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(erstellt: September 2016; letzte Änderung: September 2018)

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Anatot 1

Anatot ist der Name eines Ortes, der 4,5 km nordöstlich von Jerusalem liegt und als Heimatort des Propheten Jeremia bekannt ist.

1. Name

Der Ortsname Anatot (עֲנָתוֹת ‘ǎnātôt / עֲנָתֹת ‘ǎnātot) besteht wohl aus dem Namen der Göttin → Anat (עֲנָת ‘ǎnāt), der auch in dem Ortsnamen Bet-Anat „Haus der Anat“ belegt ist (Jos 19,38; Ri 1,33), sowie der Endung וֹת ôt, deren Bedeutung unklar ist. Um eine Pluralendung kann es sich nach dem Namen der einen Göttin nicht handeln, es sei denn der Plural drückt eine Steigerung aus: „(Haus der) großen Anat“ (HALAT). Nach Borée (49) deutet die Endung (ôt < āt) wie in anderen Ortsnamen an, dass es sich um eine Lokalität handelt; sie wäre dann ein Ortssuffix und Noth (149) übersetzt dementsprechend: „Ort der (Göttin) Anath“. Liwak (70f) hält die Endung (ôt < ūt) unter Verweis auf das Akkadische (GAG § 56s) für ein Zärtlichkeitsafformativ (vgl. Gesenius 18. Aufl.). Der Name würde dann „Anatlein“ bedeuten.

Hieronymus (Liber de nominibus Hebraicis 38; PL 23, 801) interpretiert den Namen im Sinne von oboediens, vel respondens signum „hörend auf oder beantwortend ein Zeichen“, führt ihn also auf ענה ‘nh „antworten“ und אוֹת ’ôt „Zeichen“ zurück.

In der → Septuaginta sowie bei Josephus und Euseb wird der Name mit Αναθωθ Anathōth wiedergegeben, in der → Vulgata mit Anathoth.

2. Ort

2.1. Biblische Erwähnungen

Nach Jos 21,18 lag Anatot im Stammesgebiet Benjamins, doch gehörte der Ort zusammen mit → Gibeon, → Geba und Almon zu den Levitenstädten (→ Leviten), die den Nachfahren → Aarons übergeben worden sind (vgl. 1Chr 6,45, wo Gibeon jedoch fehlt).

Nach 1Kön 2,26 hatte der Priester → Abjatar, ein treuer Gefolgsmann → Davids, in Anatot Ländereien. Auf diese wurde er von → Salomo verbannt, nachdem der die Herrschaft übernommen hatte und Abjatar bei ihm in Ungnade gefallen war.

Jes 10,27b-32 schildert einen von Norden kommenden, feindlichen Ansturm auf Jerusalem (Näheres s. → Geba mit der Karte Abb. 1) und hebt dabei hervor, welches Unheil das Anrücken der Feinde für die an der Route gelegenen Städte bedeutet. Unter ihnen werden nach → Geba, → Rama und → Gibea in Jes 10,30 die Orte Gallim, Lajescha und Anatot genannt.

Bekannt ist Anatot vor allem als Geburts- und Heimatort des Propheten → Jeremia (Jer 1,1; Jer 29,27). In den → Konfessionen klagt dieser über das Leid, das ihm angesichts seiner Unheilsbotschaft zugefügt wird. In Aufnahme des aus den Psalmen geläufigen Topos der Klage, dass selbst die Freunde zu Feinden geworden sind (z.B. Ps 41,10), ist in Jer 11,21-23 von den Männern in Anatot die Rede. Sogar diese engen Bezugspersonen trachten Jeremia nach dem Leben, doch kündigt Jahwe ihnen Unheil an.

Jer 32,6-15 erzählt von einer → Zeichenhandlung am Vorabend der → Eroberung Jerusalems 587 v. Chr. Jeremia erhält in Jerusalem Besuch von seinem Vetter Hanamel aus dem heimatlichen Anatot und wird als nächster Verwandter gebeten, dessen Acker zu kaufen. Dieser Bitte kommt der Prophet nach. Die Spitze der Erzählung liegt darin, dass Jeremia in der Situation der Belagerung mit dem Kauf des Ackers darauf verweist, dass es wieder eine positive Zukunft geben wird, in der die Felder nicht mehr in Feindeshand sein werden, sondern man sie wieder kaufen und verkaufen kann. Die Zeichenhandlung kündigt also Heil an.

