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Andere Schreibweise: Moria; Moriah (engl.)

(erstellt: März 2015)

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1. Alttestamentlicher Befund

Morija (מֹרִיָּה môrijjāh) taucht im Alten Testament zweimal auf, in Gen 22,2 als „Land Morija“ (אֶרֶץ הַמֹּרִיָּה ’æræṣ hammorijjāh) und in 2Chr 3,1 als „Berg Morija“ bzw. „Gebirge Morija“ (הַר הַמּוֹרִיָּה har hammôrijjāh); dass darüber hinaus Ps 76,12 mit dem Gottestitel „der Furchtbare“, ggf. textlich anders gelesen, eine Anspielung auf Gen 22 bietet (so Seybold 297), ist unwahrscheinlich. In Inschriften oder in von den biblischen Nennungen unabhängiger Literatur ist „Morija“ nicht belegt. Im Hebräischen wird „Morija“ in den beiden genannten biblischen Fällen nicht strikt als Eigenname behandelt, sondern determiniert, also mit Artikel versehen. Das ist nicht nur eine Eigenart der masoretischen Vokalisierung, der Artikel ist auch am vormasoretischen Konsonantenbestand erkennbar.

Septuaginta und → Vulgata geben Morija an den beiden Stellen jeweils unterschiedlich wieder. In Gen 22,2 bieten sie vielleicht wegen des Artikels keinen Namen, sondern ἡ γῆ ἡ ὑψηλή „das hohe Land“ (die LXX ohne textliche Abweichung; oder hat sie eine andere Buchstabenfolge gelesen, nämlich רמ statt מר? Ähnlich übrigens Jub 18,2) bzw. terra Visionis „Land der Schauung“ (die modernen Ausgaben schreiben „visionis“ groß). Dagegen behandeln sie „Morija“ in 2Chr 3,1 offenkundig als Eigen- bzw. Ortsnamen: τὸ ὄρος τοῦ Ἁμορια „Berg des Hamoria“ (so die Aspirierung in der Göttinger Septuaginta von Hanhart 2014, anders, als Amoria, in der Septuaginta Deutsch) bzw. mons Moria „Berg Moria“.

2. Etymologie

Für das ursprüngliche Verständnis muss man die Wortbildung beachten:

1. Morija hat eine vorangesetzte Determination (ha-), was bei Orts- und Landschaftsnamen keineswegs unmöglich ist, aber gleichzeitig, weil Name, auch nicht nötig ist.

2. Die Endung „-ja“ kann durchaus ein typisches theophores Element (kontrahiert aus Jahu für JHWH) sein, wie bei → Elia oder → Hiskia etc.

3. Die verbleibende Silbe „mor“ bzw. „mori“ ist vieldeutig. Die beiden üblichen, eher volksetymologischen und philologisch nicht abzusichernden Deutungen gehen von Defektivschreibungen entweder des Verbums ירא jr’ „fürchten“ oder des Verbums ראה r’h „sehen / schauen“ aus, so dass sich „Land der Furcht (JHWHs)“ bzw. „Land der Schau (JHWHs)“ ergibt. Daneben kommen, philologisch plausibler, Homonyme der Wurzel ירה jrh „schießen / lehren“ in Betracht (insbesondere: Land des Lehrers JHWH); zu weiteren, schon spätantiken Erwägungen vgl. die Diskussion um die Etymologie im Midrasch Bereschit Rabba 55,7.

Die beiden Verben „fürchten“ und „sehen“ spielen auch sonst im Text eine leitwortartige Rolle; das Verb „sehen“ taucht außerdem in der zweiten Ortsbenennung des Textes, in Gen 22,14, auf. „Schau“ bezeugen in Gen 22 neben der Vulgata auch die griechischen Sekundärübersetzungen Aquila und Symmachos, ähnlich das samaritanische Targum. „Furcht“ o.ä. lesen die Targume Onkelos bzw. Pseudo-Jonathan und wohl auch der Samaritanus (anders Seebass, Willmes).

Die syrische Übersetzung bietet in Gen 22 „Land der Amoriter“, was manche sogar als ursprüngliche Lesung bevorzugen (Ruppert 513.521). Zu weiteren innovativen Lesarten und auch Identifikationen vgl. Kalimi 1990, 347-350.

