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Bibeldidaktik (AT)

(erstellt: Januar 2011)

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Bereits die Reformatoren griffen auf Texte des Alten Testaments für die Unterweisung der Hausbibelkreise und der zur neuen Lehre übergetretenen Priester zurück. So steht der → Dekalog im Kleinen und Großen Katechismus von → Martin Luther aus dem Jahre 1529 am Anfang und zwei Gebete – die Luther von Ps 104 und Ps 106 her geschrieben hat – am Schluss dieser Unterweisung in den christlichen Glauben. Sie rahmen das Apostolische Glaubensbekenntnis, das Vater Unser, die Sakramente Taufe und Abendmahl (und ebenso das Sakrament der Beichte) ein. Eine solche katechetische Anleitung war insofern notwendig, als die Visitatoren seit 1526 katastrophale Zustände in den Gemeinden monierten: Einerseits sollten die Gläubigen im Blick auf ihre Bibelkenntnisse besser angeleitet werden, andererseits sollten die Pfarrer Weiterbildung in elementaren Glaubensfragen erhalten.

Heute liegen für die Religionspädagogik die Dinge ähnlich, wenngleich ihre Hintergründe ganz andere sind: fortschreitende Säkularisierung und Profanisierung haben eine rückschreitende religiöse Sozialisation zur Folge, die sich am Lernort Schule und Gemeinde immer stärker bemerkbar macht. Zwar ist einerseits die allgegenwärtige Verfügbarkeit von Wissen durch die neuen Medien gesellschaftliche Tatsache geworden – zumindest für diejenigen, die auch Zugang zu ihnen haben – andererseits ist in Bildungskontexten bzw. Ausbildungskontexten, der Eindruck gegeben, dass das biblische Basiswissen immer stärker abnimmt.

1. Der hermeneutische Religionsunterricht und die Bibel

Als eine Ursache wird die Schwierigkeit genannt, mit der Sprache der Bibel die Sprache der Jugendlichen überhaupt noch erreichen zu können. Auf der anderen Seite haben Ergebnisse empirischer Untersuchungen gezeigt, dass Jugendliche vor allem eine gefühlsbezogene Affinität zu religiösen Themen haben und eine ganz eigene Sprach- und Ausdrucksweise entwickeln, mit ihnen umzugehen (Feige / Gennerich 2008, 201ff). Die Herausforderung, die biblische Sprache in moderne Sprache bzw. Alltagssprache zu übertragen, um Wahrnehmen und Verstehen bei den Schülerinnen und Schülern anzubahnen, ist religionsdidaktisch schon seit längerem im Blick. So versuchten bereits Vertreter des hermeneutischen Religionsunterrichts (RU) hier Abhilfe zu schaffen: Martin Stallmann plädierte dafür, durch Anwendung bibelexegetischer Methoden im RU eine verstehende Erschließung der Bibeltexte zu fördern. Es sei wichtig, beim jungen Menschen einen Aneignungsprozess zu initiieren, der auch dem Wesen biblischer Verkündigung als Verkündigung gerecht werden kann. Dazu muss der RU hermeneutisch werden; denn der historische Abstand, den wir heute zu den Texten haben, macht nach diesem didaktischen Ansatz unmittelbares Verstehen der Geschichten unmöglich. Deshalb ist auch nicht von einer Vermittlungshermeneutik, sondern vielmehr von einer Hermeneutik der Aneignung zu sprechen (vgl. Becker / Scheilke 1995). Der Verstehensprozess setzt nur auf der Basis einer methodisch reflektierten Interpretationsarbeit ein und ist selbst kein linearer Denkvorgang, sondern geschieht in kreisenden Annäherungsbewegungen an den komplexen Sachverhalt (in einem hermeneutischen Zirkel). Die wichtige Erkenntnis dieser seit ca. 1958 einsetzenden religionspädagogischen Grundkonzeption lautet: Schülerinnen und Schüler bringen ihre je eigenen Verstehensvoraussetzungen für die hermeneutische Reflexion mit. Deshalb muss der Text erst einmal um seine formalen Verstehenshindernisse verschlankt werden, so dass sein auf solche Weise freigelegter paradoxer Gehalt durch die existenziale Interpretation erkannt wird. Paradox werden die Aussagen der Bibeltexte dann, wenn sie heutige Erfahrungs- und Deutungskontexte herausfordern. An dieser Stelle ist unschwer der Einfluss → Rudolf Bultmanns zu erkennen, dessen Konzept der Entmythologisierung biblischer Texte (vor allem im Hinblick auf die neutestamentlichen Wundergeschichten) mit der dialektischen Theologie verbunden wurde. Die Aussagen eines Textes werden mit den Fragen und Erfahrungen des Lesers / der Leserin in Beziehung gesetzt: durch die auf diese Weise – nämlich zwischen Leser und Text – entstehende Kommunikationssituation kann der Leser möglicherweise hindurchschauen auf die Kommunikationssituation, die zwischen dem Autor und dem Text einst bestanden hat (Dohmen 1998, 34).