Für die nachexilische Zeit geben die → Rückwandererlisten des → Esra- und Nehemiabuchs an, dass 128 Männer aus dem babylonischen → Exil nach Anatot zurückkehrten (Esr 2,23 // Neh 7,27). Neh 11,32 listet Anatot unter den Orten auf, die von Benjaminitern besiedelt wurden.

Schließlich werden mehrere Personen im Umfeld → Davids als Anatotiter bezeichnet, vermutlich weil sie aus Anatot stammen: Abiëser, einer der Helden Davids (2Sam 23,27; 1Chr 11,28), der in 1Chr 27,12 als Bataillonskommandant vorgestellt wird, sowie Baracha und Jehu, zwei Anhänger Davids (1Chr 12,3), doch ist die Herkunftsangabe möglicherweise nicht auf beide, sondern nur auf Jehu zu beziehen.

2.2. Identifikation und Lage

Nach Jos 21,18 und Jes 10,27b-32 lag Anatot nördlich von Jerusalem im Gebiet Benjamins.

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1. ‘Anātā. Aufgrund der Namensähnlichkeit wurde Anatot neuzeitlich seit E. Robinson (1841, 109f) häufig mit dem arabischen Ort ‘Anātā identifiziert (Koordinaten: 1749.1356; N 31° 48' 49'', E 35° 15' 41''; 680 m. ü. NN), der 4,5 km nordöstlich von → Jerusalem (Damaskustor) und 3 km ostsüdöstlich von Tell el-Fūl (→ Gibea; Koordinaten: 1719.1367; N 31° 49' 22'', E 35° 13' 53'') liegt. Als üppige Quelle findet sich in einer Entfernung von 6 km Fußweg Richtung Osten ‛Ēn Fāra (Koordinaten: 1786.1378; N 31° 50' 02'', E 35° 18' 07'') im Wādī Fāra (→ Para). Möglicherweise hat schon → Euseb im 4. Jh. Anatot mit ‘Anātā identifiziert; jedenfalls gibt er für Anatot als Entfernung nach Jerusalem 3 Meilen, also 4,5 km, an (Onomastikon 26,27-29; Eusebs Onomastikon). Nach → Josephus beträgt die Entfernung nur 20 Stadien, also 3,7 km (Antiquitates 10 §114; Text gr. und lat. Autoren); das wirft die Frage auf, ob seine Angabe nur ungenau ist oder er eine andere Ortslage im Blick hatte.

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2. Rās el-Charrūbe. 1926 hat → Albrecht Alt der Identifizierung mit ‘Anātā widersprochen, da er dort bei Begehungen keine Spuren der → Eisenzeit II finden konnte, sondern feststellte, dass der Ort nach dem Keramikbefund (hellenistisch, römisch, byzantinisch) erst seit hellenistischer Zeit besiedelt worden sei. Er schlug vor, Anatot mit dem damals ca. 700 m südwestlich von ‘Anātā gelegenen, heute jedoch im Ort befindlichen Rās el-Charrūbe („Kuppe des Johannisbrotbaums“) zu identifizieren, und diese Sicht war bald allgemein akzeptiert. Die Kuppe liegt 50 m höher als ‘Anātā und bildet den höchsten Punkt der Umgebung (Koordinaten: 1746.1350; N 31° 48' 33'', E 35° 15' 29''; 730 m. ü. NN). Von ihr aus hat man einen weiten Blick vor allem Richtung Osten ins Jordantal und darüber hinaus. Der Blick nach Jerusalem wird dagegen von der Ölbergkette versperrt. Für die neue Lokalisierung wurde der Keramikbefund angeführt, nach dem der Ort schon in der Eisenzeit II besiedelt war (Keramik auch aus hellenistischer, römischer und byzantinischer Zeit sowie aus späteren Epochen; Finkelstein / Magen, 358 Nr. 450). Dass der Name Anatot in ‘Anātā erhalten ist, konnte mit der These erklärt werden, dass die Bewohner von Rās el-Charrūbe / Anatot ihren Ort in hellenistischer Zeit oder später – wofür es genug Parallelen gibt – von der geschützten Hügelspitze auf niedrigeres Gelände verlegt hatten und dabei der Ortsname auf die neue Siedlung übertragen wurde (vgl. Herrmann, 17).

