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Schulbücher, aktuelle, katholisch, Grundschule/Förderschule

(erstellt: Februar 2016)

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1. Analyseperspektiven

1.1. Auswahl der Schulbücher

Dieser Beitrag wertet erstens nur die Schulbücher – im Sinne der Schülerbücher – aus, die ministeriell und kirchlich als Lernmittel für den katholischen Religionsunterricht zugelassen sind. Die Details zu den Zulassungen lassen sich über den Bildungsserver des Deutschen Instituts für internationale pädagogische Forschung nachvollziehen (http://www.bildungsserver.de/Zugelassene-Lernmittel-und-Schulbuecher-522.html). Diese Schulbücher zeigen durch die doppelte Prüfung von staatlicher und kirchlicher Seite (→ Religionsbuch, katholisch), welche Formen religiösen Lernens als dem schulischen Bildungsauftrag angemessen erscheinen.

Im Fokus dieses Beitrags stehen zweitens die Schulbücher, die nach 2010 in der Neuauflage erschienen sind. Dieser Zeitpunkt bietet sich aus zwei Gründen an:

  1. 1. Dieser Zeitpunkt markiert die aktuellste Generation von Schulbüchern, die die Kompetenzorientierung auf einem hohen Niveau angenommen hat. Seit 2008 hat sich in der Religionsdidaktik ein gewisser Konsens zur Kompetenzorientierung als didaktisches Unterrichtsprinzip herausgebildet. Dieser Konsens führt zu klar strukturierten Vorschauen, um die Schüler metakognitiv auf den Lernprozess einzustellen, zu strukturierten Lernevaluationen, zur Situierung der Lernprozesse, zu operatorenbezogenen Aufgaben über verschiedene Anforderungsstufen hinweg und zu kumulativ vernetzten Wissensbereichen zwischen den Reihen und den Jahrgängen (→ Kompetenzorientierter Religionsunterricht).
  2. 2. Die Kompetenzorientierung führt dazu, den Bildungsauftrag des konfessionellen Religionsunterrichts angesichts der vorauszusetzenden → Heterogenität der → Schülerinnen und Schüler neu zu bestimmen. Wenn das Ziel fachlich genormte Handlungsformen sind, die konfessionell begründet sind, stellt sich die Frage, wie in diese Formen kirchen- und religionsferne Schülerinnen und Schüler für ein anregendes Bildungsangebot hineingenommen werden. Die Schulbücher bis 2000 haben versucht, die Themen lebensweltlich – und das heißt in der Normalrealität außerhalb der Glaubensperspektive – als bedeutsam zu präsentieren. Auch die Kompetenzorientierung betont den Lebensweltbezug, aber so, dass die zu lernenden Handlungsformen dort als relevant ausgewiesen werden können. Deshalb sind neue Formen zu finden, wie einerseits der Inhalt mit seiner eigenen Rationalität erarbeitet wird und wie andererseits die Schüler zu dieser Rationalität gedacht werden. Nur einzelne Schulbücher zeigen diese Auseinandersetzung explizit auch schon vor 2010 – und werden daher hier auch aufgenommen.

Die neu erschienen Schulbücher ab 2010 sind in besonderem Maße kompakt strukturierte, durchdesignte und oftmals auch inhaltlich neuakzentuierte Lernmedien, die eine besondere Aufmerksamkeit verdienen. Trotzdem macht es Sinn, den Blick noch etwas für die Schulbücher zu weiten, die diesen Zeitraum durch weitere Auflagen erreichen. Sie sind dann meistens weit verbreitet, haben sich für viele Lehrkräfte in der Praxis bewährt und die veränderten Rahmenbedingungen auf ihre Weise aufgenommen.

