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Sexualität (AT)

(erstellt: Januar 2008)

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Ehe; → Homosexualität; → Hure; → Jugend; → Liebe; → Schwangerschaft; → Unzucht

1. Allgemeines

Das Alte Testament kennt keinen Begriff für das biologisch-anthropologische Phänomen der Sexualität; auch hat kein biblischer Autor je den Versuch unternommen, diese anthropologische Basiskonstante systematisch zu behandeln – sei es in biologisch-medizinischer, sei es in psychologischer Hinsicht. Wohl aber wird im Alten Testament – offen und versteckt – in unterschiedlichsten Zusammenhängen über einzelne Aspekte der (menschlichen) Sexualität mehr oder weniger ausführlich bzw. tiefergehend gehandelt. Das weit verbreitete Vorurteil, es gehe im Alten Testament nahezu ausschließlich um den biologischen Aspekt der Sexualität (Fortpflanzung, Generativität) sowie um Fragen der Sexualmoral bzw. um Sexualtabus, basiert auf einer von konservativen christlichen Moralvorstellungen gesteuerten selektiven Wahrnehmung der Texte. Erotik und Liebe sind jedoch sowohl in narrativen wie in poetischen Texten ein häufig verhandeltes Thema. Ja, die sexuelle Dimension spielt unbeschadet der → deuteronomisch-deuteronomistisch geprägten stereotypen Kritik an der kanaanäischen Religion mit ihren sexuellen Riten auch und gerade im Zusammenhang mit der Gottesbeziehung eine wichtige Rolle – so ganz besonders in der Prophetie: Das Alte Testament als Teil der altorientalischen religiösen Literatur verwendet selbstverständlich Sprachbilder und Konzepte, die auch in den Literaturen der Umwelt zum Standard gehören, und unter diesen spielen Lexeme und Symbole aus dem sexuellen Bereich eine zentrale Rolle. Insofern entspricht die noch im neuesten religionsgeschichtlich-theologischen Universallexikon zustimmend zitierte Ansicht, Jahwe sei ein „männlich konnotiertes, jedoch asexuelles Wesen“ (Körtner, 1247), nicht einmal der Realität der Texte unter dem Firnis einer auf theologische Vereinheitlichung zielenden Endredaktion – geschweige denn den historischen Gegebenheiten. Der Satz zeugt vielmehr vom Wunsch des dort argumentierenden christlichen Theologen, im Alten Testament ein Gottesbild bezeugt zu finden, das mit der Theologie der Gegenwart in Einklang gebracht werden kann.

Angesichts der Vielfalt der alttestamentlichen Schriften aus unterschiedlichen Phasen der Geschichte Israels, in denen sich wiederum unterschiedliche sozio-kulturelle Gegebenheiten widerspiegeln, und mit Rücksicht auf die unterschiedlichen Aspekte, unter denen man sich dem Phänomen der Sexualität nähern kann, ist es allerdings alles andere als wahrscheinlich, dass man ein in sich geschlossenes Bild davon entwerfen könnte, was „das“ Alte Testament zum Thema Sexualität zu sagen hat. So umstritten die Datierung der alttestamentlichen Texte auch ist und so vielfältig auch die Vermutungen über deren jeweiligen sozio-kulturellen Hintergrund sind – ohne die Berücksichtigung diachroner Aspekte, wobei zugleich Kategorien wie „Stadtkultur“ bzw. „ländliches Milieu“ (differenziert wiederum nach Halbnomadentum und sedentärer Lebensweise) zu beachten sind, kommt man in der Darstellung nicht aus. Dass daneben auch die traditionsgeschichtliche Verortung des jeweils vermuteten Autors in prophetischen, priesterlichen oder weisheitlichen Kreisen und die Zugehörigkeit der Protagonisten bzw. des Textautors zu einer sozialen Klasse eine gewisse Rolle spielen muss, liegt auf der Hand.

Zudem muss man bei der Auseinandersetzung mit einem so vielschichtigen Phänomen wie dem der Sexualität neben der Differenzierung nach Hetero- und → Homosexualität im Blick auf Erstere auch den Aspekt berücksichtigen, ob es um Sexualität in einem institutionellen Rahmen geht – sei es in der „Ehe“, sei es im sexuellen „Gebrauch“ einer Sklavin oder im Rahmen des Instituts der „kultischen Prostitution“ (→ Hure / Hurerei) – oder aber um Realisierung von sexuellen Bedürfnissen ohne Rücksicht auf soziale Gegebenheiten. In diesem Kontext sind dann auch sexuelle Praktiken wie Onanie (→ Onan), Coitus interruptus oder Sodomie (→ Sodom) zu verhandeln. Damit verbunden ist natürlich stets die Frage, ob der biologische Zweck der Sexualität – die Produktion von Nachkommen – im Vordergrund steht, ob es um den Zusammenhang zwischen sexueller Potenz und Macht geht oder aber ob die sich jedem rationalen Zugriff entziehende Anziehungskraft zwischen Mann und Frau eine Rolle spielt, die im → Hohenlied besungen wird, die in Gen 2,24 nüchtern beschrieben ist und die der weise → Agur in einem Zahlenspruch auf den Punkt gebracht hat: „Drei Dinge sind es, die mir zu wunderbar sind, und vier die ich nicht begreife: den Weg des Geiers am Himmel, den Weg der Schlange auf dem Felsen, den Weg des Schiffes auf hoher See und den Weg des Mannes bei der jungen Frau“ (Spr 30,18f). Dass es zwischen den genannten Aspekten fließende Übergänge geben kann, ist selbstverständlich nicht auszuschließen.

2. Sexualität in verschiedenen Textbereichen

2.1. Narrative Partien des Pentateuchs

2.1.1. Gen 2-4

Als instruktives Beispiel für die Vielschichtigkeit alttestamentlicher Wahrnehmung des Phänomens der Sexualität kann der erste Teil der wohl aus dem Umfeld der → Weisheit stammenden sog. jahwistischen → Urgeschichte (→ Jahwist) gelten (vgl. zur Frage der hier vorausgesetzten Eigenständigkeit bzw. Datierung und Herkunft der Urgeschichte Crüsemann). Natürlich steht auch in Gen 2-4 vordergründig die biologische Funktion der Sexualität im Zentrum, was unmissverständlich der konzisen Darstellung in Gen 4,1 zu entnehmen ist: „Der ‚Adam’ aber ‚erkannte’ Eva, seine Frau. Sie wurde schwanger und gebar den Kain“. Wenn man freilich in Betracht zieht, wie subtil das Verbum בושׁ (Hitp.; Bedeutung s.u.) gewissermaßen als Schlusspunkt der → Paradiesgeschichte unmittelbar davor eingesetzt ist – dies unter dem Verweis auf den Umstand, dass der ‚Adam’ und seine Frau nackt sind und um ihre Nacktheit wissen (Gen 2,25; Gen 3,10f) –, wenn man sieht, wie vorher mit den Termini ידע „erkennen“ und בשׂר „Fleisch“ „gespielt“ wird und dass im Rahmen der Strafankündigung (!) nach dem „Fall“ vom (leidenschaftlichen) Begehren der Frau nach dem Mann die Rede ist (תשׁוקה; Gen 3,16), ist deutlich, dass der Autor um die komplexe Verbindung von psychologischen und biologischen Implikationen der Sexualität weiß und dass er diese reflektiert: Im Garten bzw. Paradiesgarten gibt die Frau nur ihrem Wollen (תאוה) und Begehren (חמד) nach dem Baum der Erkenntnis, nach dem Wissen um gut und böse nach und bringt auch ihren Mann dazu, diesem Begehren nachzugeben. Doch obwohl der ‚Adam’ angesichts der ihm von Jahwe Elohim zugeführten Frau begeistert ausgerufen hatte: „Das ist endlich Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch“, (was der Autor – gewissermaßen als Kommentator – mit der Feststellung quittiert: „Darum pflegt jeder / ein Mann seinen Vater und seine Mutter zu verlassen und seiner Frau anzuhängen – und die beiden werden ein Fleisch sein“), geht die Erzählung mit der lapidaren Feststellung zu Ende: „Die beiden, der ‚Adam’ und seine Frau, waren nackt und brachten sich (doch) gegenseitig nicht in Scham (בושׁ Hitp.)“. Das heißt schlicht: Solange der ‚Adam’ und seine Frau im Paradies waren, nahmen sie sich – unbeschadet ihrer gegenseitigen Anziehung – gegenseitig nicht ihre Unschuld. Der Akt des sexuellen „Erkennens“ wird erst in dem Moment realisiert, in dem der → Baum des Lebens nicht mehr zur Verfügung steht, d.h. in dem die Notwendigkeit der Fortpflanzung als Kompensation für das irreversible Todesgeschick eintritt.

Im Zusammenhang mit dieser Erzählung muss kurz auf ein sprachliches Phänomen eingegangen werden, das nicht nur von frommen Bibellesern oft übersehen wird, ohne dessen Wahrnehmung man aber nicht sinnvoll über Sexualität im Alten Testament handeln kann: Hebräische Lexeme sind in der Regel alles andere als eindeutig; ja, ihre Mehrdeutigkeit impliziert häufig eine Konnotation, die im Deutschen mit dem Begriff „zweideutig“ umschrieben wird. D.h. ausgesprochen vielen hebräischen Verben und Nomina eignet eine sexuelle Konnotation; sie werden als Euphemismen für eindeutig dem Bereich des Sexus zugeordnete Handlungen bzw. Körperteile verwendet. Im Bereich der Verben ist da – um nur einige besonders wichtige Beispiele anzusprechen – neben ידע „erkennen“, dem Lexem, mit dem der Autor von Gen 2-4 beziehungsreich spielt, v.a. das Verbum בוא „hineingehen“ zu erwähnen, dessen sexuelle Konnotation infolge der in den Glossaren hebräischer Lehrbücher häufig an erster Stelle genannten Bedeutung „kommen“ oft verkannt wird. Selbst vermeintlich eindeutige Verben wie אמר bzw. דבר Pi. „reden“ können in bestimmten Kontexten für den Coitus stehen, etwa wenn ein Mann und eine Frau allein auf dem Feld sind und beide miteinander „reden“. Im Bereich der Nomina ist der wohl am häufigsten mit sexueller Konnotation gebrauchte Terminus das Wort כרם „Weinberg / Weinfeld“, mit dem der weiblichen Genitalbereich figurativ umschrieben wird – gelegentlich erscheint für den gleichen Sachverhalt einfach גן „Garten“ oder auch שׂדה „Feld“. Demgegenüber wird der männliche Genitalbereich u.a. mit יד „Hand“ oder mit dem Dual von רגל „Fuß“ umschrieben (vgl. Jes 6,2; Jes 7,20 bzw. – zum Phänomen der Euphemismen generell – Schorch). Dass es daneben natürlich auch eindeutige Termini wie שׁד „Brust“ gibt, versteht sich von selbst.