Anatot 4
3. Chirbet Dēr es-Sidd. Avraham Bergman, der später den Namen Avraham Biran annahm, hatte schon 1936 Zweifel an der Identifizierung von Anatot mit Rās el-Charrūbe, da die Siedlung dort nur sehr klein gewesen sein könne. Er identifizierte Anatot zunächst (1936, 22f) mit el-Isawije (Koordinaten: 1736.1338; N 31° 47' 48'', E 35° 014' 53''), später das Anatot der Perserzeit mit Rās el-Charrūbe, das der Königszeit dagegen mit Chirbet Dēr es-Sidd, 1,4 km östlich von ‘Anātā (Koordinaten: 1762.1353; N 31° 48' 41'', E 35° 16' 33''; Biran 1985). Nach dem Befund von Surveys und Sondagegrabungen gab es hier in der späten Eisenzeit II eine größere Siedlung, von der Reste von Gebäuden sowie eines Turms gefunden wurden (70 % der Keramik aus der Eisenzeit II, ferner Keramik aus persischer, hellenistischer, römischer und byzantinischer Zeit sowie späteren Epochen; Finkelstein / Magen, 379 Nr. 493; Nadelman 1994, 64-74). Nadelman (1994, 74) verzichtet auf eine Identifizierung von Chirbet Dēr es-Sidd.

4. ‘Anātā. Ein neuerer Survey fand in ‘Anātā Keramik der → Eisenzeit I (wenige Scherben), vor allem der → Eisenzeit II (35 % der Scherben), aber auch der hellenistischen (10 %), römischen (5 %) und byzantinischen (35 %) Zeit sowie späterer Epochen (Finkelstein / Magen, 359f Nr. 452). Ein Grab der Eisenzeit II im Bereich von ‘Anātā bestätigt diesen Befund (Taha). Wenn ‘Anātā damit – entgegen der älteren Annahme – in der Königszeit sehr wohl besiedelt war, legt sich die Identifizierung mit Anatot wieder nahe (vgl. Nadelman 1994, 62f; Taha, 281).

2.3. Umgebung

Nur 1 km westlich von ‘Anātā liegt jenseits der Mauer, die die Palästinensergebiete abtrennt, im Bereich der israelischen Siedlung Pisgat Zeev Chirbet Ka‘kūl (Koordinaten: 1738.1358; N 31° 48' 55'', E 35° 15' 02'', ca. 680 m ü. NN). Im 19. Jh. waren hier noch Reste von Mauern sowie viele Zisternen und ein Felsengrab zu sehen (Conder / Kitchener, 117). Die dortigen Grabungen beschränkten sich auf kleine Felder und belegen eine Besiedlung in hellenistischer, römischer und byzantinischer Zeit sowie in späteren Epochen (Seligman; Kogan-Zehavi). Der Ort wird mit dem in Jes 10,30 erwähnten Gallim (vgl. 1Sam 25,44) identifiziert oder mit dem im folgenden Vers genannten Gebim (Donner, 54), was allerdings eine ältere Besiedlung voraussetzt. Der Ort Gebim ist auch auf dem Abdruck eines Siegels belegt, der aus der Zeit → Josias stammt und mit anderen Abdrücken vom Abgabensystem dieser Zeit zeugt. Die Aufschrift „Im 19. Jahr aus Gebim an den König“ begleitete im 19. Jahr Josias (621 v. Chr.) eine Lieferung an den königlichen Palast (Heltzer, 107).

