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Aufgabe, Lernaufgabe

Andere Schreibweise: Aufgabenerstellung, Aufgabenstellungen, Leistungsaufgabe, engl. task

(erstellt: Februar 2024)

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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.400006

1. Hinführung

Aufgaben steuern wesentlich die Lernprozesse im Unterricht und regulieren Anspruchsniveau, Zielrichtung und Tiefe der fachlichen Auseinandersetzung. Legt man eine weite Aufgabendefinition an, so liegen jeglichen gesteuerten Lernaktivitäten im Unterricht Aufgaben zugrunde – sei es einen Text zu lesen, eine Fragestellung zu diskutieren oder eine Erläuterung nachzuvollziehen. Maier definiert Aufgaben als „kognitive Anforderungen an Schülerinnen und Schüler, die bei idealer Passung mit den Lernvoraussetzungen zu einer aktiven Auseinandersetzung mit dem zu erlernenden Wissen führen können“ (Maier, 2016, 6). Doch wie gelingt diese ideale Passung mit den Lernvoraussetzungen und welche Bedingungen führen zu einer aktiven Auseinandersetzung?

Trotz ihrer zentralen Bedeutung für den Lernerfolg finden Aufgaben/Aufgabestellungen in religionspädagogischen Publikationen nur marginal – und dann meist in Bezug auf Aufgaben- und Lehrbuchanalysen, anstatt als fachdidaktische Grundlagenkompetenz für angehende Lehrkräfte – Beachtung. Religionspädagogische Kompendien widmen der Thematik in der Regel keinen eigenen Abschnitt. „Es fehlt an einschlägiger Literatur zur Gestalt von Lernaufgaben im Religionsunterricht insgesamt, als auch spezifischer zu deren Konstruktion, Analyse sowie Evaluation“ (Philipp, 2020, → Aufgabenanalyse, religionsdidaktisch). Es sollen daher im Folgenden von der wissenschaftlichen Aufgabendidaktik erarbeitete Qualitätsmerkmale dargestellt werden, welche Lehrkräfte dazu befähigen, Lernaufgaben zu formulieren, die Qualität vorhandener Aufgaben zu bewerten und ihre Komplexität zu regulieren (vgl. Abschnitt 2.). Die Systematisierung folgt dabei Andreas Müller (2017), wobei die Erläuterungen in den Abschnitten 2.1. bis 2.8. auf vielfältige allgemeinpädagogische und fachdidaktische Forschungen unterschiedlicher Fächer zum entsprechenden Merkmal zurückgreifen. Abschnitt 3. grenzt Lernaufgaben von Leistungsaufgaben ab und plädiert für eine transparente und konsequente Trennung beider in der unterrichtlichen Praxis. Eine Zusammenfassung in Abschnitt 4. bündelt abschließend die Darstellung.

Der Artikel richtet den Fokus auf fachdidaktische Erkenntnisse, die zur Formulierung von Aufgaben im Praxiskontext eine Rolle spielen. Eine Einführung zu Modellen wissenschaftlicher Lehrbuch- und → Aufgabenanalyse findet man an anderer Stelle (Philipp, 2020).

2. Qualitätsmerkmale von Aufgaben

Die Sinnhaftigkeit von Aufgabenstellungen ist wesentlich von der Passung zu den Lernvoraussetzungen der Lerngruppe und von der Einbettung in den unterrichtlichen Gesamtzusammenhang abhängig, sodass sich die Qualität einer Aufgabenstellung nur bedingt losgelöst von ihrem Einsatz und ihrer Zielsetzung bewerten lässt. Deshalb können auch auf den ersten Blick schematisch wirkende Aufgabenstellungen ihre Funktion erfüllen, wenn sie beispielsweise zur Festigung oder Einübung von Abläufen dienen. Verstärkt durch das kompetenzorientierte Bildungsverständnis, welches den aktiven handelnden Umgang mit erworbenem Wissen zum Ziel der Problemlösung anmahnt, hat jedoch die Handlungsorientierung und kontextuelle Einbettung von Aufgabenstellungen eine neue Bedeutung erfahren. So wird zumeist ein lebensweltbezogener, produktiver, kreativer und operativer Umgang mit den Lerngegenständen gefordert, um gegen die oft kritisierte Dominanz kognitionslastiger Lernarrangements anzugehen. Insgesamt ist dabei festzustellen, dass Aufgaben „meist dann als ‚gut‘ [gelten], wenn sich in ihnen innovative didaktische Konzepte widerspiegeln“ (Metz/Hoppe, 2016, 24). Doch auch darüber hinaus haben sich fachübergreifende Qualitätsmerkmale für Aufgaben entwickelt.