3. Identifizierung des Landes bzw. Berges Morija

3.1. 2Chr 3,1. Der Vers 2Chr 3,1, der im Hebräischen ganz offenkundig mit V.2 konkurriert, ist ein chronistischer Eigentext, denn er hat in der Erzählung vom Bau des salomonischen Tempels in 1Kön 5f keine Vorlage. 2Chr 3,1 identifiziert den „Berg Morija“ eindeutig als den Ort, an dem der Tempel in Jerusalem errichtet wurde, also als den Tempelberg. Dieser Ort ist nach 2Chr 3,1 gleichzeitig die Stätte, „wo er (= JHWH) seinem Vater David erschienen war, die er bestimmt hatte am Ort Davids, auf der Tenne des Jebusiters Arauna“ (→ Arauna). Der hebräische Text ist offenkundig schwierig, deshalb folgen die meisten Übersetzer der Umstellung der Septuaginta bzw. Vulgata: „erschienen war, an dem Ort, den David bestimmt hatte, auf der Tenne...“ (andere Verständnismöglichkeiten bei Mittmann 76). Es wird damit in 2Chr 3,1 an eine Theophanie (→ Epiphanie) erinnert, allerdings nicht an diejenige gegenüber → Abraham (mit gleicher Terminologie: Gen 22,14), sondern an eine gegenüber → David. Letzteres stimmt nicht ganz mit dem Kontext von 1Chr 21 übereinstimmt, insofern 1Chr 21,16ff wie schon die Vorlage 2Sam 24,16ff nur eine Angelophanie („des Boten“ bzw. „des Boten JHWHs“) erwähnt.

3.2. Gen 22,2. Gen 22 bietet für die Lokalisierung des ansonsten unbekannten „Landes Morija“ bzw. der „Landschaft Morija“ keine direkten Anhaltspunkte, allerdings gibt es im „Land Morija“ mehrere „Berge“. Einer dieser Berge ist derjenige, auf dem → Isaak geopfert werden soll; dieser Berg ist natürlich nicht automatisch der „Berg Morija“. Nur indirekt vermag man durch den möglicherweise sekundären Kontext die Lokalisierung des Berges einzugrenzen, wenn der Autor des Textes überhaupt in solchen Realien gedacht hat: Nach Gen 21,23.33.34 befindet sich Abraham in → Beerscheba als → Fremder im (Gen 21,23) bzw. neben dem Land der → Philister (Gen 21,32) und beendet die Reise entsprechend Gen 22,19 in Beerscheba. Wenn man den „dritten Tag“ in Gen 22,4 nicht ohnehin für einen literarischen Topos hält, mag man mit dem Zirkel einen Kreis um Beerscheba schlagen. Dann sieht man, dass man von der Lokalität Beerscheba aus in drei Tagesmärschen durchaus Jerusalem erreichen (Luftlinie etwas über 70 km) bzw. „den Ort von weitem sehen“ (Gen 22,4) kann. Allerdings nur den Ort Jerusalem, nicht den Tempelberg, der nicht zu den weithin sichtbaren Erhebungen der Stadt gehört, es sei denn, man nähert sich der Stadt von Süden durch das Kidrontal. Nur dann ist der oberhalb der Davidsstadt gelegene Tempelberg in bestimmten Durchsichten auch schon aus wenigen Kilometern Entfernung einsehbar. Freilich würde man von Beerscheba kommend kaum durch das Kidrontal vorstoßen. Außerdem ist die Richtung des ohnehin vielleicht topologischen Dreitagesmarsches im Text von Gen 22 ja gar nicht festgelegt.

Tatsächlich hängt für die Frage, ob der ursprüngliche Text von Gen 22 mit „Morija“ ein reales Land mit einem realen Berg vor Augen hat, auch von der Datierung des Textes ab. Hält man ihn für älter als 2Chr 3, etwa für spätvorexilisch oder exilisch, dann trägt wie die Figuren Abraham und Isaak wohl auch die Benennung des Ortes stark fiktionalen Charakter, deren Funktion wir freilich nicht mehr zweifelsfrei erheben können. Auffällig ist, dass Gen 22 und Gen 12, zwei Texte, die auch sonst sehr eng zusammenhängen, jeweils ähnlich lautende, kryptische Ortsnamen bieten, vgl. Gen 12,6 אֵלוֹן מוֹרֶה ’elôn môræh (dazu Steins 144; Mittmann 80).

Anders müsste man dies beurteilen, wenn man „Morija“ bzw. das „Land Morija“ in Gen 22,2 für eine literarisch sekundäre Ergänzung in einem älteren Text hält, wie von der älteren Exegese gern angenommen (so zuletzt Willmes 40). Weil der Text von Gen 22,2 ohne die Richtungsangabe „in das Land Morija“ sprachlich unvollständig wäre, müsste man annehmen, dass „Morija“ einen ursprünglich anderen Namen verdrängt hat, was an sich wenig Plausibilität in sich trägt. Unter der schwierigen Voraussetzung eines solchen späteren Eintrags bzw. einer späteren Korrektur, die praktisch gleichzeitig mit 2Chr 3,1 anzusetzen wäre, würde „Morija“ im Text wohl ursprünglich auf Jerusalem verweisen. So ließe sich auch argumentieren, wenn man wie etwa Steins Gen 22 insgesamt für einen sehr späten, nachexilischen Text hält, dessen Entstehung schon in das Umfeld der Entstehung der Chronikbücher im 4. Jh. v. Chr. fällt. Aber wahrscheinlicher als ein Bezug auf Jerusalem ist doch eine symbolische Bezeichnung, deren Sinn wir nicht mehr eindeutig feststellen können.

