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Begabung, Begabungs- und Begabtenförderung

(erstellt: März 2024)

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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.400031

1. Begriffsklärung

Aufgrund zeitlicher und gesellschaftlicher Prozesse hat sich das Verständnis von (Hoch-)Begabung insbesondere innerhalb der vergangenen Jahre einer starken Wandlung unterzogen (Ziegler/Heller, 2000). Während sich das Verständnis von Begabung in der Vergangenheit zeitlich und gesellschaftlich unterschied (z.B. soziokulturelles Vorrecht, erblich bedingt), die Termini Begabung und Talent als gegenseitiges Synonym verwendet wurden und er sich meist auf kognitive Leistungsaspekte bezog, wird er jüngst multiperspektivisch untersucht und breiter gefasst (Gagné, 1993; Müller-Oppliger, 2017).

1.1. Begabung und Talent

Anlehnend an das dynamische und multidimensionale Begriffsverständnis des Projekts „Leistung macht Schule“ (LemaS) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) wird Begabung als ein „leistungsbezogenes Entwicklungspotenzial“ begriffen, das eine individuelle Konstellation aus Fähigkeiten und Persönlichkeitsmerkmalen sowie Umweltkontexten bildet und somit eine Voraussetzung für Leistung darstellt. Ist eine Begabung bereits sichtbar und somit entwickelt, wird sie als Talent bezeichnet. Dieses zeigt sich meist in einer überdurchschnittlichen Leistung in einem bestimmten Fachbereich und wird daher als fachspezifisches Talent angegeben (z.B. künstlerisches, sportliches, mathematisches Talent). Es ist anzumerken, dass eine Begabung aber nicht zwangsläufig zum Talent führt (LemaS, 2020, 1).

1.2. Hochbegabung

Wie auch beim Begabungs- und Talentbegriff variieren Bezeichnungen wie „besonders begabt“, „hoch begabt“ oder „hoch leistungsfähig“ im öffentlichen Sprachgebrauch. Insbesondere im deutschen Sprachraum wird im Kontext von Hochbegabung von einer „besonderen Begabung“ gesprochen (Stamm, 1999, 12; Rost/Buch, 2018, 226). Da bisher überzeugende „qualitative Unterschiede einer kognitiven Leistungsfähigkeit (z.B. differente Denkstrukturen) zwischen Hochbegabten und durchschnittlich Begabten“ nicht vorhanden sind, wird weltweit auf eine quantitative Definition des Hochbegabungsbegriffs zurückgegriffen (Rost/Buch, 2018, 227). Als ein komplexes Konstrukt liegen dem Hochbegabungsbegriff eine Vielzahl an Konzeptionen und Modellen zugrunde, die verschiedene Definitionsgrundlagen und Betrachtungsebenen implizieren (Tettenborn, 1996, 1f.; Gardner, 1999; Müller, 2007, 56-63): „statisch“ (angeboren), „dynamisch“ (Umwelteinflüsse), „intellektuell“ (kognitive Begabung; grundlegende Intelligenz), „nicht intellektuell“ (z.B. soziale, sportliche, psychomotorische Begabung; multiple Intelligenzen), „Kompetenz“ (Potenzial, d.h. vorhandene, aber noch unausgeschöpfte (Entwicklungs-)Möglichkeit) und „Performanz“ (sichtbare Leistung). Zur Diagnose einer Hochbegabung ist die Betrachtung der Ausprägung des kognitiven Leistungspotenzials zum Populationsdurchschnitt weit verbreitet. Sie wird meist mittels Intelligenztests erfasst (Müller, 2007, 56f.; Rost/Buch, 2018, 227).

