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Erforschen

(erstellt: Januar 2012)

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„Erforschen“ steht in den deutschen Übersetzungen zumeist und vor allem für Hebräisch חקר ḥqr Qal (und חפשׂ ḥpś Qal), daneben in bestimmten Fällen für דרשׁ drš eigentlich „suchen / fragen / fordern“, צרף ṣrp „läutern / prüfen“ oder תור tûr „auskundschaften“. Neben „erforschen“ im engeren Sinne gehören auch „prüfen“, „einer Sache auf den Grund gehen“, genau untersuchen“, „ausfindig machen“ usw. in das Bedeutungsspektrum der genannten Verben. Im Folgenden wird besonders auf die hebräische Verbalwurzel חקר ḥqr eingegangen und ihre Verwendung in den unterschiedlichen Kanonteilen sowie in ihrer mutmaßlichen Entwicklung grob dargestellt. Die anderen in Frage kommenden Verben und ihre Besonderheiten werden ggf. entsprechend zugeordnet.

1. Tora und Geschichtsbücher

In den fünf Büchern Mose (Gen – Dtn) und in den Geschichtsbüchern (Jos – 2Kön) des Alten Testaments taucht das Wort – und damit der Vorgang – nur sehr selten auf, die wenigen Ausnahmen wie Ri 18,2 oder 2Sam 10,3 (par. 1Chr 19,3) sind profaner Natur und beziehen sich auf das Auskundschaften des Landes oder von Städten. 1Kön 7,47 (par. 2Chr 4,18) spricht etwa davon, dass die Bronze der Geräte für den davidischen Tempel zu schwer sei, als dass man das Gewicht bestimmen könnte.

Die Erforschung und Prüfung kann dabei durchaus auch in rechtlicher und / oder ethisch-religiöser Hinsicht erfolgen: Bevor Abtrünnige bestraft werden, soll die Sache genau geprüft werden – überhaupt ist einer Sache genau auf den Grund zu gehen, bevor ein Urteil gefällt werden kann (Sir 11,7 [Ms A]; Dtn 13,15 spricht weniger vom rechtlichen Sachverhalt als vom Gottesverhältnis der Übeltäter, dort auch דרשׁ drš wie Dtn 17,4 u.ö., vgl. dagegen Hi 34,24). → Jonatan erforscht den Willen seines Vaters (1Sam 20,12; vgl. auch Mt 2,7.16: Herodes, der die Magier befragt). Dem kann dann die ethisch-religiöse Prüfung entsprechen (im Sinne von Klgl 3,40: „Lasst uns erforschen und prüfen unsern Wandel und uns zu JHWH bekehren!“, s. auch unten 3.). Der juristischen Verwendung kann eine theologische entsprechen, wenn es um das Einholen eines Gottesurteils geht, vgl. etwa „Vorzeiten sagte man in Israel, wenn man ging, Gott zu befragen: Kommt, lasst uns zu dem Seher gehen!“ (1Sam 9,9; vgl. 1Kön 1,2-6).

2. Prophetenbücher

Wo in der prophetischen Literatur (Jesaja – Maleachi) vom „Erforschen“ die Rede ist, handelt es sich um späte Nachträge zu den Prophetenbüchern, in denen weisheitliche Topoi auf diese einwirken. So kann es in Jes 40,28b heißen, dass Gottes Einsicht unerforschbar, d.h. unergründlich sei, oder in Jer 17,10a in einer Reflexion über das Wesen des menschlichen Herzens, dass JHWH es sei, der „das Herz erforscht und die Nieren prüft“ (vgl. Apk 2,23). Mit dem → Herz als dem Sitz der Vernunft und des Verstandes und den Nieren, die mehr dem Bereich des inneren Gefühlslebens zuzurechnen sind, ist die Gesamtheit des → Menschen gemeint.

