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(erstellt: August 2006)

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1. Allgemeines zu den Sargtexten

Für die altägyptische Kultur ist ein grundsätzlicher Unterschied zwischen Texten auf Särgen und Sargtexten zu machen, da mit dem ägyptologischen Terminus „Sargtexte“ eine bestimmte Gruppe von Texten benannt ist. Es sind Texte gemeint, die während des Mittleren Reiches (ca. 2100-1800 v. Chr.) vor allem auf Särgen niedergeschrieben wurden und als die funeräre Literatur des Mittleren Reiches schlechthin zu gelten haben. Die ägyptische Kultur und Sprache kennt keine zusammenfassende Bezeichnung für diese Texte, so wie auch das Textcorpus selbst nicht eindeutig begrenzt ist. Die Definition der Textsammlung ergibt sich aus ihrem Gebrauch, d.h. ihrer Beleglage, des weiteren aus ihrer wissenschaftlichen Erschließung, der die Textausgabe von Adriaan de Buck zugrunde liegt. Sie hat letztlich mit festgelegt, was als Sargtext gilt.

1.1. Herleitung und Herkunft

Die Sargtexte gehen formal wie auch inhaltlich zu großen Teilen auf die altägyptischen Pyramidentexte zurück (→ Pyramidentexte). Mit diesen waren seit Unas, dem letzten Herrscher der 5. Dynastie (ca. 2342-2322 v. Chr.), die unterirdischen Räume der königlichen Pyramiden des Alten Reiches beschriftet. Bis in die folgende 1. Zwischenzeit (7.-10. Dynastie), einer Zeit der politischen Teilung des Landes in zwei Herrschaftsbereiche, bleiben die Pyramidentexte dem Pharao oder – seit Ende der 6. Dynastie – Angehörigen des Königshauses vorbehalten. Mit Beginn des Mittleren Reiches, d.h. mit der Wiedervereinigung Ägyptens, tritt neben die Pyramidentexte reichhaltiges neues Textmaterial, die Sargtexte.

Diese Sargtexte sind in Teilen Überarbeitungen von Pyramidentexten und somit (jüngere) Versionen der bislang bekannten Texte. Die Sargtexte setzen demzufolge die Tradition der Pyramidentexte in verschiedener Hinsicht fort. Zugleich bleiben aber auch die Pyramidentexte als eigenständige Textsammlung bestehen und werden während des Mittleren Reiches ebenfalls zur Beschriftung von Särgen etc. benutzt.

Hinzu kommt eine Vielzahl neuer, bisher unbekannter Texte. Auch bei ihnen wird es sich zum Teil um altes Textmaterial handeln, das lediglich bislang nicht belegt und/oder nicht benutzt wurde. Jüngere Sprachgebräuche in den Sargtexten legen zugleich nahe, in einigen von ihnen Neukonzeptionen zu sehen.

Die Sargtexte sind bis in die 13. Dynastie (ca. 1793-1645 v. Chr.) in Gebrauch, bevor sie als funeräre Literatur erst allmählich, dann vollständig durch das Totenbuch abgelöst werden (→ Totenbuch). Dieses lehnt sich seinerseits formal wie inhaltlich an die Sargtexte an.

1.2. Texte und Quellen

In der grundlegenden, synoptischen Edition der Sargtexte durch Adriaan de Buck sind 1185 unterschiedliche Texte zusammengestellt, die nach der ägyptischen Bezeichnung als „Spruch“ („spell“) geführt werden (CT [=Coffin Texts], sp.). Die Beleglage ist für die einzelnen Sprüche sehr unterschiedlich. Neben nur einmal belegte Texte treten solche, die ausgesprochen populär und entsprechend häufig auf Särge o.ä. übertragen wurden, s. z.B. CT 335 mit knapp 30 Parallelversionen schon allein in der Textausgabe von Adriaan de Buck.

Adriaan de Buck hat in seiner Ausgabe der Sargtexte insgesamt 159 einzelne Quellen ausgewertet. Bei ihnen handelt es sich zum weit überwiegenden Teil um kastenförmige, aus Holz gefertigte Särge, dem für das Mittlere Reich charakteristischen Sargtyp. Die Sargtexte stehen in der Regel auf der Innenseite dieser Särge, nur ausnahmsweise außen. Weitere Textträger für Sargtexte sind z.B. Steinsarkophage, die Wände von Grabkammern, Totenmasken, Kanopenkästen und Papyri, wobei Letztere vornehmlich als Zwischentextträger, also der Weitergabe von Texten dienten, indem sie als Vorlagen für neue Abschriften Verwendung fanden.

Nutzer der Texte sind nur zu Beginn des Mittleren Reiches auch Frauen des (thebanischen) Königshauses, ansonsten Privatleute. Sie sind als politische und gesellschaftliche Elite des Landes anzusehen. Einige wenige Särge dieser Herkunft wurden für Frauen angefertigt.

Keine Quelle überliefert alle bekannten Sargtexte, sondern immer nur einen Auszug daraus, und jede Quelle zeigt eine gegenüber den anderen abweichende Auswahl an Texten. Ein Spruch kann aber durchaus bis zu dreimal auf derselben Quelle auftreten, doch werden dann für die Niederschriften unterschiedliche Versionen des jeweiligen Textes gewählt.

