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Religionsunterricht als Schulfach, Forschung

(erstellt: März 2024)

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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.400001

1. Einleitung

Religionsunterricht als Schulfach kann und muss in mehrfacher Hinsicht Gegenstand von Forschung werden. In diesem Artikel werden folgende fünf Hinsichten exemplarisch herausgegriffen: Forschung zur Organisationsform, in der „Religion“ in Schulen in staatlicher oder privater Trägerschaft gegenwärtig thematisiert wird und in Zukunft thematisiert werden sollte (Abs. 2), Forschung zur Zuordnung der verschieden konfessionellen bzw. religiösen Religionsunterrichte (unter Berufung auf Art. 7.3 GG) und zur entsprechenden Pluralisierung der Religionsdidaktiken bzw. -pädagogiken (Abs. 3), Forschung zum Religionsunterricht im Verhältnis zu Alternativ- bzw. Ersatzfächern und zu seinen Möglichkeiten im Rahmen des schulischen Fächerkanons (Abs. 4), Forschung zur historischen Genese eines eigens mit Religion befassten Schulfachs in der deutschen Schulgeschichte (Abs. 5) und Forschung zur schulischen Thematisierung von Religion in anderen nationalen oder religiösen Kontexten (Abs. 6).

Die entsprechenden Forschungen können und sollen hier nicht inhaltlich dargestellt werden – vielmehr werden sie lediglich geordnet ausgewiesen und über einige wenige Literaturangaben auffindbar gemacht.

Alle fünf Hinsichten der Forschung zu Religion als Schulfach fallen in der Systematik von „Religionspädagogik“ (dazu Schröder, 2021a, 341f.) in die Kategorie „Theorie des Religionsunterrichts“. Deren Schwesterkategorie Fachdidaktik Religion/Religionsdidaktik, also die Frage nach der Wahl von Inhalten, Zielen, Methoden usw. sowie deren Kriterien, bleibt hier weitgehend ausgespart. Dazu stellt WiReLex eine Fülle an Artikeln in vier eigenen Sektionen bereit: „Bibeldidaktik“, „Kirchengeschichtsdidaktik“, „Systematisch-theologische Didaktik“, „Didaktik der Religionen“.

2. Organisationsformen von Religionsunterricht – die rechtliche und konzeptionelle Perspektive

Das Grundmodell des schulischen Religionsunterrichts in Deutschland orientiert sich seit mehr als einhundert Jahren an dessen Bestimmung als res mixta von Staat und Religionsgemeinschaften, prototypisch niedergelegt in Art. 149 der Weimarer Reichsverfassung und fortgeschrieben in Art. 7.3 des Bonner Grundgesetzes. Dieses Modell sucht europa- und weltweit seinesgleichen (und findet es nur etwa in Österreich und Finnland), hat seine Wurzeln in der deutschen Kirchen- und Rechtsgeschichte und wurde – jedenfalls bis in die jüngste Vergangenheit – getragen von einem breiten politischen, religionsgemeinschaftlichen und schulischen Konsens. Insofern ist Forschung zum Religionsunterricht als Schulfach und zur Religionsdidaktik als Theorie seiner inneren Gestalt in weiten Teilen Forschung innerhalb dieses Bezugsrahmens (gewesen), der als solches weder thematisiert noch in Frage gestellt wurde.