3. Schriften

Das Gros der Belege führt demnach unübersehbar in den dritten Kanonteil „Schriften“ (Psalter – 2Chronik), und dort genauer in die hymnische und weisheitliche Literatur Israels (→ Psalter, → Sprüchebuch, → Hiob usw.). Das verwundert schon von der Bedeutung des Wortes her nicht: Ist es doch die eigentliche Aufgabe des Weisen, „Erkenntnis mit Hilfe von Erfahrung“ zu sammeln (vgl. Lange, 1366). So gehört die möglichst genaue Untersuchung des Gegenstandes, seine detaillierte Prüfung (vgl. o. den profanen Sinn) dazu, seiner habhaft zu werden: „Siehe, das haben wir erforscht, so ist es“ (Hi 5,27; vgl. Hi 18,17; Hi 28,11 in der Bedeutung „durchschauen“). Von vergangenen Generationen erlangtes Wissen bleibt gültig (Hi 8,8), in Sentenzen wird es gebündelt (Pred 12,9: Der Prediger „erwog und erforschte und verfasste viele Sprüche“; Sir 6,27 [Ms A: Lutherbibel: Sir 6,28]: „Frage und forsche, suche und finde, und wenn du sie [die Weisheit] ergriffen hast, lass nicht mehr ab“, vgl. auch Sir 14,20-22 [Lutherbibel: Sir 14,22f.]).

Doch dem Erforschen des Weisen sind Grenzen gesetzt, und spätestens hier zeigt sich, dass sie charakteristisch und kategorial sind (vgl. etwa Spr 25,2: „Gottes Ehre ist es, eine Sache zu verbergen, und die Ehre der Könige, eine Sache zu ergründen.“). Denn Gottes „Größe ist unergründbar“ (Ps 145,3; vgl. Hi 11,7; Hi 36,26). Dieser zentrale Sachverhalt kann nur im demütigen Gotteslob anerkannt werden (Hi 11,7ff.; vgl. auch Röm 11,33). → Jesus Sirach bringt es um 180 v. Chr. auf den Punkt: „Wir wollen weiter jubeln, denn () wir können [ihn] nicht erforschen, und er ist größer als all seine Werke“ (Sir 43,28 [Ms B; Lutherbibel: Sir 43,30]).

Die Unergründbarkeit oder Unerforschbarkeit Gottes äußert sich nun in zwiefacher Weise:

a) Erfährt der Mensch die von Gott gesetzten Grenzen seiner Erkenntnis (vgl. Hi 28,1-11.12-22; Sir 3,21 [Ms A; Lutherbibel: Sir 3,22]; Sir 42,18f. [Ms B]), so ist es andererseits an Gott, die Tiefen der Schöpfung (Hi 28,27) und des Menschen zu erforschen (Ps 44,22), ja, der Beter bittet sogar darum, dass Gott seine Lauterkeit prüfe (Ps 139,1.23; vgl. Röm 8,27). Später kann man der Prüfung hingegen auch mit Sorge entgegensehen: „Wird es für euch gut sein, wenn er [Gott] euch erforscht?“, fragt Hiob (Hi 13,9; vgl. Hi 10,6).

b) Die skeptische → Weisheit eines → Hiob oder → Kohelet weiß entsprechend, dass das Ergebnis der Prüfung mitnichten immer vorhersehbar ist. So kann sie auch – im Grunde konsequent – den Gedanken dahingehend weiter entfalten, dass auch Gottes Tun unerforschlich ist (Hi 5,9; Hi 9,10). Theologisch bleibt es auf diese Weise möglich, Gerechtigkeit und Güte Gottes auch gegen den Augenschein zu bewahren.

4. Qumrantexte

Es ist kein Zufall, dass auch in den Texten von Qumran die mit Abstand meisten Belege von ḥāqar / ḥeqær auf die hymnische Literatur (Hodajot) entfallen: 1QHa V,16; XI,21; XIV,6.20; XVI,18; XXI,16 (nach alter Zählung: Frag. 15i,5; III,20; VI,3.17; VIII,17; XVIII,30; in XVII,17 [IX,17] wohl zu ergänzen). Gottes Unerforschlichkeit entspricht die Größe und Unerforschlichkeit seiner Schöpfung – der tiefe Grund des Lobpreises. Knüpft die Gemeinschaft von Qumran hier wie auch sonst oft an die biblische Weisheit an, geht sie, auch hier freilich nicht ohne Anhalt an biblischen, in diesem Falle apokalyptischen Texten (Dan), mit der Vorstellung von den „Geheimnissen Gottes“ (rāzê ’el) noch darüber hinaus und entwickelt de facto eine strenge Prädestinationslehre (1QS III,16-IV,26): Gott kennt und bestimmt das Geschick des Menschen bereits im voraus. – Daneben fragt die Gemeinschaft von Qumran weiter nach den Bedingungen der Gotteserkenntnis: Können nicht mehr Gott selbst (im Tempel) oder seine Propheten nach seinem Willen befragt werden, so muss die Antwort in seinem Wort liegen (bzw. in den Worten der Propheten, vgl. die → Midraschim). So muss das Gesetz, die Weisung, genauestens ausgelegt werden, denn in ihr sind die Antworten auf alle Fragen verborgen. Der „Erforscher der Tora“, dôreš hattôrāh (CD VI,7; 1QS 6,6) steht „denen, die glatte Dinge suchen / erforschen“ (dôršê [hā-/]ḥǎlāqôt, nach allgemeiner Auffassung die Pharisäer, die das Gesetz weniger streng auslegen) gegenüber (vgl. auch 4QMidrEsch [Midrasch zur Eschatologie] IX,5.12 [nach alter Zählung: 4QCatena A = 4Q177 Frag. 10+11,5 u. Frag. 9,4]).

