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Kirchenraumpädagogik, virtuelle

Andere Schreibweise: VR-Kirchenraumpädagogik, VR-Kirchenpädagogik, virtual church pedagogy

(erstellt: März 2024)

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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.400009

1. Begriffsbestimmung

VR-Kirchenraumpädagogik entfaltet Lehr-Lern-Settings zu digitalen Kirchenräumen mittels Virtual Reality (VR). Virtual Reality bezeichnet dabei „die immersive Darstellung von vollständig computergenerierten Umgebungen“ (Persike, 2020, 278), wobei Immersion den Effekt beschreibt, inwieweit der Nutzer bzw. die Nutzerin die virtuelle Umgebung als real empfindet (Gerwens, 2018, 1; Pirker/Pišonić, 2022).

Bei der Kirchenraumpädagogik (→ Pädagogik des Kirchenraums/heiliger Räume; → Kirchenraumpädagogik/Kirchenpädagogik) handelt es sich um „eine dynamische und kreative Teildisziplin der Religionspädagogik“ (Rupp, 2017b, 8), die auf „das ganzheitliche Erleben des Kirchenraums“ (Rupp, 2016, 14) zielt. Diese „will Kirchenräume für Menschen öffnen und den Sinngehalt christlicher Kirchen mit Kopf, Herz und Hand erschließen und vermitteln, um so Inhalte des christlichen Glaubens bekannt zu machen und einen Zugang zu spirituellen Dimensionen zu ermöglichen“ (Bundesverband Kirchenpädagogik e. V., 2002, 24; Hervorh. im Orig.). Kirchenraumpädagogik und Kirchenpädagogik können synonym gebraucht werden (Rupp, 2016, 17), jedoch auch ein unterschiedliches Verständnis dieser religionspädagogischen Teildisziplin zum Ausdruck bringen: Kirchenpädagogik kann im Sinne einer Gleichsetzung des Kirchenraums und der Kirchengemeinde“ verstanden werden, während der häufig auf katholischer Seite gebräuchliche Ausdruck Kirchenraumpädagogik als Differenzierung „zwischen der Kirche als Volk Gottes […] und dem Kirchenbau“ fungiert (Boehme, 2020, 1).

In der Religionspädagogik wird schon seit längerem mit 3D-Optionen für kirchenpädagogische Settings experimentiert, VR-Zugänge gibt es seit den 2020er Jahren. Während 3D einen analogen Kirchenraum digital verfügbar macht, zielt VR auf die immersive Erschließung eines virtuellen Kirchenraums. Im Folgenden werden daher zunächst Kontexte der Digitalisierung erläutert und sich daraus ergebende Kompetenzanforderungen an Lernende und Lehrende formuliert. Daran anknüpfend werden Anforderungen an eine VR-Kirchen(raum)pädagogik, die sich sowohl von der Kirchen(raum)pädagogik als auch von Virtual Reality ausgehend ergeben, aufgezeigt. Das Inbeziehungsetzen beider Anforderungsbereiche mündet in Kriterien für die Konzeption virtueller kirchenpädagogischer Settings. Abschließend wird auf diesbezügliche Desiderate eingegangen.

2. Digitalisierung als Ausgangspunkt

VR-Kirchen(raum)pädagogik kann als Konsequenz der → Digitalisierung verstanden werden. Letzteres bezeichnet den „Prozess, in dem digitale Medien und digitale Werkzeuge zunehmend an die Stelle analoger Verfahren treten“ (Kultusministerkonferenz, 2016, 8) bzw. „das einfache Umwandeln von analogen Werten wie Daten in Form von Zahlen oder Buchstaben in digitale Formate“ (Beranek, 2020, 15). Die dadurch entstehenden neuen Möglichkeiten verändern menschliche Handlungsweisen und bedingen einen gesamtgesellschaftlichen Wandel (→ Gesellschaft). Der auf die digitale Transformation folgende Zustand wird als „Kultur der Digitalität“ bzw. mit dem Terminus „postdigital“ bezeichnet (Stalder, 2016; Döbeli Honegger, 2020; Brustkern/Lindner, 2021). Dementsprechend macht die Digitalisierung VR-Kirchen(raum)pädagogik erst möglich, was eine Veränderung kirchenpädagogischer Lern- und Bildungsprozesse zur Konsequenz haben kann. Damit verbundene neue Möglichkeiten gehen jedoch auch mit neuen Fragestellungen einher, z.B. welche Potentiale und Herausforderungen eine virtuelle Kirchen(raum)pädagogik mit sich bringt (Riegel/Zimmermann, 2024).