Die Fundorte von Quellen mit Sargtexten verteilen sich über das gesamte Niltal. Dabei sind deutliche Zentren bei der Überlieferung der Sargtexte auszumachen. Zu diesen Zentren gehören neben Saqqāra [Saqqara], der zur alten Hauptstadt Memphis gehörenden Nekropole, vor allem die in Mittel- bzw. Oberägypten gelegenen Orte Dēr el-Beršā [Der el-Bersa], Mair und Assiūṭ [Assiut]. Der Süden des Niltals ist durch nur wenige Funde repräsentiert, einzig Theben als Residenz der Könige des frühen Mittleren Reiches und als Ort mit wachsender religiöser Bedeutung ist entsprechend vertreten.

Das von Adriaan de Buck bearbeitete Material ist inzwischen in verschiedener Hinsicht zu erweitern. Zu den bekannten Sprüchen kommen neue Belegungen hinzu und somit neue Quellen. Es erschließen sich zudem bislang nicht belegte Nekropolen. Des weiteren ist auf gänzlich neues Textmaterial zu verweisen, das in den bei Adriaan de Buck publizierten Sprüchen nicht enthalten ist. Demgegenüber sind einige Sprüche der Sargtexte inzwischen aus Pyramiden des Alten Reiches bekannt geworden und insofern diesem Corpus zuzurechnen.

Die (wissenschaftliche) Bezeichnung der Quellen erfolgt durch Siglen, in denen Fundort und derzeitiger Aufbewahrungsort enthalten sind. Die Sigle B1Bo etwa bezeichnet einen Sarg, der aus Dēr al-Beršā [Der el-Bersa] stammt (B) und heute als erster einer Reihe weiterer Särge (1) in Boston, Museum of Fine Arts (Bo), aufbewahrt wird.

1.3. Sprache und Schrift

Die Sargtexte sind in der Sprache des Klassisch-(Alt)Ägyptischen („Mittelägyptisch“) abgefasst, doch fließen ältere Sprachgebräuche aus der Sprachstufe des Altägyptischen mit ein, dies sowohl bei grammatikalischen Konstruktionen als auch beim Vokabular. Auch die Orthographie der Sargtexte ist mit Schreibungen aus dem Alten Reich durchsetzt. Mitunter kommen kryptographische oder allgemeiner spielerische Schreibungen zum Einsatz. Zugleich liefern die Sargtexte zahlreiche lexikalische Ergänzungen zum Material im Wörterbuch der aegyptischen Sprache, da dieses die Sargtexte nahezu nicht ausgewertet hat bzw. auswerten konnte.

Als Schriftform wird für die Wiedergabe der Sargtexte die eigene Form der Kursivhieroglyphe benutzt, eine noch eng an die Hieroglyphe der Zeichen angelehnte, aber flüssigere Schriftvariante. Seltener sind Texte in der noch weiter vereinfachten kursiven Schriftform des Hieratischen wiedergegeben.

1.4. Form und Aufbau

Das Corpus der Sargtexte präsentiert sich als eine Aneinanderreihung von Sprüchen, wobei die Länge der einzelnen Texte sehr unterschiedlich sein kann. Das Ägyptische kennt zahlreiche Möglichkeiten, solche Texte als formale Einheit kenntlich zu machen. Auch in den Sargtexten, die noch keine festgelegte äußere Form gefunden haben, erfolgte die Abgrenzung auf unterschiedliche Weise.

Die Einleitung des Textes besteht zumindest aus dem Vermerk „zu rezitieren“, der mitunter auch über jede Kolumne geschrieben ist, ohne in den Text integriert zu sein. Ein Spruch kann aber auch einen Titel tragen, der dann gern in einer (horizontalen) Zeile über den in (senkrechten) Kolumnen geschriebenen Haupttext des Spruchs gesetzt ist. Der Titel kann aber ebenso – dann als Nachschrift – am Ende des Spruchs stehen, wo sich mitunter auch Anweisungen finden, unter welchen Voraussetzungen und zu welchen Handlungen der Text rezitiert werden soll. Nicht immer lassen diese textbegleitenden Vermerke eindeutige Bezüge zum Inhalt der Sprüche erkennen. Ein Spruch kann – dies betrifft im Wesentlichen jüngere Versionen – um Glossen („Was ist das?“) erweitert sein. Mit ihnen werden Aussagen des Textes näher ausgeführt, erklärt und kommentiert. In die Texte werden auch „andere Lesarten“, d.h. Varianten zu der benutzten Textversion, aufgenommen und als solche gekennzeichnet. Titel oder Nachschrift eines Spruches wie auch Glossen und der Vermerk „andere Lesart“ („Paratexte“) werden häufig in rot wiedergegeben („Rubrum“), so dass sie sich von dem mit schwarzer Tusche geschriebenen Text abheben.

Sprüche treten gern in Sequenzen auf, die zu einem guten Teil weniger inhaltlicher als eher formaler Art sind und in Zusammenhang mit der Überlieferung der Texte stehen („formale Sequenz“). Es sind aber auch mehrere Sprüche zu einem ganzen „Buch“ – so auch die ägyptische Bezeichnung – zusammengefasst worden, s.u. die Sprüche um den Gott Schu (CT 75-83), die Sprüche zum Opfergefilde (CT 464-468), das Zweiwegebuch (CT 1029-1130, s.u.) oder Totenliturgien (z.B. CT 44-61).

Die Sprüche der Sargtexte sind zumeist in der 1. oder 3. Person Singular abgefasst. Nur selten wird der Verstorbene nach älterer Art direkt in der 2. Person Singular angesprochen, was die entsprechenden Texte deutlich noch als Rezitationsliteratur kenntlich macht.

Illustrationen („Vignetten“), wie sie die Texte des späteren Totenbuchs begleiten, kennen die Sargtexte in dieser Form nicht. Nur in wenigen Fällen ist einem Text oder einer Textfolge eine bildliche Verdeutlichung beigefügt. Das Zweiwegebuch allerdings durchbricht diesen Charakter der Sargtexte. Das Buch vermittelt in einer groß angelegten Komposition aus Text und Bild u.a. die Wege, die dem Verstorbenen im Jenseits zur Verfügung stehen.