Je länger desto mehr verschiebt sich jedoch das Forschungsinteresse gegenwärtig hin zum kritisch-prüfenden Blick auf diesen Bezugsrahmen. Dieser wendet sich in verschiedene Richtungen. Zum einen rufen Forschende gelegentlich historische Alternativmodelle, etwa die Modellierungen von Religionsunterricht durch Adolph Diesterweg (dazu Rupp, 2016) oder diejenigen der sogenannten Reformdekade, etwa → Problemorientierter Religionsunterricht, in Erinnerung. Zum anderen leuchtet man gegenwärtige Praktiken, Verständnisse und deviante Formen von Religionsunterricht nach Art. 7.3 GG empirisch oder empirieorientiert aus, etwa in Befragungen von Lehrkräften (etwa Fuchs/Hohensee/Schröder/Stephan, 2023), in Erhebungen zur Abmeldung vom Religionsunterricht (namentlich Gennerich/Zimmermann, 2016), und, wegweisend, im Rahmen der Evangelischen Bildungsberichterstattung (EBiB; dazu Comenius-Institut, 2019). Zum dritten werden adaptive Weiterentwicklungen von RU gemäß Art. 7.3 GG entworfen, implementiert und beforscht. Dies findet im Nachgang zur Wiedervereinigung Deutschlands im Jahr 1990 und angesichts der dadurch beförderten religionssoziologischen Dynamiken verstärkt Beachtung (etwa Schröder, 2014, oder Kubik/Klinger/Sağlam, 2022). Besonders viel diskutierte und beforschte Weiterentwicklungen sind der konfessionell-kooperative Religionsunterricht (dazu anfangs vor allem Schweitzer/Biesinger, 2002, sowie Kuld u.a., 2009, zuletzt Gennerich/Käbisch/Woppowa, 2019, und Schröder/Woppowa, 2021 → Konfessionell-kooperativer Religionsunterricht) und der multireligiöse Hamburger Weg des Religionsunterrichts seit 1998 (→ Dialogischer Religionsunterricht) sowie, signifikant modifiziert, seit 2014 (dazu Bauer/Kessler, 2024). Aufmerksamkeit finden daneben auch der fächerkooperative Religionsunterricht (dazu Boehme, 2023), der – für das Bundesland Niedersachsen ins Auge gefasste – Christliche Religionsunterricht (dazu Heinig/Hense/Lindner/Simojoki, 2024) und, nicht zuletzt, der Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen, der sich weithin als „RU für alle“ darstellt (dazu Biewald u.a., 2018, sowie die Buchreihe „Glaube – Wertebildung – Interreligiosität: berufsorientierte Religionspädagogik“ [Boschki u.a., 2009ff.).

In den entsprechenden Studien wird stets deutlich, dass die Organisationsform des Religionsunterrichts zwar durch das Grundgesetz und das Schulrecht der Länder normiert ist und über eine bestimmte äußere Gestalt (res mixta) definiert wird, gleichwohl jedoch veränderlich war und ist. Adaptive konzeptionelle und didaktische Weichenstellungen sind rechtshermeneutisch zulässig und aufgrund religionsdemografischer und -soziologischer sowie schulischer Entwicklungen nötig. Anders gesagt: Der Ruf nach einer modifizierten Organisationsform wird in Verbindung mit einer bestimmten religionspädagogischen Programmatik laut, etwa mit der forcierten Wahrnehmung von konfessioneller oder religiöser Pluralität, mit dem Ruf nach Förderung von Verständigungsfähigkeit, Perspektivenwechsel, Kooperation o.ä. Im Einzelnen sind diese Debatten vielstimmig; weithin konsensfähige Einsichten wurden in der Vergangenheit durch einschlägige Denkschriften der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD, 1994, und EKD, 2014; vgl. Schröder, 2021b) bzw. der Deutschen Bischofskonferenz (zuletzt DBK, 2016) abgesteckt.

Ein großer Teil der einschlägigen religionspädagogischen Forschung dient der systematischen Entfaltung sowie der Diskussion des Für und Wider der jeweiligen Programmatik und der Entwicklung exemplarischer Unterrichtsmaterialien. Die empirische Forschung zur tatsächlichen Unterrichtsgestalt und deren Wirksamkeit spielt faktisch eine nachgeordnete Rolle (vgl. etwa Schambeck/Riegel, 2018, und Brieden u.a., 2021). Sie erlaubt es jedenfalls (noch) nicht, evidenzbasiert über die „bessere“ Organisationsform zu entscheiden.