3. Kompetenzanforderungen

Die Auseinandersetzung mit VR-Kirchen(raum)pädagogik besitzt u.a. für (hoch-)schulische Bildungsprozesse (→ Universität/Hochschule als Ort religiöser Bildung) Relevanz, weil aufgrund der Digitalisierung bzw. Digitalität sowohl an Lernende als auch (zukünftige) Lehrende digitalitätsbezogene Kompetenzanforderungen gestellt werden (→ Bildung, mediale/digitale).

So konstatiert die → Kultusministerkonferenz bereits 2016, dass es die Aufgabe aller allgemeinbildenden und beruflichen Schulen und sodann auch aller Unterrichtsfächer ist, einen Beitrag zur Entwicklung der Kompetenzen in der digitalen Welt zu leisten. Hierzu zählen die Kompetenzbereiche: Suchen, Verarbeiten und Aufbewahren, Kommunizieren und Kooperieren, Produzieren und Präsentieren, Schützen und sicher Agieren, Problemlösen und Handeln sowie Analysieren und Reflektieren (Kultusministerkonferenz, 2016). Dies impliziert, „aktuelle Entwicklungen […] wie z.B. Augmented-Reality und Virtual-Reality zu beachten, zu reflektieren und einzubeziehen“ (Kultusministerkonferenz, 2021, 12). Folglich muss der Religionsunterricht im Kontext einer religiösen Wirklichkeitsdeutung unter Einbezug kultusministerieller Anforderungen u.a. einen fachspezifischen Zugang zur digitalisierten Welt ermöglichen. Dies impliziert beispielsweise, Möglichkeiten und Grenzen des virtuellen Kirchenraums erfahrungsbezogen und reflexiv zu thematisieren. Das heißt aber auch: Wenn Religionslehrkräfte derartige Fähigkeiten und Fertigkeiten bei Schülerinnen und Schülern fördern sollen, dann brauchen sie auch selbst entsprechende Kompetenzen. Das DPACK-Modell von Döbeli Honegger, das in verschiedensten Bildungswissenschaften und Fachdidaktiken einen hohen Stellenwert genießt, kann in dieser Hinsicht eine Orientierung geben, welche Kompetenzen Religionslehrkräfte sich aneignen müssen. Um ein Unterrichtsfach in einer Kultur der Digitalität angemessen unterrichten zu können, benötigen Lehrende im Sinne dieses Modells inhaltliche Kompetenz, pädagogische Kompetenz und Digitalitätskompetenz (vgl. Abb. 1).

Abb. 1 DPACK-Modell. Eigene Darstellung in Orientierung an Döbeli Honegger, 2023.

Die inhaltliche Kompetenz fokussiert die Fähigkeiten und Fertigkeiten, „ein Fach oder ein Thema unterrichten zu können“ (Döbeli Honegger, 2023), während die pädagogische Kompetenz die „[n]otwendige Kompetenz, um lernwirksamen Unterricht planen und durchführen zu können“ (Döbeli Honegger, 2023), bezeichnet. Digitalitätskompetenz bedeutet, „Phänomene in einer Kultur der Digitalität erkennen, beschreiben, reflektieren und gestalten zu können“ (Döbeli Honegger, 2023). Die Schnittmengen dieser Kompetenzbereiche stellen weitere Kompetenzanforderungen an Lehrende dar. So würde die digitale pädagogische Inhaltskompetenz als Überlappung aller drei Kompetenzbereiche implizieren, den kirchenpädagogik- oder religionsunterrichtsspezifischen Einfluss, die Potentiale und Grenzen von VR auf Lehr-Lern-Prozesse und die Lernenden erkennen, reflektieren und so zeitgemäße Lehr-Lern-Settings gestalten zu können (Döbeli Honegger, 2023).