Die einzelnen Texte werden mit ihrer Spruchnummer zitiert (z.B. CT 1). Einzelne Textstellen sind nach der Edition von Adriaan de Buck mit Band, Seitenzahl und Textabschnitt zu benennen (z.B. CT II 257c).

2. Inhalt und Gedankenwelt der Sargtexte

Die Entstehungsgeschichte der Sargtexte ist u.a. (s.o.) durch eine Herleitung zumindest eines Teils der Sprüche aus den Pyramidentexten des Alten Reiches und durch ein allmähliches Anwachsen des Textbestandes gekennzeichnet. Infolgedessen handelt es sich bei dem Corpus der Sargtexte um eine recht inhomogene Textsammlung. Bindeglied zwischen den nicht nur formal, sondern vor allem auch inhaltlich sehr unterschiedlichen Sprüchen ist ihr Nutzen für den Verstorbenen bzw. die Verstorbene (was im folgenden unter der maskulinen Form subsumiert wird): Ihm wurden sie mit in die Bestattung gegeben, und für ihn sollten sie ihre positive Wirksamkeit entfalten. Die Texte offenbaren dazu reichhaltige und vielfältige Möglichkeiten.

Den Texten liegt die theologisch fundierte Überzeugung zugrunde, dass der Verstorbene mit seinem Tod keine Nicht-Existenz erreicht, sondern zunächst ein Durchgangsstadium erlebt und nach dessen Bewältigung in eine neue, glückliche Daseinsform und an einen neuen, ewiges Leben verheißenden Ort gelangt:

„Steh doch auf zum Leben! (Denn) Du bist nicht gestorben.

Erhebe Du Dich! (Denn) Du bist nicht gestorben.“ (CT 44)

Die lange Nutzungsdauer der Sargtexte, ihre Herleitung aus den Pyramidentexten eingeschlossen, und die damit einhergehenden Veränderungen und Erweiterungen des Textcorpus haben aber durchaus unterschiedliche Vorstellungen davon zusammengeführt, wie diese Überwindung des Todes und die folgende Existenz gedacht und ausgestattet waren. Als ein Charakteristikum altägyptischen Totenglaubens ist dabei festzuhalten, dass mit dem Aufkommen neuer Konzepte alte Glaubensvorstellungen so gut wie nie aufgegeben wurden. In der Regel hatten sie weiterhin Bestand. Da zugleich der Versuch unterblieb, überkommene und neue Gedankenwelten aufeinander abzustimmen oder in einem übergreifenden Konzept zusammenzuführen, existierten schon in den Sargtexten abweichende Versionen davon, was den Verstorbenen in seiner jenseitigen Welt erwartet und welche Möglichkeiten ihm offenstehen, sie zu erreichen und gedeihlich zu gestalten. Dieses Nebeneinander sich durchaus widersprechender bzw. nicht unbedingt miteinander zu vereinbarender Entwürfe und Auffassungen wurde aber ganz offensichtlich nicht als irritierend empfunden, sondern vielmehr – in Anlehnung an die Prinzipien von „multiplicity of approaches“ (Henri Frankfort) und „komplementärer Logik“ (Erik Hornung) – als Bereicherung begriffen. Als Relikt alter Zeit finden sich in den Sargtexten deshalb auch noch Spuren der Hierarchisierung des altägyptischen Totenglaubens, wie sie sich im Alten Reich ausgeprägt hatte. Die in den Pyramidentexten als Texte für Pharao formulierte Vorstellung exklusiv königlicher (und damit göttlicher) Jenseitsexistenz erschließt sich im Zuge der sog. Demotisierung (auch „Demokratisierung“) des altägyptischen Totenglaubens seit dem Ende des Alten Reiches nun auch dem Privatmann. In den Sargtexten kommen also eine Vielzahl von Vorstellungen und Prinzipien zur Anwendung.

Zunächst einmal beinhalten die Sargtexte keine durchgängige oder gar einheitliche Schilderung, wie Jenseits und jenseitiges Leben gedacht waren und auf welchem Wege man dorthin gelangte. Zwei Sphären treten gegeneinander an, den Verstorbenen aufzunehmen, eine himmelwärts gerichtete sowie eine zweite, die mit der Erde verbunden ist. Beide Konzepte sind aber nicht klar voneinander getrennt, und sie können um zahlreiche Komponenten erweitert sein, wobei diese Ausführungen nicht notwendigerweise in einem direkten oder konkreten Zusammenhang mit einer bestimmten Jenseitsvorstellung stehen müssen.

2.1. Lokalisierung des Jenseits im Himmel

Der Himmel mit seinen verschiedenen „Bewohnern“ und fruchtbaren Gefilden gilt auch noch in den Sargtexten als der bevorzugte Aufenthaltsort des Verstorbenen im Jenseits, wobei gleichzeitig die dortigen Furcht erregenden Gestalten und gefährlichen Bereiche zu meiden sind. Die Phänomene des Nachthimmels wie Mond und Sterne, zu denen der Verstorbene gelangen oder deren Gestalt er annehmen möchte, treten dabei in ihrer Bedeutung gegenüber den Aussagen der Pyramidentexte deutlich zurück. Stellare Komponenten sind nicht gänzlich getilgt, stehen aber nicht unbedingt für sich, sondern es kann z.B. das Sternbild Orion als Verkörperung des Osiris gedeutet werden. Die Sterne sind es auch, die nun – im Gefolge des Re (s.u.) – den Verstorbenen zum „schönen Westen“ geleiten, in den er einzutreten hofft, während in den Pyramidentexten an den Westen als Reich des Gottes Osiris (s.u.) keine positiven Assoziationen geknüpft waren.

