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Kirchen im Nationalsozialismus

(erstellt: Februar 2016)

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1. Lebensweltliche Verortungen

In vielen deutschen Orten finden sich Dietrich-Bonhoeffer-, Alfred-Delp-, Heinrich-Grüber-, Bernhard-Lichtenberg-, Martin-Niemöller- oder (Clemens-August-Graf-)von-Galen-Denkmäler, -Kirchengemeinden, -Schulen, -Seniorenheime oder -Straßen (→ Orte, historische). Bei aller Unterschiedlichkeit ist allen Namensgebern gemeinsam, dass sie als Kirchenvertreter und Christen Widerstand gegen den Nationalsozialismus leisteten und in dieser Funktion Teil einer vielschichtigen öffentlichen Erinnerungskultur geworden sind, in der sich die freiheitlich-pluralistische Bundesrepublik oder einzelne Gruppen in ihr „ihrer Bindung an elementare Menschen- bzw. Freiheitsrechte zu vergewissern suchen“ (Graf, 2003, 91). So prominent diese Personen damit zunächst sind, so wenig dürfte doch das gängige → Lehrplan- und Schulbuchthema (→ Religionsbuch, evangelisch; → Religionsbuch, katholisch) „Kirchen im Nationalsozialismus“ (o.ä.) als zuallererst historisches Thema in der → Lebenswelt heutiger Kinder und Jugendlicher eine Rolle spielen; und selbst bei der Schülerschaft der oben genannten Schulen dürfte im Einzelfall vom Schulkonzept abhängig sein, ob und inwiefern das Thema und die entsprechenden Personen in ihrer (schulischen) Lebenswelt Gewicht besitzen. Eher dürfte zumindest in der Lebenswelt heutiger Jugendlicher das Thema „Rechtsextremismus“ eine gewichtige Rolle spielen, ist diese das Gedankengut des Nationalsozialismus aufgreifende politische Strömung doch seit den 1980er Jahren ein polarisierender Teil der deutschen Jugendkultur geworden. Ihr, beziehungsweise rechtem Gedankengut an sich, stellen sich verschiedene kirchliche/christliche Erklärungen (wie „Nächstenliebe verlangt Klarheit!“, Rat der EKD, 2012; vgl. auch Maier/Rapp, 2014), Arbeitsgemeinschaften (wie die „Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus“) oder Aktionen (wie „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“) entgegen; in diese Aktionen sind oft auch Jugendliche intensiv eingebunden. Auch wenn das Thema „Kirchen im Nationalsozialismus“ so keine gewichtige Rolle in der Lebenswelt heutiger Kinder und Jugendlicher spielen dürfte, bietet doch zumindest für Jugendliche das Thema „Rechtsextremismus“ und die derzeitige kirchliche/christliche Auseinandersetzung mit ihm (auch dort, wo sie nicht oder unzureichend stattfindet) zahlreiche Anknüpfungspunkte an dieses Thema.

2. Kirchengeschichtliche Klärungen

Mit der Ernennung Adolf Hitlers, des Vorsitzenden der nach der Weltwirtschaftskrise 1929 Resonanz in weiten Bevölkerungsschichten findenden und in den frühen 1930er Jahren verschiedene Wahlerfolge erzielenden Nationalsozialistischen Arbeiterpartei (NSDAP, gegründet 1920 in München), zum Reichskanzler am 30.01.1933 wurde der Nationalsozialismus zur bestimmenden politischen Kraft im Deutschen beziehungsweise ab 1943 Großdeutschen Reich. In kurzer Zeit gestalteten Hitler und weitere Führungskräfte der NSDAP u.a. unter Nutzung des am 24.03.1933 verabschiedeten Ermächtigungsgesetzes den freiheitlich-pluralistischen Rechtsstaat der sogenannten Weimarer Zeit zu einer totalitären, auf Hitler als „Führer“ hin ausgerichteten Diktatur um, die ideologisch durch eine rassistisch begründete Überhöhung der „arischen Rasse“/„Volksgemeinschaft“ und einen ebenfalls rassistisch begründeten Antisemitismus bestimmt wurde. In der Konsequenz wurden u.a. politische Gegner (wie Kommunisten oder Sozialdemokraten), Mitglieder gesellschaftlicher Minderheiten (wie Homosexuelle, Roma oder Zeugen Jehovas), Menschen mit Behinderungen und vor allem Juden zunehmend systematisch ausgegrenzt, in Konzentrationslagern inhaftiert und/oder ermordet (→ Auschwitz/Auschwitz-Gedenken). Ab 1938 wurde der nationalsozialistische Herrschaftsbereich dann auch auf annektierte und mit Beginn des Zweiten Weltkriegs am 01.09.1939 auf besetzte Gebiete in weiten Teilen Europas ausgeweitet. Mit der Selbsttötung Hitlers am 30.04.1945 und der Kapitulation des Großdeutschen Reichs am 08.05.1945 verlor der Nationalsozialismus schließlich seine Rolle als bestimmende politische Kraft.