2.1.2. Gen 1

Ganz anders als die vielschichtige Darstellung in Gen 2-4 liest sich das, was der vorausgehende, literarisch indes wohl jüngere priesterliche Schöpfungsbericht (→ Priesterschrift) zum Thema Sexualität zu sagen hat: Hier geht es ausschließlich um Fruchtbarkeit, um Reproduktion (Gen 1,28), und in dieser Hinsicht werden Mensch und Tier auf eine Stufe gestellt: Gott gebraucht in Gen 1,28 exakt die gleichen Worte, die er bereits in Gen 1,22 in Bezug auf die Wassertiere (und ähnlich in Bezug auf die Vögel) gesagt hatte und die er dann nach der Flut in Gen 8,17 in Bezug auf alle Tiere fast identisch wiederholt. Die geschlechtlichen Anlagen der Lebewesen auf Erden stehen allein im Dienst der Fruchtbarkeit. Damit ist aber zugleich die von vielen Theologen erörterte Frage als obsolet erwiesen, ob der hier agierende Gott denn als ein Geschlechtswesen angesehen werden müsse oder aber zumindest als androgyn vorzustellen sei. Sie ist übrigens nicht im Text selbst angelegt, sondern basiert auf einem (durch die sekundär eingefügten masoretischen Satzgrenzen und formallogische Erwägungen bedingten) Missverständnis von Gen 1,27: Dass der Mensch von Gott als dessen Bild (צלם) geschaffen wird, darf nicht dahingehend missverstanden werden, der Mensch werde als eine mit Gott quasi identische Wesenheit geschaffen. Der hier agierende Gott muss sich (anders als die sterblichen Lebewesen auf Erden) nicht reproduzieren. Gemeint ist vielmehr: Der Mensch wird – analog den Statuen von Göttern und Herrschern – als Repräsentant Gottes mit Herrschaftsrechten auf der Erde eingesetzt (→ Gottebenbildlichkeit). Die asyndetisch daneben gestellte Aussage, der Mensch sei als Geschlechtswesen (als männlich und weiblich) geschaffen worden, hat mit der davor angesprochenen Erschaffung als צלם absolut nichts zu tun, sie zielt vielmehr auf eine zweite Funktion neben der Bildfunktion. Das ergibt sich zwingend aus den dann folgenden Handlungsanweisungen, die nach dem Stilprinzip des chiastischen Parallelismus membrorum exakt in umgekehrter Abfolge artikuliert sind: War bei der Schilderung des Schöpfungsaktes erst die Funktion als צלם angesprochen und dann von der Geschlechtlichkeit der geschaffenen Wesen erzählt worden, sind die Sätze in dem darauf bezogenen Schöpfungsauftrag so angeordnet, dass erst der Zweck der Erschaffung des Menschen als Geschlechtswesen und dann der Zweck seiner Erschaffung als Bild Gottes in Form eines Befehls angesprochen wird.

2.1.3. Gen 12-36; Ex 1-19; Num 11-36

In den nicht-priesterlichen „Vätergeschichten“ der → Genesis (Gen 12-36) und in den Mosegeschichten (Ex 2-4), die im Wesentlichen im Milieu von Wanderhirten spielen, wird über Sexualität nicht reflektiert; es werden Geschichten erzählt, in denen häufig ein Liebesverhältnis zwischen Mann und Frau, damit unauflöslich verwoben aber auch die Frage der Fruchtbarkeit im Vordergrund steht. – In den priesterlichen Partien in diesem Textbereich spielt Sexualität nur insofern eine Rolle, als mehrfach konstatiert wird, dass der Mehrungsauftrag von Gen 1,28 im Blick auf Israel Realität wurde (Gen 47,27; Ex 1,7; zu Gen 17 s.u.).

Im Falle → Abrahams ist zwar nicht explizit erzählt, wie dessen Liebesverhältnis zu → Sara entstanden ist, wohl aber wird v.a. in den Erzählungen von der „Gefährdung der Ahnfrau“ (Gen 12,10-20; Gen 20,1ff; → Preisgabeerzählungen) auf die Liebe zwischen beiden Bezug genommen, auch wenn Abrahams reales Verhalten damit kaum vereinbar erscheint: Er lässt zu, dass seine Frau in den Harem des jeweiligen Potentaten geholt wird. Wie dominant zudem der Aspekt Fruchtbarkeit (und damit verbunden Erbe bzw. Besitz) ist, ergibt sich aus dem Konflikt um → Hagar: Sara selbst dient ihre Magd dem Abraham als eine Art Leihmutter an (Gen 16,2). Dass ihr Mann mit einer anderen Frau schläft, spielt für sie (dem Erzählduktus nach) keine Rolle. Eifersüchtig wird Sara erst, als auch sie schwanger geworden ist und den → Isaak geboren hat; nicht Liebe, sondern die Vermutung, dass Hagars Sohn das Erbe Isaaks mindern könnte, ist Auslöser des Konflikts.

Aufschlussreich für die nomadische bzw. halbnomadische pragmatische Einstellung zu Fragen der Sexualität sind die Erzählungen, wie Isaak, Jakob und später Mose zu Frauen kommen: Auf der einen Seite kann in den „Brunnengeschichten“ Gen 29 und Ex 2 erzählt werden, dass Männer und Frauen einander so begegnen, sich so kennen und lieben lernen, wie das junge Menschen (in liberalen Gesellschaften) seit eh und je getan haben. Auf der anderen Seite erfolgt die Brautwerbung um → Rebekka streng nach patriarchalischem Brauch (Gen 24), wobei die auf diese Weise Vereinten dennoch in Liebe zueinander finden – es sei denn, man interpretiert Rebekkas Parteinahme für Jakob als eine späte Rache an Isaak (Gen 27,6ff). Wie wenig tabuisiert ehelicher sexueller Umgang in diesem sozialen Umfeld offenbar war, lässt sich Gen 26,8 entnehmen: Der Erzähler berichtet ganz unbefangen davon, wie → Abimelech von Gerar von seinem Palastfenster aus das Liebesspiel von Isaak und Rebekka beobachten kann. Abimelech seinerseits nimmt nicht daran Anstoß, sondern an dem Umstand, dass Isaak Rebekka vorher als seine Schwester ausgegeben hatte, um nicht wegen der Schönheit seiner Frau in Gefahr zu geraten. Denn für kanaanäische Stadtbewohner wäre eine schöne, unverheiratete Nomadin – das ist damit implizit unterstellt – ein jederzeit zur Verfügung stehendes Sexualobjekt. Um die schöne Ehefrau eines anderen beschlafen zu können, müsste dagegen entweder vorher deren Mann beseitigt werden oder aber es würde ein Eingriff in dessen Besitzstand erfolgen: durch ein solches Vergehen käme Schuld auf die Stadt.

Die Jakobsgeschichten zeigen daneben, dass die in sozio-kulturellen Bedingungen gründenden Spannungen zwischen Liebe und Zuneigung, dem nomadischen Sittenkodex und der biologischen Funktion der Partnerbeziehung zu Lösungen führen können, die nicht nur aus gegenwärtiger Sicht problematisch wirken, sondern auch in Widerspruch zu Gesetzen stehen, die sich im → Deuteronomium und im Gesetzeskorpus vom Sinai finden. Die durch List arrangierte Ehe zwischen → Jakob und → Lea (Gen 29,23ff) führt zum biologisch wie sozial erwünschten Erfolg, ist aber geprägt von einer Zurücksetzung, ja Missachtung der Ehefrau Lea, während die Ehe Jakobs mit der allein geliebten → Rahel zunächst kinderlos bleibt, was zwar seine Liebe zu ihr nicht mindert, aber Rahel zu einem Zornesausbruch treibt (Gen 30). Dass in der Folge nicht nur die Sklavinnen der rivalisierenden Ehefrauen als eine Art Leihmütter eingesetzt werden, dass vielmehr auch magische Praktiken (Liebesäpfel) eingesetzt werden, um zur Erfüllung des Kinderwunsches zu kommen, macht deutlich, dass trotz des für Menschen des 21. Jh.s vertraut wirkenden quasi romantischen Erzählrahmens die biologische bzw. sozial erwünschte Funktion der Sexualität im Vordergrund steht. Überdies verweist das zuletzt erwähnte Phänomen deutlich darauf, wie stark Sexualität nach dem Empfinden dieses Erzählers mit der Aura des Geheimnisvollen, Magischen verquickt ist.