Andreas Müller (2017, 13) systematisiert die Qualitätsmerkmale von Aufgabenstellungen unter den Leitbegriffen Struktur, Bildungsrelevanz, didaktische Funktion und Lerngruppenpassung, wobei er basierend auf allgemeinpädagogischen Forschungsansätzen folgende Qualitätsmerkmale benennt:

Abb. 1 Qualitätsmerkmale von Aufgabenstellungen nach Andreas Müller, 2017, 14.

Dieser Systematisierung folgend werden nachstehend die Kategorien umrissen, mit denen man das entsprechende Qualitätsmerkmal beurteilen kann.

2.1. Sprachliche Klarheit

Die Lernenden stehen vor der Anforderung, die in der Aufgabenformulierung enthaltenen Handlungsanweisungen zu decodieren. So einleuchtend dabei die Bedeutung sprachlicher Klarheit für den Verstehens- und Produktionsprozess ist, so anspruchsvoll ist ihre Umsetzung in der Praxis. Neben der allgemeinen Komplexität von Kommunikationsprozessen sind in Bezug auf Aufgabensprache fachsprachliche Konzepte von Relevanz, welche beispielsweise durch fachsprachliche Terminologie auf Vorwissen rekurrieren (Müller, 2017, 15). Ziel ist es, „die alltagssprachliche und fachsprachliche Komplexität von Aufgaben mit den zunehmenden Fertigkeiten und Fähigkeiten“ der Lernenden sukzessiv zu steigern und dabei die unterschiedlichen Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler im Blick zu behalten (Müller, 2017, 16). Um die Klarheit trotz wachsender Komplexität zu wahren, ist nach Müller auf folgende Aspekte zu achten:

  • eine bewusste Aufgabenstruktur, die sich durch eine eindeutige Handlungsanweisung auszeichnet, aber auch „den Wert der Aufgabe für das fachliche Lernen transparent“ macht (Müller, 2017, 15)
  • bewusste sprachliche Konstruktionen, „wozu zum Beispiel gehört, dass einfachen Satzgefügen Vorrang vor komplexen Hypotaxen zu geben ist, dass Kürze und Prägnanz anzustreben sind“ (Müller, 2017, 15)
  • die Klärung fachlicher Konzepte und Begriffe, die implizit oder explizit in der Aufgabe enthalten sind
  • die Beachtung eines zielgruppenspezifischen Anforderungsniveaus und
  • die Operatorengenauigkeit in Bezug auf den Handlungsauftrag (siehe auch Abschnitt 2.3.).

