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Wahrheit (NT)

(erstellt: September 2011)

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1. Wahrheit im Kontext

Mit dem Ausdruck Wahrheit (griech. ἀλήθεια; alētheia) und seinen Derivaten werden im → Neuen Testament sowohl Eigenschaften von Sätzen und Redeweisen wie auch zentrale theologische Sachverhalte zur Sprache gebracht. Es ist immer zu fragen, ob eine eher formale oder eine materiale Verwendung vorliegt, wobei beide Verwendungsweisen eng miteinander zusammenhängen können. Einen besonderen formalen Wahrheitsbegriff etwa im Unterschied zum Alten Testament und vor dem Hintergrund der antiken griechischen Literatur, wie er im Anschluss an Hans von Soden (1951) und Martin Heidegger (1993, § 44) von Rudolf Bultmann (1933) und nach ihm von vielen anderen behauptet wurde, bietet das Neue Testament nicht (Landmesser, 1999, 207–253). Sowohl im Alten Testament (Michel, 1968) wie auch in der antiken griechischen Literatur und im Neuen Testament ist ganz selbstverständlich auch von der Wahrheit von Sätzen die Rede, ohne die eine intersubjektive Kommunikation nicht auskommt. Die Bestimmung des formalen Wahrheitsverständnisses ist seinerseits strittig und Gegenstand weitreichender philosophischer Debatten (Gloy, 2004; Landmesser, 1999; Puntel, 1993). Die Besonderheit der Rede von der Wahrheit im Neuen Testament ist also in der Frage nach der materialen Wahrheit zu finden. Das → Johannesevangelium und die Paulusbriefe bieten ein profiliertes und ihre Theologie konturierendes Wahrheitsverständnis, aber auch andere Schriften des Neuen Testaments haben eine ausdrücklich theologische Rede von Wahrheit.

2. Der Ausdruck ἀλήθεια (alētheia) und seine Derivate in den Schriften des Neuen Testaments

2.1. ἀλήθεια (alētheia) und seine Derivate in den Synoptikern und in der Apg

Die häufigste Verwendungsweise von ἀλήθεια (alētheia) und seinen Derivaten in den → Synoptikern und in der → Apostelgeschichte steht in Verbindung mit verba dicendi oder mit Ausdrücken des Lehrens (Mk 5,33; Mk 12,14; Mk 12,32; Lk 4,25; Lk 9,27; Lk 12,44; Lk 20,21; Lk 21,3; Apg 26,25). Mit dieser Ausdrucksweise wird die der Wirklichkeit entsprechende Rede betont, an den meisten Stellen mit Blick auf Äußerungen Jesu. Dabei kann ‚Wahrheit‘ das direkte Akkusativobjekt sein (Mk 5,33: ‚sie sagte ihm die ganze Wahrheit‘) oder in einer Genitivverbindung mit einem Akkusativobjekt stehen (Apg 26,25: ‚ich sage frei heraus Worte der Wahrheit und der Vernunft‘), es kann die präpositionale Wendung έπ ἀλήθειαs (ep’ alētheías; ‚der Wirklichkeit entsprechend‘, ‚wahrheitsgemäß‘) zur Kennzeichnung der Rede Jesu eingesetzt werden (Mk 12,14; Mk 12,32; Lk 4,25; Lk 20,21) oder einfach das Adverb ‚wahrhaftig‘, ‚in Wahrheit‘, ‚tatsächlich‘ (Lk 21,3). Ein → Schriftgelehrter bestätigt nach Mk 12,32 Jesus, dass er wahrheitsgemäß rede, wenn er an die Einzigkeit Gottes (Dtn 6,5) und an das Liebesgebot (Lev 19,18) erinnere. Die wahrheitsgemäße Rede Jesu stimmt mit der Schrift und mit der Einschätzung des Schriftgelehrten überein. Auch die ausdrücklichen Gegner Jesu bestätigen ihm, dass er έπ ἀλήθεια (ep’ alētheías; ‚der Wirklichkeit entsprechend‘, ‚wahrheitsgemäß‘), dass er also wahrhaftig den Weg Gottes lehre (Mk 12,14; Lk 20,21; Mt 22,16: έν ἀλήθειαi; en alētheíai), denn er richte seine Lehre nicht nach dem vordergründigen Ansehen. Abgeleitet von seiner wahrhaftigen Rede kann dann Jesus auch selbst als ‚wahrhaftig‘ (ἀλήθης; alēthēs) bezeichnet werden (Mk 12,14; Mt 22,16). An einer solchen Schnittstelle wird deutlich, wie das Urteil über die semantische Wahrheit zu einer personalen Einschätzung als wahrhaftig führen kann. Ein ausdrücklich christologisches Urteil wird dort erkennbar, wo ausgesagt wird, dass → Jesus ‚wirklich‘, ‚tatsächlich‘ (griech. ἀλήθως; alēthōs) der Sohn Gottes gewesen sei (Mk 15,39; Mt 14,33; Mt 27,54). Damit wird die in den synoptischen Evangelien grundlegende Frage nach Jesus, wie sie nach Mk 4,41 (parr. Mt 8,27; Lk 8,25) von den → Jüngern im Anschluss an die Sturmstillung gestellt wird, angemessen beantwortet.