Der letztgenannte Sachverhalt steht wohl auch hinter einem Teilaspekt aus der vielschichtigen Erzählung vom Midianitersieg (Num 31) – dies unbeschadet der Tatsache, dass diese stark von deuteronomistischen rechtlichen Gesichtspunkten geprägt ist (also allenfalls in 2.2. zu verhandeln wäre). Von dem Pogrom, dem die → Midianiter zum Opfer fallen, werden die Frauen ausgenommen, die noch Jungfrauen sind (Num 31,18.35). Diese Verfahrensweise steht nicht nur in klarem Widerspruch zu den kruden Bestimmungen, dass an Feinden Israels der → „Bann“, d.h. die totale Vernichtung, zu vollziehen ist (vgl. Dtn 7,1-5; Dtn 20,16-18; Jos 7; 1Sam 15 – in der Erzählung von Num 25 ausgeweitet auf Israeliten, die sich mit Frauen eines Fremdvolks einlassen), es lässt sich auch nicht mit der abgeschwächten Form dieser problematischen Bestimmungen in Einklang bringen, gemäß der „nur“ alles Männliche zu erschlagen ist, während Frauen, Kinder, Vieh etc. als Beute verteilt werden können (so etwa Dtn 20,13f). Aller Wahrscheinlichkeit nach geht der Autor dieser Passage von einem magischen Verständnis des ersten Sexualverkehrs aus: Mit dem Zerreißen des Hymens geht die Aura verloren, die jungfräuliche Angehörige (selbst) eines Feindvolks unantastbar macht.

Um sexuelle Beziehungen außerhalb der sozialen Norm geht es in Gen 19; Gen 34 und Gen 38 – wenn auch in gänzlich unterschiedlicher Weise. In der Erzählung von Lot und seinen Töchtern (Gen 19,30-38) steht die biologisch-soziale Funktion der Sexualität im Vordergrund: Da ihnen außer dem Vater keine Männer zur Verfügung stehen, verschaffen sich die Töchter Lots Nachkommen, indem sie mit ihrem Vater schlafen, den sie vorher betrunken gemacht haben (→ Moab). In der Vorgeschichte dazu, die mit der totalen Zerstörung von → Sodom und Gomorra als Strafe für pervertierte Sexualität geendet hatte, steht demgegenüber der Lustaspekt im Vordergrund. Die Sodomiten wollen → Lot dazu zwingen, seine (männlichen) Gäste als Lustobjekte herauszugeben. Lot, dem das Gastrecht mehr bedeutet als die Familienehre, bietet den Sodomiten seine jungfräulichen Töchter als Ersatz an – dies in der irrigen Annahme, es gehe den Männern um beliebige Triebbefriedigung; dank des Eingreifens der göttlichen Besucher kommt es indes nicht zum Vollzug.

In Gen 34 ist das Phänomen, dass Dina vergewaltigt wird (→ Dina), weil → Sichem seine Gefühle gegenüber der Jakobstochter nicht kontrollieren kann, verquickt mit der Problemstellung, dass ein Angehöriger einer anderen Sippe damit in den Besitzstand der Jakobssippe eingreift. Neben dem Umstand, dass der Übergriff trotz des – gängigem Usus entsprechenden – Angebots des Sichem, das geschändete Mädchen zu ehelichen und den Schaden damit zu heilen (vgl. Ex 22,15; Dtn 22,28), mit einem Massaker an der Sippe des Täters endet, ist hier bemerkenswert, wie der Erzähler eine medizinische Einzelheit des Rituals der → Beschneidung als Motiv in die Erzählung eingebaut hat: An erwachsenen Männern vollzogen hat der medizinische Eingriff am männlichen Sexualorgan so massive Schmerzen zur Folge, dass die Männer nicht mehr kampfesfähig sind.

In eine andere Welt führt demgegenüber die Erzählung von Juda und Tamar in Gen 38 (→ Juda; → Tamar). Die Erzählung beginnt zwar mit einer Szenerie, in der es um gängige Probleme des archaischen Familienrechts geht (→ Leviratsehe), aber der Erzähler hat damit drei sexualethisch brisante Themen verwoben, nämlich den Einsatz des Coitus interruptus zum Zwecke einer von der Frau nicht gewollten Empfängnisverhütung, den Gang des Patriarchen zu einer (vermeintlichen) Kultprostituierten (→ Hure 3.1) und die daraus resultierende illegitime Schwangerschaft der Witwe eines der Söhne des Patriarchen. Dass diese Erzählung nicht aus nomadischem Milieu stammen kann, dass in ihr vielmehr narrativ ein ethischer Diskurs von beinahe rabbinisch anmutender Spitzfindigkeit geführt wird, hat Krüger gezeigt. Nur ganz am Rande muss in diesem Zusammenhang erwähnt werden, dass → Onan, der Tamar durch den wiederholten Coitus interruptus brüskiert hat und deshalb von Jahwe getötet wurde, seltsamerweise zum Namenspatron einer anderen Sexualpraxis wurde, für deren Anwendung es im Alten Testament keine Belege gibt – es sei denn man interpretiert die auf den Samenerguss bezogenen Bestimmungen in Lev 15,16-18 im Sinne einer aktiven Mitwirkung durch den Mann, wofür allerdings wenig spricht. – Auch im Falle des Begriffs „Sodomie“ besteht eine Differenz zwischen biblischer Erzählung und sexueller Praxis.

Mit dem in Gen 34 begegnenden Themenbereich „Beschneidung“ (→ Beschneidung) ist auch Ex 4,24-26 befasst: Von → Zipporas Griff zum Steinmesser ist dort freilich wohl eher im Sinne einer → Ätiologie des Brauchs der Beschneidung erzählt. Ob → Mose selbst oder dessen kleiner Sohn von Zippora beschnitten wird, wird aus dem Erzählverlauf nicht ganz klar; ungewöhnlich ist in jedem Fall, dass eine Frau die Operation vornimmt. Überdies verdeutlicht diese kurze Erzählung, dass es sich bei der Beschneidung um einen apotropäischen Ritus mit magischem Hintergrund handelt: Der Gottheit wird zur Besänftigung ein Teil des Körperteils gegeben, der mit dem Mysterium von Zeugung und Geburt zu tun hat (→ Vorhaut).

In dem gewöhnlich der → Priesterschrift zugeordneten Text Gen 17,10ff wird der medizinische Eingriff der Beschneidung dagegen schlicht unter dem Aspekt der religiösen Verpflichtung verhandelt. Dass in der Jahwereligion der Bereich der Sexualität völlig ausgeblendet geblieben wäre, kann man von daher schwerlich behaupten, ist doch die Beschneidung neben der strikten Befolgung des → Sabbatgebotes das zentrale religiöse Identitätsmerkmal eines Juden bis heute geblieben.

2.1.4. Gen 37; 39-48; 50 im Kontext weisheitlicher Texte (Hi, Spr und Pred)

Eine völlig andere Einstellung zu Fragen der Sexualität begegnet in der → Josefsgeschichte, deren „geistige Heimat“ in der (höfischen) → Weisheit weitgehend unbestritten ist. Ganz am Rande wird in ihr zwar auch berichtet, dass Josef → Asenat, die Tochter eines Priesters, geehelicht habe und mit dieser zwei Kinder hatte (Gen 41,50). Mit ganz anderem Akzent und zugleich als Hauptthema wird das Thema Sexualität indes in Gen 39,7-20 verhandelt. Dort in der Erzählung vom „Weib Potifars“ geht es um den in der altorientalischen Literatur verbreiteten Topos der Gefährdung des (jungen) Mannes durch eine lüsterne Frau, durch die „fremde Frau“ – ein Thema, das v.a. in dem sicher der Weisheit zuzurechnenden Buch der Sprüche eine herausragende Rolle spielt (ausführlich behandelt in Spr 6,23-35 und Spr 7,4-23; in aphoristischer Kürze in Spr 11,22; Spr 22,14; Spr 23,27f.; Spr 30,20); auch in spätweisheitlich geprägten Partien im Buch → Hiob ist das Thema angesprochen (Hi 31,9-12), ja dort legt sich der Dichter sogar die asketisch anmutende Verpflichtung auf, sich keinesfalls nach einer Jungfrau umzusehen (Hi 31,1). Unbeschadet dessen, dass das in den letztgenannten längeren Texten aus dem → Spruchbuch vorausgesetzte Frauenbild in seiner Pauschalität natürlich eine Karikatur darstellt, ist die hier wahrnehmbare Einstellung zur weiblichen Sexualität als einer für den Mann kaum zu beherrschenden geheimnisvollen Macht für Jahrhunderte prägend geworden. In der christlichen Morallehre ging das so weit, dass Sünde und Sexualität lange Zeit quasi „zusammengedacht“ wurden (vgl. Körtner, 1247 bzw. u. 2.5.). Die Abwertung der Sexualität in asketisch-leibfeindlichen Kreisen hat in Gen 39 jedenfalls eine idealtypische Beispielerzählung gefunden. Als ein konkretes (willkürlich herausgegriffenes, aber doch schlagendes) Exempel dafür kann etwa Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausens Roman „Des vortrefflich keuschen Josephs in Egypten Lebensbeschreibung“ benannt werden; ein Blick in religionspädagogisches Material des 19. und 20. Jh.s lehrt Ähnliches. Ja, schon hinter 1Makk 2,53 scheint diese Einstellung zu stehen. In reduktionistischer Weise ist dort die Josefsgeschichte auf den Kernsatz reduziert: „Josef hat in der Zeit der Bedrängnis das Gesetz gehalten und wurde zum Herrn über Ägypten“. Und wenn Matthäus Jesus die Worte in den Mund legt: „Wer eine Frau ansieht, sie zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen“ (Mt 5,28), spiegelt das die gleiche Einstellung.

Die Weisheit sieht allerdings – anders als Paulus und asketische Strömungen im Umkreis des frühen Christentums – gelebte Sexualität nicht nur als etwas Gefährliches, bestenfalls Nebensächliches. Das zeigt ein Blick nach Spr 5,18-20 und Pred 9,9. Werden in Spr 5 indes die sexuellen Qualitäten der Ehefrau wohl v.a. deshalb so positiv herausgestellt, weil der Autor daran in dezenter Weise die „Warnung vor der Fremden“ anschließen kann, geht es in Pred 9 um nichts anderes als um die Freude am Sexus an sich. Denn anders als in den meisten Bibelübersetzungen unterstellt, handelt Kohelet hier nicht von der Ehefrau, sondern von einer Frau, die der Angesprochene lieb gewonnen hat: So lange man lebt – so die Lehre des Predigers – lohnt es sich zu lieben.