1.2. Analysefrage

Der folgende Artikel will eine religionspädagogische Analyse der aktuellen Generation von Schulbüchern sein. Ihm geht es weniger um eine Rezension der einzelnen Bücher, die in einer Kaufempfehlung endet. Die Schulbücher werden daraufhin analysiert, wie sie als religionsdidaktische Reflexionen verschiedene Entscheidungen treffen:

  • Anliegen: Wie sieht ein Schulbuch die Zielgruppe? Was sind die Fragen, Interessen, Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler? Wie lässt sich der Gegenstand so verstehen, dass er die Schülerinnen und Schüler herausfordert, orientiert, qualifiziert? Die Ziele des Lernprozesses entstehen aus didaktischer Sicht in der Kopplung des Verständnisses von der Sache für die Lernenden und bilden sich in einem vorstrukturierten Lernprozess ab. Wie die Schulbücher diese Aufgabe angehen, welche Ziele sie dabei entwickeln, markiert das Anliegen des Buches, in dem sich die Bücher unterscheiden.
  • Ausgangspunkt: Bei dieser Zuordnung müssen die Schulbücher einen Ausgangspunkt für den Lernprozess der Schülerinnen und Schüler wählen. Sie können versuchen, die Lebenswelt aufzunehmen. Aber wie machen sie das? So, dass sie davon ausgehen, dass die Lebenswelt immer noch auf die christliche Lebenssignatur hin lesbar ist oder so, dass die Entfremdung offen thematisiert wird und damit auch zwischen christlicher Innenwelt und säkularer Perspektive unterschieden werden muss? Oder wird dieses Problem dadurch überspielt, dass die christliche Glaubenswelt stark versachlicht repräsentiert wird? Oder wird die christliche Perspektive in eine allgemein religiös interessierte hinein aufgelöst, die dann auf normative Anfragen an die Überzeugungen der Schülerinnen und Schüler verzichtet?
  • offenes/geschlossenes Denken: Je nachdem welches Anliegen ein Lernweg verfolgt und wie er sich selbst zur Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler in Beziehung setzt, so wird der Lernweg auch damit umgehen können, innere Pluralität in den Perspektiven explizit transparent zu machen, anzudeuten, vorzutäuschen oder zu begleiten. Es kann der eigene Vorgehensrahmen transparent gemacht oder verborgen bleiben, er kann begründet oder gesetzt werden. Entscheidungen auf dieser Ebene öffnen und schließen den Lernprozess, geben die Verantwortung ab und verkürzen den Horizont, damit ein Gegenstand Form gewinnt. Sie müssen getroffen werden, es geht nicht alles gleichzeitig.
  • innere methodische Struktur: Gerade weil die Schulbücher die Kompetenzorientierung als Hintergrund operationalisieren müssen, werden die Schulbücher die Lehrkräfte dabei unterstützen müssen, die Lernstände zu erheben, die Kompetenzerwartungen transparent machen und auch eine Lernstandskontrolle anbieten, mit der die Schülerinnen und Schüler den eigenen Lernerfolg überprüfen können. Sie werden die Aufgaben nicht mehr einfach zur Sicherung der Aneignung nutzen, vielmehr werden Aufgaben mit unterschiedlichen Anforderungsbereichen den Umgang mit dem Wissen gezielt anleiten. Und das Wissen wird auch als solches markiert werden müssen, damit die Norm für die Lernprozesse transparent wird. Wie aber binden die Schulbücher so eine objektive Ebene ein, ohne die Lerndynamik zu stören?
  • mediale Gestaltung: Die Lernoberfläche eines Schulbuches besteht zwar grundsätzlich weiterhin aus Texten, Bildern und Aufgaben, aber deren lernunterstützende Vernetzung und sogar noch die Arbeit der Schülerinnen und Schülern mit den medialen Umwelten jenseits des Schulbuches muss heute organisiert sein, um mit den leistungsfähigen digitalen Lernwelten mithalten zu können. Die klassische Organisation ging im Schulbuch von den Lernmedien zu den Aufgaben, heute müssen die Aufgaben verändert auf die Medien blicken lassen, müssen Medien verlinken, die an anderen Stellen abgelegt sind. Die Steuerung erfolgt wesentlich über die Aufgaben, sie organisieren den Zugriff. Die Schulbücher haben den Vorteil gegenüber offenen digitalen Lernmedien, dass sie die inneren Lernräume begrenzt halten und damit für eine hohe innere Kohärenz sorgen können. Dafür braucht das Schulbuch eine hohe innere Strukturierung innerhalb einer Seite, zwischen den Seiten und über die Kapitel hinweg. Wie gut ist es den Schulbüchern gelungen, sich darauf einstellen?