2.2. Inhaltliche Klarheit

Die sprachliche Klarheit ist von einer inhaltlichen Klarheit zu unterscheiden, welche durch die innere Struktur einer Aufgabe bestimmt ist. In der Aufgabenanalyse hat sich etabliert zu erfassen, wie viele sogenannte Wissenseinheiten (Johanna Neubrand) benötigt werden, um die Aufgabe lösen zu können. Eine Wissenseinheit umfasst nach Neubrand ein konkretes, klar begrenztes fachspezifisches Wissen (Neubrand, 2002). „Je mehr Wissenselemente eine Aufgabe konstituieren und je komplexer die geforderte Vorgehensweise bei der Lösung der Aufgabe ist, desto höher sind die kognitiven Anforderungen, die eine Aufgabe Schülerinnen und Schülern abverlangt“ (Müller, 2017, 17). Müller hebt hervor, dass es sowohl die expliziten als auch die in einer Aufgabe implizit enthaltenen Wissenseinheiten und Prozesse zu reflektieren gilt, um die Komplexität und inhaltliche Klarheit einer Aufgabenstellung erfassen zu können (Müller, 2017, 17). Dabei ist ebenso zu prüfen, ob eine Passung der Inhalte zu den angestrebten Kompetenzen vorliegt.

2.3. Anforderungsklarheit

Die von einer Aufgabe geforderten Wissenseinheiten können in unterschiedlich komplexen Repräsentationsformen verlangt werden. So kann eine Aufgabe, in der man beispielsweise unterschiedliche Jahreszahlen zu Luthers Lebenslauf nennen soll, zwar mehrere Wissenseinheiten fordern, diese müssen jedoch ausschließlich wiedergegeben, also reproduziert werden. Aufbauend auf der Bloom´schen Lernzieltaxonomie (Bloom u.a., 1956), die die Komplexität von Lernzielen hierarchisch ordnet (Wissen → Verständnis → Anwendung → Analyse → Synthese → Beurteilung), werden in den bildungsadministrativen Vorgaben drei Anforderungsbereiche unterschieden, um die kognitiven Anforderungen einer Aufgabe beschreiben und einschätzen zu können. Den Anforderungsbereichen zugeordnet benennen Operatoren die Tätigkeit, die zur Lösung der Aufgabe vollzogen werden soll. Durch diese gewinnt die Aufgabenformulierung an Differenzierungsstärke, da – im Gegensatz zu Formulierungen mit Interrogativpronomen (W-Fragen) – die Handlungsanweisung eindeutig ist und das Anforderungsniveau reguliert werden kann.

Anforderungsbereich I umfasst Reproduktionsaufgaben, welche beispielsweise durch die Operatoren nennen, benennen, skizzieren, formulieren, darstellen, aufzeigen, wiedergeben, beschreiben oder zusammenfassen eingefordert werden können (Einheitliche Prüfungsanforderung in der Abiturprüfung Evangelische Religion [EPA], 2006, 12f., die EPA im Fach katholische Religionslehre nennen die gleichen Operatoren, vgl. kath. EPA, 12-14).

Reorganisations- und Transferaufgaben bilden den Anforderungsbereich II, in welchem es um das selbstständige Anwenden gelernter Inhalte auf neue Sachverhalte geht (EPA, 2006, 12). Beispiele für Operatoren aus diesem Bereich sind einordnen, zuordnen, anwenden, belegen, nachweisen, begründen, erläutern, erklären, entfalten, herausarbeiten, vergleichen, analysieren, untersuchen oder in Beziehung setzen (EPA, 2006, 13f.).

Problemlösungs- und Urteilsaufgaben werden dem Anforderungsbereich III zugeordnet (EPA, 2006, 12). Sie fordern von den Lernenden eine „selbstständige, systematische Reflexion und das Entwickeln von Problemlösungen“ (EPA, 2006, 12). Mit diesem Anforderungsbereich verbundene Operatoren sind beispielsweise sich auseinandersetzen mit, beurteilen, bewerten, Stellung nehmen, einen begründeten Standpunkt einnehmen, erörtern, prüfen, interpretieren, gestalten und entwerfen (EPA, 2006, 14).

Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass das kognitive Anregungspotential und damit der Schwierigkeitsgrad einer Aufgabe mit dem Anforderungsbereich wächst, wobei die Voraussetzungen einer Aufgabe nicht unbeachtet bleiben dürfen. So setzt beispielsweise das Zusammenfassen eines theologisch komplexen Textes oder das Wiedergeben seiner Argumentationsstruktur die Durchdringung dieses Textes voraus, wodurch sich der Operator zwar dem Anforderungsbereich I zuordnen lässt, der Schwierigkeitsgrad jedoch wesentlich von der Komplexität des Textes mitbestimmt wird. Religionspädagogische Schulbuchanalysen und Untersuchungen zu Leistungsaufgaben zeigen, dass die Operatoren darüber hinaus in der Praxis häufig nicht entsprechend ihren Definitionen verwendet werden (Muth, 2021a, 198-207; Muth, 2021b, 425f.).

Während die drei Anforderungsbereiche fächerübergreifend gelten, ist die Zuordnung der Operatoren „gestalten und entwerfen“ zu Anforderungsbereich III eine religionspädagogische Besonderheit, die nur wenige andere Fächer wie z.B. Deutsch und Kunst teilen. Das „Entwerfen von kreativen Gestaltungs- und Ausdrucksformen“ zur Darstellung von Problemlösungen wird im Fach Evangelische bzw. Katholische Religionslehre als eine komplexe kognitive Leistung anerkannt (EPA, 2006, 12).

2.4. Kompetenzbezug

Die Kompetenzorientierung betont, dass zur Problemlösung „in variablen Situationen“ nicht allein fachlich-inhaltliches Wissen, sondern auch personale Kompetenzdimensionen, wie „motivationale[], volitionale[] und soziale[] Bereitschaften und Fähigkeiten“ (Weinert, 2001, 27) von Nöten sind, sodass das Können, Handeln und Wollen in den Zielfokus von Lernarrangements rückt. „Während fachliche Kompetenzen in Aufgabenstellungen offensichtlich sind, müssen implizite personale, kommunikative und soziale Kompetenzen, die zur erfolgreichen Bearbeitung der Aufgabe notwendig sind, erst bewusst gemacht werden“ (Müller, 2017, 20). Zur Erstellung und Evaluation von Aufgaben gehört folglich eine Reflexion der von ihnen geforderten Sozialformen und Methoden. Die überfachlichen Kompetenzdimensionen (Fachkompetenz, Methodenkompetenz, Selbst- und Sozialkompetenz) erfahren in spezifisch religionspädagogischen Kompetenzmodellen ihre Konkretisierung. Von den EPA werden fünf Kompetenzbereiche benannt (Wahrnehmungs- und Darstellungsfähigkeit, Deutungsfähigkeit, Urteilsfähigkeit, Dialogfähigkeit und Gestaltungsfähigkeit [EPA, 2006, 8f.]), wobei mehrere Kompetenzmodelle für den Religionsunterricht entwickelt wurden (→ Kompetenzorientierter Religionsunterricht). Aus kompetenzorientierter Perspektive fokussiert eine gute Aufgabenstellung nicht allein den Inhalt, sondern verknüpft diesen mit einer Tätigkeit (bewerten, reorganisieren, entwickeln…), wobei der Lernende in diesem Prozess eine eigene Haltung zum Inhalt entwickelt (Reis/Schwarzkopf, 2015, 46). Müller weist dabei auf die Notwendigkeit von Schwerpunktsetzungen auf einzelne Kompetenzdimensionen hin, um die Lernenden und Lehrenden nicht zu überfordern (Müller, 2017, 20f.).

2.5. Authentizität

Als ein weiteres Kriterium zur Einschätzung der Qualität von Aufgaben gilt der Lebensweltbezug einer Aufgabenstellung. Dieser ist bereits in den allgemeindidaktischen Kategorien der Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung von Klafki (1991, 271f.) enthalten und hat in der kompetenzorientierten Forderung nach konkreten → Anforderungssituationen, deren Bewältigung den „simultanen Einsatz von Wissen und Können“ in möglichst alltagsnahen Anwendungssituationen erforderlich machen soll (Klieme, 2003, 78f.), eine neue Relevanz erfahren. Angestrebt wird die Verknüpfung zwischen Fachwissen und der Lebens- und Erfahrungswelt der lernenden Kinder und Jugendlichen. Da der Grad der von der Aufgabe geleisteten lebensweltlichen Referenz variiert, haben sich folgende Subkategorien etabliert (Maier/Bohl/Kleinknecht/Metz, 2013, 37; Müller, 2017, 22):