Die bibelwissenschaftlichen Inhalte und Methoden standen also in dieser Phase der Religionspädagogik im Vordergrund didaktischer Vermittlungskonzepte – bei Martin Stallmann finden wir deshalb nicht den Gedanken einer Erziehung zum Glauben (wie noch in der Evangelischen Unterweisung), sondern vielmehr die Schulung von Glauben und Aneignung und Verarbeitung dessen, was sich im Glauben ereignet. Hierzu will er die christliche Überlieferung mit der Wirklichkeitserfahrung junger Menschen konfrontieren durch eine Auslegung der Texte, die keine Antworten auf ihre eigenen Fragen und Erfahrungen geben sollten, sondern immer tiefer gehende Fragen an den Adressaten des Textes stellen im Sinne des Hermeneutischen Zirkels. Durch Martin Stallmann ist die moderne Bibelwissenschaft in die Religionspädagogik eingeschrieben worden. Sein Ansatz der Daseinshermeneutik (Dross 1981, 27) bringt als Erziehungsziel das kritische Verstehen und die selbstständige Urteilsfindung in Sachen Glauben hervor. Konkret sichtbar wird dieser bleibende Verdienst an Lehrplänen des Faches Evangelische Religionslehre, in deren Obligatorik ein kontinuierlicher biblischer Bezug und die Anwendung und Durchführung bibelexegetischer Methoden festgelegt ist (vgl. NRW-Sekundarstufe-II-Richtlinien 1999, 25).

2. „Klassiker“ der Bibeldidaktik

In Fortsetzung dieser religionspädagogischen Traditionslinie, ein Verstehen zwischen biblischem Text und Leser anzubahnen, ohne dass die biblische Verkündigung als Verkündigung aus dem Blick gerät, hat die Religionsdidaktik weitere Konzeptionen ausgebildet.

2.1. Horst Klaus Berg

Die Bibeldidaktik von Horst Klaus Berg verweist auf positive Erfahrungen mit den Auslegungsmethoden der tiefenpsychologischen oder auch der feministischen Bibelexegese. Mit solchen exegetischen Methoden – wenn sie didaktisch entsprechend aufbereitet werden – könne die Bibel wieder für Jugendliche interessant werden, vorausgesetzt sie verbindet sich mit Themen wie „Frieden“, „Gerechtigkeit“, „Umwelt“ usw. (Johannsen 2007, 168). Entscheidend sei dabei, ob die Chancen biblischen Lernens im Kontext gegenwärtiger Lebenspraxis geschehe: die Bibeldidaktik muss sich die Frage stellen, welche Probleme Jugendliche heute bewegen und welche Orientierungsangebote sie brauchen. Deshalb entwickelt Horst Klaus Berg eine Liste von Problemstellungen auf der Grundlage einer Gegenwartsanalyse, der er sechs Lernchancen der Bibel gegenüberstellt.