2.2. Legislative Partien des Pentateuchs (Ex 20 - Num 10; Dtn 5-25)

Einen knappen, auf Vereinfachungen verzichtenden Überblick über die verschiedenen Wahrnehmungen des Phänomens der Sexualität zu geben, die hinter den mit diesem Thema befassten Gesetzestexten in den Büchern Exodus – Deuteronomium stehen, ist im Rahmen eines Lexikonartikels kaum möglich. Im Prinzip müsste man alle Gesetze einzeln auflisten und auf ihre Implikationen hin befragen; die Vielfalt der Sichtweisen wäre anders nicht zu erfassen. Im Folgenden ist ein Mittelweg gewählt.

Bemerkenswert ist zunächst, dass im → Dekalog als der abstrakten Zusammenfassung der für einen frommen Juden nicht zur Disposition stehenden ethischen Prinzipien Sexualität (im engeren Sinne) keine Rolle spielt. Weder die Inzestverbote des Buches Leviticus (Lev 18,6-18; Lev 20,19-21; vgl. Dtn 23,1) noch sexualethisch relevant anmutende Bestimmungen wie das Sodomieverbot in Ex 22,18 haben hier irgendwelche Spuren hinterlassen. Die Beziehung zwischen Mann und Frau wird allein unter besitzrechtlichen Aspekten gesehen: Ehebruch (Ex 20,14 par. Dtn 5,18) ist Eingriff in den Besitzstand eines anderen Mannes – ein Mann kann nur die Ehe eines anderen brechen, nicht aber die eigene (→ Ehe / Ehebruch) –, und im letzten Satz des Dekalogs geht es um Machenschaften, die unternommen werden, um in den Besitz der Frau eines anderen zu kommen, nicht um Sex (Ex 20,17). Dass in der Exodusfassung die in Dtn 5,21 vorfindliche – etwas – weniger anstößig wirkende Formulierung des gleichen Sachverhalts in dem Sinn verändert wurde, dass die Frau schlicht als Bestandteil des „Hauses“ erscheint, d.h. unter den Besitzstand gezählt wird (im Deuteronomium ist die Frau wenigstens nicht in einem Atemzug mit Knecht, Magd, Rind und Esel genannt), verwundert von daher nur wenig.

Dass man im alten Israel freilich sehr wohl empfand, dass es im Falle von Ehebruch um mehr geht als um einen Eingriff in den Besitzstand eines anderen Mannes, ist zumindest indirekt den konkreten Gesetzen zu entnehmen: Die Rechtsfolge eines Ehebruchs ist die → Todesstrafe für beide Beteiligten (Dtn 22,22 bzw. Lev 20,10); bei gewöhnlichem Diebstahl muss dagegen lediglich Ersatz geleistet werden (vgl. etwa Ex 22,2f.). Auch wenn es an keiner Stelle in den einschlägigen Bestimmungen explizit angesprochen ist, kann man aus diesem Umstand erschließen, dass die Strafe wohl deshalb so hart ist, weil man in dem unkontrollierten Ausleben sexuellen Begehrens magisch-mysteriöse Kräfte am Werk sah; auch Zauberei und andere magische Praktiken werden ja mit dem Tode geahndet (vgl. Ex 22,17; Lev 20,6.27).

Nicht ganz auf der gleichen Ebene liegen die Bestimmungen im → Bundesbuch und im → Deuteronomium, in denen es um den außerehelichen Beischlaf mit einer Jungfrau geht (vgl. etwa Ex 22,15f oder Dtn 22,28f). Diese Frage wird nicht unter sexualethischen Aspekten behandelt, sondern allein unter besitzrechtlichen: Es handelt sich um einen illegitimen Zugriff auf den Besitzstand des jeweiligen Vaters. Dementsprechend wird hier als Folge des Vergehens nicht zwingend die Todesstrafe gefordert: Durch Eheschließung und Zahlung des Brautgeldes (in Ausnahmefällen auch nur durch Zahlung) kann der Fall geregelt werden. Darüber hinaus taucht in Dtn 22,29 in der Begründung der Maßnahmen gegen den Täter auch der ethische Aspekt auf, die junge Frau sei durch die Vergewaltigung gedemütigt worden; daher ist eine so geschlossene Ehe von Seiten des Täters nicht aufzulösen.

Eine Ausnahme bilden in diesem Kontext lediglich die auf den Beischlaf mit einer bereits verlobten Jungfrau bezogenen Bestimmungen Dtn 22,23-27, in denen finanziell-materielle Ersatzleistungen prinzipiell ausgeschlossen werden. Auch hier spielt mit hoher Wahrscheinlichkeit die nach archaischem Empfinden mit dem Sexuellen verbundene magische Dimension eine wichtige Rolle. Vielleicht ist deshalb hinter den diesbezüglichen Bestimmungen in Andeutungen so etwas wie ein sexualethischer Aspekt zu erkennen – die Verantwortlichkeit der Frau für das Geschehen wird berücksichtigt: Hat sie sich widerstandslos gefügt, wird auch sie getötet, hat sie sich durch Schreien gewehrt, wird allein der Mann mit dem Tode bestraft, denn es waren nicht die „hexerischen“ Fähigkeiten der Frau, die zum illegitimen Coitus führten.

Ähnliches gilt auch im Blick auf die sehr komplexen Bestimmungen für den Fall, dass ein Mann längere Zeit nach der Eheschließung seine Ehefrau bezichtigt, sie sei nicht als Jungfrau in die Ehe gegangen (Dtn 22,13-21). Die zur Begründung der Strafe bei nachweislicher Falschaussage durch den Mann gebotenen Argumente liegen zumindest partiell außerhalb des reinen Denkens in Besitzständen, und dementsprechend enthält die angedrohte Strafe neben einem materiellen Aspekt einen, der im weiteren Sinne als ethisch motiviert interpretiert werden kann – nämlich die öffentliche Züchtigung. Dass der Frau im Falle einer Falschaussage das gleiche Schicksal droht wie einer Ehebrecherin oder einer bereits verlobten Jungfrau, ist angesichts der übrigen Bestimmungen nur konsequent.

Schließlich sind auch in den Bestimmungen zum Sklavenrecht Sätze zu finden, in denen Regeln betreffs sexueller Beziehungen diskutiert werden – hier zwischen dem Käufer / Besitzer und der Sklavin; nach dem bisher zur Frage des Zusammenhangs zwischen sexueller Beziehung und Besitzrecht Gesagten ist das nahe liegend (vgl. etwa Lev 19,20). Ebenso erklärt sich von daher, dass ein Herr, der seinem Sklaven eine Ehefrau gegeben hat, im Falle von dessen Freilassung Frau und Kinder für sich behalten darf – es sei denn der Sklave verzichtet freiwillig auf seine Freilassung (Ex 21,4-6).

Eigentümlich modern wirkt demgegenüber eine positive eherechtliche Bestimmung im Buch Deuteronomium, genauer die Begründung dafür, warum ein Jungverheirateter für ein Jahr vom Kriegsdienst entbunden bleibt (Dtn 24,5): Natürlich gehört es zur Beglückung der jungen Ehefrau, sie zur Mutter zu machen, aber das ist offenbar nicht alles; dagegen spricht die Länge der Frist für die Freistellung. Der Freiraum hat aller Wahrscheinlichkeit nach etwas damit zu tun, dass „die Liebe solange“ nicht gestört werden soll, als „die Lust währt“ (Hhld 2,7; Hhld 3,5; Hhld 8,4) – eine Verbeugung vor der Macht des Eros. In eine ähnliche Richtung weist auch eine Passage aus dem Sklavenrecht im Bundesbuch, die freilich weniger auf den emotionalen Aspekt Rücksicht nimmt, sondern auf den physischen zielt. Gemäß ihr hat eine als Ehefrau erworbene Sklavin ein bleibendes Recht auf sexuellen Verkehr – selbst wenn ihr Herr eine zweite Frau ehelicht (Ex 21,10). Auf rein erbrechtlicher Ebene wird das Problem der bevorzugten Frau in Dtn 21,15-17 verhandelt.

Pauschal lässt sich trotzdem sagen: Hinter den meisten eherechtlichen Regelungen steht nicht nur ein wirtschaftlicher, sondern auch der bereits mehrfach angesprochene magisch-religiöse Aspekt. Sexualität hat für die Alten etwas mit dem Mysterium fascinosum et tremendum zu tun. In ganz besonderer Weise zeigt sich das in den Bestimmungen zur → Menstruation der Frau (Lev 15,19-33 bzw. Lev 20,18). Der Coitus mit einer Menstruierenden wird zumindest als schwere Verunreinigung gesehen (Lev 15,24), nach anderer Wahrnehmung (Lev 20,18) ist er ebenso der Bruch eines Tabus wie Sodomie (Ex 22,18; Lev 18,23) oder Homosexualität (Lev 18,22; vgl. Gen 19,5ff) und wird daher wie ein Verstoß gegen diese beiden anderen Bestimmungen als todeswürdig erachtet. Aber auch eine exotisch anmutende Bestimmung wie Dtn 25,11f dürfte von daher zu erklären sein: Die Berührung des männlichen Genitals durch eine mit dem Mann nicht verheiratete Frau ist unbeschadet der guten Absicht, den eigenen Ehemann zu retten, ein Sakrileg, ein Eingriff in die Welt des Magischen – auch wenn damit gar kein sexuelles Begehren verbunden war, sondern der Griff ins Gemächt des Feindes nur pragmatisch dadurch motiviert war, dass der Gegner des Ehemannes der Frau so kampfunfähig gemacht werden konnte: Der „Logik“ des Umgangs mit dem Magischen folgend muss zumindest der Körperteil, mit dem der Übergriff erfolgte, bestraft werden – also die Hand der Frau abgehauen werden.