4. Rezeption

Die ausdrückliche Identifikation des Berges, an dem Isaak geopfert werden sollte, mit dem Zion bzw. dem Tempelberg findet sich auch in der zwischentestamentlichen Literatur, und zwar in Jub 18,13; auch Flavius Josephus redet von Morija (Antiquitates I,13,1; VII,14,4; Text gr. und lat. Autoren), wohl auch 4QPseudo-Jubiläen in einer rekonstruierten Lesung (DJD XIII, 146f; → Qumrantexte). Für die nachfolgende jüdisch-rabbinische Tradition ist die Lokalisierung des Berges Morija in Jerusalem gesetzt (Hoping / Kalimi 96): Selbstverständlich ist er dort der Zionsberg. Ebenso entschieden ist, wegen der frühen Christus-Typologie, auch die christliche Tradition (schon bei Melito von Sardes im 2. Jh. n. Chr., vgl. Böhm 131), dann aber auch teilweise mit christentumsspezifischeren, das Judentum enteignenden Golgotha-Traditionen überlagert. Die samaritanische Tradition identifiziert Morija mit dem Berg Garizim – natürlich ohne die judäische Tradition in 2Chr 3,1 zu beachten bzw. in Konkurrenz dazu. In der realen Welt freilich ist ein Dreitagesmarsch von Beerscheba aus an den Berg Garizim (Luftlinie ca. 120 km) in Kinderbegleitung deutlich schlechter vorstellbar.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1993-2001
  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
  • Herders Neues Bibellexikon, Freiburg 2008
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003

2. Weitere Literatur

  • Blum, E., 1984, Die Komposition der Vätergeschichte (WMANT 157), Neukirchen-Vluyn.
  • Böhm, Th., 2009, Die Bindung Isaaks in ausgewählten Texten der Kirchenväter, in: H. Hoping / J. Knop / Th. Böhm (Hgg.), Die Bindung Isaaks. Stimme, Schrift, Bild (Studien zu Judentum und Christentum), Paderborn u.a., 128-142.
  • Diebner, J., 1986, „Auf einem Berg im Lande Morija“ (Gen 22,2) oder: „In Jerusalem auf dem Berge Morija" (2Chr 3,1), DBAT 23, 180-185.
  • Diebner, J., 1998, Noch einmal zu Gen 22,2: ארץ המריה, DBAT 29, 58-72.
  • Hoping, H. / Kalimi, I., 2009, Die Bindung Isaaks. Anmerkungen zum biblischen Text und zur rabbinischen Theologie, in: H. Hoping / J. Knop / Th. Böhm (Hgg.), Die Bindung Isaaks. Stimme, Schrift, Bild (Studien zu Judentum und Christentum), Paderborn u.a. 89-113.
  • Jericke, D., 2013, Die Ortsangaben im Buch Genesis. Ein historisch-topographischer und literarisch-topographischer Kommentar (FRLANT 248), Göttingen.
  • Kalimi, I., 1990, The Land of Moriah, Mount Moriah and the Site of Solomon’s Temple in Biblical Historiography, HThR 83, 345-362.
  • König, E., 1919, Die Genesis, Göttingen.
  • Michel, A., 2003, Gott und Gewalt gegen Kinder im Alten Testament (FAT 37), Tübingen.
  • Mittmann, S., 2000, ha-Morijja – Präfiguration der Gottesstadt Jerusalem (Genesis 22,1-14.19). Mit einem Anhang: Isaaks Opferung in der Synagoge von Dura Europos, in: M. Hengel / S. Mittmann / M.A. Schwemer (Hgg.), La cité de Dieu: Die Stadt Gottes. 3. Symposium Straßbourg, Tübingen, Uppsala 19-23 September 1998 in Tübingen (WUNT 129), Tübingen, 67-97.
  • Ruppert, L., 2002, Genesis. Ein kritischer und theologischer Kommentar. 2. Teilband: Gen 11,27-25,18 (fzb 98), Würzburg.
  • Schnocks, J., 2014, Das Alte Testament und die Gewalt. Studien zu göttlicher und menschlicher Gewalt in alttestamentlichen Texten und ihren Rezeptionen (WMANT 136), Neukirchen-Vluyn.
  • Seebass, H., 1997, Genesis II. Vätergeschichte I (11,27-22,24), Neukirchen-Vluyn.
  • Seybold, Klaus, 1996, Die Psalmen (HAT I/15), Tübingen.
  • Steins, G., 1999, Die „Bindung Isaaks“ im Kanon (Gen 22). Grundlagen und Programm einer kanonisch-intertextuellen Lektüre (HBS 20), Freiburg u.a.
  • Veijola, T., 1988, Das Opfer des Abraham – Paradigma des Glaubens aus dem nachexilischen Zeitalter, ZThK 85, 129-164.
  • Willmes, B., 2009, Die Prüfung Abrahams nach Gen 22,1-19, in: H. Hoping / J. Knop / Th. Böhm (Hgg.), Die Bindung Isaaks. Stimme, Schrift, Bild (Studien zu Judentum und Christentum), Paderborn u.a. 40-59.

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