Die nun folgende Analyse verdichtet diese Kriterien auf zwei Grundfragen: In welcher Grundform stellt ein Schulbuch Schülerbild und Sachverständnis zueinander? Wie wird diese Grundform dann methodisch-medial organisiert?

2. Grundschule

2.1. Religionsbuch. Unterrichtswerk für die Grundschule (2010)

Das „Religionsbuch“ vom Patmos-Verlag ist eine Neuerscheinung, es steht aber in der langen Tradition der Religionsbücher von Hubertus Halbfas seit den 1980er Jahren. Weiterhin steht für Halbfas im Vordergrund die religiöse Sprachschule, die die Schülerinnen und Schüler befähigt, die Wirklichkeit in religiösen Mustern zu lesen. Dementsprechend spielt die säkulare Wirklichkeit keine Rolle, sondern die Wirklichkeit, die in sich symbolfähig (→ Symboldidaktik) ist. Das Buch will mit seiner bestimmten, existenziellen Hermeneutik dazu befähigen, die Wirklichkeit mehrperspektivisch zu lesen. Für dieses Anliegen sind die Schulbücher geschlossen gefertigt. Die didaktische Transformation geht von Schülerinnen und Schülern aus, die nicht mehr kirchlich gebunden sind, aber von klein auf in einem religiösen Wirklichkeitszugang bei entsprechenden Lehrkräften erziehbar sind. Die Sache kommt deshalb auch nicht mit einem anderen Wirklichkeitsverständnis als einem hermeneutischen vor. Gerade bei kirchlichen Themen wird durchaus kirchenkritisch deutlich, dass es nur diesen Geltungsanspruch geben kann. Es werden also Deutungsprozesse angeleitet, die scheinbar offen sind in der Erschließung religiöser Signaturen, aber in der Zurichtung dieser Erschließung und in der Ausschließlichkeit dieses Zugangs ist das Schulbuch hermetisch. Für die Schülerinnen und Schüler ist dieser Rahmen verborgen, sie lernen in ihm und werden über die Jahre zu einer bestimmten Perspektive erzogen.

Dazu passend verhält sich die innere methodisch-mediale Struktur. Das Schulbuch verfolgt über die vier Jahre ein eigenes Spiralcurriculum, in dem sehr stabil thematische Einheiten zu → Schöpfung, → Gottesvorstellung, → Jesus, (Kirchen)Jahr, Religionen mit Meta-Einheiten zum Symbol-, Bibel-, Sprachverständnis verknüpft werden. Von Jahrgang zu Jahrgang werden neue Symbole und Sprachformen aufgenommen und es steigert sich die kognitive Komplexität der Erschließungsaufgabe. Aufgaben fehlen in den Schülerbüchern völlig, so dass die Schulbücher an sich nur das Material bieten und die Erschließung immer von außen angeleitet werden muss. Das passt zum Konzept, weil für Halbfas religiöses Lernen ein gemeinsames, von Beziehungen getragenes Konzept ist. Um diesen Aspekt zu stärken, hat er den Büchern immer einen neuen Abschnitt „Leben und Lernen in der Schule“ vorangestellt, der eine empfindsame und wache Atmosphäre einfordert. Zu den Strukturveränderungen gehört auch die didaktische Randspalte, die Übersetzungshilfen, Sachinformationen oder einfach nur Ausblicke bietet. Die Oberfläche wird dominiert von den bewusst ausgewählten Medien, die Texte nehmen von Jahr zu Jahr größeren Raum ein. Objektivistische Lerntexte fehlen, jedes Medium ist ein Steigbügel zur Erschließung. Die Schulbücher funktionieren nicht ohne die Arbeitshefte, erst in ihnen wird der Lernprozess sichtbar, im Schulbuch selbst sind die Anschlussstellen dazu markiert. Insgesamt bieten die Schulbücher eine hochwertige Sammlung von Texten und Bildern, die nur in einem ganz bestimmten Unterricht eine Eigenlogik entfalten können. Dass die genannten Merkmale der Kompetenzorientierung hier fehlen, ist eine bewusste Entscheidung. Halbfas hält sie für ein technisches, äußerliches Design, das religiöses Lernen eher behindert. Kompetenzen können bei kompetenten Lehrkräften aber auch bei diesem Schulbuch entstehen, es übernimmt aber keine Verantwortung dafür, dass sie evident werden.