In erster Linie ist der Himmel in den Sargtexten aber als die Sphäre des Sonnengottes Re gesehen worden. In seiner Barke des Nachts und des Tages durchfährt er den Himmel, der nicht nur die sichtbare unendliche Weite eines Gewässers besitzen kann, sondern mitunter ganz konkret als Gestalt etwa einer Göttin (Nut) begriffen wurde. Der Zyklus der Sonne, ihr Untergang im Westen (= Tod), ihre Fahrt durch die Nacht (= Regeneration) und ihr neuerlicher Aufgang am Morgen (= Wiedergeburt), manifestiert sich als eine Jenseitshoffnung auch des Menschen:

„Ich will leben, nachdem ich gestorben bin,

so wie auch Re täglich lebt.“ (CT 153)

Ursprünglich mag sich der Anspruch auf die Teilnahme am Sonnenlauf in der Stellung Pharaos als „Sohn des Re“, so einer seiner Titel, hergeleitet haben. In den Sargtexten dagegen ist diese Vorstellung Allgemeingut, kein königliches Privileg mehr: Der Verstorbene steigt zum Himmel und zu Re auf und nimmt am (ewigen) Sonnenkreislauf teil. Der Aufstieg zum Himmel kann dabei auf unterschiedliche Weise erfolgen, in der Gestalt von Tieren ebenso wie über eine (Himmels-)Leiter. So ist nicht nur der einmalige Übergang in die jenseitige Welt gewährleistet, sondern zugleich die stetige, zyklische Erneuerung und Verjüngung durch den immerwährenden Prozess der nächtlichen Regenerierung. Der Verstorbene beteiligt sich an ihm nicht nur in seiner eigenen Gestalt und Individualität, sondern kann verschiedene göttliche Rollen einnehmen, er kann sogar Identität mit Re selbst erreichen (CT 274).

Der Weg des Re muss allerdings erkämpft werden, denn es ist ein Weg nicht ohne Gefahren. Dabei sind die Übergänge besonders gefährdet und entsprechend zu schützen. Vor allem der schlangengestaltige Apophis, der Sonnenfeind schlechthin, muss abgewehrt werden (CT 414). Demgegenüber bleibt die unterirdisch-nächtliche Sphäre wie auch das Eintauchen der Sonne bzw. des Verstorbenen in einen unter der Erde liegenden Bereich in den Sargtexten noch selten erwähnt. Seine Bedeutung für die Sonnenfahrt in der Nacht entfaltet sich erst in den Unterweltsbüchern des Neuen Reiches in voller Breite.

Mitunter werden konkrete Örtlichkeiten (am Himmel) als Stätten des Re genannt. Dazu gehört z.B. die „Feuerinsel“, die als Geburtsort des Re gilt und über die auch der Verstorbene Regeneration erfahren kann. Nicht die bereits vollzogene Verjüngung, sondern die Hoffnung darauf schlägt sich nieder, wenn der Verstorbene zu diesem Ort gelangen möchte (CT 149). Zugleich ist dort auf der Feuerinsel das Jenseitsgericht angesiedelt (CT 149).

Als eine himmlische Stätte sind auch Opfer- und/oder Binsengefilde gedacht, die durch Gottesnähe und einen niemals enden wollenden Überfluss an Nahrung ausgezeichnet sind. Das Gefilde kann ebenfalls mit Re verbunden sein, doch tritt auch Osiris als dortiger Gebieter auf, ebenso wie Thot in diesem Zusammenhang genannt sein kann (CT 464-468).

2.2. Lokalisierung des Jenseits in der Unterwelt

Neben dem himmlischen Jenseits entwickelt sich in den Sargtexten eine Jenseitshoffnung weiter, die an das Schicksal des Gottes Osiris geknüpft ist. Sie kommt in den Pyramidentexten als eine irdische, unter der Erde und nicht am Himmel angesiedelte Existenzform nur sehr zurückgenommen zum Ausdruck, die Sargtexte dagegen äußern hoffnungsvoll:

„Ich sterbe und ich lebe,

(denn) ich bin Osiris.“ (CT 330)

Osiris ist der Gott, der nach dem Mythos von seinem Bruder Seth durch eine List getötet wird und dessen Leichnam seine Schwester und Gefährtin Isis und die gemeinsame Schwester Nephthys suchen und finden. Osiris zeugt – von Klage und Luft erweckt – post mortem seinen Sohn Horus, und dieser Sohn, den seine Mutter im Verborgenen aufzieht, wird später seinen Vater rächen. Vor einem göttlichen Gericht erlangt dabei Osiris, unterstützt vor allem von Horus und Thoth, Rechtfertigung gegenüber Seth: Osiris wird zwar die Rückkehr auf die Erde verwehrt, doch wird er zum Herrscher der Unterwelt und der Verstorbenen („Erster der Westlichen“) erhoben, seinen Thron auf der Erde erbt sein Sohn Horus.

Das Schicksal des Gottes Osiris wird in den Sargtexten als mythischer Präzedenzfall gesehen, der auf jeden menschlichen Verstorbenen angewendet werden kann. Auch ihm steht das Schicksal offen, das Osiris erfahren hat. Auch der Mensch ist nicht zur ewigen Nicht-Existenz verdammt, sondern erhält die Möglichkeit eines jenseitigen Lebens, eines Seins in der anderen Welt. Er ist Gefolgsmann des Osiris, zugleich aber auch „ein Osiris“, was sich besonders anschaulich in dem Namenszusatz „Osiris N“ ausdrückt, und als solcher Teil des Jenseitsbereichs und einer der Wesen, die dort leben. Zugleich ist dem Verstorbenen das Weiterleben auf der Erde durch das Weiterleben im Sohn garantiert.