  • nicht situierte Aufgaben (ohne Lebensweltbezug)
  • konstruiert-situierte Aufgaben (konstruierter, aber die Lebenswelt der Lernenden nur bedingt treffender Lebensweltbezug)
  • realistisch situierte Aufgaben (konstruierter, jedoch glaubhafter Lebensweltbezug)
  • real situierte Aufgaben (unmittelbar existierender Lebensweltbezug, bei dem die Problemstellung tatsächlich gelöst werden muss).

Mit der Kontextualisierung von Aufgabenstellungen, beispielsweise durch eine narrative Rahmung, soll eine Vernetzung mit der Lebenswelt stattfinden, die zum einen motivierend wirkt, zum anderen aber auch vertiefendes und nachhaltiges Lernen ermöglicht (Maier/Bohl/Kleinknecht/Metz, 2013, 36; Müller, 2017, 23). Realistisch bis hin zu real situierten Aufgaben im Religionsunterricht können beispielsweise die Organisation von Spenden- und Hilfsaktionen sein, das Planen und Durchführen eines Erntedankfestes oder eines Gottesdienstes, das Kuratieren einer Ausstellung in der Kirchgemeinde zu einem bestimmten Thema, das Interviewen von Menschen im Altersheim, wenn es um eine Lebensreflexion im Lernbereich Tod, Sterben, Auferstehung geht, oder die Vorbereitung und Durchführung einer Begegnung mit Gläubigen unterschiedlicher Religionen.

2.6. Eindeutige Funktion im Lernprozess

Wie bereits eingangs erwähnt, hat die Stellung und Funktion einer Aufgabe im anvisierten Lernprozess einen erheblichen Einfluss auf ihre Wirksamkeit. Maier u.a. differenzieren zwischen vier verschiedenen Aufgabentypen mit jeweils unterschiedlicher Funktion (Maier/Bohl/Kleinknecht/Metz, 2013, 14):

  • Lernaufgaben: Aufbau von Wissen
  • Übungsaufgaben: Festigung und Vertiefung von Wissen
  • Anwendungsaufgaben: weitere Vertiefung, Vernetzung und Transfer auf neue Situationen
  • Testaufgaben/diagnostische Aufgaben: Sichtbarmachen von Wissen.

Der Steuerungsgrad dieser Aufgabentypen kann durch unterschiedliche Aufgabenformate reguliert werden. Es wird – geprägt durch die PISA-Studien – zwischen geschlossen, halboffen und offen Aufgaben unterschieden. Geschlossenen Aufgaben steuern und fokussieren Lernhandlungen am stärksten, indem den Lernenden die Antwortmöglichkeiten vorgegeben werden, wie bei Multiple-Choice-Aufgaben, Richtig-/Falsch-Items oder Zuordnungs- und Umordnungsaufgaben (Köster/Lindauer, 2008, 152). Als halboffene Aufgaben werden jene bezeichnet, die Kurzantworten fordern. Das Antwortfeld ist nicht vorgegeben, jedoch der Lehrkraft vorab bekannt. Beispiele sind das Überprüfen von Aussagen oder Intentionen am Text, das Erstellen von Vor- und Nachteilslisten oder auch Lückentexte. Offene Aufgaben hingegen fordern von den Lernenden kürzere oder längere eigene Produktionen (Köster/Lindauer, 2008, 152). Dabei sind mehrere Lösungswege möglich, sodass die Lernenden „ihre[] individuellen Lernkonstruktionen auf unterschiedlichen Niveauebenen“ einbringen können (Müller, 2017, 23). Neben pädagogischen Überlegungen zur Komplexität und zum Grad der Eigenständigkeit der Lernenden spielt auch die Handhabung der Vergleichbarkeit beziehungsweise in Bewertungssituationen auch der Korrekturaufwand eine Rolle bei der Wahl des Aufgabentyps.