Diese Kompetenzbereiche gilt es, bei der Weiterentwicklung von Religionsunterricht aufzugreifen; eine virtuelle Kirchen(raum)pädagogik bietet dafür hohes Potenzial und sollte in den Religionsunterricht sowie in die Bildung von Religionslehrkräften integriert und zum Reflexionsanlass auch hinsichtlich damit verknüpfter Chancen und Grenzen werden.

Neben (hoch-)schulischen Zielgruppen kann VR-Kirchen(raum)pädagogik – ebenso wie eine analoge Kirchen(raum)pädagogik – u.a. für Touristengruppen, Konfirmandinnen und Konfirmanden, Firmgruppen sowie für Kirchengemeinden von Interesse sein (zusammenfassend Klie, 2017, 4).

4. Anforderungen an eine VR-Kirchen(raum)pädagogik

Sowohl von der Kirchen(raum)pädagogik als auch von Virtual Reality ausgehend lassen sich Anforderungen an eine VR-Kirchen(raum)pädagogik formulieren. Durch das Inbeziehungsetzen beider Anforderungsbereiche ergeben sich in Summe Kriterien für die Konzeption von virtuellen kirchenpädagogischen Settings (Witt, 2023).

4.1. Gestaltung von Lehr-Lern-Settings

Die Klärungen zur analogen Kirchenraumpädagogik machen grundlegende Forderungen deutlich, die auch für VR-Kirchen(raum)pädagogik Geltung besitzen sollten: die ganzheitliche Erschließung eines Kirchenraums mit Kopf, Herz und Hand, d.h. möglichst alle Sinne (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten) sind einzubeziehen (Rupp, 2016, 14; Bundesverband Kirchenpädagogik e. V., 2002, 24; Riegel/Zimmermann, 2024).

Ein weiteres kirchenpädagogisches Postulat lautet, derartige Settings an die jeweilige Kirche (Aussehen, Besonderheiten etc.), die Adressatinnen und Adressaten (Vorerfahrungen, Einstellungen etc.) sowie die Rahmenbedingungen (Zeitrahmen, Möglichkeiten etc.) anzupassen (Rupp/Grom, 2017, 216). Entsprechendes sollte daher auch eine VR-Kirchenpädagogik berücksichtigen (Riegel/Zimmermann, 2024).