Problemstellungen der Gegenwart:

  • Bedürfnis nach überschaubaren Lebenszusammenhängen angesichts der Kompliziertheit des Lebens;
  • Fremdbestimmung durch Einbindung in verschiedene funktionierende Systeme (Rädchenexistenz);
  • Anonymisierung;
  • Zunehmendes Bedrohungspotenzial und Sehnsucht nach verlässlicher Geborgenheit;
  • Tendenz zur lähmenden Hoffnungslosigkeit;
  • Zwang zur Perfektion, der keine Schwäche zulässt;
  • Leben in einer hektischen, lauten, künstlichen Welt;
  • (…);

Lernchancen der Bibel:

  • Die Bibel lehrt Hoffnung und Widerstand.
  • Die Bibel bietet Modelle gelingenden Lebens an.
  • Die Bibel bewahrt heilende und heilvolle Erinnerungen auf.
  • Die Bibel vermittelt die Erkenntnis, dass der Mensch ein sündiges Geschöpf ist.
  • Die Bibel hat eine kommunikative Grundstruktur.
  • Die Bibel spricht ihre Leser und Hörer ganzheitlich an (Johannsen 2007, 169).

Bibeldidaktik 1

kontextuell

das Elementare

Diese Grundbescheide haben die didaktische Funktion der Memorierung und Strukturierung von Inhalten und der Korrelation von Tradition und Situation. Elemente des thematisch-problemorientierten Religionsunterrichts lassen sich in den folgenden drei Typen des Biblischen Unterrichts wiederfinden:

1. Bibelorientierte Problemerschließung

2. Problemorientierte Texterschließung

3. Fundierende Informationsbausteine (Johannsen, 170).

2.2. Ingo Baldermann

In der Bibeldidaktik Ingo Baldermanns wird die Bibel in den Kontext einer impliziten Didaktik gestellt: Baldermann geht davon aus, dass die Bibel selbst zum Nachdenken und Deuten anregt, Wege des Verstehens selbst vorzeichnet und damit auch erzieherische Funktionen erfüllen kann. Werden die Gleichnisse Jesu im Sinne einer Verdichtung und gleichzeitig Vereinfachung komplexer Sachverhalte durch ihre metaphorische Sprache verstanden, so wird der didaktische Gewinn deutlich: ihre bildhafte und prägnante Sprache sorgt nicht nur für einen leichteren Zugang zu den theologischen Themen der Reich-Gottes-Thematik, sondern sie wirkt zugleich memorierend; denn erzählte Bilder lassen sich leichter einprägen als abstrakte Problemstellungen. Baldermann sagt an dieser Stelle dazu: „es kommt darauf an, die Wege wieder zu entdecken, auf denen die Bibel selbst ihren Hörer und Leser zu ihren Lernerfahrungen führt“ (Baldermann 1993, 28). Wie diese implizite Didaktik auf den Lernprozess einwirkt, beschreibt das folgende Zitat: „Der Text ist in diesem Lernprozess nicht Objekt meiner Didaktik, sondern selbst ein didaktisches Subjekt; er wurde aufgezeichnet, um mir etwas zu zeigen, etwas mitzuteilen, mich etwas lernen zu lassen. Und so muss ich mich darauf einlassen, wie er mich führt“ (Baldermann 1996, 3; Hervorhebung H.L.). Der Prozess des Wahrnehmens steht also am Anfang dieses gemeinsamen Weges.

Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für den Lehrer / die Lehrerin? Didaktisch gilt es Begegnungen herbeizuführen zwischen den Schülerinnen und Schülern und den Worten der Bibel, mit denen ein Dialog beginnen kann. Die förderliche Rolle der Lehrkraft ist die eines Moderators, Lernarrangeurs, der durch Bereitstellung der Umgebung die Voraussetzungen zur selbstständigen und selbsttätigen Begegnung mit der Bibel anregt mit dem Ziel, dass sich die Schülerinnen und Schüler ihres eigenen Glaubens gewiss werden. Baldermann betont in diesem Zusammenhang das lutherische Sola-Scriptura-Prinzip: „Die Bibel [ist] allein für sich eine ganz und gar sichere, ganz leichte, ganz offene Interpretin ihrer selbst … Die Gewissheit, die allein es ermöglicht, den Glauben gegen die drohende Verzweiflung durchzuhalten, ist nun einmal nicht zu haben in der Übernahme fremder Meinungen, sondern nur aus der eigenen Wahrnehmung, der Begegnung, die die Bibel selbst herbeiführt“ (Baldermann 1996, 6). Als allgemein-didaktische Metaebene empfiehlt Baldermann das Grundmodell der wechselseitigen Erschließung der kritisch-konstruktiven Didaktik von Wolfgang Klafki. Im Unterschied zu Horst Klaus Berg setzt Baldermann theologisch-religionspädagogisch andere Akzente: die Wirklichkeit des Menschen soll durchgängig von der Wirklichkeit Gottes her wahrgenommen und interpretiert werden. Dieser korrelative Ansatz stellt ein Modell der Begegnung dar.