An keiner Stelle in den Sargtexten wird allerdings der mythische Hintergrund dieser Vorstellung in ganzer Länge oder auch nur größerer Ausführlichkeit geschildert. Es sind immer nur Versatzstücke, die Bezüge auf einzelne Episoden im Schicksal des Osiris beinhalten, sieht man von der Gesamtwirkung des Osirisglaubens einmal ab.

Vor dem Hintergrund ihrer formalen wie inhaltlichen Herleitung sind nicht nur die Pyramidentexte, sondern zu großen Teilen auch die Sargtexte als memphitisch-heliopolitanische Texte anzusprechen: Sie stehen in der Tradition von Residenz und religiösem Zentrum des Alten Reiches. Inwieweit neue Texte ebenfalls von dort stammen oder bereits in südlicheren Landeszentren konzipiert wurden, wird wissenschaftlich unterschiedlich beurteilt. Es steht aber auf jeden Fall einer heliopolitanisch geprägten Sonnentheologie um Re die unterirdische Welt des Osiris gegenüber, die in Heliopolis keine theologische Heimat gehabt haben dürfte, die aber dessen ungeachtet immer weiter an Popularität gewinnt. Dies wird ganz offensichtlich von königlicher Seite unterstützt, wie z.B. der Ausbau von Abydos zu einem der Kultzentren des Mittleren Reiches zeigt. Die beiden unterschiedlichen Konzepte stehen sich in den Sargtexten noch weitestgehend unverbunden gegenüber, wie man dies z.B. dem Zweiwegebuch entnehmen kann. Die Sargtexte versuchen also noch nicht den systematischen Ausgleich zwischen Re- und Osirisglauben, wie er in den Unterweltsbüchern des Neuen Reiches entworfen wird. Es lassen sich aber Hinweise in den Sargtexten aufspüren, mit denen die später in großer Ausführlichkeit besprochene und dargestellte Vereinigung von Re und Osiris angedeutet ist.

2.3. Weitere Lokalisierungen des Jenseits

Es finden sich in den Sargtexten weitere Jenseitsvorstellungen und übergreifende Konzeptionen, die allerdings – wenigstens in der Zeit der Sargtexte – nicht den Wirkungskreis wie die beiden zuvor genannten besaßen (z.B. das Urgewässer). Daneben sind eine Vielzahl weiterer Örtlichkeiten genannt, zu denen der Verstorbene gelangen möchte oder die er auf seiner Jenseitsreise durchfährt. Diese bleiben in ihrer Lage, Charakterisierung und Bedeutung allerdings häufig genug unbeschrieben. Mitunter wird sich an Stätten im Diesseits angelehnt, so z.B. im Zweiwegebuch, das die Wege von Rosetau beschreibt und damit auf eine Bezeichnung aus dem memphitischen Nekropolenbereich anspielt.

Ein ebenfalls zyklisch gedachtes Kontinuitätsmodell stellt das Konzept um den Ba (vulgo „Seele“) des Verstorbenen dar. Der später mit Menschenkopf und Vogelkörper gestaltete Ba ist eine der vielen Konstituenten der Person des Verstorbenen, die nach seinem Tod Wirksamkeit entfalten. Er besitzt die Fähigkeit, sich vom Körper (= Mumie) zu lösen und wieder zu ihm zurückzukehren. Diese Eigenschaften prädestinieren ihn dazu, z.B. an das Konzept des Sonnenlaufes angefügt zu werden, indem etwa der Ba zum Sonnengott aufsteigen soll (CT 488-500).

2.4. Das Leben im Jenseits

Unabhängig von diesen Konzepten einer jenseitigen Welt und der Existenz des Verstorbenen dort wird in den Sargtexten auf verschiedene Weise ausgemalt, was den Verstorbenen im Jenseits erwartet, wie er sich wappnen kann und was er selbst für sein Leben in dieser neuen und vor allem unbekannten Sphäre erhofft. Dies ist nicht zwingend an eine bestimmte Jenseitsvorstellung gebunden, sondern kann gänzlich unabhängig von diesen Konzepten stehen. Die Wünsche, die der Verstorbene für sich äußert bzw. die für ihn geäußert werden, entstammen zu einem großen Teil den (positiven wie negativen) Erfahrungen seines irdischen Lebens. Die Liste der Wünsche ist lang. Viele von ihnen befassen sich mit körperlicher Unversehrtheit und leiblichem Wohlergehen, die dem Verstorbenen überhaupt erst Lebensfähigkeit im Jenseits garantieren. Zu diesen Sprüchen gehören u.a. solche, die das Zusammenbinden der Körperglieder und damit die körperliche Unversehrtheit des Verstorbenen thematisieren, wobei sich dieser Wunsch aus dem Osirismythos speist. Ferner treffen wir auf Sprüche, mit denen die Befähigung beschworen wird, im Jenseits Luft atmen zu können (z.B. CT 223). Eine Vielzahl von Sprüchen beschäftigt sich mit der Nahrungsaufnahme und insbesondere mit dem Wunsch, auch im Jenseits reichlich über Wasser zu verfügen. In der Vorstellung des Jenseits als einer „verkehrten Welt“ ist der Ursprung der sog. Abscheusprüche zu sehen. In ihnen bringt der Verstorbene zum Ausdruck, dass er keinen Kot essen, keinen Urin trinken und auch nicht auf dem Kopf gehen werde, da dies sein „Abscheu“ sei. Seinem irdischen Alltag entlehnt sind hingegen die Wünsche, im Jenseits (Feld-)Arbeit zu vermeiden (CT 210) oder auch der Schlachtbank oder dem Vogelnetz zu entgehen, die im Jenseits eine Bedrohung für den Verstorbenen bzw. seinen Ba darstellen können (z.B. CT 479-481 „Fangnetzsprüche“).