Die Jahre 1933-1945 sowie das Deutsche/Großdeutsche Reich und die ab 1938 annektierten und besetzten Territorien konstituieren damit den zeitlichen und geografischen Rahmen, in dem von Kirchen im Nationalsozialismus gesprochen werden kann. In diesem Rahmen waren die Kirchen mit einer Kirchenpolitik konfrontiert, die zunächst auf Kooperation hin angelegt war (u.a. Würdigung des Christentums als moralische Basis sowie Akzeptanz der existierenden Konkordate/Staatskirchenverträge in einer Regierungserklärung vom 23.03.1933, Unterzeichnung eines Reichskonkordats am 20.07.1933), andererseits jedoch die Gleichschaltung insbesondere der evangelischen Kirchen anstrebte, wozu die Förderung der eine Synthese von Christentum und Nationalsozialismus anstrebenden Deutschen Christen (DC, als Kirchenpartei u.a. als „Glaubensbewegung Deutsche Christen“ aktiv) mittels aufgezwungenen, von der NSDAP beeinflussten Kirchenwahlen am 23.07.1933 oder der forcierte Umbau des Deutschen Evangelischen Kirchenbundes zu einer zentralistisch geführten Deutschen Evangelischen Kirche unter einem Reichsbischof beziehungsweise ab 1935 einem Reichskirchenminister beziehungsweise -ausschuss beitragen sollte. Als diese Gleichschaltung nur bedingt gelang (siehe unten), wurde ab 1935 zugleich ein zunehmend restriktiver Kurs verfolgt, bei dem die Kirchen auf den engeren kultischen Bereich beschränkt werden sollten. Dies wurde ab 1938 in den annektierten und besetzten Territorien dann nochmals deutlich verschärft, als vor dem Hintergrund der Beschränkung des Reichskonkordats auf das „Altreich“ beispielsweise die österreichischen Kirchen zu privatrechtlichen Vereinen umgewandelt oder die Kirchen im „Reichsgau Wartheland“ zu Vereinen herabgestuft wurden, die keine Grundstücke mehr besitzen durften, deren Klöster, Schulen etc. aufgelöst und deren Vertreter Repressionen ausgesetzt wurden. Exemplarisch sollte so „eine Kultur- und Kirchenpolitik ‚ausprobiert‘ werden, die in letzter Konsequenz auf die institutionelle Liquidierung der Kirchen hinauslief“ (Nicolaisen, 2003, 82).