Thematisch ist für Ingo Baldermann der Aspekt der Hoffnung der wichtigste Aspekt seiner Bibeldidaktik, genauer die Vermittlung einer tragfähigen Hoffnung. Er hält sie für das große übergreifende Thema der ganzen Bibel (Baldermann 1996, 11). Tragfähig heißt, dass sie die Trauer über die Zerstörung der Schöpfung und der Menschlichkeit aufnehmen kann und Wege zeigt, Hoffnungsvolles zu tun und im Sinne dieser Hoffnung zu leben. Dies kann aber nichts so wirkungsvoll tun wie der Hoffnungsentwurf der Bibel. Als konkrete biblische Beispiele gerade in den Schulbüchern Baldermanns sind vor allem die Psalmen und die Prophetenbücher zu finden. Die Schülerinnen und Schüler begegnen einzelnen Versen, denen sie zunächst assoziativ begegnen sollen („An was denkt ihr, wenn ihr diese Sätze hört?“). Den memorierenden Effekt biblischer Sprache greifen die nächsten didaktischen Schritte auf („Welchen Satz habt ihr nach einmaligem Hören besonders in Erinnerung?“). Handlungsorientierte Methoden folgen diesen ersten Zugängen („Schreibt die Reihe der Sätze weiter“), die ästhetisch ausgeweitet werden („Malt Bilder zu diesen Sätzen“). Baldermann geht davon aus, dass die Bibel als Buch der Hoffnung eine unerhörte Gegenwärtigkeit gewinnt, wenn die Schülerinnen und Schüler der Unmittelbarkeit ihrer Aussagekraft auf diese Weise begegnen (Baldermann 1996, 71ff). Didaktisch wichtig ist dabei das Problem der Sprachlosigkeit zu überwinden, so können sich die Schülerinnen und Schüler die Sätze der Psalmen beispielsweise aneignen durch assoziierte eigene Angsterfahrungen, indem sie Formen religiösen Sprechens kennen lernen und erproben können (dazu gehören auch künstlerische Umsetzungen, wie zum Beispiel das Anfertigen von Collagen). Die Stärke der bildhaft-symbolischen Sprache der Bibel liegt in der Möglichkeit, die Methodik der historisch-kritischen Exegese mit der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler zu verbinden. Im assoziierenden Gespräch sieht Baldermann den wichtigsten didaktischen Ansatz: in ihm nämlich wird nach eigenen Erfahrungen und Erinnerungen gesucht, Erfahrungen, die sich im Psalmwort wieder finden lassen („Ich bin geworden wie ein zerbrochenes Gefäß. Denn ich höre, wie viele über mich lästern!“ Ps 31,13b.14a).

Mit dieser Didaktik werden biblische Gedanken elementarisiert und in performativer Weise Kindern mit Hilfe des entdeckenden Lernens zugeführt.

3. Die Elementarisierungsdidaktik (Nipkow / Schweitzer)

Der Gedanke, biblische Kontexte zu elementarisieren, wurde zunächst in den 80er Jahren von Karl Ernst Nipkow aufgegriffen (Nipkow 1986) und in den 90ern mit Friedrich Schweitzer im sogenannten Tübinger Projekt umgesetzt (Faust-Siehl / Krupka / Nipkow / Schweitzer 1995). In der Elementarisierungsdidaktik geht es darum, durch Vereinfachung komplexer Unterrichtsinhalte Sachverhalte zugänglich zu machen. In Vertiefung bisheriger didaktischer Konzeptionen versuchen die Tübinger unter Einbezug entwicklungspsychologischer Erkenntnisse die lebensgeschichtlichen Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler und die Sache des Glaubens und der Religion in Beziehung zu setzen. Die Verstehensvoraussetzungen der Kinder und Jugendlichen sind dabei didaktischer Ausgangspunkt. Als Schlüssel für diesen Lernweg werden fünf Elementarisierungsdimensionen angegeben, die im Folgenden vorgestellt werden.