Neben dem Religionsunterricht im Sinne von Art. 7.3 GG finden sich andere Organisationsformen, die unter Berufung auf Art. 141 GG in bestimmten Bundesländern realisiert werden, ohne bislang darüber hinaus auszustrahlen, konkret: „Religion“ (Bremen, seit 2016, zuvor: „Biblische Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage“), „Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde“ (LER; Brandenburg) und Ethikunterricht als obligatorisches Fach für alle Schülerinnen und Schüler, der fakultativ um Religionsunterricht in allein kirchlicher bzw. religionsgemeinschaftlicher Verantwortung ergänzt werden kann (Berlin, seit 2009). Sie finden alles in allem deutlich weniger Beachtung in der religionspädagogischen Forschung als RU gemäß Art. 7.3 GG.

Einen Überblick über Entwicklungen im Feld und die darauf bezogenen Forschungen geben einschlägige Länderberichte, die bislang 2009 und 2020 publiziert wurden (Rothgangel/Schröder, 2009, und Rothgangel/Schröder, 2020), zudem Themenhefte in wissenschaftlichen Zeitschriften wie der „Zeitschrift für Pädagogik und Theologie“, den „Religionspädagogischen Beiträgen“ oder „Theoweb. Zeitschrift für Religionspädagogik“.

3. Pluralisierung der Religionsunterrichte und der Religionspädagogiken – die religionsdemografische und wissenschaftsgeschichtliche Perspektive

Geschichtlich und konzeptionell ist die Thematisierung von „Religionsunterricht als Schulfach“ nahezu ausschließlich bestimmt von Überlegungen aus evangelischer und katholischer Perspektive, sei es aus den entsprechenden Theologien und Katechetiken/Religionspädagogiken, sei es aus diesen beiden Kirchen und deren Bildungsabteilungen. Das war und ist so, obwohl es seit der jüdischen Aufklärung (Haskala) in der ein oder anderen Form jüdischen Religionsunterricht gab und gibt, obwohl die Einführung islamischen Religionsunterrichts seit den 1980er Jahren erwogen und betrieben wird, und verschiedene kleinere Religionsgemeinschaften einen Religionsunterricht gemäß Art. 7.3 GG mitverantworten.

In den letzten Jahren beginnt sich diese Lage zu verändern. Immer mehr Bundesländer führen eine größere Zahl von verschieden-konfessionellen oder -religiösen Religionsunterrichten ein (derzeit: evangelisch, römisch-katholisch, orthodox, syrisch-orthodox, mennonitisch, alevitisch, buddhistisch, islamisch, jüdisch), zudem entstehen für die Qualifikation von Religionslehrenden wissenschaftliche Einrichtungen bzw. Studienmöglichkeiten. Insbesondere wurden im Nachgang zu einschlägigen Empfehlungen des Wissenschaftsrates (Wissenschaftsrat, 2020) seit 2011 Zentren für Islamische Theologie etabliert, die jeweils auch eine Professur für Islamische Religionspädagogik umfassen – zunächst in Osnabrück/Münster, Frankfurt/Gießen, Erlangen und Tübingen (und ein wenig früher noch in Wien), später zudem in Paderborn und Berlin; insofern bestehen die infrastrukturellen Voraussetzungen für die Formierung einer deutschsprachigen Islamischen Religionspädagogik (vgl. dazu einschlägige Zeitschriften und Überblickswerke wie etwa Aslan, 2021, oder Isik/Kamcili-Yildiz, 2023; → Religionspädagogik, islamische) – ein historisch und international beispielloser Vorgang.