2.3. Erzählkomplexe in den Büchern Jos - 2Kön und in deuterokanonischen Schriften

2.3.1. Das Richterbuch

Sieht man von der Hanna-Episode in 1Sam 1 einmal ab, die an die Jakobsgeschichten erinnert, führen die Erzählungen in den Büchern Richter und Samuel, in denen sexuelle Kontakte eine Rolle spielen, in eine gänzlich andere Welt. Jedenfalls hat das Denken, das hinter den wohl im altisraelitischen Sippenrecht wurzelnden rechtlichen Bestimmungen des Bundesbuchs und des Deuteronomiums steht, dort wenig Spuren hinterlassen. Sicher: Die viel diskutierte Schandtat von Gibea (Ri 19) – die Männer von → Gibea wollen den Gast eines als Schutzbürger in der Stadt lebenden → Ephraimiten „erkennen“, der Ephraimit verweigert dies, aber anstelle des Gastes wird den Männern von Gibea die Nebenfrau des Mannes zum „Erkennen“ zur Verfügung gestellt – wird im Einklang mit den erwähnten Bestimmungen zu Homosexualität, Vergewaltigung und Ehebruch blutig geahndet (Ri 20); die Erzählung ist aber sicher ein spätes Konstrukt. Auch in den Davidsgeschichten finden sich gelegentlich deuteronomistische Einschübe.

Aber die übrigen (älteren) Erzählungen, in denen Frauen eine zentrale Rolle spielen, zeigen demgegenüber ein gänzlich anderes Bild vom Umgang mit Sexualität. Damit ist nun aber weniger die Erzählung von der Begegnung von Sisera und Jaël (Ri 4,17-22; → Sisera; → Jaël) gemeint, die Zakovitch feministisch interpretiert bzw. überinterpretiert hat („Pflock“ als Penis, Milchschlauch als weibliche Brust), als an die übrigen Erzählungen. Ohne irgendein Anzeichen von Kritik (Ausnahme: 2Sam 11) wird zumeist von einem libidinös gesteuerten Umgang von Männern mit Frauen berichtet.

Im Richterbuch ist hier v.a. die Simsonerzählung zu erwähnen. → Simsons Umgang mit Frauen weist Züge auf, die völlig jenseits dessen liegen, was man als moralische Minimalanforderung an einen israelitischen Mann einstufen würde. In auffallender Parallelität zu dem, was in der griechischen Mythologie von Herakles erzählt wird, nimmt sich Simson Frauen nach seinem Gutdünken – und ebenso verlässt er sie wieder, wenn ihn eine neue Frau interessiert. Die Simsonsage liest sich beinahe wie ein Hoheslied auf die freie Entfaltung der männlichen Sexualität, die ein typischer Wesenszug nicht nur des Herakles, sondern auch der homerischen Helden ist. Schon im Falle der ersten Frau, die Simson „nimmt“, gilt für ihn keine wie immer geartete Norm: Trotz des damit verbundenen Verstoßes gegen das Endogamiegebot setzt Simson die Eheschließung mit einer Philisterin durch, um die eben erworbene junge Frau kurz nach der Hochzeit einem anderen zu überlassen. Nur aus den Denkstrukturen des im ganzen Alten Orient einschließlich Griechenlands verbreiteten Heroenkonzepts heraus ist darüber hinaus zu erklären, dass Simson meint, trotz der Überlassung seiner Frau an einen anderen ein Recht darauf zu haben, ad libitum weiter zu der Verlassenen „eingehen“ zu können (בוא; Ri 15,1 – zum Begriff s.o. 2.1.1.). Und auch in seinem Umgang mit weiteren Frauen (Ri 16) erinnert Simson eher an Herakles oder Achill als an Isaak oder gar Josef.

Die Selbstverständlichkeit, mit der dieser eigentümliche Umgang mit Frauen geschildert wird, hängt damit zusammen, dass das mit derartigen Überlieferungen verbundene Konzept in Kreisen beheimatet ist, denen das egalitäre Gesellschaftsbild der segmentären frühisraelitischen Traditionen fremd geblieben ist – es ist das Legitimationskonzept des Stadtkönigtums (vgl. zum folgenden Bartelmus, 1979). Darauf lassen die einschlägig bekannten griechischen Heldensagen schließen, deren Hauptfiguren in der Regel Regionalpotentaten („Könige“) sind, deren Nachfolger am Ruhm der Heroen der Vorzeit teilhaben. Die konzeptionelle Nähe zwischen diesen Sagen – insbesondere die zwischen dem Sagenkranz um Herakles und der Simsonsage (wo freilich der dynastische Bezug fehlt) – erschließt sich unschwer, wenn man die Krafttaten Simsons ansieht und in Rechnung stellt, dass der Name Simson („Sönnchen“) theophor ist. Der Name hat aller Wahrscheinlichkeit nach damit zu tun, dass Simon (nicht anders als Herakles) Sohn einer sexuellen Verbindung zwischen seiner Mutter und einem himmlischen Wesen ist. Jedenfalls „redet“ (אמר bzw. דבר; s.o. 2.1.1.) die Frau des Manoach „auf dem Felde“ mehrfach alleine mit dem Mann, der zu ihr „gekommen“ (בוא; s.o. 2.1.1.) ist, und erfährt doch Manoach das, was er selbst eigentlich am besten wissen müsste, erst durch den Mund dieses „Mannes“, der im Verlauf der Erzählung gelegentlich auch als „Engel Jahwes“ oder auch als „Gottesmann“ bzw. als „ein Mann mit dem Aussehen (eines) Gottes“ bezeichnet wird: Seine bis dahin unfruchtbare Frau ist plötzlich schwanger (Ri 13)! Vor dem Hintergrund einer Passage wie der in die → Urgeschichte integrierten fragmentarischen mythologischen Ätiologie Gen 6,1-4 wird diese Argumentationslinie noch plausibler, zumal dort explizit von Göttern (בני האלהים) die Rede ist, die sich nach ihrem Gutdünken menschliche Frauen aneignen und mit diesen Heroenkinder in die Welt setzen. Es müssen indes – wie ein Blick in die David-Traditionen zeigt – nicht unbedingt Götter bzw. Halbgötter sein, die so handeln, in Frage kommen auch dank militärischer Klugheit an die Macht gekommene Personen, d.h. Helden ohne göttlichen Ahnherrn. Stark vereinfacht ausgedrückt: Sind Machthaber beteiligt, wird das Verhältnis zwischen den Geschlechtern gemäß diesem Zweig alttestamentlicher Überlieferung allein nach dem Lustprinzip geregelt; zudem steht Sexualität in diesem sozialen Umfeld im Dienst des Machtgewinns bzw. Machterhalts. Ersteres gilt gleichermaßen für die Beziehung zwischen einem Gott und einer menschlichen Frau wie für die zwischen einem König und einer Frau aus dem Volk oder die zwischen Herr und Sklavin (dazu s.o. 2.2.). Letzteres macht deutlich, dass es auch im Alten Testament eine Traditionslinie gibt, die einen engen Zusammenhang zwischen sexueller Potenz und Macht unterstellt.

2.3.2. Die Bücher 1Sam - 2Kön

Wohl das extremste Beispiel sexueller Freizügigkeit innerhalb des Alten Testaments ist → David. Sein Umgang mit dem anderen Geschlecht wird an Hemmungslosigkeit allenfalls durch seinen Sohn → Amnon übertroffen, der so weit geht, seine Halbschwester → Tamar zu vergewaltigen (2Sam 13), im Gefolge dieser Tat indes den Tod findet – anders als David, der trotz der Vielzahl seiner oft mehr als fragwürdigen einschlägigen Aktivitäten immer unbeschadet davonkommt, ja, der ex post zu einer Lichtgestalt hochstilisiert worden ist. Zwar werden nicht zu allen acht Hauptfrauen, die in den Texten erwähnt werden, so ausführliche und moralische Maßstäbe praktisch außer Acht lassende Geschichten erzählt wie zu → Abigail (1Sam 25), → Batseba (2Sam 11 und 1Kön 1) oder zu → Abischag von Schunem, die David als alter Mann dann aber doch nicht mehr „erkennen“ kann (1Kön 1; dazu vgl. Bartelmus, 2001). Aber schon allein die wechselvolle Geschichte von Davids Verhältnis zur Saul-Tochter → Michal (1Sam 18,20-28; 1Sam 19,8-17; 2Sam 3,13-16; 2Sam 6,16-23), die anfangs parallel läuft mit einer homoerotischen Beziehung zum Saul-Sohn → Jonatan, bringt einen Aspekt des Umgangs mit Sexualität ein, der bis dahin in der Welt des alten Israel nicht begegnet ist: David bindet diese beiden Saul-Kinder erotisch an sich, um so an die Macht zu kommen. Das Verhältnis zu Jonatan erledigt sich durch dessen Tod (1Sam 31); Davids Weg zum Thron steht damit kein anderer Prätendent mehr im Weg – die um Jonatan vergossenen Tränen sind nichts als Krokodilstränen (2Sam 1,26). In dem Moment, wo David seine Macht auch religiös bzw. stammesrechtlich durch die Überführung des nordisraelitischen Heiligtums der → Lade nach Jerusalem gesichert hat, verhöhnt David dann Michal und rühmt sich – ihre Kritik wegen seines orgiastischen Tanzes vor der Lade erwidernd – dessen, er könne nunmehr auch mit Mägden „zu Ehren kommen“ (כבד Nif.; 2Sam 6,22 – gemeint ist damit wohl, dass er an Bedeutung gewinnen will), was er denn auch reichlich tut: Zu den sechs mit sechs verschiedenen Frauen in Hebron gezeugten Söhnen (darunter bezeichnenderweise kein Kind von Michal; vgl. 2Sam 3,2-6 bzw. 2Sam 6,23) kommen in Jerusalem noch zahlreiche weitere Kinder von mehreren Frauen und Nebenfrauen (hinter denen sich wohl die „Mägde“ von 2Sam 6,22 verbergen). Sexuelle Potenz dient zum Erweis herrscherlicher Potenz – im Falle der Zuführung der schönen Abischag zum Erweis des Gegenteils (und damit zur Abhalfterung Davids).