1. Elementare Strukturen stellen die Sachorientierung in den Mittelpunkt der Betrachtung. Die durch eine didaktische Reduktion überschaubar gemachte fachwissenschaftliche Stofffülle kann sachlogisch strukturiert den Kern der Sache hervortreten lassen (Schweitzer 2008, 26). Die zu erwerbende Sachkompetenz wird hierzu ein biblisches Grund- und Basiswissen aufbauen im Sinne eines vertrauten Umgangs mit jüdisch-christlicher Überlieferung im Kontext heutiger Erfahrungen und Deutungen.

2. Elementare Zugänge meinen die unterschiedlichen Weltzugänge von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die für die Entwicklung eigener religiöser Vorstellungen entscheidend sind. Zwei Ebenen werden betrachtet: zum einen die Art und Weise, wie sich Kinder und Jugendliche selbst einen Weg zu biblischen Geschichten bahnen können und zum anderen die didaktische Frage, welche erweiterten Verstehensweisen der RU ihnen dazu anbieten kann. Diese Elementarisierungsdimension verbindet Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie mit der Wissenstheorie, vor allem im Hinblick auf konstruktivistische Perspektiven. Hier geht es um Fragen, wie sich Kinder und Jugendliche ihre Zugänge zur Welt selbsttätig ausbilden und eigene Konstrukte zu ihr aufbauen (Schweitzer 2008, 27). Gelingt es dem Religionsunterricht, durch diese sogenannte „+1-Didaktik“ – also der Herausforderung der Schüler durch eine höhere Lernanforderungsstufe – Angebote zu machen, die zu einer Weiterentwicklung ihrer Weltzugänge beitragen, trägt er entscheidend zu einer Förderung einer kritischen Urteilskompetenz bei.

3. Elementare Erfahrungen – diese Elementarisierungsdimension greift sehr deutlich das vorhin aufgezeigte hermeneutische Modell des verstehenden Aneignungsprozesses auf, nur dass hier der Erfahrungsbegriff im Vordergrund steht: ging es Martin Stallmann darum, die christlichen Überlieferungen mit der Wirklichkeitserfahrung junger Menschen zu konfrontieren (er nennt dieses Verfahren Daseinshermeneutik), um immer tiefer gehende Fragen an den Adressaten des Textes stellen zu können, so geht es hier um eine didaktische Verbindung heutiger Erfahrungen mit den Erfahrungshintergründen, die in einem biblischen Text oder mit einem theologischen Thema angesprochen sind (Schweitzer 2008, 28). Die mit der Korrelationsdidaktik verwandte Vorgehensweise holt die Gegenwart mit ihren Erfahrungen in die Vergangenheit und ihren Deutungshintergründen in Bezug auf den Sitz im Leben eines Textes hinein.

4. Elementare Formen des Lernens – hier werden die für den Erwerb von Sachkompetenz (durch elementare Strukturen), Urteilskompetenz (durch elementare Zugänge), hermeneutische Kompetenz (durch elementare Erfahrungen) notwendigen Fähigkeiten vor allem Fertigkeiten hinzugefügt: die Umsetzung fachspezifischer Methoden fördert die Handlungskompetenz der Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht. Dazu gehören die bereits angesprochenen bibelexegetischen Methoden. Auf diese Weise werden die Schülerinnen und Schüler selbst aktiv und können in Anwendung der gelernten Methoden im Fach eigenverantwortlich mit den Unterrichtsinhalten umgehen.

5. Elementare Wahrheiten – die kritische Auseinandersetzung mit den Deutungen und Weltanschauungen anderer Menschen und eben auch der biblischen Texte schult die Schülerinnen und Schüler darin, andere Wahrheitsansprüche zu hinterfragen, sie miteinander zu vergleichen und sich begründet dafür entscheiden zu können, welche Wahrheit heutigen Plausibilitätsansprüchen gegenüber subjektiven und gesellschaftlichen Erfahrungen gerecht werden kann. Deshalb wird diese Elementarisierungsdimension am besten durch einen dialogisch ausgerichteten Unterricht gefördert, um den Schülerinnen und Schülern ein Orientierungswissen bereit zu stellen. Friedrich Schweitzer sieht deshalb die Dialogkompetenz und die Orientierungskompetenz als vorrangige Kompetenzbereiche dieser Elementarisierungsdimension an. Dass die Frage nach der elementaren Wahrheit auch eine bibeldidaktische ist, lässt sich beispielsweise am Thema Unsterblichkeit der Seele aufzeigen, indem biblische Texte zu Jenseitsvorstellungen didaktisch herangezogen werden (Kruhöffer 2010, 235-247).