2.2. Lebensfreude. Arbeitsbuch Religion (2012)

Das Schulbuch „Lebensfreude“ wird von Esther Dreiner, Hermann Josef Perrar und Annette Zitzelsberger für den Schöningh Verlag herausgegeben. In einer Doppelstruktur von klassischen Themen und jeweils einer Deutungsperspektive (z.B. Schöpfung und Lobpreis für die Schönheit) wird die Lebenswirklichkeit korrelativ erschlossen. Jeweils wird ein dritter Bezugspunkt gewählt, der eine immer schon christlich strukturierte Wirklichkeit mithilfe auffallend komplexer christlicher Wissensstrukturen auf ihre existenzielle Tiefenbedeutung hin erschließt. Das Schulbuch spricht die Schülerinnen und Schüler als Teilnehmer aus der Innenperspektive dieses Glaubens an. Obwohl die Lebenswelt und der Inhalt stark aufeinander zugerichtet werden und das Schulbuch damit auf geschlossene Lernprozesse setzt, deren Rahmen den Schülern nicht transparent gemacht wird, besitzt das Schulbuch einen einladenden und offenen Klang, weil es ehrlich versucht, die thematischen Strukturen an sinnvollen anthropologischen elementaren Erfahrungen auszurichten. Pluralität auf Seiten des Inhalts genauso wie Pluralität für die Lernwege sucht man hier deshalb vergebens. Scheinbar offene Aufgaben werden gebraucht, damit sich die Schülerinnen und Schüler auf ihre individuelle Weise in das Thema imaginieren, aber die inhaltliche Struktur soll als objektive Struktur angeeignet werden; verschiedene Positionierungen zum Geltungsanspruch des Inhalts sind nicht möglich.

Das → korrelative Muster wird in beiden Richtungen (Lebenswirklichkeit mit Inhalten interpretieren und Inhalte existenziell auf das Leben hin erschließen) vollzogen, so dass immer mal wieder das Leben und dann auch der christliche Glaube als Lebensperspektive im Vordergrund stehen. Das Schulbuch traut sich in seiner inneren Entfaltung der Themen etwas (z.B. 3. Schuljahr: Maria und Buße), es nimmt das kirchliche Selbstverständnis wohltuend ernst – und mutet auch ein personales, transzendentes Dasein Gottes zu –, nimmt sich aber auch die Zeit und den Raum, die Perspektive des Glaubens mit neuartigen methodischen Schritten zu erschließen. Besonders auffällig ist die Fähigkeit des Schulbuches, behutsam, aber doch bestimmt, die Persönlichkeit der Schülerinnen und Schüler in feinen Arrangements von Texten (mit auffallend vielen gut aufbereiteten, zusammenhängenden biblischen Texten!) und Bildern zu berühren – wenn sie sich überhaupt auf diesen Lernweg einlassen! Durchlaufende Symboliken in manchen Kapiteln (Heilige – ein Herz für andere) sorgen für eine sinnvolle → Elementarisierung des Lernwegs. Die Aufgaben sind über die verschiedenen Anforderungsbereiche hinweg mit sauberen Operatoren gebildet und übernehmen über die Jahrgänge hinweg zunehmend eine steuernde Funktion. Manchmal geht die Richtung von den Medien zu den Aufgaben und dann wird die Aufmerksamkeit wieder in Richtung Medien gelenkt, Seiten werden für Aufgaben verlinkt und Aufgabenkomplexe bilden kleine Lernwelten. Diese Grundlinien sorgen dafür, dass trotz eines Autorenteams und deutlich erkennbarer individueller Schwerpunkte ein hinreichend konsistentes neuartiges Schulbuch entstanden ist, dem es um eine kompetente, emotional berührte und reflektierte Glaubensperspektive auf das Leben geht.