Nicht ausschließlich auf den Aspekt „Sexualität und Macht“ konzentriert ist unter den Frauengeschichten des David lediglich die → Batseba-Erzählung 2Sam 11f. Zum einen spielt „Moral“ in gewisser Weise eine Rolle, zum anderen sind dort von 2Sam 7 ausgehende Impulse zu einer Theologisierung der David-Salomo-Traditionen so stark in den ursprünglichen Erzählzusammenhang verwoben, dass die ursprüngliche Tendenz kaum mehr zweifelsfrei zu erheben ist. Klar ist allerdings, dass die Geburt Salomos nicht (wie die Isaaks oder Samuels) auf eine Initiative Jahwes zurückgeführt wird: David ist es, der Batseba nach dem Tod des ersten gemeinsamen Kindes damit tröstet, dass er sie zur Mutter eines potentiellen Nachfolgers macht (und von daher fügt sich die Erzählung dann doch in das Gesamtbild).

Sexualität spielt jedenfalls im Zusammenhang mit dynastischen Konflikten eine zentrale Rolle: Die erste Maßnahme, die → Abschalom nach der Flucht Davids aus Jerusalem zur Absicherung der Macht ergreift, besteht darin, dass er den Harem seines Vaters übernimmt und die entsprechenden sexuellen Aktivitäten auch öffentlich demonstriert (2Sam 16,21f.). Auf Verbalerotik reduziert begegnet Entsprechendes in der Erzählung von der sog. Reichsteilung. Die jungen Ratgeber des → Rehabeam empfehlen diesem, sich den Gesandten Israels als sexuell noch leistungsfähiger (und damit als mächtiger) darzustellen, als es sein Vater Salomo mit seinem Harem war: „Mein kleiner Finger ist dicker als meines Vaters Lenden“ (1Kön 12,10). Abschaloms Bruder → Adonija hofft (vergeblich), durch eine Heirat mit der letzten Bettgenossin seines Vaters – mit Abischag – doch noch die Macht zu gewinnen, nachdem der erste Versuch, seinen im Anciennitätsprinzip eigentlich gut begründeten Anspruch auf die Thronfolge durchsetzen zu können, an einer von Batseba – der letzten Lieblingsfrau Davids – und → Natan initiierten Intrige gescheitert ist. Batseba setzt nicht nur ihren Sohn Salomo als Thronfolger durch, sie sorgt vielmehr auch dafür, dass mit Adonija der letzte potentielle Konkurrent ihres Sohnes liquidiert wird. D.h. in einem sozio-kulturellen Kontext, in dem Macht und Sexualität in Korrelation zueinander stehen, sind Frauen nicht nur – wie es auf den ersten Blick scheint – „Opfer“ der männlichen Lust. Frauen wie Abigail und später Batseba steuern über ihre Reize David und haben so Teil an der Macht. Auch Briefe aus → Ugarit belegen, dass im sozio-kulturellen Kontext von Stadtkönigtümern Frauen eine wichtige Rolle spielen: Die Mutter des jeweiligen Regenten ist die eigentliche Machthaberin, die im Hintergrund die Fäden zieht. Indirekt belegt dies zudem die alttestamentliche Erzählung von → Atalja, der Mutter des → Ahasja: In dem Moment, wo ihr Sohn tot ist, gerät sie in die Gefahr, die Macht zu verlieren; ihr Fehler besteht allerdings darin, dass sie (gegen die Sitte) selbst offen die Macht übernimmt (2Kön 11). – Die in ihrer sexuellen Attraktivität begründete Macht der → Delila (Ri 16,4) erschließt sich demgegenüber auch einem naiv an die Heiligkeit der alttestamentlichen Gestalten glaubenden Bibelleser quasi von selbst.

Was → Salomo betrifft, ist die Erwähnung von dessen mehr als 1000 Frauen (1Kön 11,3) eine schöne Legende zum Nachweis seiner herrscherlichen Fähigkeiten, einen neuen Gesichtspunkt bringt allein der Umstand ein, dass er das Prinzip „Habsburg“ quasi vorweggenommen hat: Aus allen umliegenden Ländern einschließlich Ägyptens soll Salomo Frauen in seinen Harem geholt haben (1Kön 11,1). Die so geschaffenen verwandtschaftlichen Bande – insbesondere die zum Pharaonenhof – stehen im Dienst der Diplomatie.

2.3.3. Die deuterokanonischen Schriften Susanna und Judit

In der Susanna-Erzählung, einem deuterokanonischen Zusatz zum → Danielbuch (→ Kanon; → Apokryphen), wird man – ähnlich wie in Gen 19; Gen 34; Gen 38 etc. – mit einem extremen Fall sexuell motivierten randständigen Verhaltens konfrontiert (Inhalt → Susanna). Der Auslöser der Erzählung, männlicher Voyeurismus (vgl. ZusDan 1,8.16.32f), rückte zwar im Verlauf der Rezeptionsgeschichte immer mehr in den Vordergrund – viele christlichen Maler verstanden den Text offenbar als ein Exempel für das Jesus-Wort von Mt 5,28 –, in der Erzählung selbst wird dieses Motiv indes halachisch-narrativ geschickt mit ehe- und prozessrechtlichen Aspekten vermengt, die den eigentlichen „plot“ ausmachen. Dementsprechend spielt es bei der Lösung des Problems überhaupt keine Rolle mehr.

Inhaltlich gesehen gehört der Fall somit in das juristische Umfeld von Dtn 22,13-21 – behandelt wird der Kasus der Verleumdung einer untadeligen Ehefrau. Literarisch-strukturell ist eine gewisse Nähe dieses Kapitels zu dem narrativen ethischen Diskurs von Gen 38 kaum zu übersehen: Es geht um ein pikantes und besonders verwickeltes Beispiel, sind doch die beiden lüsternen Greise Richter, die sich mit falschem Zeugnis dafür rächen, daß sich die keusche Ehefrau Susanna nicht von ihnen verführen ließ; d.h. zusätzlich zu sexualethisch relevanten Aspekten wird hier implizit der Rechtsgrundsatz „auf zweier Zeugen Mund sollst Du ein Urteil sprechen“ (Dtn 17,6) problematisiert.

Ein wesentlicher Unterschied darf bei dem naheliegenden Vergleich mit Gen 38 freilich nicht übersehen werden: Im Fokus der Erzählung steht hier eine Person außerhalb der Handlung, der weise Daniel. Er erscheint quasi in letzter Minute als eine Art „Deus ex machina“ zur Rettung der bereits zum Tode verurteilten Susanna, deckt durch geschickte Einzelbefragung das lustbedingte Fehlverhalten der beiden Rechtsbrecher souverän auf und führt diese der gerechten Strafe – der Todesstrafe – zu. Stark vereinfacht gesagt: Die Susanna-Geschichte ist eine Erzählung „ad maiorem Danielis gloriam“ („zum größeren Ruhme Daniels“) mit sexuellem Hintergrund, Daniel ist ein idealtypischer weiser Richter wie Salomo (vgl. 1Kön 3,16-28) und steht über den Dingen. In Gen 38 gibt es dagegen keinen „strahlenden Sieger“, der Text warnt vielmehr vor vorschnellem Urteilen und zielt auf Einsicht, er will den Leser dazu veranlassen, sexualethische Probleme diskursiv anzugehen und die Motive aller Beteiligten bei der Lösung zu berücksichtigen.

Judit 05 20Jh Franz von Stuck

Um die Verherrlichung einer Person geht es auch im Buch → Judit, nur geht es in diesem Fall um den Ruhm einer Frau, die als Hauptfigur der Erzählung dem Buch seinen Namen gegeben hat, einer Frau zudem, deren Verhalten – anders als das des Daniel – nicht vorbehaltlos als ideales Vorbild gelten kann, es sei denn man identifiziert sich einseitig mit den bedrängten Israeliten, die nahe davor sind, das belagerte → Betulia (Jerusalem?) an die „Assyrer“ unter → Holofernes zu übergeben. Judit, eine bis dahin (und auch danach bis zu ihrem Tod) keusch lebende Witwe, setzt in dieser Notsituation ihre außergewöhnliche sexuelle Attraktivität dazu ein, um problemlos in das Zelt des Anführers des feindlichen Heeres zu gelangen. Im Sinnestaumel – verstärkt durch exzessiven Weingenuss – verzichtet dieser auf alle Vorsichtsmaßnahmen und verbringt die Nacht in seinem Zelt allein mit Judit. Sie schlägt dem Schlafenden den Kopf ab und bringt letzteren nach Betulia. Die vom Tod ihres Anführers geschockten Feinde fliehen und werden von den nachsetzenden Israeliten niedergemacht. Auch im Fall dieser späten legendarischen Erzählung gibt es eine vergleichbare ältere (oben in 2.3.2. angesprochene) Überlieferung, in der freilich die Rollen etwas anders verteilt sind und der Besiegte ein Israelit ist: Delila erfährt in einer Liebesnacht das Geheimnis der Kraft des Simson – den Umstand, dass seine sieben Locken nie von einem Schermesser berührt wurden –, lässt letztere durch einen herbeigerufenen Philister abschneiden und Simson auf diesem Wege wehrlos werden, so dass die Philister ihn gefangen nehmen und blenden können (Ri 16). In beiden Erzählungen ist das eingangs angesprochene Thema „Sexualität und Macht“ thematisiert, hier allerdings einmal aus der Perspektive von Frauen.