Nahrung und auch Kleidung werden dem Verstorbenen oft von Gottheiten und gern in Form von Opfern zur Verfügung gestellt. Dieses Darreichen ist häufig mit der Nennung von diesseitigen Festen oder Festtagen verbunden. Dabei äußert sich die Übertragung diesseitiger Verhältnisse in das Jenseits, wenn es z.B. in einem (mehrmals belegten) Spruchtitel heißt „In Heliopolis Brot darbringen“.

Ein solchermaßen ausgestattetes Leben im Jenseits ist jedoch nur dann möglich, wenn der Verstorbene sich nach seinem eigenen Willen bewegen kann, was als Wunsch gleichfalls in den Sprüchen zum Ausdruck gebracht wird. Eng an den Wunsch nach Bewegungsfreiheit knüpft sich zudem die Hoffnung, jede beliebige Gestalt anzunehmen, die mit verschiedenen Konnotationen belegt ist. Sie ermöglicht dem Verstorbenen z.B. den himmelwärts gerichteten Aufstieg, um beim Sonnengott sein zu können, sie beinhaltet aber zugleich eine grundlegende Qualität seines jenseitigen Lebens, da er z.B. in Gestalt eines Vogels an jeden Ort gelangen kann, an den er gelangen möchte, um essen, trinken und auch seine Geschlechts- und Zeugungsfähigkeit ausleben zu können (CT 94/CT 96). Diese Verwandlungen sind vielschichtig angelegt: Im Falken (= Horus) etwa, dessen Gestalt der Verstorbene annehmen möchte, ist nicht nur der sich frei bewegende Vogel zu sehen, in ihm manifestiert sich einmal mehr der Macht- und Herrschaftsgedanke, der auch im Jenseits nachwirken soll (CT 147/CT 148). Die Verwandlung in andere Göttergestalten dient dem Verstorbenen gleichfalls dazu, sich deren Machtbefugnisse zu sichern und einzuverleiben.

Neben vielen weiteren Aussagen des Verstorbenen, wie er sein Jenseits ausgestattet haben möchte, fällt eine Gruppe von Texten auf, in denen er hofft, auch im Jenseits mit seiner Familie vereint zu sein (CT 131-135; CT 146). Der Widerhall der (sozialen) Realwelt schlägt sich aber möglicherweise nur auf den ersten Blick in solchen Spruchtiteln nieder wie „Sich in einen vom König Geehrten (oder Versorgten) verwandeln“ (CT 257) oder „Herausgehen am Tage und die Verwandlung in einen Menschen vornehmen“ (CT 105). Die Konzeption des Jenseits und des Lebens dort als Dasein bei den Göttern legt es ja eher nahe, für den Verstorbenen die Rolle eines Herrschers in den jenseitigen Gefilden auszuschmücken. Er tritt als Herrscher des Himmels auf (CT 256) und übernimmt eine Herrscherrolle mit solaren Zügen, strebt aber auch die Rolle gewalttätiger Gottheiten an und erlangt so die Befähigung, der Bedrohung durch sie zu entgehen. Einzelne Göttergestalten sind vielschichtig angelegt. So kann Horus als mythische Gestalt, nämlich als göttlicher Sohn des Osiris aufgefasst werden (s.o.), aber auch in seiner dogmatischen Funktion als Herrschergott.

2.5. Der Weg ins Jenseits

Die Befähigung, nach den Glaubensvorstellungen der Zeit in ein ewig währendes Jenseits einzutreten und dort glücklich und erfüllt existieren zu können, fällt dem Verstorbenen nicht einfach zu. Er muss sich bewähren. Die Idee eines Totengerichtes, vor dem sich der Verstorbene zu verantworten hat und das seine Lebensführung prüft, ist in den Sargtexten bereits angelegt, wird jedoch im Wesentlichen als ein göttliches Gericht aufgefasst, in dem Osiris (und damit der Verstorbene) Rechtfertigung erlangt. Deutlich ausgeprägt findet sich hingegen in den Sargtexten die Vorstellung, dass der Verstorbene über Wissen zu verfügen hat, denn Wissen wird nicht nur in der Realwelt, sondern auch in diesem Kontext als Macht empfunden. Ohne einen bestimmten Wissensvorrat ist es ihm nicht möglich, die verschiedenen Hürden zu überwinden, die ihn von der erstrebenswerten jenseitigen Welt trennen, und Erlösung vom Tod zu erfahren. Besondere Prominenz haben Sprüche erlangt, in denen der Verstorbene von einem Fährmann gleichsam examiniert wird: Erst nachdem der Verstorbene die Teile des Fährboots auch in ihrer Bedeutung benennen kann, wird er vom Fährmann z.B. zur östlichen Seite des Himmels übergesetzt (CT 397-398; CT 404-405).

Mehr und mehr wird aber nicht nur auf Wissen vertraut, sondern es treten Beschwörungen hinzu, die dem Verstorbenen den Weg ebnen sollen. Sie dienen ihm dazu, sich Zauberkräfte und Macht einzuverleiben. Die Sargtexte zeigen ein wahrnehmbares Vordringen dieser „magischen“ Einstellung im Totenglauben, die selbst Drohformeln gegen Götter beinhalten kann.