4. Die Symboldidaktik

Der religionspädagogische Grundgedanke, ein Verstehen zwischen biblischen Texten und Leserinnen und Lesern zu fördern, führte bisher über die hermeneutischen Konzeptionen zu weiteren religionsdidaktischen Konzepten. Hierzu wurde die Korrelationsdidaktik als Vermittler zwischen biblischer Tradition und heutiger Situation beziehungsweise den Erfahrungen von Menschen eingesetzt, was beispielsweise in den theoretischen Entwürfen der Bibeldidaktik zum Ausdruck kommt. Der Fokus auf die Erfahrungen und Verstehenszugänge von Kindern und Jugendlichen forderte aber auch das Bemühen um das Elementare; von nun an galt es, biblische Kontexte zu elementarisieren. Auch hier setzt die Korrelationsdidaktik an der Stelle ein, wo heutige Erfahrungen mit Erfahrungshintergründen, die in einem biblischen Text oder in einem theologischen Thema angesprochen sind, didaktisch miteinander verbunden werden sollen. Wird der Vermittlungsakzent auf die ästhetische Form religiöser Rede gelegt, so gelangen wir zum Bereich der Symboldidaktik.

4.1. Ursula Früchtel

Bibeldidaktik 2
Bei Baldermann sahen wir die Korrelation zwischen der Methodik historisch-kritischer Exegese und der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler gerade in Bezug auf die Chancen, die die bildhaft-symbolische Sprache der Bibel mit sich bringt. Diese unverwechselbare Rede von Gott und dem Menschen (Früchtel 1991, 11) lässt andere didaktische Umgangsformen zu als die bisher angesprochenen: „Der Umgang mit den biblischen Texten unter dem Aspekt ihrer Symbole möchte ein hermeneutischer sein“ (Früchtel 1991, 12). Symbole hält Ursula Früchtel für ein wichtiges Bindeglied zwischen heutigen und früheren Erfahrungen: sie seien ein Schlüssel mit doppeltem Bart, der sowohl unsere Wirklichkeit erhellen als auch die biblische Überlieferung erschließen wolle (Früchtel ebd.). Leserinnen und Leser können in der unverwechselbaren Sprache der biblischen Verfasser sowohl Sinn finden als auch Sinn entnehmen. Damit deutet Ursula Früchtel den Symbolbegriff sowohl kommunikationstheoretisch als auch ontologisch. Ihre Arbeit stellt eine groß angelegte Symbolsystematik dar, die die biblischen Symbole hinsichtlich ihres Entstehungsprozesses in vier Kategorien einteilt (s. Tabelle 2).

Zu dieser Symbolsystematik hat Ursula Früchtel zahlreiche Bibelstellen aus dem Alten und dem Neuen Testament angeführt und kommentiert.

4.2. Hubertus Halbfas und Peter Biehl

Als „Klassiker“ der Symboldidaktik gelten Hubertus Halbfas und Peter Biehl, welche grundlegende Konzepte von der Symbolhermeneutik zur Symboldidaktik vorgelegt haben. Beide Wissenschaftler prägte die Jugendarbeit am Anfang ihrer Karriere, sie waren an Pädagogischen Hochschulen als Dozenten tätig, setzten sich für die ökumenische Verständigung ein und arbeiteten an der Symbolhermeneutik, die schließlich zur Ausbildung einer Symboldidaktik führte (Noormann 2007, 152). Als Unterschiede sind festzuhalten: für Peter Biehl ist die Tradition der dialektischen Theologie der Bultmann-Schule ausschlaggebend, für Hubertus Halbfas vor allem das weite Feld der Phänomenologie der Religionen und auch das der natürlichen Theologie, die ihn der katholischen Tradition verpflichtet sein lässt. Biehl fokussiert seine symboldidaktische Arbeit auf die Grundsymbole Hand, Haus, Weg, Brot, Wasser, Kreuz, und beginnt mit der Sekundarstufe I (Biehl 1991 u. 1993), während Hubertus Halbfas das Sprach- und Symbolverständnis von der Grundschule an in seinem groß angelegten Schulbuchwerk aufbaut mit den Symbolen Licht, Herz, Tür … bis hin zu Labyrinth, Baum, Berg in der 4. Klasse und danach vereinigt er beide Stränge in der Sekundarstufe I zur Erarbeitung der Sprachformen Metapher, Symbol, Legende, Mythos, Dogma (Halbfas 1983-1986 u. 1992-1998).