Weiterhin ist es hilfreich zu klären und festzulegen, welchem kirchenpädagogischen Grundansatz das VR-Setting folgen soll. Rupp und Grom nennen beispielsweise die folgenden Grundausrichtungen: Kirchenerkundung, Kirchenführung, Kirchenbegehung, Kirchenerschließung sowie Kirchenbegegnung (Rupp/Grom 2017, 211). Die Kirchenerkundung ist im Sinne einer Entdeckungsreise zu verstehen, die den Kirchenraum als fremdes Terrain sieht, das von den Lernenden mithilfe von Forschungsaufträgen eigenaktiv erkundet werden soll. Die Kirchenführung wiederum betont das Zeigen des Kirchenraums, wobei drei Formen voneinander zu unterscheiden sind: Die klassische Kirchenführung ist eher monologisch verfasst, während die dialogische und wahrnehmungsorientierte die Teilnehmenden selbst Wahrnehmungen machen und zum Gesprächsanlass werden lässt. Die geistliche Führung geht ähnlich vor, jedoch werden zusätzlich spirituelle Elemente, wie z.B. das Einziehen in die Kirche mit Kerzen und Musik, integriert. Bei dem Ansatz der Kirchenbegehung geht es darum, sich auf geistliche Formen einzulassen, Erfahrungen damit zu machen und sich darüber auszutauschen. Die spirituelle Begehung ist mit der geistlichen Führung gleichzusetzen. Die aktive Kirchenerschließung mit Kopf, Herz und Hand ermöglicht einen ganzheitlichen Zugang zu einer Kirche, d.h. es sollen möglichst alle Sinne angesprochen und individuelle Entdeckungen gemacht werden. Zuletzt nennen Rupp und Grom die biografieorientierte bzw. personale Kirchenbegegnung: Die eintretende Person – mit ihrer Individualität, ihren Erfahrungen, Hoffnungen und Sorgen – und der personal verstandene Raum – der zu ihr spricht und ihr etwas zumutet, der tröstet, aber auch verschlossen oder abstoßend wirken kann – werden in Beziehung gesetzt (Rupp/Grom, 2017, 211f.). Für den VR-Kontext eignet sich insbesondere ein kirchenerkundender, kirchenerschließender oder ein kirchenbegegnender Zugriff, insofern die VR-Technik einen individuellen und ortsunabhängigen Zugang ermöglicht, welcher der bzw. dem Einzelnen ein freies Bewegen im Kirchenraum erlaubt. Die Kirchenführung und Kirchenbegehung erscheinen hingegen als weniger geeignet: Techn(olog)ische Gegebenheiten ermöglichen das Bestücken des 3D-Kirchenmodells mit Zusatzinformationen, die Kommunikation mit anderen in der virtuellen Welt sowie die Integration spiritueller Elemente (derzeit) nur eingeschränkt.

VR-kirchenpädagogische Settings können auf verschiedene Methoden zurückgreifen (Riegel/Zimmermann, 2024), die sich an analogen Settings orientieren und zugleich den technischen Möglichkeitsraum nutzen: In Orientierung an analogen Methoden kann z.B. ein Lieblingsplatz im VR-Kirchenraum eingenommen, sich unterschiedlich schnell durch diesen bewegt oder eine kurze Ansprache vom Ambo aus gehalten werden. VR bietet zudem spezifische Methoden – wie sie analog nicht möglich wären – z.B. das Betrachten der dreidimensionalen Darstellung des Kirchengrundrisses, das Heranzoomen an Ausstattungsgegenstände oder das Teleportieren an beliebige Standpunkte im Kirchenraum.

