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Kulturpädagogik/Kulturelle Bildung/Arts education

(erstellt: Februar 2018)

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1. Definition des Kulturbegriffes

Zunächst ist zu fragen, welches Feld der → Pädagogik mit Kulturpädagogik behandelt wird. Da der Begriff Kultur so vielfältig zu sein scheint wie die Menschheit, wird es immer nur möglich sein, Schlaglichter auf Definitionen zu werfen, die von einem bestimmten Menschen aus einer bestimmten Kultur gefunden werden. Hier möchte ich die Definition von Wilma Osuji zitieren, die mir umfassend genug scheint, die Dimensionen des Begriffes zu umreißen als auch offen genug, den notwendigen Diskurs zu diesem Begriff zuzulassen.

„Der Begriff ‚Kultur‘ wird im Alltag unterschiedlich gebraucht. Kultur umfasst die kulturellen Leistungen, wie Literatur, Musik, Kunst etc., die die Menschen vor dem Hintergrund ihrer kulturellen Identität hervorbringen. Kultur wird auch gebraucht in Bezug auf ethische Gruppen und deren Sitten, Gebräuche, Sprache und Werte.

Die Wertvorstellungen, die die Menschen einer kulturellen Gruppe teilen, werden erlernt und sind nicht angeboren. Kultur kann als System betrachtet werden, mit dessen Hilfe die Menschen ihr Wissen vom Leben und ihre Einstellungen dazu mitteilen, erhalten und weiterentwickeln. Kultur entwickelt sich dynamisch und verändert sich laufend. Die Weiterentwicklung ist abhängig von den Menschen, die sich innerhalb eines Kulturkreises bewegen, also auch von neu hinzukommenden Menschen und von sich verändernden Umweltbedingungen“ (Osuji, 2016).

Die drei Begriffe, mit denen ich hier arbeiten möchte: Kulturpädagogik, Kulturelle Bildung und Arts education bezeichnen mit geringen Abweichungen das Gleiche, nämlich den Versuch, die nächsten Generationen mit gewachsener Kultur zu beschenken und ihnen so die Möglichkeit zu geben, sie weiterzuentwickeln.

Die grundlegenden Unterschiede lassen sich etwa so umreißen: Kulturpädagogik nannte sich, was in den 70er Jahren in Abgrenzung zur formalen Bildung entstand. Kulturelle Bildung ist die Weiterentwicklung der Kulturpädagogik in die formale Bildung hinein und Arts education ist die internationale Begrifflichkeit für die Vermittlung von Kultur. Immer geht es um ästhetische Bildung.

2. Geschichte der Kulturpädagogik/der Kulturellen Bildung

Genau genommen ist die Vermittlung von Kultur von einer Generation in die nächste so alt wie die Menschheit selbst. Doch die bewusste Auseinandersetzung damit, wie es möglich werden kann, bestimmte Werte auch durch ästhetische Erfahrungen zu vermitteln, möchte ich an dieser Stelle in Weimar verorten. Dort begann so etwas wie kulturelle Bildung mit den beiden Söhnen der Herzogin Anna Amalia von Braunschweig-Wolfenbüttel. Im Zuge der Diskussionen, wie diese beiden am besten zu verantwortlichen Herrschern erzogen werden könnten, schrieb Friedrich Schiller 1793 seine Briefe zur ästhetischen Erziehung an den Augustenburger Prinzen. Er entwickelte die von den griechischen Philosophen vorgenommene strenge Trennung des Menschen in Körper und Geist zu einem differenzierteren Menschenbild weiter, indem er Emotionen und Sinne hinzufügte und damit erklärte, dass der Mensch Schönheit empfinden kann.

Etwa hundert Jahre später entstand die „geisteswissenschaftliche Pädagogik“, die jede Erziehung in den Zusammenhang mit Kulturentwicklung stellt. Pädagogik – so die geisteswissenschaftlichen Pädagogen – fände auf dem gesellschaftlichen Hintergrund statt, der wiederum die Erziehungswirklichkeit in ihrer historisch-kulturellen Besonderheit prägt. Jede Erziehung sei somit immer auch kulturelle Erziehung (Matthes, 2011).

Noch einmal fast hundert Jahre später, in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts, entstand die Kulturpädagogik in Abgrenzung zu formalen Bildungsinstitutionen. „Ihr ging es im Namen von Demokratisierung und Kreativität um die Förderung der subjektiven Wahrnehmungs-, Ausdrucks-, Darstellungs- und Gestaltungsformen“ (Liebau, 2013). Kultur sollte von allen kommen und für alle sein. Kulturpädagogik war in erster Linie eine außerschulische Veranstaltung. Da gab es Kunst- und Musikangebote, Theaterworkshops, ganze Wochenenden und Ferienwochen, die kreativ künstlerisch auf vielfältige Weise auch politische Themen aufnahmen.