1.3. Inklusive (Hoch-)Begabungs- und Begabtenförderung

Bildungsgerechtigkeit, Zugehörigkeit und Teilhabe sind laut dem Index für Inklusion Leitkategorien, damit allen Schülerinnen und Schülern in einem inklusiven Bildungssystem die gleichen Möglichkeiten geboten werden, „an qualitativ hochwertiger Bildung teilzuhaben und ihre Potenziale zu entwickeln, unabhängig von besonderen Lernbedürfnissen, Geschlecht, sozialen und ökonomischen Voraussetzungen“ (Römer/Malina, 2014, 9). Das bedeutet, dass im Sinne einer inklusiv praktizierten (Religions-)Pädagogik der Vielfalt (Knauth/Möller/Pithan, 2020; Lindner/Tautz, 2018) und eines Lernens in Vielfalt (Walgenbach, 2017) Heterogenitätsdimensionen wie etwa „kognitive Leistungsfähigkeit (Intelligenz, fachliche Leistung, aber auch Lernbehinderung), soziale Herkunft (Sozialschicht, Familienstruktur, Migrationshintergrund, religiöse Einbindung etc.), die Geschlechtszugehörigkeit und das Alter“ (Trautmann/Wischer, 2011, 40) in der Unterrichtsgestaltung intersektional berücksichtigt werden müssen (→ Intersektionalität). Hierzu gehört aber auch, dass alle Schülerinnen und Schüler von ihren Lehrkräften mit ihren (Dis-)Abilities sowie ihren vielfältigen Begabungspotentialen und Talenten individuell wahrgenommen und innerhalb ihres Lernprozesses binnendifferenziert und kompetenzorientiert unterstützt werden sollten (Schweiker, 2012; Knauth, 2015; Weigand/Kaiser, 2021) (→ Inklusion; → Inklusive Lehr- und Lernprozesse, religionspädagogisch). Entgegen dem pädagogischen Anspruch wird Schule oft immer noch nicht als gewinnbringender und kreativitätsfördernder „Resonanzraum“ (Rosa, 2016, 402; Beljan, 2017) gestaltet und individuelle (Hoch-)Begabungen und Talente und folglich Leistungspotenziale zahlreicher Schülerinnen und Schüler bleiben im stressigen Schulalltag „teilweise unerkannt und dementsprechend auch ungefördert“ (Müller-Oppliger, 2021a, 36; Preuß, 2012). Diese zu erkennen, zu fordern und zu fördern, stellt einen Aspekt inklusiven Religionsunterrichts dar (Knauth, 2015).

Ziel einer (Hoch-)Begabungs- und Begabtenförderung ist es, (potenziell und überdurchschnittlich) begabte Schülerinnen und Schüler zu unterstützen, ihre Potenziale zu entdecken und weiterzuentwickeln. Die Förderung kann sich entweder an einen bestimmten Teil einer Lerngruppe (Begabtenförderung) oder an alle Lernenden (Begabungsförderung) richten, bei denen ein noch unentdecktes Potential vermutet werden kann. Hierbei werden grundsätzlich zwei Förderstrategien unterschieden: 1. Möglichkeiten zur Beschleunigung (Akzeleration) und 2. Möglichkeiten zur Vertiefung (Enrichment). Während bei der Akzeleration den Lernenden ein beschleunigtes Lernen (z.B. frühere Einschulung, Überspringen von Klassen, vorzeitige Zulassung zum Studium) ermöglicht wird (Vock, 2021), werden ihnen im Enrichment zusätzliche Angebote zur Vertiefung des Lehrplaninhalts (vertikales Enrichment) oder zusätzliche, nicht im Lehrplan enthaltende Angebote (horizontales Enrichment) innerhalb (innere Differenzierung) oder außerhalb des Klassenverbandes (äußere Differenzierung) gemacht (z.B. Drehtürenmodell) (BLK, 2001, 232-243). Obwohl eine Nutzung beider Fördermöglichkeiten im Schulkontext erfolgt, stellt das Erkennen von (Hoch-)Begabungen und Talenten eine stetige Herausforderung dar. Nur rund 50 % der (Hoch-)Begabten werden dem „Schoolwide Enrichment Model“ (SEM) zufolge durch ihre schulischen Leistungen und/oder durch Tests erkannt (Müller-Opplinger, 2012, 263; Reis/Renzulli/Müller-Opplinger, 2021). Die Erkennung der anderen Hälfte erfolgt eher zufällig durch sensibilisierte Lehrkräfte oder bleibt unerkannt. Zu ihnen gehören beispielsweise Underachiever (schulische Leistungen befinden sich meist weit unter dem Niveau trotz eines sehr hohen Leistungspotenzials), Twice Exceptionals (auch als 2e bezeichnete Hochbegabte, die zugleich durch Schwierigkeiten in der Wahrnehmung, im Verhalten und Lernen oder durch eine körperliche Behinderung herausgefordert sind), Overexcitabilities (weisen zusätzlich eine sensorische Übererregbarkeit wie etwa Licht, Geräusche etc. auf) oder auch Kinder und Jugendliche, die aus Angst vor Vorurteilen ihre (Hoch-)Begabungen verleugnen etc. (Müller-Oppliger, 2017, 31-33). „Förderung auf Verdacht“ (Müller-Oppliger, 2017, 81) stellt hierfür ein Konzept dar, auch unbekannte und noch unentdeckte (Hoch-)Begabungen im Regelunterricht zu fördern. Das Konzept verfolgt das Ziel, begabungssensible und -förderliche Lehr-Lernumgebungen und -angebote mit verschiedenen Zugängen zu gestalten, die heterogene Lerngruppen unabhängig von bereits diagnostizierten Begabungen nutzen können. Eine begabungssensible Religionspädagogik muss daher 1. (Hoch-)Begabungen und Talente in ihrer Vielfalt erwarten, 2. begabungssensible und -förderliche Lehr-Lernumgebungen und -angebote gestalten und offerieren, um im Lernort Schule (Hoch-)Begabungen und Talente zu erkennen und 3. die Lernenden ressourcenorientiert und im Sinne eines fachlichen Kompetenzzuwachses auch mit unterschiedlichen Enrichtment- und Akzelerationsangeboten fördern.