Die Gestaltung und Durchführung von VR-kirchen(raum)pädagogischen Settings folgt in der Regel einem ähnlichen Muster, dem auch eine analoge Kirchen(raum)pädagogik Rechnung tragen sollte. Den Ausgangspunkt bildet eine Hinführung im Kassenzimmer, Seminarraum o.Ä., z.B. in Form von Rechercheaufträgen und Kurzreferaten zu der Geschichte der konkreten Kirche oder zu den Gegenständen in einem Kirchenraum (Altar, Ambo, Kanzel etc.), um kognitive Strukturen bei den Lernenden auszubilden. Überdies gilt es in dieser Phase, mit den technischen Komponenten vertraut zu machen: Nutzung der VR-Brille, Umgang mit Controllern (= Steuergerät für die Interaktion in der virtuellen Welt), Bedienung der Software etc. Darauf aufbauend folgt die virtuelle Kirchenerkundung bzw. -erschließung bzw. -begegnung, die mit einer Annäherung von außen beginnt. VR-Technik macht die dreidimensionale Darstellung des Kirchengrundrisses möglich, sodass die architektonische Außengestalt modellartig wahrgenommen werden kann. Zudem kann die virtuelle Kirche umrundet werden, indem sich die Nutzerin bzw. der Nutzer per Controller von Punkt zu Punkt um diese bewegt. Ein bewusster Übergang von außen nach innen im Sinne eines Schwellenrituals ist anhand verschiedener Methoden umsetzbar. So können die Lernenden die Aufgabe erhalten, sich über den Sinn einer Schwelle und wer der Hausherr oder die Hausherrin einer Kirche ist Gedanken zu machen. Ebenso können verschiedene Möglichkeiten, den Kirchenraum virtuell zu betreten (z.B. Geschwindigkeitswechsel, Einzug mit einer Kerze visualisiert mittels eines Videos), erprobt werden. Im virtuellen Kircheninnenraum angekommen geht es darum, diesen einzeln, gemeinsam und/oder arbeitsteilig mithilfe herkömmlicher kirchenpädagogischer Methoden, die ins Digitale transformiert werden (z.B. Lieblingsplatzsuche), oder spezifischer VR-Methoden (z.B. Heranzoomen an Details) wahrzunehmen, zu erkunden und zu deuten. Ein wiederum bedachter Übergang im Sinne eines Abschlussrituals – dieses Mal von innen nach außen – kann beispielsweise durch Orgelmusik erfolgen, die beim Hinausgehen automatisch abgespielt wird. Im Anschluss an die VR-Kirchen(raum)erschließung ist die Auswertung, Zusammenfassung und Weiterarbeit von zentraler Bedeutung. Dies kann beinhalten, die gemachten (VR-)Erfahrungen zu reflektieren, indem über die Potentiale und Herausforderungen von VR für Kirchenbesuche diskutiert wird. Im Sinne einer Weiterarbeit ist es sinnvoll, das 3D-Kirchen(raum)modell mit den Erkundungsergebnissen (recherchierte Informationen, Lieblingsplätze, Spuren des gelebten Glaubens, Ort für Sorgen/Hoffnung/Freude etc.) zu bestücken, um Kompetenzzuwächse zu festigen und zugleich das 3D-Modell zu individualisieren (Rupp, 2017a, 204-208; Rupp/Grom, 2017, 213f.; Mendl, 2008, 105f.).

Der konkrete Ablauf einer VR-Kirchen(raum)erschließung (Schritte, Methoden, Materialien) kann – ebenso wie bei herkömmlichen kirchenpädagogischen Veranstaltungen – im Sinne eines Verlaufsplans festgehalten oder durch Platzierung von Moderationskarten im virtuellen Kirchenraum, d.h. durch die Beschriftung des 3D-Kirchenmodells mit Aufträgen, visualisiert werden (Rupp/Grom, 2017, 215f.).

4.2. Ermöglichung von Immersion

Da Immersion „als entscheidender Faktor für den Erfolg einer virtuellen Lernumgebung“ (Gerwens, 2018, 1) gilt, ist bei der Erstellung von VR-Kirchen(raum)erschließungen auf das Vorhandensein zentraler Immersionsaspekte zu achten. Grundsätzlich kann zwischen einem mentalen und einem technischen Aspekt der Immersion unterschieden werden:

Der technische Aspekt der Immersion nimmt auf die Eigenschaften von Ausgabegeräten Bezug. Ein hoher Grad an technischer Immersion wird ermöglicht, wenn die Nutzerin bzw. der Nutzer weitestgehend von der Außenwelt isoliert (= computergenerierte Sinneseindrücke) und von Ausgabegeräten umgeben ist. Zudem sollen möglichst viele Sinne angesprochen sowie auf eine hohe Darstellungsqualität geachtet werden (zusammenfassend Gerwens, 2018, 4; Slater/Wilbur, 1997). Für eine VR-Kirchen(raum)erschließung bedeutet das: Um die technische Immersion zu gewährleisten, sollte die Nutzerin bzw. der Nutzer ein qualitativ hochwertiges 3D-Kirchen(raum)modell mit einer VR-Brille, Kopfhörern und Controllern erkunden, welche sowohl als Eingabe- als auch als Ausgabegeräte fungieren.