2.3. Neuauflagen

2.3.1. fragen – suchen – entdecken (2002-2005, Bearbeitung 2015)

Das Schulbuch „fragen – suchen – entdecken“ wird von Barbara Ort und Ludwig Rendle für Kösel/Auer herausgegeben. Es ist in der ersten Auflage ab 2002 erschienen und fällt damit eigentlich aus der Analyse heraus. Weil das Schulbuch aber erstens mit immer weiteren Auflagen bis 2013 weit verbreitet ist, zweitens ein interessantes Konzept vertritt und drittens eine konzeptionelle Neubearbeitung für 2015 angekündigt ist, soll an dieser Stelle darauf eingegangen werden.

Die Leitidee des Schulbuches besteht darin, im ersten Schritt die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler so aufzugreifen, dass daraus Fragen erwachsen, was nicht immer gleich gut gelingt. In dem zweiten Schritt zur Bearbeitung der Fragen, sollen die Schülerinnen und Schüler kein fertiges Wissen präsentiert bekommen, sondern in ihrer Suche nach Antworten Material zur Verfügung gestellt bekommen. Da aber keine Fragen direkt leitend werden, entsteht in der Regel doch eher ein inhaltlicher Leitfaden, der in den Überschriften der Doppelseiten einer Reihe geführt wird. In diesen Leitfaden wird die christliche Perspektive je nach Thema unterschiedlich dominant eingeflochten. Immer aber gibt es eine zu lernende ethische, religiöse oder christliche Perspektive. Auch wenn statt der Schülerfragen tatsächlich die Sachlogik diesen Schritt bestimmt, so fällt trotzdem auf, dass die Schüler fast durchgehend in einer Rolle der teilnehmenden Beobachtung angesprochen werden. Nur an ganz wenigen Stellen findet sich das kirchlich-sozialisierte Christen-Wir (z.B. Band 4, 77.83). Dazu passend verzichtet die Reihe weitgehend bei den theologischen Themen auf objektivistische Darstellungen, die z.B. die Wirklichkeit Gottes oder die von Wundern der menschlichen Deutung entziehen würde. Nur vereinzelt wird dieser hermeneutische Zugang aufgegeben, wenn die erzählte Oberfläche von Bibeltexten selbst zur Botschaft wird (Band 3, 32) oder Gottes Wirklichkeit an der Normalrealität verifiziert wird (Band 2, 90). Der hermeneutische Grundzugang verhindert nicht, dass die theologische Mehrperspektivität zu den Themen ausgeblendet wird. Das Ziel der Reihen ist im dritten Schritt, mit den Wissensbausteinen in der Lebenswelt eine neue Perspektive zu gewinnen. Deshalb schließen oft Handlungs- oder Anwendungs- oder Reflexionsaufgaben die Reihen ab. In den Reihen, die eine bestimmte christliche Perspektive als Lernziel anbieten, führt das dazu, dass eine normative Perspektive wenig transparent genutzt wird. Geht es dann doch um die Tradierung bestimmter Botschaften und ist die entdeckende Form eben dafür die Form?

Auf der Ebene der methodisch-medialen Organisation ist das Schulbuch deutlich ein Zwischenschulbuch: Die Aufgaben sind schon handlungsorientiert gedacht und besitzen oft eine Situierung für den Lernprozess, allerdings wird die Seite von oben nach unten bis hin zu den Aufgaben bearbeitet, so dass die Inhaltsorientierung überwiegt und die kompetenzorientierte Grundstruktur den Schülerinnen und Schülern nur wenig zugänglich sein dürfte. Vermutlich werden die konzeptionellen Neubearbeitungen hier am stärksten ansetzen und für eine veränderte Aufgabenkultur von der Einstiegsseite bis zur Abschlussseite sorgen. Für ihre Zeit sind die Bände durch den Verzicht des vereinnahmenden Lernens, die hermeneutische Ausrichtung und die Orientierung am Lernprozess der Schülerinnen und Schüler wegweisend.