Durch die Entwicklung im Zuge der PISA-Studie und deren rational-mathematischer Einseitigkeit entstand eine Gegenbewegung in den Schulen, die wichtige Impulse zur verstärkten kulturellen Bildung setzte. So ergab sich, auch durch die wachsende Zahl der Ganztagsschulen, ein gleichermaßen für schulische wie außerschulische Bildungseinrichtungen gemeinsamer Begriff: Kulturelle Bildung und eine zunehmende Vernetzung der unterschiedlichen Anbieter. Heute gibt es Schulen, die ein ganzes Jahr lang einen kompletten Jahrgang mit Musikern, Tänzern, Schauspielern, Literaten und bildenden Künstlern an einem ganzen Tag jede Woche zusammenbringen. Die Schüler entwickeln in diesem Jahr beim wöchentlichen Kulturtag eine Präsentation, die dieses Jahr abschließt (siehe http://www.altana-kulturstiftung.de/bildung-kunst-natur/kulturtagjahr/). Andere Schulen arbeiten eng mit dem Theater oder dem Museum der Stadt zusammen. Projektwochen werden mit Künstlern gestaltet oder auch nur das Nachmittagsprogramm einer Ganztagsschule.

Besonders für die Kirchen als außerschulische Bildungsträger hatte dies Anfang des neuen Jahrtausends weitreichende Folgen. Einer der wichtigsten Bereiche der Kinder- und Jugendarbeit wanderte an die Schulen. Diese Entwicklung und die Tatsache, dass immer mehr Schulen ihr Angebot auch auf den Nachmittag ausdehnten, hatten wesentliche Auswirkungen auf die Teilnehmerzahlen in den Angeboten der Kirchen und führte zu völlig neuen Konzepten wie u.a. den Jugendkulturkirchen (siehe z.B. https://www.sanktpeter.com ).

Dadurch aber, dass die Schulen bisher noch nicht über die Ressourcen und Möglichkeiten verfügen, flächendeckend für alle im Sinne der Teilhabe Kulturelle Bildung anzubieten, werden Vereine, außerschulische Bildungsträger, Kirchen, Jugendmusikschulen usw. zusammen mit den Familien eine sogenannte Bildungslandschaft entwickeln müssen.

3. Handlungsfelder/

Gegenstände der Kulturellen Bildung

Kulturelle Bildung als ganzheitlicher Ansatz unter anthropologischen Voraussetzungen kann Aktivitäten bieten, die das Leben bereichern, die die Wahrnehmung von Welt und Wahrheit unterstützen, die Kreativität entfalten, Tabus hinterfragen, neue und ungewöhnliche Lösungsmöglichkeiten bieten und dadurch auch Handlungsperspektiven und Ausdrucksformen erweitern.

Was früher Spielpädagogik, Theater-, Zirkus-, Museums- oder Musikpädagogik hieß, geht nun auf in unterschiedlichsten Konzepten, Schule und kulturelle Handlungsfelder miteinander zu verschränken. Hier werden die beiden Stränge (die geisteswissenschaftliche Pädagogik und die Kulturpädagogik) verflochten zur kulturellen Bildung auf der Grundlage der Erkenntnis, dass es die ureigentliche Aufgabe der Schule ist, die Kultur der Menschen zu vermitteln, die die sie umgebende → Gesellschaft prägt.

Als Gegenstände der kulturellen Bildung finden sich: die bildende Kunst, die Literatur, das Theater, die → Musik, der → Tanz, der → Film, die Architektur, die → Medien. Selbstverständlich haben auch diese sich immer wieder dem Zeitgeist angepasst (Graffiti, Hip Hop, experimentelles und Straßen-Theater usw.). All diese Künste sind besonders auch Möglichkeiten, die genutzt wurden, um religiöse Gefühle auszudrücken.