Das Agieren der Kirchen changierte vor diesem Hintergrund zwischen Zustimmung, Anpassung und Widerstand. Während im deutschen Katholizismus im Gefolge der oben genannten Regierungserklärung die bestehenden Warnungen und Verbote den Nationalsozialismus betreffend am 28.03.1933 zurückgenommen wurden (u.a. war es Katholiken im Bistum Mainz zuvor verboten, Mitglied der NSDAP zu sein) und mit dem Reichskonkordat ein die „Intaktheit“ des deutschen Katholizismus in weiten Teilen sichernder Modus Vivendi gefunden wurde, kam es im deutschen, mehrheitlich antidemokratisch/national geprägten sowie mit Ende des landesherrlichen Kirchenregiments 1918 in eine tiefe Krise geratenen Protestantismus zu weitreichenden Auseinandersetzungen und Umstrukturierungen. Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler wurde hier zum Teil euphorisch begrüßt; zugleich konnten nach den Kirchenwahlen vom 23.07.1933 die Deutschen Christen sowohl in der Deutschen Evangelischen Kirche als auch in nahezu allen Landeskirchen die Kirchenleitung übernehmen und Umgestaltungen in ihrem Sinne voranbringen (u.a. Übernahme des „Arierparagraphens“ in das kirchliche Arbeitsrecht ab 06.09.1933, Wahl Ludwig Müllers zum Reichsbischof am 27.09.1933, Forderung u.a. einer „arisierten“ Bibel im Berliner Sportpalast am 13.11.1933, Eingliederung der evangelischen Jugend in die Hitler-Jugend am 19.12.1933). Ebenfalls 1933 formierte sich allerdings auch Protest, der u.a. geprägt durch Hans Asmussen, Karl Barth, Dietrich Bonhoeffer und Martin Niemöller, die am 09.05.1933 gegründete Jungreformatorische Bewegung und den am 21.09.1933 gegründeten Pfarrernotbund sowie initiiert durch die Synoden von Barmen (29.-31.05.1934) und Dahlem (19.-20.10.1934) zur Bildung der Bekennenden Kirche (BK) führte. Diese verstand sich nicht primär als Widerstand gegen den Nationalsozialismus; die die Bekennende Kirche einende theologische Kritik an den Deutschen Christen und weiten Teilen der staatlichen Kirchenpolitik war jedoch zwangsläufig auch mit dem Ziel einer „Selbstbehauptung der Kirche […] und ihres spezifisch sozial-moralischen Milieus gegenüber dem totalitären [Nationalsozialismus]“ (Nicolaisen, 2003, 84) verbunden. 1934 begann die Bekennende Kirche für die Deutsche Evangelische Kirche und die von Deutschen Christen beherrschten Landeskirchen dabei auch eigene, teilweise wiederum miteinander konkurrierende Kirchenleitungen zu bilden, die das theologische in einem institutionellen, trotz staatlicher Verbote und Repressionen (so die Ermordung Paul Schneiders am 18.07.1939) bis 1945 bestehenden Schisma manifestierten (wobei sich der Großteil der protestantischen Kirchenmitglieder allerdings weder den Deutschen Christen noch der Bekennenden Kirche anschloss).

Sowohl die katholische Kirche als auch die Bekennende Kirche betonten immer wieder ihre Staatstreue und ihre Zustimmung zu zentralen Zielen des Nationalsozialismus (wie Bekämpfung des „Bolschewismus“), standen diesem jedoch auch widerständig entgegen: Neben grundsätzlicher Kritik (so in einer zunächst geheim an Hitler gerichteten, u.a. von Asmussen und Niemöller gezeichneten Denkschrift vom 28.05.1936 oder in der Enzyklika „Mit brennender Sorge“ vom 14.03.1937) sind hier verschiedene, auf Verletzungen des Reichskonkordats reagierende Eingaben zu erwähnen, weiterhin u.a. die Verurteilung der 1933 einsetzenden Sterilisierungen von „Erbkranken“ und der 1940/41 durchgeführten „Aktion Gnadentod“ (bei der ca. 70.000 Menschen mit Behinderungen ermordet wurden) durch bedeutende Kirchenvertreter wie Clemens August Graf von Galen (vgl. Lindner, 2011), Konrad Graf von Preysing oder Theophil Wurm. Kirchlichen Widerstand gegen den Nationalsozialismus leisteten u.a. durch Verweigerung des Militärdienstes auch die massiv verfolgten Zeugen Jehovas sowie einzelne evangelische/katholische Kirchenvertreter wie Alfred Delp, Harald Poelchau oder Augustin Rösch, die sich Widerstandsgruppen wie dem „Kreisauer Kreis“ anschlossen. Wenig im Blick war dabei die 1933 einsetzende Verfolgung der deutschen Juden: Von Einzelpersonen wie Dietrich Bonhoeffer, Helmut Gollwitzer, Heinrich Grüber, Bernhard Lichtenberg oder Werner Sylten sowie Bemühungen zur Rettung der „christlichen Nichtarier“ (so im „Büro Grüber“ oder im „Raphaelswerk“) abgesehen wurde dies vor dem Hintergrund des im Raum der Kirchen weit verbreiteten Antijudaismus und auch rassistisch begründeten Antisemitismus widerspruchslos hingenommen. Ähnliches gilt für die 1940/41 einsetzende systematische Ermordung des europäischen Judentums, die zwar u.a. in einer Eingabe Wurms vom 16.07.1943 und in einem Hirtenwort der Fuldaer Bischofskonferenz vom 19.08.1943 verurteilt wurde, bei dem „immer wieder geforderte weitreichende öfftl. Proteste der Kirchenleitungen […] jedoch aus[blieben]. So mutig sich die kirchl. Funktionseliten für die Bewahrung ihrer Interessen und die Substanz der Volkskirche einsetzten, so wenig gerüstet waren sie, auf die polit. und ethische Herausforderung durch die Verbrechen des N. überzeugend zu reagieren“ (Nicolaisen, 2003, 85).