Hubertus Halbfas definiert das Symbol als etwas, das über sich selbst hinaus auf eine Wirklichkeit weist, die nicht unmittelbar ergriffen und der auf keinem anderen Weg begegnet werden kann. Sie sind weder willkürlich, noch können sie gemacht oder erfunden werden. Was sie sagen, lässt sich nicht empirisch erreichen und analysieren. Deshalb sind Symbole die einzige Sprache, in der das Religiöse selber spricht, in der sich die religiöse Wirklichkeit selber ausdrücken kann. Sie sind die authentische Sprache der Religionen selbst. Sie sprechen den Menschen auf emotionale Weise an und erreichen ihn in der Tiefe seiner Seele (Halbfas 1983, 256-258). Der Symbolbegriff bei Hubertus Halbfas ist ontologisch ausgerichtet. Unter Verweis auf die frühmittelalterliche Interpretationsmethode des vierfachen Schriftsinns der Bibel leitet Halbfas in seinem Buch „Das dritte Auge“ didaktische Prinzipien ab: Um den Symbolsinn zu stiften, muss ein Zugang zum Symbol geschaffen werden, welcher eingeübt werden kann: „Sie [die Einübung] geschieht durch beständigen Umgang mit Symbolen, betrachtend, erzählend, hörend, spielend, handelnd. Entscheidend ist nicht die rationale Auseinandersetzung, sondern ein emotionaler Bezug, die Entwicklung einer Intuition für das Symbol, oder – symbolisch gesagt – das dritte Auge“ (Halbfas 1982, 128).

Für Peter Biehl kann von einem Symbol gesprochen werden, wenn ein Ding mehr bedeutet als seine übliche dinghafte Kraft. An dieser Stelle ist die untere Grenze des Symbolischen markiert. Die untere Grenze des Symbolischen bezeichnet den Übergang vom bloßen Ding zum Symbol. Wird das Symbol zum Zeichen, dann verliert es seine Doppel- oder Mehrdeutigkeit, es wird arbiträr. Dieser Übergang ist die obere Grenze des Symbolischen, also der Übergang vom Symbol zum bloßen Zeichen. Symbole sind – so die griechische Wortbedeutung – „zusammengesetzte“ Größen, die aus einem anschaulichen Symbolträger und dem dadurch Bezeichneten bestehen (Biehl 1993, 56f.). An dieser Stelle kommt die ursprüngliche Wortbedeutung von „Symbol“ zum Tragen. Zu deren Erläuterung fügt Peter Biehl eine antike griechische Sage an: Zwei Freunde nehmen für längere Zeit voneinander Abschied. Sie ritzen ihren Namen auf eine Tonscherbe, brechen sie in zwei Stücke verabschieden sich voneinander und jeder nimmt eine Scherbe mit. Das Brechen des Tons verkörpert den Schmerz, das sorgfältige Aufheben der Scherbe die Treue, jede Hälfte verweist auf die Freundschaft und ist gleichzeitig Zeichen der Hoffnung, dass sie einst wieder zusammen gesetzt werden. Peter Biehl entwickelte ebenfalls die kritische Symbolisierungsdidaktik in der Mitte zwischen Vermittlung und Aneignung.