2. Religionspädagogische Überlegungen

Während in anderen Fachdisziplinen, wie etwa in der Germanistik (Laudenberg/Spiegel, 2019) oder im MINT-Bereich (Bardy/Bardy, 2020), (Hoch-)Begabung und ihre Förderung bereits definiert sind, ist der Bereich in der Religionspädagogik ein Desiderat (Guttenberger/Husmann, 2007). Obwohl Begabung, Talent und → Kreativität als Grundzüge einer Religionspädagogik der Vielfalt benannt werden (Knauth, 2015, 65), fehlt bis auf wenige Definitions- und Förderansätze noch heute eine konkrete, fachspezifische Definition religiöser (Hoch-)Begabung und ihrer Förderung (Guttenberger/Husmann, 2007; Knauth/Möller/Pithan, 2020).

2.1. Biblisch-theologische Reflexionshorizonte

Nach theologisch-biblischem Verständnis ist der Mensch in seiner Vielfalt geschaffen und wird ausgehend von der Gottesebenbildlichkeit als „gottfähig“ und „von Gott begabt“ verstanden (Grümme, 2012, 472f.; → Anthropologie). Die dem Menschen innewohnenden Besonderheiten, Begabungen und Talente sind mit Gottes „Ja“ zur Schöpfung (Gen 1,31) als spezielles und individuelles, gegebenes Geschenk zu verstehen. Niemand ist ohne Begabung. Jedoch sollten Begabungen und Talente verantwortungsvoll und zum Nutzen aller eingesetzt werden (1 Petr 4,10). In einer Zeit, in der sogenannten Geisterfahrungen, insbesondere Glossolalie (Zungenrede), in der Gemeinde von Korinth hoher Stellenwert beigemessen wurde und daher eine Gemeindespaltung drohte, entwarf Paulus in 1 Kor 12 eine eigene Vorstellung des Lebens aus dem Geist Gottes (Schreiber, 2019, 5-7) Er führt den Neologismus Charisma ein, „um das, was Menschen in der Kirche als Ausdruck ihrer Gottes- und Nächstenliebe zu [sic!] tun, genau in der Dialektik von Gnade (charis) und Glaube (pistis) anzusprechen, die auch für die theologische Begabungs- und Talentforschung charakteristisch ist.“ (Söding, 2018, 5) Am Beispiel des Leib Christi (1 Kor 12,12-27; Röm 12,3-8) verdeutlicht Paulus, dass alle Glieder und somit alle Begabungen und Talente in ihrer Vielfalt aufeinander angewiesen sind. Jede Gabe, so bezeichnet er sie, ist Teil eines Ganzen und lehnt eine Klassifizierung und Bewertung von ihnen ab. Keine Gabe ist wichtiger oder besser als die andere. Durch den Einsatz der Gaben kann Gott nicht nur durch sie wirken, sondern sie können auch zum Segen für die gesamte Menschheit werden. Zugleich können sie für den Gemeindeaufbau und ihre Entwicklung, aber auch für die Schaffung einer besseren, gerechteren und friedvollen Welt produktiv genutzt werden (1 Kor 12,14; Eph 4) (Maurer, 2007, 102-105; Söding, 2018). Paulus verwendet hierfür verschiedene Worte, die unterschiedliche Dimensionen von Gaben betonen: „pneumatikon“ (1 Kor 12,1) betont die geistliche Dimension, „charismatōn“ (1 Kor 12,4) die gnadenhafte und von Gott gegebene Dimension, „diakoniōn“ (1 Kor 12,5) die diakonische Dimension und „energēmata“ (1 Kor 12,10) die göttlich wirkende Dimension. Begabungen müssen sich nach Paulus erst entwickeln und sind daher nicht als etwas Abgeschlossenes zu verstehen. Als Beispiele gottgebender Gaben nennt Paulus etwa die prophetische Rede, Lehre, Ermahnung, Trösten, Fürsorge oder die Ausübung der Barmherzigkeit (Röm 12,6-8). Doch die höchste Gabe ist für ihn die Liebe: „Gottes Liebe, die in die Herzen der Menschen ausgegossen ist und sie inspiriert, nicht sich selbst, sondern für Gott und den Nächsten zu leben (1 Kor 13)“ (Söding, 2018, 6). Begabungen sind ihrer Vielfalt somit nach einem christlichen Deutungshorizont als Gnade und Geschenk Gottes zu verstehen, die im Dienst der menschlichen Schöpfung stehen, durch die Gott in der Welt wirkt und die zum Wohle aller eingesetzt werden sollen.