5. Neues Testament

Im Neuen Testament schließlich werden die alttestamentlich vorgezeichneten Linien fortgeführt. Prononciert kann Paulus die Selbsterkenntnis im Glauben fordern (2Kor 13,5: „Erforscht euch selbst, ob ihr im Glauben steht, prüft euch selbst!“). Die Offenbarung des Unerforschlichen geschieht, wenn überhaupt, nur von Gott her (vgl. Sir 42,18 [Ms B]) – nun aber explizit, und das ist neu – vermittelt durch seinen Heiligen Geist: „Uns aber hat es Gott offenbart durch seinen Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit.“ (1Kor 2,10; vgl. dagegen Spr 20,27 LXX und Hi 11,7f.). Ist Christus das Wort Gottes, so kann der „Erforscher der Schriften“ vgl. nicht zuletzt die „Schriftgelehrten“!) nicht anders, als sich auf Christi Seite zu stellen (Joh 5,39f.).

Literaturverzeichnis

Lexikonartikel

  • Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933-1979
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
  • Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
  • Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 6. Aufl., München / Zürich 2004
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007

Weitere Literatur

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  • Bezzel, H., 2007, Die Konfessionen Jeremias. Eine redaktionsgeschichtliche Studie (BZAW 378), Berlin / New York
  • Feldmeier, R. / Spieckermann, H., 2011, Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre (Topoi Biblischer Theologie 1), Tübingen
  • Kratz, R.G., 2004, Das Judentum im Zeitalter des Zweiten Tempels (FAT 42), Tübingen
  • Nõmmik, U., 2010, Die Freundesreden des ursprünglichen Hiobdialogs. Eine form- und traditionsgeschichtliche Studie (BZAW 410), Berlin / New York
  • Lange, A., 2008, Art. Weisheitsliteratur II. Altes Testament, RGG, 4. Aufl., Tübingen Bd. 8, 1366-1369
  • Lohse, E. (Hg.), 1986, Die Texte aus Qumran. Hebräisch und Deutsch, 4. Aufl., Darmstadt
  • von Rad, G., 1970, Weisheit in Israel, Neukirchen-Vluyn
  • Sauer, G., 1981, Jesus Sirach (JSHRZ III/5), Gütersloh
  • Stegemann, H. / Schuller, E.M., 2009, Qumran Cave 1. III: 1QHodayota: With Incorporation of 1QHodayotb and 4QHodayota-f (DJD XL), Oxford u.a.
  • Steudel, A. (Hg.), 2001, Die Texte aus Qumran. II. Hebräisch / Aramäisch und Deutsch, Darmstadt
  • Witte, M., 1994, Vom Leiden zur Lehre. Der dritte Redegang (Hiob 21-27) und die Redaktionsgeschichte des Hiobbuches (BZAW 230), Berlin / New York
  • Witte, M., 2010, Jesus Sirach (Ben Sira), in: J.C. Gertz u.a. (Hgg.), Grundinformation Altes Testament. Eine Einführung in Literatur, Religion und Geschichte des Alten Testaments (UTB 2745), 4. Aufl. Göttingen, 556-567
  • Witte, M., 2010, Schriften (Ketubim), in: J.C. Gertz u.a. (Hgg.), Grundinformation Altes Testament. Eine Einführung in Literatur, Religion und Geschichte des Alten Testaments (UTB 2745), 4. Aufl. Göttingen, 414-534

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