2.4. Die Prophetenbücher

2.4.1. Das Verhältnis Jahwe – Israel bzw. Jahwe – Juda / Jerusalem (Hos, Jer, Jes, Ez)

Ohne einen Blick in die Literatur des Zweistromlands und in die Mythologie Kanaans lässt sich schwerlich verstehen, warum im → Hosea-, → Jesaja- und → Ezechielbuch das Verhältnis Jahwe – Israel bzw. Jahwe – Juda / Jerusalem so beschrieben werden kann, dass mehrere Textpartien von sexueller Symbolik quasi dominiert werden. Einzelheiten betreffs der sexuellen Ausschweifungen von weiblichen und männlichen Göttern – etwa der babylonischen Ischtar (→ Ischtar) oder des Göttervaters des ugaritischen Pantheons, El (→ El) – können hier nicht breit vorgestellt werden. Im Blick auf Babylon sei immerhin auf die Anthologie von V. Haas verwiesen und was → Ugarit betrifft, mag ein Hinweis auf den von sexuellen Anspielungen und Realdarstellungen strotzenden Text von Schahar und Schalim (KTU 1.23) genügen, um deutlich zu machen, dass im Alten Orient (nicht anders als in Griechenland) Götter ganz selbstverständlich als sexuell aktive Wesen gesehen wurden. Wenn dort davon erzählt wurde, wie sich Götter mit menschlichen Frauen einließen, hatte das die Funktion, die Nachkommen des auf diese Weise gezeugten (mythischen) Ahnherrn einer Dynastie als legitime Herrscher auszuweisen, daneben spielte aber auch der Ritus bzw. das Konzept der Heiligen Hochzeit eine wichtige Rolle. Er / es hat die Funktion, Verbindungen zwischen göttlicher und menschlicher Welt herzustellen – und dies nicht nur im Kontext der Sicherung der Fruchtbarkeit des Landes (vgl. dazu Nissinen).

Von daher ist es gut zu verstehen, dass auch die israelitischen bzw. judäischen Propheten Bilder aus dem Bereich der Sexualität verwenden – sie freilich mit der Intention, das in Unordnung geratene Verhältnis Israels bzw. Juda / Jerusalems zu seinem Gott zu beschreiben und anzuprangern, dem allein „Israel“ als Partner(in) gehört. Die Wahl des Bildes einer Beziehung zwischen Frau und Mann lag schon insofern nahe, als sich hinter der → „Tochter Zion“ aller Wahrscheinlichkeit nach nichts anderes verbirgt als die alte kanaanäische Stadtgöttin von Jerusalem, die seit der Überführung des Jahwe-Symbols der Lade nach Jerusalem in einer Verbindung mit Jahwe stand; und diese Verbindung ist wiederum wohl in Analogie zu dem Verhältnis zwischen dem „Jahwe von Samaria und seiner Aschera“ zu sehen, das in den Texten von Kuntillet ‘Aǧrūd dokumentiert ist (→ Kuntillet Aǧrūd [Kuntillet Agrud]). Mag man auch bei einem oberflächlichen Blick auf die Texte den Eindruck haben, es gehe in all den einschlägigen Texten nur um „Ehe“ im Sinn des Dekalogs, also um besitzrechtliche Aspekte, wird man bei genauerem Hinsehen rasch eines besseren belehrt: Das Verhältnis Jahwe – Israel wird ohne jede Zurückhaltung als eine erotische Beziehung gesehen, und dementsprechend strotzen die Texte von Begriffen aus dem sexuellen Bereich. Ja, es findet sich eine Reihe von mehr oder weniger ausführlichen Schilderungen von Szenen, in denen sexuelle Kontakte eine Rolle spielen.

An erster Stelle ist in diesem Zusammenhang das Hoseabuch zu erwähnen (→ Hoseabuch), und darin zunächst als wohl authentische (und damit älteste) Belege für eine Aufnahme der diesbezüglichen Vorstellungen durch den Propheten der Selbstbericht Hos 3,1-4 und die Wortzusammenstellung Hos 2,4-17 (vgl. zur Analyse von Hos 1-3 Jeremias, 19 bzw. 24-58). Die Aufforderung Jahwes an den Propheten, eine ehebrecherische Frau so zu lieben, wie Jahwe die Israeliten liebt, lässt keinen Zweifel daran, dass das Verhältnis Jahwe – Israel als ein sexuelles Verhältnis gedacht ist (auch wenn die Symbolhandlung darauf hinausläuft, dass der Prophet zunächst für längere Zeit mit der Frau nicht verkehren darf). Hosea zahlt jedenfalls für die Frau – den Landessitten entsprechend – einen angemessenen Preis: Ob es der Brautpreis für eine neue Ehefrau ist, der Preis für den Umgang mit einer Kultprostituierten oder der für den Rückerwerb der ersten, dem Propheten untreu gewordenen Frau, ist umstritten, aber im Blick auf die in Rede stehende Problemstellung unerheblich. Für die letztgenannte Annahme spricht eigentlich nur die Positionierung der Erzählung nach Kap. 1 und das von den Masoreten wohl absichtsvoll qua Akzent falsch zugeordnete עוד (Hos 3,1a); die indeterminierte Verwendung des Wortes אשׁה „Frau“ (Hos 3,1) macht diese Lösung indes wenig wahrscheinlich. In jedem Fall ist aber klar: Der Jahwe, den Hosea zeichnet, ist kein asexuelles Wesen – ganz im Gegenteil.

Unverblümt werden denn auch in Hos 2,4-17 Lexeme aus dem Bereich der Sexualität gebraucht, um das Verhältnis Israels zu Jahwe bzw. zu den als Liebhabern gezeichneten Baalim zu beschreiben (vgl. auch den pauschalen Vorwurf der Hurerei in Hos 5,3f; Hos 6,10): In den in Hos 2 sekundär zusammengestellten Worten geht es um eheliche und außereheliche sexuelle Handlungen. Ja, wenn Jahwe in Hos 2,16 die Wiederaufnahme der Beziehung zu der untreuen Ehefrau Israel ankündigt, wird sogar das Lexem פתח verwendet, das in Ex 22,15 für die Verführung einer Jungfrau zum Beischlaf verwendet ist; diese Konnotation wird durch הלך Hif. „verführen“ noch zusätzlich verdeutlicht. Auch dass Jahwe mit Israel in der Wüste ohne die Anwesenheit von Zeugen sprechen wird (דבר; dazu s.o. 2.1.1.), verweist in diesen Kontext – ja das Lexem wird insofern noch deutlicher in Richtung auf ein Verständnis der Stelle als Ankündigung eines sexuellen Kontakts hin gewendet, als Jahwe Israel „zu Herzen“ spricht. Vollends unmöglich wird eine asexuelle Interpretation des im Prophetenbuch vorausgesetzten Gottesbildes, wenn man in Rechnung stellt, dass gemäß dem Fremdbericht Hos 1,2-9 der Prophet als „Repräsentant“ Jahwes mit der – Israel symbolisierenden – hurerischen Frau Gomer Kinder zeugt, die wiederum symbolisch Israel in verschiedenen Stufen der Gottferne repräsentieren.

Nicht umsonst zeigen sich selbst in dem ganz anders orientierten, aber traditionsgeschichtlich eng mit dem Hoseabuch verbundenen Jeremiabuch (→ Jeremiabuch) Spuren dieses Denkens – so etwa in Jer 3,1-10 und Jer 13,27 –, dies unbeschadet der Tatsache, dass im Jeremiabuch dank einer rigiden deuteronomistischen Überarbeitung „kanaanäische“ (d.h. sexuelle Praktiken einschließende) Formen der Religiosität wie der Kult der „Himmelskönigin“ mit fast missionarisch anmutendem Eifer als Abfall von Jahwe gedeutet werden (vgl. Jer 7,18; Jer 44,17-25). Ein Satz wie: „Dein Ehebrechen und dein Wiehern, die Schandtat deiner Hurerei auf den Hügeln und im Feld: Deine Gräuel habe ich gesehen“ (Jer 13,27a), in dem Juda / Jerusalem als geile Stute gezeichnet ist, lässt jedenfalls deutlich erkennen, dass Jeremia in der gleichen religiösen Bildwelt beheimatet ist wie Hosea. Letztlich ließe sich sogar die Kritik am Kult der Himmelskönigin in diesen Kontext einreihen – jedenfalls wenn man unterstellen könnte, dass dieser Kult von den deuteronomistischen Redaktoren als ein homoerotisches Pendant zu dem „huren“ hinter den Baalim verstanden wurde. Wie hurerisches Verhalten im Gottesverhältnis parallel gehen kann mit Tempelprostitution, ja mit Ehebruch im zwischenmenschlichen Bereich, ist in Hos 4,12-19 ausführlich verhandelt. Die Passage steht somit irgendwo zwischen den in 2.4.1. und 2.4.2. angesprochenen Aspekten.

Überhaupt keine Zurückhaltung im Blick auf die Verwendung von Bildern aus dem Bereich der Sexualität kennt der Jerusalemer Jesaja, der im sog. Weinberglied (Jes 5,1-7) das Verhältnis Jahwe – Jerusalem bzw. Jahwe – Juda in unnachahmlicher Weise als gescheiterte erotische Beziehung gezeichnet hat (→ Jesaja). Als Bürger Jerusalems wusste er offenbar noch um die mit der „Tochter Zion“ verbundenen Vorstellungen einer anthropomorph verstandenen Gottesbeziehung, bei denen die sexuelle Komponente nicht ausgeblendet war; und über Bilder aus diesem Bereich suchte er die theologischen Defizite anderer in Juda / Jerusalem aufgenommener Konzepte zu kompensieren.