3. Personen

Anatot ist auch als Personenname belegt. In einer Aufzählung der Benjaminiter nennt 1Chr 7,8 einen Mann namens Anatot. In Neh 10,20 wird unter den Anführern des Volkes, die die Bundesurkunde → Nehemias unterzeichnen, ebenfalls ein gewisser Anatot aufgelistet.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • Archaeological Encyclopedia of the Holy Land, New York / London 2001
  • Calwer Bibellexikon, 2. Aufl., Stuttgart 2006

2. Weitere Literatur

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  • Albright, W.F., Additional Note, BASOR 62 (1936), 25f
  • Alt, A., Das Institut im Jahre 1925, PJ 22 (1926), 5-80, 23f
  • Bergman, A., Anathoth?, BASOR 63 (1936), 22-23
  • Bergman, A., Soundings at the Supposed Site of Old Testament Anathoth, BASOR 62 (1936), 22-25
  • Biran, A., On the Identification of Anathoth, EI 18 (1985), 209-214 [Hebr.]
  • Blair, E.P., Soundings at ‘Anâtā (Roman Anathoth), BASOR 62 (1935), 18-21
  • Borée, W., 1930, Die alten Ortsnamen Palästinas, 2. Aufl., Leipzig (Nachdruck Hildesheim 1968)
  • Conder, C.R. / Kitchener, H.H., Survey of Western Palestine, Bd. III, London 1883
  • Donner, H., Der Feind aus dem Norden. Topographische und archäologische Erwägungen zu Jes. 10,27b-34, ZDPV 84 (1968), 46-54
  • Elitzur, Y., Ancient Place Names in the Holy Land. Preservation and History, Winona Lake 2004, 159-160
  • Finkelstein, I. / Magen, Y. (Hgg.), Archaeological Survey of the Hill Country of Benjamin, Jerusalem 1993
  • Heltzer, M., Some Questions Concerning the Economic Policy of Josiah, King of Judah, IEJ 50 (2000), 105-108
  • Herrmann, S., Jeremia (BK.AT XII/1), Neukirchen-Vluyn 1986, 15-17
  • Kogan-Zehavi, E., Jerusalem, Khirbet Ka’kul, ESI 16 (1997), 91-95
  • Liwak, R., Der Prophet und die Geschichte. Eine literar-historische Untersuchung zum Jeremiabuch (BWANT 121), Stuttgart u.a. 1987
  • McBride, S.D., Jeremiah and the Levitical Priests of Anathoth, in: J. Ahn / S.L. Cook (Hgg.), Thus Says the Lord. Essays on the former and latter prophets (FS R.R. Wilson; Library of Hebrew Bible. Old Testament Studies 502), New York u.a. 2009, 179-196
  • Nadelman, Y., Soundings at Ḥirbet Deit es-Sid (Anathoth?), EI 23 (1992), 216-223.153*
  • Nadelman, Y., The Identification of Anathoth and the Soundings at Khirbet Deir es-Sidd, IEJ 44 (1994), 62-74
  • Noth, M., Das Buch Josua (HAT I,7), Tübingen 1953
  • Petersen, J.L., A Topographical Surface Survey of the Levitical „Cities“ of Joshua 21 and 1 Chronicles 6, Evanston 1977
  • Robinson, E., Biblical Researches in Palestine, Mount Sinai and Arabia Petraea. A Journal of Travels in the Year 1838, Bd. 1, Boston 1841
  • Seligman, J., Jerusalem, Kh. Ka’kul, ESI 13 (1994), 69-70
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  • Thomson, W.M., The Land and the Book; or Biblical Illustrations Drawn from the Manners and Customs, the Scenes and Scenery of the Holy Land, Vol. II, New York 1859

Abbildungsverzeichnis

  • Karte zur Lage von Anatot. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
  • ‘Anātā im 19. Jh. Aus: W.M. Thomson, The Land and the Book; or Biblical Illustrations Drawn from the Manners and Customs, the Scenes and Scenery of the Holy Land, Vol. II, New York 1859, 549
  • ‘Anātā im 20. Jh. (Blick von Südwesten). Mit Dank an die Sammlung des © Instituts für Altes Testament am Fachbereich Theologie, Universität Erlangen-Nürnberg
  • ‘Anātā und Chirbet Dēr es-Sidd (Blick von Süden vom Turm der Evangelischen Himmelfahrtskirche auf dem Ölberg, 2018). © public domain (Foto: Klaus Koenen)

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