Darüber hinaus wurde 2003 erstmals in der deutschen Universitätsgeschichte (vgl. Schröder, 2023a, 359-392) an der Heidelberger „Hochschule für Jüdische Studien“ eine Professur für jüdische Religionslehre, -pädagogik und -didaktik eingerichtet (wobei diese seit 2018 vakant ist und dieses Strukturmoment an anderen Standorten für Jüdische Studien bislang keine Nachahmung gefunden hat). Verschiedentlich sind Lehrangebote für orthodoxe Religionspädagogik entstanden (Münster, München, Bonn), in einem Fall für syrisch-orthodoxe Religionspädagogik (Schwäbisch-Gmünd); an zwei Standorten wird alevitische Theologie mit religionspädagogischen Anteilen gelehrt (Hamburg, Weingarten). Damit ist – trotz des weiterhin bestehenden quantitativen und wohl auch qualitativen Vorsprungs katholischer und evangelischer Religionspädagogik – eine grundlegend neue Konstellation entstanden: Sowohl vom Religionsunterricht als auch von Religionspädagogik kann sachgemäß nur noch im konfessionellen und religiösen Plural gesprochen werden (vgl. Schröder, 2021b, und Kropač/Riegel, 2021, 69-105).

Für religionspädagogische Forschung impliziert dies, dass sich Studien – aus forschungsethischer und bildungspolitischer Rücksicht – in der Regel allein auf die Religionsunterrichtskultur der eigenen Denomination beziehen, es sei denn Kooperationen oder Vereinbarungen erlauben vergleichende Datenerhebungen, Interpretationen und Folgerungen. Die religiöse Pluralisierung bringt somit für religionspädagogische Forschung einerseits eine enorme Horizonterweiterung mit sich, insofern unterschiedliche Quellen (in verschiedenen Sprachen), Traditionen, Anliegen religiöser Bildung in Gestalt der verschiedenen Religionsunterrichte bzw. ihrer Didaktiken zum Tragen kommen (→ Religionspädagogik, komparative, → Religiöse Erziehung im Judentum, → Religiöse Erziehung, Islam), andererseits läuft religionspädagogische Forschung Gefahr, enggeführt zu werden, insofern keine denominationell bestimmte Religionspädagogik mehr für eine anders-denominationelle sprechen kann und insofern alle Religionspädagogiken je für sich eine Reichweitenreduktion erfahren.

Angesichts dessen entstehen denominationsübergreifende Projekte (etwa Schweitzer/Ulfat, 2023, Schambeck u.a., 2018), Tagungs- und Publikationsreihen wie die „Religionspädagogischen Gespräche zwischen Juden, Christen und Muslimen“ oder das „Christlich-Islamische Forum für Religionspädagogik“ (CIFR), und, nicht zuletzt, infrastrukturelle Voraussetzungen für multireligiöse Forschung (etwa ein „Campus der Religionen bzw. Theologien“ in Münster und Tübingen oder der „Fachbereich Religionen“ an der Universität Hamburg: www.religionen.uni-hamburg.de). Zugleich wird – gegenläufig dazu – gelegentlich der Ruf nach einer „allgemeinen Religionspädagogik“ (Schmidt, 1993) oder nach einer „multireligiösen Fachdidaktik“ (Bauer, 2019) laut, die der (Selbst-)Bindung an eine Denomination entgehen sollen. Während sich Religionspädagogik in anderen Ländern, etwa in England, in diesem Sinne zu einer primär pädagogisch, nicht länger konfessionell-theologisch bestimmten Disziplin entwickelt, hat im deutschen Sprachraum ein solcher Prozess bislang nicht eingesetzt.

4. Religionsunterricht im Verhältnis zu Alternativ- bzw. Ersatzfächern und im Rahmen des schulischen Fächerkanons – die bildungs- und schultheoretische Perspektive

In allen Bundesländern, in denen Religionsunterricht auf der Grundlage von Art. 7.3 GG erteilt wird, besteht – grundgesetzkonform – für Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit zur Nicht-Teilnahme bzw. zur Abmeldung. Zumeist seit den 1970er Jahren ist – je nach Rechtslage des jeweiligen Bundeslandes – ein Ersatz- oder Alternativfach eingerichtet worden, das entweder Ethik oder Philosophie in den Fokus rückt und Religion bzw. Religionen kaum (oder jedenfalls nur in der jeweils fachspezifischen Perspektive als ethische oder weltanschauliche Ressource) thematisiert (→ Ethikunterricht).