2.3.2. Ich bin da. Religion 1-4 (2007-2009)

Das Schulbuch „Ich bin da“ wurde von Friedrich Fischer, Wolfgang Gies, Vera Krause, Monika Oesterwind und Peter Ueter für den Auer/Klett-Verlag erarbeitet. Es stellt die Neubearbeitung von „Ich bin da“ dar, das Andreas Bauer und Andere seit 1975 in vielen Auflagen herausgegeben haben. Und von diesem Vorgänger hat sich das Buch sein Anliegen bewahrt, die eine Botschaft zu transportieren: Gott ist für dich da! Es ist erstaunlich, dass auch die Neubearbeitung direkt und ungebrochen die biblischen Texte von Gottes Nähe erzählen lässt, die sich in der katholischen Kirche weiter verbürgt. Kein anderes Schulbuch bringt die Schülerinnen und Schüler so ungebrochen in die biblisch-christliche Binnenperspektive wie dieses. Die Lebenswelt wird als der Ort vorstrukturiert, an dem sich jeweils die Nähe Gottes erweisen kann (z.B. „Wenn Engel sprechen“, Band 4). Im vierten Schuljahr nimmt es die Naturwissenschaften als konkurrierende Perspektive auf, die aber so dargestellt werden, dass auch hier die christliche Schöpfungsperspektive als denkbare, latent sogar überlegene Realität offengehalten wird. → Hermeneutik spielt nur dann eine Rolle, wenn sie als Deuteverfahren dazu dient, die Grundbotschaft herauszuarbeiten (z.B. „Bibel lesen“, Band 4). Durch die eine Grundbotschaft und die Ausblendung anderer Perspektiven ist das Schulbuch in seinen Lernwegen extrem geschlossen. Weil es aber so offen damit umgeht und eine klare Erwartungshaltung an die Schülerinnen und Schüler hat, kann es durchaus sein, dass dieses Konzept funktioniert. Es verlangt keine kirchliche Sozialisation, aber eben die Bereitschaft, sich einem Lernprozess in der Gottesbeziehung auszusetzen.

Dazu passt die kompetenzorientierte Struktur, die sechs Schritte in sechs Seiten unterscheidet: sehen/entdecken (Einstiegsseite), fragen/finden, hören/sagen (erste Doppelseite), träumen/trauen, glauben/(be)kennen (zweite Doppelseite), leben/gestalten (Abschlussseite mit „Mach was“-Aufgabe). Immer wieder fordern Aufgaben die Schülerinnen und Schüler zu Beiträgen in der Glaubenssprache auf. Durch die Geschlossenheit der Texte und Bilder, die im Zusammenspiel und mit den Aufgaben eindeutige Botschaften produzieren lassen, zieht das Buch in sein eigenes Universum. Das ist faszinierend und irritierend zugleich. Alles, was sich empirisch über die Schwierigkeiten von Kindern mit den (kirchlichen) Glaubensthemen sagen lässt, wird hier einfach ignoriert und ein enger Kanal gebaut, der vor allem auf eine positive Lebensperspektive verpflichtet – vielleicht liegt hier auch der Schlüssel für die Akzeptanz des Buches.

3. Besondere Lernorte

3.1. Förderschule

Für die Förderschule gibt es keine spezifisch konzipierten und zugelassenen Schulbücher für den → katholischen Religionsunterricht. In der Praxis orientieren sich die Lehrkräfte an vergleichbaren Schulbüchern der Grund- oder Mittelschule und versuchen dann, den Förderschwerpunkten entsprechend zu differenzieren oder arbeiten ganz jenseits der in den Schulbüchern ausgelegten Pfade. Diese Lücke hat insofern nachhaltige Konsequenzen, da dadurch auch für einen inklusiven Religionsunterricht (→ Inklusion) Vorstellungen zu Lernprozessen fehlen, die nicht von der Regelschule her integrativ denken.