Der mentale Aspekt der Immersion bezieht sich hingegen auf das subjektive Gefühl der Nutzerin bzw. des Nutzers, sich in der virtuellen Welt zu befinden und setzt sich aus den Teilaspekten Ortsillusion, Plausibilitätsillusion und Involviertheit zusammen. Die Ortsillusion beschreibt das Gefühl, sich am virtuellen Ort zu befinden. Immersive Displays und eine an die Kopfbewegungen der Nutzerin bzw. des Nutzers angepasste Darstellung der virtuellen Welt unterstützen diese Illusion. Die Plausibilitätsillusion beschreibt das Gefühl, dass die Ereignisse der virtuellen Umgebung real sind, und nimmt im Gegensatz zur Ortsillusion auf die Inhalte anstatt auf die Darstellungsart der virtuellen Welt Bezug. Die Involviertheit beschreibt das Interesse der Nutzerin bzw. des Nutzers an der virtuellen Welt, wobei auch hier die Inhalte im Vordergrund stehen (Gerwens, 2018, 4). Die mentale Immersion ist im Kontext einer VR-Kirchen(raum)pädagogik gewährleistet, wenn die Person das Gefühl hat, sich in der Kirche zu befinden (Ortsillusion), das Eintreten, Umhergehen und Verlassen plausibel wirkt (Plausibilitätsillusion) und die Nutzerin bzw. der Nutzer grundsätzlich Interesse an der VR-Kirchen(raum)erschließung hat (Involviertheit).

4.3. Kriterien für die Konzeption

Folgende Kriterien können für die Auswahl und Entwicklung von VR-Kirchen(raum)erschließungen leitend sein.

Multisensorik: Das kirchenpädagogische Grundanliegen, eine Kirche mit Kopf, Herz und Hand zu erschließen, also möglichst viele Sinne einzubeziehen, überschneidet sich mit der immersionsbezogenen technischen Anforderung, ein großes Spektrum an Sinnen anzusprechen. Daraus resultiert das Kriterium, bei der Konzeption von VR-Kirchen(raum)erschließungen sowohl auf inhaltliche als auch auf technische Aspekte der Ansprache möglichst vieler Sinne zu achten, um den Nutzerinnen und Nutzern eine ganzheitliche Erfahrung zu ermöglichen. Der Sehsinn wird beispielweise durch das Suchen von Details im Kirchenraum angesprochen (VR-Brille), der Gehörsinn durch das Abspielen von Musik (Kopfhörer) und der Tastsinn durch das virtuelle Berühren von Figuren (Controller). Der Geruchs- und der Geschmackssinn können allerdings nur durch die Integration analoger Objekte, wie z.B. durch das Erhitzen von Weihrauch und das Teilen von Brot und Wein(trauben) einbezogen werden (Klie, 2017, 6).

Passung: Ein weiteres Kriterium lautet, die VR-Kirchen(raum)erschließung an die Kirche, Adressatinnen und Adressaten sowie Rahmenbedingungen, z.B. mittels der Methodenwahl, anzupassen. Dies kann dazu beitragen, das Interesse der Nutzerinnen und Nutzer an der virtuellen Umgebung bzw. die Involviertheit zu steigern. Das bedeutet, bei einer Pilgerkirche z.B. die Methode Pilgerschritt als spezifische Form des Schreittanzes (Rupp/Grom, 2017, 215) einzubeziehen oder das 3D-Kirchenmodell mit Informationen zum Kirchenpatron bzw. der Kirchenpatronin und zum jeweiligen Kirchenbaustil zu bestücken. Letzteres kann in Abhängigkeit der Zielgruppe und des zeitlichen Rahmens mit Texten, Bildern oder Videos erfolgen. Eine Anpassung an die jeweilige Zielgruppe könnte zudem implizieren, dass die Lernenden zwischen verschiedenen VR-Kirchen(raum)erschließungen auswählen können, welche sie sodann durchlaufen. Auch wird es möglich, eine vom jeweiligen (Schul)Ort zu weit entfernte Kirche virtuell, also orts- und zeitunabhängig, zu erkunden.