2.6. Abschließende Bemerkungen

Die Gedankenwelt der Sargtexte wird theologisch noch stark vom memphitisch-heliopolitanischen Kulturkreis, d.h. dem weltlichen wie vor allem dem geistigen Mittelpunkt des Alten Reiches, dominiert. Die Anteile des neuen politischen und zunehmend auch religiösen Zentrums Theben sind hingegen verschwindend gering bzw. prägen sich nicht aus. Dies ist u.a. darin begründet, dass die Götterwelt in den Sargtexten zwar bereits breit gefächert ist und zahlreiche synkretistische Verbindungen aufweist, das Auftreten einzelner Gottheiten sich aber nur schwerlich an die bekannten Lokalkulte anbinden lässt. So wird man möglicherweise auch die recht zahlreichen Belege für das Wirken des Gottes Thoth, der in Hermopolis verehrt wurde, nicht mit der herausragenden Stellung dieses Ortes bei der Überlieferung der Sargtexte (s.u.) erklären können oder zumindest nicht allein damit. Sein in den Sargtexten geschildertes, vielfältiges Wirken leitet sich bereits aus seiner mythologisch vorgegebenen Rolle ab, z.B. als Richter im Streit zwischen Horus und Seth (CT 277 mit dem Titel bzw. der Nachschrift „Sich in Thoth verwandeln“), als welcher er im übrigen auch schon in den Pyramidentexten auftritt.

Am Rande sei vermerkt, dass die gesamte archäologische und literarische Ausstattung ihre Wirksamkeit erst nach vollzogener Mumifizierung und Grablegung entfalten konnte, die ihrerseits mit einer Vielzahl ritueller Handlung begleitet wurden. Zudem sind – auch dies ist zu vergegenwärtigen – die Sargtexte nicht die einzigen funerären Texte, die im Mittleren Reich im Umlauf waren, s. z.B. die im Bestand der Ramesseumspapyri gefundenen Texte. Ebenso machten Sargtexte nicht die einzig mögliche Dekoration eines Sarges aus. Diese konnte des weiteren eine Zusammenstellung diverser ritueller Geräte wie auch Grabbeigaben („Gerätefries“, „frise d’objets“) umfassen, ferner Opferlisten mit den verschiedensten, dem Verstorbenen zur Verfügung stehenden Speisen oder auch Sternuhren. Letztere waren traditionell auf der Innenseite des Sargdeckels angebracht und bildeten listenartig Auf- und Untergang der Dekansterne ab.

3. Bedeutung und Funktion der Sargtexte

Eingedenk der Tatsache, dass Sargtexte zumeist auf Särgen und dort in der Regel im Innern niedergeschrieben wurden, ist ihre Bedeutung und Funktion allein für den Verstorbenen evident. Die aus dem Diesseits heraus für den Verstorbenen konzipierten Texte werden ihm für sein jenseitiges Leben an die Seite gegeben. Die Vielschichtigkeit und fehlende Einheitlichkeit der Texte verweist aber bereits darauf, dass dem Corpus keine übergreifende Bedeutung und Funktion zugeschrieben werden kann, sieht man davon ab, dass es dem Verstorbenen von Nutzen sein sollte. Die altägyptischen Sargtexte sind also nicht nur formal und inhaltlich als eine Mischliteratur gekennzeichnet, sondern auch hinsichtlich ihrer Funktion in verschiedener Weise aufzufassen. Was diese Funktion bzw. Funktionen im Kern ausmacht, ist nur indirekt zu erschließen, da Selbstaussagen der ägyptischen Texte fehlen oder nicht unbedingt eindeutig sind.

Bei einigen Sargtexten ist recht offensichtlich, dass ihre Nutzung in einer Bestattung und für den Verstorbenen sekundär war und dass die Texte ursprünglich für Lebende und einen diesseitigen Kontext entworfen worden sind („Sitz im Leben“). So heißt es in der Nachschrift zu einem Sargtext (CT 228), dass die Kenntnis des Spruchs 110 Jahre an Lebenszeit erbringen wird, was sich mit den Vorstellungen von einem jenseitigen Leben nicht unbedingt in Einklang bringen lässt. In mehreren Texten, die als Gespräch zwischen dem bereits verstorbenen Vater und seinem Sohn angelegt sind (CT 38-41), lassen sich Wesenszüge der diesseitigen „Letters to the Dead“ wiedererkennen. Andere Texte scheinen auf die eine oder andere Weise dem Götterkult entlehnt (z.B. CT 162; CT 483ff.). Phrasen aus den Sargtexten finden sich zudem in einigen sog. magischen Texten (CT 82; CT 106). Diese Texte sind ganz offensichtlich aus ihrem diesseitigen Kontext herausgelöst und für die Zwecke des Verstorbenen umgedeutet worden. Sie stehen jetzt neben Texten, die schon von vornherein für die Belange und das Leben in der fiktiven Welt des Jenseits entworfen worden sind. Als eine Gruppe genommen lassen sich diese Texte als Totenliteratur im engeren Sinne bestimmen. Sie statten den Verstorbenen mit dem Wissen aus, das er benötigt, um auf dem Weg in das Jenseits und im Jenseits bestehen zu können.