Die geringsten Hemmungen, „Israels“ Verhältnis zu seinem Gott mit Bildern aus dem sexuellen Bereich zu beschreiben, lassen sich im Buch Ezechiel wahrnehmen (→ Ezechiel). Die Vermutung ist nahe liegend, dass dieser Prophet angesichts seiner Inkulturation im Zweistromland dort umlaufende Mythen – insbesondere die von der Jungfrau und Hure Inanna-Ischtar – ganz bewusst seiner theologischen Intention dienstbar machte. Ähnlich realitätsnahe (oder gar drastischere) Schilderungen sexueller Details wie in Ez 16 und Ez 23 wird man im Alten Testament schwerlich finden. So wird die perfekte bräutliche Ausstattung der mittellosen Waisen Juda / Jerusalem durch Jahwe geschildert (Ez 16,7-13), so werden redundant sexuelle Realien wie das Wachsen der weiblichen Brüste (Ez 16,7) und vor allem sexuelle Praktiken erwähnt, die Juda / Jerusalem bzw. Ohola und Oholiba an sich (entgegen den berechtigten Erwartungen des „Eheherrn“ Jahwe) nicht von diesem, sondern von anderen Göttern bzw. von deren Verehrern vollziehen ließen – Grund genug für dessen Grimm. Sie reichen vom Vorspiel des Betastens der Brüste (Ez 23,8) über das Aufdecken der Blöße bzw. der Scham (Ez 16,36 u.ö.) bis hin zum Beischlaf (Ez 23,17 u.ö.). Liest man – ausgehend von Ez 23,40-45 – diese beiden Kapitel der Textlogik folgend umgekehrt als positive Formulierung des Rechtsanspruchs Jahwes, wird deutlich, wie selbstverständlich Ezechiel davon ausging, dass Jahwe ein sexuell konnotierter Gott war: Was Ezechiel kritisiert, ist nicht die Einbeziehung des Sexuellen ins Gottesbild, Kritikpunkt ist vielmehr die hurerische Hingabe Israels bzw. Juda / Jerusalems an die falschen Partner.

2.4.2. Die Anklage sexuellen Fehlverhaltens

Seltsamerweise finden sich in prophetischen Scheltreden demgegenüber nur selten Verweise auf sexuelles Fehlverhalten im zwischenmenschlichen Bereich als Grund für das Strafhandeln Jahwes. Neben Hosea, der in dem Summar Hos 4,2 beklagt, dass sich „Verfluchen und Lügen, Morden, Stehlen und Ehebrechen“ im Lande ausgebreitet haben, „und Bluttat … an Bluttat“ reiht (vgl. Hos 7,4), ist es v.a. Jeremia, der Ehebruch anprangert – andere sexualethisch relevante Aspekte kommen kaum vor. Einschlägige Stellen finden sich in Jer 5,7f; Jer 9,1b; Jer 23,14 und Jer 29,23, wobei man freilich im Blick auf Jer 5,7f angesichts der sprachlichen und inhaltlichen Nähe dieser Stelle zu Jer 13,27a fragen kann, ob dort nicht unterschwellig doch die sexuelle Beziehung zwischen Jahwe und Juda / Jerusalem gemeint ist oder aber zumindest mitspielt: Beim Vorwurf der Hurerei an die Tempeldirnen des kanaanäischen Kults zu denken, liegt jedenfalls nahe. Die summarische Anklage Jer 7,9, die deutlich an Hos 4,2 anknüpft, gehört demgegenüber zu den deuteronomistischen Teilen im Buch. In einem Summar erscheint das Phänomen des Ehebruchs auch in Mal 3,5.

Sexualethisch relevant ist daneben nur noch eine Passage im Israelspruch Am 2,7 – ein Rekurs auf die Inzestverbote von Lev 18; Lev 20: „Sohn und Vater gehen zu demselben Mädchen, um meinen heiligen Namen zu entheiligen“.

2.5. Das Hohelied

Das alttestamentliche Buch, in dem Liebe und Sexualität im Zentrum stehen, hat sowohl in der jüdischen wie in der deutschen Tradition einen Namen bekommen, der kaum erkennen lässt, worum es hier eigentlich geht: שׁיר השׁירים „Lied der Lieder / größtes Lied“ ist ein den Inhalt völlig ausblendender Titel; und der von Luther geprägte Titel „das → Hohelied“ soll aller Wahrscheinlichkeit nach die Assoziation wecken, hier liege das alttestamentliche Pendant zu 1Kor 13 vor und dementsprechend gehe es um die agapē und nicht um den erōs. In diesem Titel ist das mittelalterliche rein geistliche Verständnis der Textes aufgenommen – der Anspruch Luthers, die Bibel von der dogmatischen Verfälschung durch die katholische Tradition zu befreien und dem Leser anstelle des sensus allegoricus den sensus litteralis zu bieten, ist dagegen schlicht vergessen. Dabei ist bereits durch den ersten Satz nach der Überschrift: „Er küsse mich mit Küssen seines Mundes!“ (Hhld 1,2), die erotisch-sexuelle Ausrichtung der folgenden Texte unmissverständlich vorgegeben, zumal die hier zweimal verwendete hebräische Wurzel נשׁק „küssen“ den gemeinten Akt onomatopoetisch unterstreicht und auch die folgenden Sätze in ihrem erotischen Gehalt kaum misszuverstehen sind – es geht um Liebe und Wein. Immer wieder ist dann im Folgenden vom כרם „Weinberg“ oder auch vom גן „Garten“ die Rede, in den der junge Mann „eingehen“ (בוא) soll / will (zu den Termini s.o. 2.1.1.). Vollends absurd wird der Versuch einer von allen sexuellen Bezügen „gereinigten“ geistlichen Lesung angesichts der vier längeren Beschreibungslieder, in denen die Schönheit des Partners und insbesondere seine erotisch-sexuell relevanten Körperteile in prallen Bildern vorgestellt werden – sexuell relevante Details werden aber auch in kürzeren Einheiten rühmend hervorgehoben. Wird in Hhld 4,1-7; Hhld 6,4-7; Hhld 7,1-8 die Geliebte in allen erotisch relevanten Details – von den Haaren über die Brüste bis hin zum Venushügel (Hhld 4,6) bzw. zur Vagina (Hhld 7,2) – vorgestellt, so ist Hhld 5,10-16 dem Geliebten gewidmet, an dem alles begehrenswert ist (Hhld 5,16). Wieder und wieder wird von Liebesakten gesprochen, die entweder real angebahnt (so Hhld 1,8-14; Hhld 7,9-10; Hhld 7,11-14; Hhld 8,6-7), vollzogen (so etwa Hhld 1,3-7; Hhld 3,1-5; Hhld 5,1; Hhld 6,1-3; Hhld 6,11) oder aber im Traum bzw. in der Phantasie erlebt werden (so wohl Hhld 5,2-7; Hhld 8,1-4).

Dass in dieser „herrlichste(n) Sammlung Liebeslieder, die Gott erschaffen hat“ (Goethe) Sexualität in extrem positiver Weise dargestellt ist, ist das eine – dass die Sammlung in das Alte Testament aufgenommen und damit auf Gott bezogen wurde, ist das andere. Der damit initiierte Streit um die Möglichkeit einer „geistlichen“ Lesung ist so alt wie die Übernahme der Sammlung in die heiligen Schriften der Juden und Christen. Fast ebenso alt ist der Versuch, das Problem durch eine allegorische Lesung der Texte zu lösen – dass dies indes keine Lösung ist, ist sensus communis der historisch-kritischen Exegese. Wenn man allerdings die oben (2.4.1.) vorgestellten Fakten ernst nimmt und in Rechnung stellt, dass Jahwe keineswegs ein „asexuelles Wesen“ ist, dass sein Verhältnis zu Israel bzw. zu Juda / Jerusalem vielmehr in Teilen der alttestamentlichen Tradition schon immer als das eines Liebhabers / Ehemanns gesehen wurde, erklärt sich die Aufnahme der Liebesdichtungen in die Bibel quasi von selbst. In dieser Hinsicht ist Gott „menschenebenbildlich“ bzw. der Mensch „gottebenbildlich“; es ist freilich eine andere Ebenbildlichkeit als die in Gen 1 vorausgesetzte (→ Gottebenbildlichkeit). Von daher ist eine theologische Lesung der Texte auch ohne den Umweg der Allegorese möglich, wenn auch keine „geistliche“ im kirchlich-prüden Sinn: Wenn der Gott des Hosea, des Jesaja oder des Ezechiel Eifersucht entwickeln kann, kann er auch Freude an der Liebe und Lust an der Geliebten empfinden – auch der Mensch kann und darf die Liebe genießen, „solange die Lust währt“ (Hhld 2,7; Hhld 3,5; Hhld 8,4). Die allegorische, die rein „geistliche“ Lesung der Texte ist demgegenüber das Produkt einer Zeit, in der sich im Gefolge einer v.a. im Osten des Römischen Reichs um sich greifenden Abwertung alles Leiblichen im Judentum wie im Christentum eine restriktive Sexualmoral durchsetzte. Die Kraft des Eros, der stärker ist als der Tod (Hhld 8,6), wurde aus dem Gottesbild getilgt und dämonisiert. Die damit angebahnte und bis heute latent vertretene Gleichsetzung von Sünde und Sexualität ist ein Irrtum der Christenheit, der von einer theologischen Lesung des Hohenlieds her zu korrigieren ist.

Literaturverzeichnis

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  • Müller, H.-P., 1976, Die lyrische Reproduktion des Mythischen im Hohenlied, ZThK 73, 23-41
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  • Wolff, H.W., 1973, Anthropologie des Alten Testaments, München
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Abbildungsverzeichnis

  • Adam und Eva (Hans Baldung; 1538).
  • Abimelech beobachtet Isaak und Rebeka (Raffael; Fresco im Vatikan; 1518-19).
  • Isaak und Rebekka (Rembrandt; 1668).
  • Jakob und Rahel (William Dyce; 1853).
  • Lot und seine Töchter (Albrecht Altdorfer; 1537).
  • Juda und Tamar (Horace Vernet; 1840).
  • Josef und Potifars Frau (Peter Anton Abesch, um 1725).
  • Die Schandtat von Gibea (Gustave Doré; 1865).
  • Simson und Delila (Max Liebermann; 20. Jh.).
  • David und Abischag von Schunem (Bible moralisée; 13. Jh.).
  • David und Batseba (Bible moralisée; 13. Jh.).
  • Die Richter bedrängen Susanna (Artemisia Gentileschi; 1610).
  • Judit im Begriff, Holofernes zu töten (Franz von Stuck; 1926).

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