3D-Modell: Eine VR-Kirchen(raum)erschließung benötigt sowohl ein 3D-Modell der Außen- als auch der Innengestalt der Kirche und sollte einen virtuellen Rundgang ermöglichen, der außen beginnt, ein Eintreten in die Kirche ermöglicht und auch das Hinausgehen aus der Kirche vorsieht. Sollte das 3D-Modell selbst erstellt werden (Gilli/Kricks, 2024), gilt es darauf zu achten, dass das 3D-Erstellungsprogramm (Matterport, 3DVista o.Ä.) und die Kamera (die für die Aufnahmen verwendet wird) und sodann auch die VR-Brille (mit der die Kirche erkundet wird) eine hohe Darstellungsqualität gewährleisten, um die Ortsillusion zu ermöglichen. Zudem sollte die Bewegung durch den Raum möglichst natürlich gestaltet sein, sodass die Plausibilitätsillusion entsteht. Bei der konkreten VR-Kirchen(raum)erschließung sollte überdies weitgehend sichergestellt werden, dass die Nutzerinnen und Nutzer von der Außenwelt isoliert sowie von Ausgabegeräten umgeben sind.

Didaktisierung: Die VR-Erkundung sollte sich aus kirchenpädagogischen Methoden, welche ins Digitale transformiert werden, bzw. aus Methoden, die VR erst möglich macht, zusammensetzen. Der Verlauf (Schritte, Methoden, Materialien) eines virtuellen kirchenpädagogischen Settings kann entweder mithilfe von Anwendungen bzw. Apps wie Actionbound ins Digitale transformiert werden und/oder durch das Bestücken des 3D-Kirchen(raum)modells mit entsprechenden Informationen (= Platzierung von Impulsanweisungen, die mittels der VR-Technik angesteuert werden können).

Datenschutz: Im Vorfeld der VR-Kirchen(raum)erschließung sind datenschutzrechtliche Vergewisserungen anzustellen, die u.a. das Recht am Bild, die Wahl des 3D-Erstellungsprogramms sowie der VR-Brillen betreffen.

5. Desiderate

Die Studie von Kindermann/Riegel (2018) zeigt, dass eine kirchenpädagogische Erschließung vor Ort im Vergleich zu einem inhaltsanalogen Unterricht im Klassenzimmer mit höheren Wissenszuwächsen bei Schülerinnen und Schülern der 3. Jahrgangsstufe einhergeht, insofern der Kirchenraum als auratischer oder zusätzlich auch als liturgischer Raum erschlossen wird. Die Kirchenerschließung vor Ort und der inhaltsanaloge Unterricht im Klassenraum haben gleichermaßen positive Auswirkungen auf die Einstellungen gegenüber dem Kirchenraum, wobei das situationale Interesse bei der originalen Begegnung größer ist. Bei Schülerinnen und Schülern, die den Kirchenraum vor Ort als auratischen Raum kennenlernen, dominieren positive Wahrnehmungen, die zum Teil auf ein spirituelles/religiöses Raumerleben schließen lassen.

Empirische Studien (→ Empirie), die eine kirchenpädagogische Erschließung vor Ort mit einer VR-Kirchen(raum)erschließung u.a. hinsichtlich des Wissenszuwachses, der Einstellungen, des situationalen Interesses, der Wahrnehmung oder auch des Authentizitätserlebens vergleichen, stellen bis dato ein Forschungsdesiderat dar. Darüber hinaus existieren bisher keine empirischen Studien zu den Potentialen und Herausforderungen von VR für kirchenpädagogische und zugleich (hoch)schulische Bildungsprozesse.

Zudem können bei der Erstellung von VR-Kirchen(raum)erschließungen die Herausforderungen auftreten, dass (derzeit) nicht alles, was inhaltlich und didaktisch sinnvoll erscheint, zum einen techn(olog)isch und zum anderen datenschutzkonform umsetzbar ist.

Literaturverzeichnis

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Abbildungsverzeichnis

  • Abb. 1 DPACK-Modell: eigene Darstellung in Orientierung an Döbeli Honegger, Beat, DPACK, o.O. 2023. Online unter: https://mia.phsz.ch/DPACK, abgerufen am: 23.03.2023.

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