Während offene Aufgaben in der Regel mehrere Kompetenzen gleichzeitig abprüfen (beispielsweise Textsortenkenntnis, Adressatenbezug, Formulierungskompetenz, fachliche Kompetenzen, Strukturierungskompetenz, Argumentationskompetenz…), bieten geschlossene und halboffene Aufgabenstellungen die Möglichkeit, die Lernenden auf eine Kompetenz zu fokussieren und diese gezielt zu üben oder zu evaluieren. Darüber hinaus ermöglichen sie, Teilschritte im Unterricht abzusichern, beispielsweise in Bezug auf das Textverständnis. Dabei ist der Schwierigkeitsgrad geschlossener und halboffener Aufgaben wiederum häufig vom zugrundeliegenden Material abhängig und keineswegs immer trivial.

Ziel ist es, die Komplexität und die Offenheit einer Aufgabenstellung derart in ein Verhältnis zu setzen, dass sie kognitive Aktivitäten erfolgreich anstößt, „sodass die mit der Aufgabe verbundene Anforderung eine dem Gegenstand und dem Lerner angemessene Bewältigung erfährt.“ (Köster/Lindauer, 2008,153), was unmittelbar zum nächsten Qualitätsmerkmal führt.

2.7. Aktivierungspotential

Ein zentrales Qualitätsmerkmal guten Unterrichts, welchem eine unmittelbare Auswirkung auf den Lernerfolg beigemessen wird, ist die kognitive „Tiefe der Verarbeitung des Unterrichtsgegenstandes“ (Lipowsky/Bleck, 2019, 228, → kognitive Aktivierung). Gemeint ist die mentale Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgegenstand, die nicht gleichzusetzen ist mit allgemeinen sichtbaren Aktivitäten der Lernenden (Methoden, Sozialformen, Organisationsformen) (Trautwein/Sliwka/Dehmel, 2018; Hermann, 2022, 225). Eine gute Aufgabenstellung setzt daher einen möglichst eigenständigen Erkenntnisgewinn in Gang. Benjamin Fauth und Timo Leuders (2018, 9) benennen fünf Merkmale kognitiv aktivierender Aufgabenstellungen, welche sich teilweise aus den vorab angeführten Qualitätsmerkmalen für Aufgabenstellungen ableiten lassen:

  • Anknüpfung der Aufgabe an das Erfahrungs- und Verständnisniveau der Lernenden (weder Über- noch Unterforderung)
  • keine Bearbeitungsmöglichkeit durch das Anwenden von Routineschemata
  • Anwendung von Bekanntem auf neue Situationen
  • Möglichkeit mehrerer Lösungen und Lösungswege
  • das Auslösen kognitiver Konflikte (Irritationen) durch die Aufgabe und die
  • Notwendigkeit der Nutzung vorab nicht bekannter Informationen.

Auch in Bezug auf dieses Qualitätsmerkmal ist nochmals auf die Stellung der Aufgabe im Lernprozess sowie auf die unterschiedlichen Funktionen einzelner Aufgaben zu verweisen: Bevor eine erlernte Handlung routiniert abläuft, beansprucht die Durchführung dieser eine hohe kognitive Aktivität. Diese lässt nach, umso geübter der Lernende ist (→ Lernstrategien). Zur Aneignung und Vertiefung von Wissen kann das Einüben von Routineschemata daher durchaus sinnvoll sein, beispielsweise wenn eine Schrittfolge hilft, einen theologischen Text oder eine Karikatur zu interpretieren. Notwendig ist jedoch, den Lernprozess so anzulegen, dass die Lernenden später selbstständig in ihnen unbekannten Situationen handlungsfähig sind. So betont Alexander Rekl (2014, 14f.), dass handlungsorientierte Problemlösungsaufgaben, die eine hohe kognitive Aktivierung initiieren, erst nach einer fokussierten Erarbeitung fachlicher Grundlagen erfolgen und gegebenfalls mit Unterstützungssystemen begleitet werden sollten, um die Lernenden nicht zu überfordern und zu frustrieren.