Angesichts des – im Vergleich zur Situation der 1980er Jahre – verselbständigten Diskurses um Ethik-, Philosophie- und auch Religionskunde-Didaktik gilt auch hier das oben im Blick auf die religiöse Pluralität erwähnte Gebot forschungsethischer oder bildungspolitischer Rücksichtnahme, dennoch findet das Ersatz- oder Alternativfach die Aufmerksamkeit religionspädagogischer Forschung.

Zum einen gilt es, das faktisch dynamische Verhältnis von Religions- und Ethik- bzw. Philosophieunterricht nicht allein rechtlich, sondern auch systematisch (dazu etwa Schilling, 2018) und empirisch (dazu Schweitzer u.a., 2018, sowie Wissner u.a., 2020) zu bestimmen. Dabei müssen etwa auch bottom up-Initiativen zur Fusion von Religions- und Ethikunterricht Beachtung finden, die augenscheinlich schulintern wahrgenommenen Bedarfen und Dynamiken Rechnung tragen. Zum zweiten sind für die schulische Gestaltung dieses zwischen Konkurrenz und Kooperation changierenden Verhältnisses Modelle und Handlungsorientierungen zu entwickeln. Zum dritten finden sich die beiden ungleichen Nachbarfächer bzw. deren Didaktiken in einem dialogischen Verhältnis bzw. in einen wechselseitigen Lernprozess vor (vgl. dazu Schröder/Emmelmann, 2018, und Kropač/Schambeck, 2022).

Deutlich von dieser Frage nach dem Verhältnis zwischen Religions- und Ethik- bzw. Philosophieunterricht zu unterscheiden ist diejenige nach der Verortung des Religionsunterrichts im Fächerkanon. In dieser Hinsicht geht es einerseits um die Begründbarkeit von Religionsunterricht als sachlich obligatorischem Fach im Kanon allgemeiner Bildung (dazu klassisch Adam/Lachmann, 2013), andererseits um Möglichkeiten interdisziplinärer religionsbezogener Reflexion und fachübergreifenden Zusammenarbeitens (dazu etwa Schmoll, 2013, und Rothgangel, 2021). In diesem Zusammenhang rückt die auf das Schulfach Religion bezogene Forschung in die Nähe der Didaktiken anderer Fächer (zumeist Geschichte, Deutsch oder Kunst) und der – in jüngster Zeit – profilierten Allgemeinen Fachdidaktik.

Abgesehen von gelegentlichen Publikationen hat sich bislang kein kontinuierliches Forum (Tagungsreihe, Zeitschrift, Verein o.ä.) für die theoretische Bearbeitung dieser Facette des Schulfaches Religion etabliert.

5. Genese von Religionsunterricht als Schulfach – die historische Perspektive

Schon die Beschreibung der ersten drei Forschungsperspektiven (Abs. 2-4) zeigt, dass weder die Adaptionen von RU gemäß Art. 7.3 GG und Formen des Religionsunterrichts unter Inanspruchnahme von Art. 141 GG (2.), noch die Pluralisierung der Religionspädagogiken (3.) oder das Verhältnis von Religions- und Ethikunterricht (4.) ohne die Kenntnis ihrer Geschichte zu begreifen ist. Das gilt vollends auch für den Religionsunterricht auf der Basis von Art. 7.3 GG. Er hängt aufs Engste etwa mit der – durch die Reformation induzierten – Polarität von katholischer und evangelischer Lesart des Christentums zusammen, mit der Aufklärung und ihrer kognitiv-kritischen Thematisierung von Religion sowie mit dem Ringen um die Trennung von Staat und Kirche.

Die Geschichte des Schulfachs wurde in Grundzügen verschiedentlich beschrieben (Helmreich, 1966, und Lachmann/Schröder 2007, und Lachmann/Schröder, 2010). Näherhin wird historische Forschung zum Schulfach Religion u.a. im „Arbeitskreis historischer Religionspädagogik“ thematisiert und – methodologisch und materialiter – etwa über die „Studien zur religiösen Bildung“ (Wermke/Heller, 2013ff.) und Forschungsberichte (Schröder, 2009, und Wischmeyer, 2014) zugänglich.