In den Sargtexten können wir zudem „Verklärungen“ (oder „Totenliturgien“) identifizieren, die teilweise in größeren Sequenzen auftreten (z.B. CT 1-29; CT 44-61; CT 63-74). Bei ihnen handelt es sich um Rezitationen, die in ein kultisches Geschehen integriert sind. Auch sie sind der diesseitigen Sphäre entnommen, da sie die (rituellen) Handlungen vor und im Zuge der Beisetzung begleiteten. Ihre Niederschrift in einer Bestattung entstammt jedoch einer anderen Vorstellung, als es die Transponierung diesseitig ausgerichteten Textguts darstellt (s.o.). Mit der schriftlichen Fixierung werden diese Rezitationen für die Ewigkeit festgehalten, sind für den Verstorbenen beliebig häufig zu wiederholen und gewähren so seine immerwährende Erlösung vom Tod. Andere Ritualtexte, die in den Pyramidentexten noch enthalten sind, fehlen in den Sargtexten. Dies betrifft vor allem Texte des Opferrituals.

Wo genau die Grenze solchermaßen bestimmbarer Funktionen der Sargtexte liegen, wird nicht bei jedem einzelnen Spruch deutlich. Unabhängig von dieser Zuordnung bleibt zudem für die einzelnen Sargtexte ihre Zugehörigkeit zu bestimmten Textarten oder Textgattungen zu untersuchen (Hymnen z.B.), doch besteht in dieser Frage noch ausgesprochen großer Diskussionsbedarf.

Es bleibt darauf hinzuweisen, dass die Anordnung der (Sarg-)Texte z.B. auf einem Sarg nicht zufällig war. Häufig genug werden zwar Zugänglichkeit eines Textes oder andere pragmatische Gründe dafür verantwortlich gewesen sein, dass ein Spruch benutzt wurde. Doch zeigt schon allein die bevorzugte Anbringung einiger Texte auf bestimmten Sargteilen (z.B. CT 335 auf dem Deckel oder Zweiwegebuch auf dem Boden), dass mit dem Anbringungsort die Wirkung eines Textes unterstrichen und verstärkt werden konnte. Es sind zudem Konzepte entwickelt worden, mit denen der Zusammenstellung der Texte wie auch ihrer Verteilung auf der Quelle rituelle Bedeutung zugrundegelegt werden kann.

Im Zusammenwirken der zuvor nur schlagwortartig dargelegten Inhalte der Sargtexte wie auch durch die rituelle Verankerung dieser Inhalte, die diesseitig ausgesprochen und für die gedachte Welt des Jenseits wirksam werden, erreicht der Verstorbene den Zustand der „Verklärung“. Als „Verklärter“ geht er in die jenseitige Welt ein und erreicht die Überwindung des Todes.

4. Überlieferung der Sargtexte

Ebenso wie die Pyramidentexte des Alten Reiches bleiben auch die Sargtexte nach der Zeit ihrer Hauptnutzung im Mittleren Reich noch in Gebrauch, allerdings in einem deutlich eingeschränkteren Maße. Im Wesentlichen begegnen wir Sargtexten nach dem Mittleren Reich in der sog. 2. Zwischenzeit und dem frühen Neuen Reich (18. Dynastie), d.h. in der Zeit von etwa 1650-1450 v. Chr., aber auch noch in der Grabausstattung des Tutanchamun (ca. 1333-1323 v. Chr.). Ferner lebt die Nutzung der Sargtexte in der ägyptischen Spätzeit zwischen dem Ende der 25. und dem Beginn der 27. Dynastie (ca. 690-520 v. Chr.) wieder auf. Diese Epoche ist durch einen allgemeinen „Archaismus“ gekennzeichnet, der die verschiedensten Bereiche kulturellen Lebens betrifft.

Die Nutzung und Weitergabe der Sargtexte war an Bibliotheken gebunden, die an jedem größeren Ort bzw. der dazu gehörigen Nekropole existiert haben dürften. Dort lagerten die auf Papyrus geschriebenen Textvorlagen, die nach Bedarf eingesehen und aus denen die Textprogramme für die einzelnen Bestattungen ausgewählt werden konnten. Über Zwischentextträger auf Papyrus, Ostrakon und eventuell auch Leder erfolgte die Weitergabe innerhalb der einzelnen Nekropolen, aber auch von Ort zu Ort. Diese Vorgehensweise hatte zunehmend verderbtere Textvorlagen wie auch Textabschriften zur Folge. Zugleich sind aber immer wieder Versuche feststellbar, offensichtliche Fehler oder unverständliche Textstellen durch mehr oder weniger erfolgreiche Korrekturen aufzuheben.

Dieses Verfahren bei der Weitergabe der Sargtexte erlaubt es, unter Anwendung der textkritischen Methode die Überlieferungsgeschichte der Sargtexte bzw. einzelner Sprüche daraus zu rekonstruieren. Es sind bereits eine ganze Reihe von Sargtexten textkritisch untersucht und Stemmata zu diesen Texten erstellt worden. Die Implikationen dieser Arbeiten sind vielfältig: Sie ermöglichen die Wiederherstellung eines Archetypus und machen die textlichen, inhaltlichen wie grammatikalischen Veränderungen sichtbar. Sie liefern somit die notwendigen Voraussetzungen, die inhaltliche Auseinandersetzung mit dieser überaus interessanten, aber auch schwierigen Textgruppe voranzutreiben.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

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2. Publikation und Quellen

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Abbildungsverzeichnis

  • Ausschnitt aus der östlichen Innenwand vom Sarg des Nacht (Asjūṭ, Mittleres Reich, Holz, stuckiert und bemalt, Hildesheim, Roemer-Pelizaeus-Museum 5999). Aus: Schulz, R. / Seidel, M. (Hg.), Ägypten. Die Welt der Pharaonen, Köln 1997, 485 Abb. 112

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