In Bezug auf den Religionsunterricht kommt eine 2014 erschiene Studie von Englert u.a. zu dem Ergebnis, dass der „beobachtete Religionsunterricht die Schüler/innen nur selten zu eigenständigen gedanklichen Anstrengungen veranlasst“ und die „kognitive Aktivierung [...] relativ gering ist“ (Englert/Hennecke/Kämmerling, 2014, 147). Festgemacht wird dies an mangelnden inhaltlichen Verknüpfungen einzelner Themen, wenig gedanklicher Kreativitätsförderung, an einer unzureichenden Gesprächsführung, die fokussiert, ins Verhältnis setzt und Begründungen einfordert, sowie einer eher seltenen Reflexion von Lernprozessen und -erträgen (Englert/Hennecke/Kämmerling, 2014, 129). Daraus folgt mit Blick auf Lernaufgaben, dass gerade im Religionsunterricht auf handlungsorientierte Problemlöseaufgaben zu achten ist, welche mehrere Lösungen und Kreativität zulassen. Darüber hinaus gilt es Aufgabenformate zu stärken, welche die Reflexion von Lernprozessen anregen.

Müller betont im Zusammenhang mit dem Aktivierungspotential unterschiedliche Lernwege und → Lerntypen (Müller, 2017, 24f.): Der Wirkungsgrad einer Aufgabe hinsichtlich der nachhaltigen Ausprägung einer kognitiven Fähigkeit ist von ihrer Präsentationsform anhängig, wobei gilt, dass vielschichtige Präsentationen beispielsweise in der Kombination von auditiven und visuellen Aspekten nachweislich einen höheren Wirkungsgrad aufweisen als eindimensionale Präsentationsformen, während eigenes Handeln das höchste Aktivierungspotential zu erzeugen vermag (Müller, 2017, 24f.).

2.8. Differenzierungs- und Individualisierungspotential

Ein letztes von Müller genanntes Qualitätsmerkmal für Aufgabenstellungen bezieht sich auf die Ermöglichung unterschiedlicher Lernprozesse angepasst an individuelle Lern- und Leistungsdispositionen. Müller unterscheidet drei Differenzierungsdimensionen (Müller, 2017, 26f.):

  • Zeit (Bearbeitungszeit/variable Lern-, Übungs- und Vertiefungsphasen)
  • Qualität (Repräsentationsformen/Klarheit/Kompetenzanforderung/Lebensweltbezug/Operatorenvariabilität/Materialangebot/Präsentationsanforderungen/multiple Lernwege) und
  • Quantität (Anzahl der Wissenseinheiten/Inhalt, Stoff/Themenorientierung/Materialangebot)

Alle drei Aspekte können durch Aufgabenarrangements und Aufgabentypen gesteuert und durch Hilfesysteme wie Kooperations- und Sozialformen, Hilfekärtchen und Classroom-Management unterstützt werden (→ Inklusive Lehr- und Lernprozesse, allgemeinpädagogisch). Eine Binnendifferenzierung durch Aufgabenangebote ermöglicht es, heterogenen Lernvoraussetzungen in Lerngruppen gerecht zu werden (→ Heterogenität), Teilhabechancen zu erhöhen, aber auch auf individuelle Präferenzen in Bezug auf Lernwege eingehen zu können.