4.3. Michael Meyer-Blanck

Für eine semiotische Revision dieser Ansätze von Früchtel, Halbfas und Biehl plädiert Michael Meyer-Blanck in seinem Buch „Vom Symbol zum Zeichen“ (Meyer-Blanck 2002, 27ff). Er kritisiert den diesen Konzepten zugrunde liegenden Symbolbegriff, der – auch bei Peter Biehl – zu sehr ontologisch aufgeladen sei, bei Früchtel fehle noch eine theoretische Fundierung ihrer Symboldidaktik. Erst wenn Symbole als Zeichen konkreter Menschen verstanden werden, die mit Hilfe von Codes kommunizieren, könne eine – auch der Kommunikationsform von Kindern und Jugendlichen angemessene – Didaktik entwickelt werden, deren Aufgabe es ist, zu klären, wie ihre Codes mit den biblischen vermittelbar sind. Dabei ist es wichtig, auch die Funktionsumstände symbolisch-zeichenhafter Kommunikation in den Blick zu bekommen.

5. Zusammenfassung und Ausblick

Die religionspädagogischen Konzeptionen haben Kategorien ausgebildet, die jeweils einen unterschiedlichen Umgang mit der Bibel zur Folge haben. Solche didaktischen Leitbegriffe sind: Katechese, Sachorientierung, Schülerorientierung, Hermeneutik, Erfahrungs- und Lebensweltbezug, Korrelation, Elementarisierung, Symbolanalyse. Diese didaktischen Zugänge haben fachspezifische Methoden zur Folge, die hier kurz genannt werden: Bibelexegetische Methoden machen die hermeneutische Konzeption stark, die kontextuelle Bibelauslegung finden wir in der Bibeldidaktik Horst Klaus Bergs, das entdeckende Lernen, welches das assoziative Gespräch und auch handlungsorientierte Methoden im Umgang mit der biblischen Sprache als Methoden bevorzugt, ist ein Schwerpunkt Ingo Baldermanns, zu der auch gestaltpädagogische und ästhetische Ansätze (Lindner 2009), wie z.B. das praktische Umsetzen in einer Art von „Kleinkunst“ gehören (Umsetzen von Musik, Bildender Kunst, Literatur und Architektur), zur Schulung biblischen Sprach- und Sprechvermögens aber auch zur Anregung eigener Deutungspotenziale gehört das Erzählen als eine wesentliche Methode der Bibeldidaktik, zumal es die Christen in Geschichte und Gegenwart als Erzählgemeinschaft konstituiert. Zur performativen Didaktik (Klie / Leonhard 2008), welche unter dem zentralen Aspekt der Inszenierung handlungsorientierte Zugangs- und Umsetzungsformen stark macht, gehören das → Bibliodrama und der → Bibliolog.

Literaturverzeichnis

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  • Baldermann, I., Einführung in die biblische Didaktik, Darmstadt 1996
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  • Dohmen, C., Die Bibel und ihre Auslegung, München 1998
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  • Halbfas, H., Religionsbuch für das 5.-10. Schuljahr (3 Bände), Düsseldorf 1992-1998
  • Johannsen, F., Bibeldidaktik – biblische Didaktik elementar, in: Noormann, H. / Becker, U. / Trocholepczy, B. (Hgg.), Ökumenisches Arbeitsbuch Religionspädagogik, Stuttgart 3. Aufl. 2007, 165-183
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  • Kruhöffer, B., Die Frage nach der „elementaren Wahrheit“ als Herausforderung. Bibeldidaktische Überlegungen am Beispiel der „Unsterblichkeit der Seele“, ZPT 62 (2010), 235-247
  • Lindner, H., Musik im Religionsunterricht. Mit didaktischen Entfaltungen und Beispielen für die Schulpraxis, 2. Aufl., Münster / Hamburg / London 2009
  • Meyer-Blanck, M., Vom Symbol zum Zeichen. Symboldidaktik und Semiotik, 2. Aufl., Rheinbach 2002
  • Ministerium für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.): Richtlinien und Lehrpläne für die Sekundarstufe II Gymnasium / Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen, Frechen 1999
  • Nipkow, K.E., Elementarisierung als Kern der Unterrichtsvorbereitung, in: Katechetische Blätter 111 (1986), 600-608
  • Schweitzer, F., Elementarisierung und Kompetenz. Wie Schülerinnen und Schüler von „gutem Religionsunterricht“ profitieren, Neukirchen-Vluyn 2008
  • Theißen, G., Zur Bibel motivieren. Aufgaben, Inhalte und Methoden einer offenen Bibeldidaktik, Gütersloh 2003

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