2.2. Fachdidaktische Herausforderungen

Eine wichtige Dimension des Verständnisses von Bildung in der Religionspädagogik ist die „Selbstbildung in Beziehung“, bei der besonders Kreativität als „schöpferische Gabe“ eine signifikante Rolle in „jeglicher Beziehungsgestaltung und damit auch beziehungsorientierter religiöser Bildung“ spielt (Boschki, 2003, 374). Beziehungen haben in jener Bildungsform „stets die Potentialität zur Neuschöpfung – und zwar im Umgang mit sich selbst (Neuorientierung), in der Beziehung zu anderen (Umkehr), in der Beziehung zur Natur und Kultur (Neugestaltung durch kreative Auseinandersetzung), in der Gottesbeziehung (Neubewertung)“ (Boschki, 2003, 374). Religiöse Bildung geschieht demnach in einem Beziehungs- bzw. „Resonanzraum“ (Rosa, 2016), in dem sich das Individuum des Potentials der Kreativität bedient und in Wechselwirkung mit der Welt und einem in Beziehung tretenden Gott begibt. Demnach könnte mit Hartmut Rosa religiöse (Hoch-)Begabung auch als eine bestimmte Form von Resonanzfähigkeit verstanden werden, bei der die Schülerin bzw. der Schüler „affiziert“ bzw. ergriffen ist und Selbstwirksamkeitserfahren erfährt. Auf den Leib Christi bezogen, kann dieser als Resonanzkörper verstanden werden, indem sich die (Hoch-)Begabungen und Talente einzelner Personen verdichten, auf ein Gegenüber angewiesen und zu einem Gegenüber hin ausgerichtet sind und schlussendlich miteinander interagieren. Zugleich bedeutet es, dass Sie sich erst in der Interaktion, also im sozialen Kommunikationsraum als solche wahrnehmen lassen. In dieser Begegnung kann das Individuum seinen Platz finden und seine Aufgaben wahrnehmen. Zugleich zeigen ihm das göttliche und menschliche Gegenüber die Grenzen auf, wodurch es wiederum erneut kreativ angeregt wird und über sich hinauswachsen kann (Maurer, 2007, 102-105). Im Rahmen eines konstruktivistischen, subjekt-, und kompetenzorientierten Religionsunterrichts müssen hierfür heterogenitäts- und begabungssensible Lehr-Lernprozesse gestaltet sowie Enrichtment- und Akzelerationsangebote angeboten werden, die eine Entfaltung des Potentials aller Lernenden zum Ziel hat. Ein begabungssensibler Religionsunterricht muss die einzigartigen, individuellen Ressourcen, Potenziale und Fähigkeiten würdigen und zugleich eine Entdeckung, Entfaltung und Entwicklung mit unterschiedlichen Zugängen zum jeweiligen Lernstoff ermöglichen (Knauth, 2015). Da die Identifizierung und Förderung in (religiösen) Bildungsprozessen im Schulalltag häufig nur bedingt möglich ist, muss sich erstens „von einem Lernen in Gleichschritt“ (Husmann, 2007b, 124) abgewandt und zu offenen Lehr-Lernformaten (z.B. Forschungswerkstatt, Projektarbeit, Forschendes Lernen, Freiarbeit, Stationenlernen) hingewandt werden (Husmann, 2007a, 124-126). Wenngleich an dieser Stelle angemerkt werden muss, dass dieses Lehr-Lernformat nicht per se für alle Schülerinnen und Schüler geeignet ist. Die offene Struktur kann Verunsicherung erzeugen und den Wunsch nach Anleitung durch die Lehrkraft verstärken (Gärtner/Konz/Hans, 