4. Internationale Zielsetzungen für Arts education

Noch immer werden die Forschungsfelder ausdifferenziert. Auf dem Hintergrund der Interkulturalität möchte ich fünf verschiedene internationale Diskurse nach Eckart Liebau (Liebau, 2013) betrachten:

- Ökonomischer Ansatz

Hier wird Kreativität als zentrales Ergebnis von arts education gesehen. Schlüsselkompetenzen (z.B. Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit) können erworben und im Beruf verwendet werden. Arts education wirkt ebenfalls auf die kognitiven Fähigkeiten, und dient so der Argumentation, wenn es darum geht, Gelder zu beantragen. Die Kreativwirtschaft kann also mit ihren Angeboten an Kursen und Materialien wachsen. Die Argumentation folgt der OECD-Denkweise und ist hauptsächlich in Nordamerika, Europa und China verbreitet.

- Erbschafts- und Vielfaltsansatz

Arts education dient dem Schutz des materiellen Welterbes: Kulturdenkmale und Bauten. Kulturelle Bildung ist eng mit der Hochkultur und dem Unterricht in hochkulturellen Disziplinen verbunden. Dieser Ansatz wird hauptsächlich in Afrika, Zentral-Asien und Südamerika vertreten.

- Gesellschaftspolitisch-therapeutischer Ansatz

Der gesellschaftspolitisch-therapeutische Ansatz beschäftigt sich mit Fragen der sozialen Integration und der sozialpolitischen Prävention, richtet seinen Fokus auf Generationen vernachlässigter und unterprivilegierter Kinder und sieht Kultur als Heilmittel. Besonders Musik und systematischer Musikunterricht wird hier als Mittel gesehen, dem Leben der Kinder Struktur und Sinn zu geben. Mehrere Versuche und Projekte gibt es dazu besonders in Südamerika.

- Erziehung und Bildung

Bildung zielt auf die Persönlichkeitsentwicklung und darauf, das Leben durch die Erfahrung der Künste zu bereichern. Arts education ist einer der wichtigsten Bausteine von Lebensqualität. Sie hat eine anthropologische Basis und braucht Unterstützung. Dabei wird der Mensch mit all seinen Dimensionen wahrgenommen und aktiviert. Der Ansatz ist alteuropäisch und hat besonders in Gesellschaften mit alternden Bevölkerungen Bedeutung.

- Entwicklung der Künste selbst

Durch die Aktivitäten im kulturell-künstlerischen Bereich werden Zugänge zu eigenem Wirken geschaffen.

Die neuen Vermittlungsformen werden zurzeit hauptsächlich in den Kooperationsformen mit Schule erprobt.

5. Stand der Forschung

Besonders die Frage nach der Qualität Kultureller Bildung findet sich in der Forschung. Folgende Fragestellungen werden dabei aktuell untersucht:

- Der Stand der Kulturellen Bildung in den Grundschulen, Ganztagsschulen und Gymnasien

Welche Kooperationen mit Akteuren aus dem kulturellen Bereich werden umgesetzt? Welche räumlichen, personellen und materiellen Ressourcen gibt es, welche Konzepte werden entwickelt und wie können die Lehrkräfte aus- und fortgebildet werden?

- Die Lage und die Entwicklung im non-formalen Bereich

Welche verbandsspezifischen Strukturen gibt es? Wie ist die Personal- und Finanzsituation? Mit und nach welchen Konzepten wird gearbeitet? Welche Entwicklungen sind zu erwarten? Wie kann kulturelle Bildung finanziell verlässlich unterstützt werden?

- Teilhabe

Wie und von wem werden die unterschiedlichen Angebote genutzt? Wie wirkt kulturelle Bildung auf die Teilnehmenden? Welche Angebote werden gebraucht? Wie lässt sich kulturelle Bildung flächendeckend realisieren?

- die ökonomische Situation der Kulturschaffenden

Welche Bedingungen brauchen Kulturschaffende um sich eine Lebensgrundlage erarbeiten zu können? Wie müssten Kooperationen aussehen, die den Kulturschaffenden eine angemessene Rolle zugestehen?

Aktuelle Informationen zu diesen Fragestellungen finden sich unter http://www.rat-kulturelle-bildung.de/fileadmin/user_upload/pdf/MehrAlsWenigerAlsGleichViel_WebDS.pdf

6. Fazit

Es gibt eine Wechselwirkung zwischen Kultur und Kunst. Besonders auf dem Hintergrund von Migration, Digitalisierung und Globalisierung muss Kulturelle Bildung in ihren verschiedenen Formen in Institutionen, außerschulischen Bildungsträgern und Familien besonders geschützt, weiterentwickelt und vor allem politisch und finanziell unterstützt werden.

Literaturverzeichnis

PDF-Archiv

Alle Fassungen dieses Artikels ab Oktober 2017 als PDF-Archiv zum Download:

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