3. Religionsdidaktisch-praktische Überlegungen

Neben kirchenhistorischen Darstellungs- und Quellenbänden sowie Lexikonartikeln bieten u.a. Schulbuchkapitel, Arbeits-, Lehrerhand-, Vorlesebücher und Materialien im Internet (u.a. Arbeitsblätter, Filme und Ausstellungen, vgl. bündelnd rpi-virtuell und eigens erwähnenswert Forschungsstelle für Kirchliche Zeitgeschichte; → Film, kirchengeschichtsdidaktisch; → Filmarbeit in Unterricht und Erwachsenenbildung) einer religionsunterrichtlichen Auseinandersetzung mit dem Thema eine umfangreiche Basis, häufig unter Einbezug gewichtiger systematisch-theologischer Themenstellungen („Kirche und Staat“, „Christen und Juden“ etc.), mitunter allerdings zugleich unter unreflektierter Nutzung problematischer Begriffe („Drittes Reich“, „Judenfrage“, „Kirchenkampf“ etc.). In den Arbeitsbüchern, Materialien etc. immer wieder erkennbare Zielstellungen, die die Etablierung einzelner Vertreter des kirchlichen Widerstands als Vorbild beinhalten, scheinen dabei vor dem Hintergrund der jeweiligen Biografie zunächst nahezuliegen und haben in der öffentlichen Erinnerungskultur (→ Erinnerung/Erinnerungslernen) und vorrangig auf religiöse Sozialisation und Erziehung abzielenden Lernorten (→ Lernorte religiöser Bildung) einen nachvollziehbaren Stellenwert. In einem → religiöser Bildung verpflichteten Religionsunterricht (→ Religionsunterricht, evangelisch; → Religionsunterricht, katholisch) sind solche Ziele jedoch unter Umständen problematisch, ist hier doch die Tendenz erkennbar, einzelne Kirchenvertreter hagiografisch zu idealisieren, die Fremdheit dieser historischen Personen zu missachten und zugleich das komplexe kirchliche Agieren zwischen Zustimmung, Anpassung und Widerstand auszublenden. Wird eine personenfokussierte Auseinandersetzung angestrebt, ist daher empfehlenswert, mindestens zwei eher konträre Personen wie Lothar Kreyssig und Walter Grundmann in den Blick zu nehmen (vgl. als Grundlage Döring/Haspel, 2014), mit realen/fiktiven Biografien „verschiedene[r] Sozialtypen (Täter, Opfer, Retter und Zuschauer)“ (Wermke, 2005, 342f.) zu arbeiten und insgesamt die Etablierung „kritisch gebrochener Vorbilder“ (vgl. Rickers, 2008) anzustreben (vgl. auch Lindner, 2007, 278-283; Mendl, 2015, 126-150).

Gegenüberstellungen wie die von Kreyssig und Grundmann verweisen auf das oben genannte Schisma, mit dem sich der deutsche Protestantismus im Nationalsozialismus konfrontiert sah. Welche Kirche(n) hier als „wahre“ Kirche(n) bezeichnet werden können, ist eine Frage, die insbesondere im → evangelischen Religionsunterricht u.a. mit Blick auf die reformatorischen Bekenntnisschriften (→ Reformation) erörtert werden kann und die den Blick weitet für die Frage, ob und inwiefern eigentlich die heutigen Kirchen ihrerseits „wahre“ Kirchen darstellen – oder sich nicht beispielsweise nun der „Diktatur des Kapitals“ unterworfen haben. Das im Religionsunterricht eher abschlägig zur Sprache kommende Thema „Ekklesiologie“ dürfte so nochmals auch für die Schülerschaft spannende Anhaltspunkte erhalten.