2023). Zugleich fördern solche offenen Lehr-Lernformate eher bürgerliche Schülerinnen und Schüler als Lernende aus bildungsfernen Haushalten (Blume/Schmidt/Kramer/Schmiedek/Neubauer, 2021; Steinmayr/Lazarides/Weidinger/Christiansen, 2021). Daher sollten auch abwechslungsreiche Lernlandschaften angeboten werden, die individuelle und ganzheitliche Zugänge und Methoden umfassen. Zweitens sollten adaptive Lernarchitekturen wie das „‚Schoolwide Enrichment Model“ mit adaptiven Förderangeboten oder Mentoring für talentierte und hochbegabte Schülerinnen und Schüler vermehrt eingesetzt und zum Beispiel das Drehtürenmodell auch für Nebenfächer wie Religion und Philosophie etabliert werden (Husmann, 2007a; Müller-Oppliger, 2021b). Drittens sollten erweiterte Leistungsbeurteilungen (z.B. Kompetenzraster, Portfolios als individualisierte Leistungsdokumentation oder Lernjournals als Reflexionsinstrument eigener Lernprozesse) vermehrt Einzug in den Religionsunterricht finden (Husmann, 2007b; Müller-Oppliger, 2021c) und viertens eine begabungssensible Schulung fester Bestandteil einer inklusiven Ausbildung der Religionslehrkräfte werden (Lerke, 2023). Eine mögliche begabungsfördernde Lernumgebung, die sich im Religionsunterricht bereits etabliert hat, ist das vierdimensionale Aneignungsmodell des Theologen Wolfhard Schweiker. Er geht davon aus, dass eine vorbereitete Lernumgebung ein gleichzeitiges, heterogen-differenziertes und ganzheitliches Lernen mit allen Sinnen und Tätigkeitsformen im Sinne eines konstruktiven von- und miteinander Lernens initiieren kann. Da die Existenz verschiedener Lerntypen bekannt ist, sollen im Unterrichtsgeschehen mehrdimensionale und differenzierte Themenzugänge für Schülerinnen und Schüler ermöglicht werden, die vier grundlegende Aneignungs- bzw. Zugangsformen anbieten: 1. basal-perzeptiv, 2. konkret-handelnd, 3. anschaulich-modellhaft und 4. abstrakt-begrifflich (Knauth/Möller/Pithan, 2020; Schweiker, 2012). Da die verschiedenen Materialien der Aneignungswege individuell von den Schülerinnen und Schülern ausgesucht werden und eigenständig und ggf. in Team- oder Gruppenarbeit bearbeitet werden, wird hier im Sinne der begabungsfördernden Aspekte Franz Weinerts z.B. aktiv-konstruktives und kooperatives Lernen ermöglicht (Weinert, 2000). Im Anschluss an das explorierende Arbeiten sollten die individuellen Erfahrungen und Ergebnisse noch gemeinsam mittels der der Stunde zugrundeliegenden Leitfrage besprochen und reflektiert werden. Hierzu bietet sich das von Petra Freudenberger-Lötz (2007; 2010) sowie Thomas Schlag und Friedrich Schweitzer (2011; 2012) erarbeitete Konzept des Theologisierens mit Kindern und Jugendlichen an. Zugleich kann mittels des Theologisierens die intellektuelle Begabung der Schülerinnen und Schülergefordert und gefördert werden, indem die Lehrkraft im Sinne eines systematischen und situierten Lernens versucht, die kognitive Kreativität und das divergente Denken der Schülerinnen und Schüler anzusprechen (Büttner, 2007, 142).

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