4. Ausblick

Es ist ganz deutlich zu sehen, wie die Schulbücher um die Zuordnung von Lebenswelt und Glaubenswelt ringen und unterschiedliche Formen aushandeln. Noch gibt es gelingende korrelative Muster (z.B. „Lebensfreude“), aber es zeigen sich auch Muster wie das einer teilnehmenden Beobachtung („suchen – fragen – entdecken“). Offen ist noch, wie die Schulbücher damit umgehen werden, dass das individuelle Glaubenswissen nicht nur die Auseinandersetzung mit einem normativ verbindlichen religiösen/kirchlichen Rahmen braucht, sondern dass dieser Rahmen auch das soziale Lernen selbst prägen muss (vgl. Büttner/Reis, 2015). Wissen wird erst dann relevant, wenn es um etwas geht – bisher ist die Gruppe aber eher von methodischer Bedeutung als von wissenskonstituierender.

Die Kompetenzorientierung kann diesen Klärungsprozess unterstützen, aber noch wird sie sehr unterschiedlich eingesetzt. Sie wird offen abgelehnt („Das Religionsbuch“), aber auch mit einem hohen formalen Standard transparent eingesetzt („Lebensfreude“). Die Befürchtung, dass die Kompetenzorientierung (→ Kompetenzorientierter Religionsunterricht) die Inhalte verdrängt oder technisiert, lässt sich nicht bestätigen. Gerade die thematische Organisation, zu der dann sekundär über die Aufgaben Anwendungskontexte geschaffen werden, führt zu der Frage, ob Schulbücher sich überhaupt auf eine konsequente Kompetenzorientierung einlassen können, die die Themenkonstituierung von Anforderungssituationen her denkt und vor allem eine individuelle Diagnostik vorsehen müsste. Die thematische Orientierung ist natürlich auch den → Lehrplänen und den normativen Prüfprozessen geschuldet, denen die Schulbücher unterzogen wurden.

Es gelingt den Schulbüchern, die Gegenwart sehr genau in Bildern und Texten wahrzunehmen. Sie zeigen damit eindrücklich, dass es immer noch Werke von Künstlern gibt, die auf eine religiöse Wirklichkeit hin gelesen werden können. Noch immer sind die Schulbücher damit gut gefüllte Mediensammlungen, aus denen man sich auch selektiv bedienen kann. Es wird aber auch deutlich, dass die Schulbücher stark geschlossene Lernlandschaften sind, die den Medien eine starke Perspektive mitgeben und eigentlich eine hohe Kompetenz der Lehrkräfte voraussetzen, wenn diese einzelne Medien aus dem Zusammenhang reißen. Die Anpassung an digitale Lernumgebungen ist von der Oberflächenstruktur zu erkennen, aber noch sind sie eigenständige Medien. Ob es noch eine weitere Generation von Schulbüchern geben wird, ist aber trotzdem eine offene Frage, da sich jetzt schon andeutet, wie stark die Bücher mit ihren digitalen Umwelten verknüpft sind.

Die religiöse Heterogenität kommt näher an die Lerngruppen heran, so ist insbesondere der Islam nicht mehr einfach eine zu behandelnde Weltreligion, sondern eine Lebenswirklichkeit in Deutschland. Gerade in den Schulbüchern der Grundschule bleiben aber die Volkskirchen der bestimmende Horizont und denken die Schulbücher die Lerngruppe immer noch homogen. Für Binnendifferenzierungen eines inklusiven Religionsunterrichts oder individualisierte Lerngänge durch ein Thema sind die Bücher nicht gemacht.

Literaturverzeichnis

  • Büttner, Gerhard/Reis, Oliver, Glaubenswissen – konstruktivistisch gelesen, in: Büttner, Gerhard (Hg. u.a.), Religion lernen. Jahrbuch für konstruktivistische Religionsdidaktik, Bd. 6: Glaubenswissen, Babenhausen 2015, 9-20.

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