3. Differenzierung zwischen Lern- und Leistungsaufgaben

Neben den vorgestellten Qualitätsmerkmalen brauchen Lernaufgaben vor allem eines: einen geschützten Lernraum. Dieser geht einher mit einer positiven Fehlerkultur, die es erlaubt, neue Wege ohne Angst vor Fehlern auszuprobieren und erfolglose Versuche reflektiert als Lernchancen aufzugreifen. Dies ist nur möglich, wenn Lernaufgaben konsequent und für die Lernenden transparent von Leistungsaufgaben unterschieden werden, da beide fundamental verschiedenen Logiken folgen: Während Fehler im Lernraum förderlich sind, versucht man sie in Leistungssituationen strikt zu vermeiden, um Erfolge zu erzielen (Köster, 2008, 4). Um ein exploratives Agieren der Lernenden hervorzurufen, müssen diese sich sicher sein, dass ihre Versuche unbewertet bleiben. Es ist daher aus pädagogischer Sicht unzulässig, Aufgabenstellungen im Nachhinein einzusammeln und zu bewerten, ohne dass den Lernenden vorab bewusst war, dass sie sich in einer Leistungssituation befinden. Nur wenn sich die Lernenden darauf verlassen können, dass ihnen stets transparent gemacht wird, ob sie sich in einer Lern- oder eine Leistungssituation befinden, können sie ihr Verhalten daran anpassen. Vorab definierte und den Lernenden bestenfalls bekannte Bewertungskriterien geben ihnen zusätzliche Sicherheit, auf Anforderungen angemessen zu reagieren (→ Leistungsmessung, Leistungsbewertung). Die strikte Unterscheidung zwischen Lernraum und Leistungssituation wirkt sich auch auf die Wahl der Aufgabenstellung aus. Es gibt Aufgaben, die „für die Lernsituation überaus geeignet […] und für die Leistungssituation denkbar ungünstig [sein können]“ (Köster, 2008, 4). Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Aufgabe Fallstricke enthält, bewusst irritiert oder auf der Grundlage des im Unterricht Erlernten nicht lösbar ist.

4. Zusammenfassung

Lehrpersonen wählen Aufgabenstellungen aus und bestimmen über ihren Einsatz im Unterricht. Dabei legt eine empirische Untersuchung aus dem Deutschunterricht nahe, dass nicht die Merkmale der ausgewählten Aufgabe an sich maßgeblich für die Unterrichtsqualität sind, sondern vielmehr die Begleitung der Lehrperson in Bearbeitung und Auswertung (Winkler, 2005). Eine angemessene Begleitung setzt voraus, dass Lehrpersonen in der Lage sind, differenziert und zutreffend die Schwierigkeit von Aufgabenstellungen einzuschätzen und durch Abwandlungen eingreifen zu können, wenn sie eine Überforderung der Lernenden feststellt. Die aufgezeigten Kategorien der Aufgabendidaktik können den Blick für die Vielschichtigkeit von Aufgabenstellungen schärfen und hilfreich für die Problemanalyse sein. Müller fasst wesentliche Ausprägungen in einer Tabelle zusammen:

Abb. 2 Auszug aus „Übersicht ‚Qualitätsmerkmale von Aufgaben‘“, Andreas Müller, 2017, 14.

Dietmar Peter (2009) betont, dass Aufgaben nicht nur steuern, sondern dass sie die Lernenden auch zu Mitwirkenden im Unterricht werden lassen, gerade, wenn sie zu einer Reflexion ihres eigenen Lernprozesses angehalten sind. Es geht folglich um eine Balance zwischen Vorstrukturierung und der Bereitstellung von Freiraum für die Lernenden, ihren Lernprozess aktiv mitzugestalten.

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Abbildungsverzeichnis

  • Abb. 1 Qualitätsmerkmale von Aufgabenstellungen nach Müller, Andreas, Das Aufgabenbuch. Aufgaben analysieren, konstruieren, nachschlagen, Braunschweig, Paderborn 2017, 14.
  • Abb. 2 Auszug aus „Übersicht ‚Qualitätsmerkmale von Aufgaben‘“, Müller, Andreas, Das Aufgabenbuch. Aufgaben analysieren, konstruieren, nachschlagen, Braunschweig, Paderborn 2017, 14.

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