6. Religionsunterricht in anderen nationalen und religiösen Kontexten – die vergleichende Perspektive

Die schulische Thematisierung von Religion erfolgt keineswegs ausschließlich in den Bahnen, die sich – mit Spezifika und Variationen in Österreich und Deutschland – etabliert haben, sondern in einem weiten Spektrum von Spielarten zwischen einem katechetischen Typus (in allein religionsgemeinschaftlicher Verantwortung) einerseits und einem religionskundlichen Typus (ohne Mitverantwortung von Religionsgemeinschaften) andererseits (vgl. die Typologie und Fallstudien bei Schröder, 2021a, §§ 25 sowie 46f.; detaillierte Schilderung der Lage in sämtlichen europäischen Staaten bei Rothgangel u.a., 2014-2020). Nicht nur in verschiedenen politischen Entitäten, sondern auch in verschiedenen religiösen Traditionen haben sich unterschiedliche Lehr-Lern-Modelle etabliert (zu Judentum und Islam etwa Schröder, 2021a, §§ 44f.).

Die vergleichende Befassung mit diesen Spielarten eines Schulfaches Religion (→ Religionspädagogik, komparative) erweitert den religionspädagogischen Horizont und die Handlungsspielräume. Sie ist um der interreligiösen Verständigung und (bildungs-)politischer Entwicklungen (etwa in der EU, der OECD u.ä.) willen hilfreich und bedarf nicht zuletzt wegen mannigfacher Wechselwirkungen zwischen Ländern und Religionen weiterer Ausleuchtung.

7. Fachdidaktik Religion – als Teil der Forschung zum Schulfach Religion und als Paradigma

„Religion als Schulfach“ ist ohne Referenzwissenschaft und Fachdidaktik nicht realisierbar. Für einen Religionsunterricht gemäß Art. 7.3 GG spielt diesbezüglich die entsprechende Theologie und die – in der Regel in theologischen Instituten oder Fakultäten beheimatete – Religionsdidaktik eine maßgebliche Rolle. Für ein ein religionskundlich konzipiertes Fach träte die Religionswissenschaft und deren (noch zu entwickelnde) Didaktik an deren Stelle (dazu Alberts u.a., 2023).

Die „Fachdidaktik Religion“ bzw. die „Religionsdidaktik“ (im Plural der Konfessionen und Religionen) wurde und wird nicht selten als bloße Lehrdisziplin wahrgenommen, als intermediärer Raum für handlungsorientierende Reflexion zwischen Praxis(-reflexion) und (akademischer) Theoriebildung. Diese Funktion hat sie in der Tat zu erfüllen.

Doch im Zuge der Verwissenschaftlichung der Religionspädagogik, die sich – beginnend mit der Aufklärung – in mehreren Etappen vor allem seit den 1970er Jahren vollzog, hat sich auch die Religionsdidaktik zusehends zu einer forschenden Disziplin entwickelt und entsprechend methodologische Überlegungen forciert (vgl. etwa Schweitzer, 2006, 263-286, sowie die Einleitungen zur empirischen, systematischen, handlungsorientierenden, vergleichenden und historischen Perspektive in Schröder, 2021a, dort auch § 1 und 15). Unter der Bezeichnung „Formate fachdidaktischer Forschung“ sind die unterschiedlichen religionsdidaktischen Forschungssettings kürzlich systematisiert und vorgestellt worden (Rothgangel/Riegel, 2020).

Mutatis mutandis lassen sich diese Forschungsperspektiven und -formate auch auf die vorhandene und zukünftig erforderliche Forschung zum Schulfach Religion insgesamt anwenden, auch wenn „Religionsdidaktik“ und „Theorie des Religionsunterrichts“ zu unterscheiden bleiben.

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