auf Hebräisch lasen, griffen die neutestamentlichen Autoren auf verschiedene griechische Übersetzungen zurück. So ist für manche Argumentationen der neutestamentlichen Autoren der Rückgriff auf die griechische Fassung unerlässlich, z.B. für die Heranziehung von Jes 7,14 für die Jungfrauengeburt (Mt 1,22-23) oder von Am 9,11 als Argument für die beschneidungsfreie Heidenmission (Apg 15,16; Schart 2006).

10.12. Ende der Prophetie?

Für das Judentum gilt → Maleachi traditionell als der letzte Prophet, den Gott an Israel gesandt hat, weshalb seine Schrift auch die letzte kanonische Prophetenschrift darstellt. Mit ihm sei die Prophetie zum Ende gekommen. Davon ist unbenommen, dass schon in Mal 3,23 mit dem Wiederkommen Elias in der Endzeit gerechnet wird. Die jüdische Sicht vom Ende der Prophetie mit Maleachi ist freilich nicht unwidersprochen geblieben.

Im Neuen Testament gilt → Johannes der Täufer als der dem Tag des Herrn vorauslaufende Bote; Jesus wird von manchen Zeitgenossen als Prophet verstanden. Grundsätzlich gilt Jesus von Nazareth aber als etwas Größeres als ein Prophet, was meistens mit dem Titel „Sohn Gottes“ verbunden wird. Nach dem Kommen des Sohnes ist die Prophetie in ihrer Bedeutung obsolet, jedenfalls muss sie sich, wenn noch von Prophetie geredet wird, auf Jesus Christus als ihren Herrn beziehen (Didache 11).

Im Christentum gab und gibt es aber auch immer wieder Stimmen, die von einem Fortwirken der Prophetie ausgehen. Besonders nachdrücklich halten die Mormonen (Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, Latter-day Saints) an der fortwährenden Sendung eines Propheten fest. Aus der Kette ragt besonders Joseph Smith (1805-1844) heraus, dem das Buch Mormon offenbart wurde, aber die Sendung eines Propheten hält bis heute an.

Im Islam gibt es ebenfalls kein Ende der Prophetie mit Maleachi. Jesus wird als Prophet verstanden und Mohammed als das „Siegel der Propheten“, dem der Koran offenbart wurde. Der Koran ist den alttestamentlichen Prophetenbüchern durchaus ähnlich.

Religionswissenschaftlich gesehen gibt es weder eine Begrenzung der Prophetie auf das antike Israel noch ein Ende der Prophetie mit Maleachi. Religiöse Gestalten, die wesentliche Merkmale eines Propheten aufweisen, gibt es auch heute noch in verschiedenen Kulturen und in verschiedenen Ausprägungen.

11. Prophetenbilder der vormodernen Auslegungsgeschichte

11.1. Judentum

Dadurch, dass → Mose im Rahmen der Endredaktion der Tora als der alleinige Vermittler aller Gesetzesvorschriften gezeichnet wurde, im Rahmen des Deuteronomiums aber gleichzeitig als Ur- und Übervater der Prophetie verstanden wurde, entstand das Bild vom Propheten als demjenigen, der das Volk zum Gehorsam gegenüber dem Gesetz aufzurufen hat. Der Prophet hat demnach nicht die Vollmacht Normen zu setzen, sondern lediglich diejenige, die Anwendung von Normen einzuschärfen und ihre Übertretung aufzuzeigen (vgl. den Aufbau der Hebräischen Bibel; → Kanon). Nach dem Mischna-Traktat → Pirke Avot gibt es eine lückenlose Kette der Weitergabe der Tora, in der auch die Propheten ein Glied bilden (1,1). Nachdem die „Männer der großen Versammlung“ verstorben waren, sind es, bis heute, die Rabbinen, die die Tora weiterpflegen.

11.2. Christentum

Im Christentum wurde neben der Gesetzespredigt vor allem hervorgehoben, dass die Propheten das Evangelium, nämlich die Botschaft vom Kommen des Gottesreiches und vor allem des eschatologischen Friedensherrschers in der Person Jesu von Nazareth, vorausgesagt haben (z.B. Röm 1,1-4; Apg 3,18.24). Insbesondere → Matthäus bemühte sich zu zeigen, mit welch erstaunlicher Genauigkeit die Verheißungen der Propheten auf Jesus von Nazareth passen, so z.B. die Jungfrauengeburt (Mt 1,22-23). Eine große Bedeutung gewann auch die Vorstellung, dass die Propheten nicht nur abgelehnt, sondern sogar getötet wurden, und sie damit das Schicksal erlitten, das auch Jesus getroffen hat (z.B. Mt 23,37; Lk 13,34).

Das Glaubensbekenntnis von Konstantinopel von 381 n. Chr. hielt fest, dass der Heilige Geist bereits vor dem Auftreten Jesu Christi „durch die Propheten geredet hat“. Das Bekenntnis von Chalcedon stellte im Jahr 451 n. Chr. weiterführend fest, dass schon die Propheten die Einheit der göttlichen und der menschlichen Natur in der Person Jesu Christi gelehrt hätten.

In der Reformationszeit galt das ganze Alte Testament vorwiegend als Gesetzbuch, dem das Neue Testament als Zeugnis von der Gnade Gottes gegenübergestellt wurde. Auch die Propheten wurden vorwiegend als Gesetzesprediger verstanden. Die traditionelle Auffassung, dass die Propheten das Kommen Christi vorausgesagt hätten, blieb jedoch unangetastet. Wichtig wurde die Lehre vom dreifachen Amt Christi (munus triplex), dem königlichen, dem priesterlichen und dem prophetischen, das in der reformierten Tradition entwickelt und in die lutherische übernommen wurde (Graf 1988). Insofern die Kirche die Ämter Christi weiterführt, kommt ihr auch die Aufgabe zu, der jeweiligen Gesellschaft den Spiegel des göttlichen Willens vorzuhalten.

11.3. Islam

Nach dem Koran hat Gott zu allen Zeiten Propheten geschickt. Einige der biblischen Propheten sind im Koran namentlich genannt, unter ihnen ragen Mose (Musa), David (Dawud), Jesus (Isa) und Mohammed heraus, denen jeweils ein Buch übergeben wurde (Khoury, 117-129). Mohammed wird als „Siegel“ der Prophetenkette verstanden (Sure 33,40). Im Grundsatz stimmen alle Propheten aller Völker, nicht nur Israels, in dem Grundanliegen überein, den Menschen Allah als den einzigen Gott nahezubringen und völlige Hingabe an ihn zu fordern (Sure 21,25).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Reallexikon der Assyriologie und vorderasiatischen Archäologie, Berlin 1928ff
  • Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933-1979
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Abbildungsverzeichnis

  • Der Prophet als machtvolle Persönlichkeit (Ernst Barlach, Zorniger Prophet, Kohlezeichnung 1918/19).

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