In den Arbeitsbüchern, Materialien etc. wenig beachtet werden dabei bislang kulturhermeneutische Zielstellungen. Wird ein funktionales Verständnis von Religion zugrunde gelegt, demzufolge Religion überall dort existent ist, wo ein Phänomen spezifische Funktionen ausübt (Integration, Kompensation, Legitimierung, Kontingenzbewältigung etc.), dann lässt sich auch der Nationalsozialismus als → Religion verstehen, deren Artikulationsformen (Bekenntnisse, Gedichte, Lieder), Riten (SS-Namenweihe), Feste (Reichserntedankfest), Symbole (Hakenkreuz, Blut) etc. mitunter frappierende Ähnlichkeiten mit dem Christentum aufweisen, die sich aber auch in gewichtigen inhaltlichen Punkten vom Christentum unterscheidet (so in der Verklärung Hitlers als „Erlöser“). Sowohl für das Verständnis des Nationalsozialismus als auch des Christentums und der Kirchen dürfte eine entsprechende Kulturhermeneutik des Nationalsozialismus so Erhellendes beitragen und erneut das religionsunterrichtliche Thema „Ekklesiologie“, aber auch das Thema „Religionskritik“ zu befruchten in der Lage sein.

Insgesamt liegt es beim Thema „Kirchen im Nationalsozialismus“ nahe, die Verknüpfung mit anderen Themen, aber auch anderen Fächern wie Ethik, Geschichte oder Sozialkunde sowie außerschulischen Kooperationspartnern wie der lokalen Kirchengemeinde oder Aktionen „gegen rechts“ stets mit im Blick zu haben. In der Folge wären umfangreiche Projekte wie die Erstellung einer Ausstellung (so zu den Deutschen Christen), die Realisierung eines Digitalisierungsprojekts (so zur Vergangenheit der lokalen Kirchengemeinde), die Durchführung einer Schulbuchanalyse (→ Schulbuchforschung, so mit der Frage, ab wann das Thema im Schulbuch eigentlich aufgegriffen wurde) oder in → konfessionell gebundenen Schulen in Fortführung des Themas die Erstellung und Implementierung eines christlich motivierten Schulprofils „gegen rechts“ denkbar, in denen komplexe kognitive, affektive und pragmatische Lernziele verfolgt werden können.

4. Schluss

Obwohl das Thema „Kirchen im Nationalsozialismus“ zu den am besten erforschten Themen der → Kirchengeschichte gehört, fällt eine abschließende Bewertung des kirchlichen Agierens schwer; und beispielsweise selbst die explizit als Schulderklärung firmierende, vom Rat der am 31.08.1945 gegründeten EKD verfasste (und im Nachgang wiederum heftig umstrittene) „Stuttgarter Schulderklärung“ vom 18./19.10.1945 bleibt diesbezüglich letztlich ambivalent: „Wohl haben wir lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat; aber wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben“ (Rat der EKD, 1945). Diese Schwierigkeit einer abschließenden Bewertung wird dabei auch den religionsdidaktischen Überlegungen zu Grunde zu legen und gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern in der Auseinandersetzung mit dem Stoff zu entfalten sein. Modelle der „Erziehung nach Auschwitz“/„Holocaust Education“ (→ Auschwitz/Auschwitz-Gedenken) wie „Facing History and Ourselves“ oder „Konfrontationen“ (vgl. einleitend Kößler, 2000) können hier hilfreich sein, betonen sie doch unter Absehung finaler Bewertungen die Rolle einzelner Individuen im Rahmen eines komplexen, sich bis 1945 steigernden Gewalteskalationsprozesses. Die Adaption dieser Ansätze für die religionsunterrichtliche Auseinandersetzung mit dem Thema „Kirchen im Nationalsozialismus“ steht jedoch noch am Anfang (vgl. ein Beispiel bei Wermke, 2005, 340–347).

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