Die Einleitung mancher Rede Jesu mit der Wendung ‚wahrlich, ich sage euch‘ (griech. ἀμήν, λέγω ύμιν; amēn, légō hymīn; Mk 9,1; Mt 16,28; Mt 24,47; Mk 12,43; vgl. auch Lk 4,25) kann in Lk 9,27; Lk 12,44 und Lk 21,3 durch die Wendung ‚ich sage euch aber wahrhaftig‘ (griech. λέγω δε ύμιν ἀλήθως; légō de hymīn alēthōs) ersetzt werden. Jesus redet hier mit dem Anspruch höchster Autorität. Mit der Präpositionalwendung έπ ἀλήθεια (‚der Wirklichkeit entsprechend‘, ‚wahrheitsgemäß‘) wird in Apg 4,27 die tatsächliche Erfüllung der in Apg 4,25f aufgerufenen → Prophezeiung aus Ps 2,1f LXX behauptet, dass sich die Könige der Erde und die Fürsten der Welt in → Jerusalem gegen Gott und seinen Gesalbten versammelt hätten. Diese Prophezeiung ist eingetreten und in der Jesusgeschichte Wirklichkeit geworden. Auch in Apg 12,9 wird das tatsächliche Geschehen von einer → Vision abgegrenzt, wenn → Petrus, als er vom → Engel aus dem Gefängnis geführt wurde, noch nicht verstand, dass dieses Geschehen ἀλήθης εστιν (alēthēs estin), dass es sich also wirklich ereigne. Die Befreiung durch den Engel aber geschieht tatsächlich und ist nicht nur eine Einbildung des Petrus. In Apg 10,34 wird berichtet, dass Petrus wirklich (έπ ἀλήθειας; ep’ alētheías) begreife, dass Gott nicht parteiisch sei.

Sowohl die der Wahrheit und der Wirklichkeit entsprechende Redeweise wie auch die Wahrhaftigkeit einer Person können mit dem Ausdruck ‚Wahrheit‘ und seinen Derivaten zur Sprache gebracht werden.

Zuletzt ist noch zu erwähnen, dass in Lk 16,11 in einer absoluten Wendung dem ungerechten Mammon oder Besitz das ‚wahre Gut‘ (griech. τω ἀλήθινόν; to alēthinón) entgegen gesetzt wird, womit das → eschatologische und bleibende Heilsgut gemeint ist.

2.2. Wahrheit und ‚ewiges Leben‘ im Johannesevangelium und in den Johannesbriefen

In den johanneischen Schriften (→ Corpus Johanneum) erhalten der Ausdruck ‚Wahrheit‘ und seine Derivate neben der die Rede kennzeichnenden Funktion eine herausragende theologische Bedeutung. Aber auch für das johanneische Wahrheitsverständnis ist zunächst festzustellen, dass mit verba dicendi eine Redeweise als ‚wahr‘ oder ‚wahrhaftig‘ (griech. ἀλήθως; alēthōs) gekennzeichnet wird (Joh 4,17f; Joh 10,41; Joh 19,35) wie auch das Erkennen (Joh 7,26; Joh 17,8). Die Wahrheit ist ein Gegenstand des Erkennens (Joh 8,32; 2Joh 1), des Wissens (1Joh 2,21) und des Sagens (Joh 8,40; Joh 8,45f). Für die Christologie des Johannesevangeliums ist es entscheidend, dass Jesus die Wahrheit sagt, wodurch der Unglaube seiner Gegner ins Unrecht gesetzt (Joh 8,45f) oder an anderer Stelle seine Jünger auf sein Weggehen und das Kommen des → Parakleten vorbereitet werden (Joh 16,7).

Ein für das Johannesevangelium wichtiger Topos ist das → Zeugnis (griech. ή μαρτυρία; hē martyría) über Jesus. Würde Jesus nur von sich selbst zeugen, dann wäre dieses Zeugnis nicht wahr (Joh 5,31), da aber ein anderer, hier → Johannes der Täufer, von Jesus zeugt, kann sich Jesus darauf berufen, dass dessen Zeugnis wahr (griech. ἀλήθες, alēthēs) ist (Joh 5,32). Von dem ‚wahren‘ oder ‚unwahren Zeugnis‘ ist mehrfach die Rede (Joh 8,13f; Joh 8,17; Joh 19,35; vgl. auch im Nachtragskapitel Joh 21,24; 3Joh 12). Der Hinweis in Joh 8,17 in Anspielung auf Dtn 17,6 und Dtn 19,15, dass zweier Menschen Zeugnis wahr sei, lässt zum einen die forensische Dimension dieser Begrifflichkeit erkennen und zum anderen das Motiv der Übereinstimmung eines Zeugnisses mit der Wirklichkeit deutlich werden.

Bereits diese einführenden Hinweise legen nahe, dass im Joh ein bedeutsames materiales Wahrheitsverständnis wahrzunehmen ist. Dabei sind die christologische und die theologische Dimensionen grundlegend, auf welche die pneumatologischen und ekklesiologischen Aspekte stets zu beziehen sind.

Der → Logos, also Christus, erscheint in der Welt (Joh 1,1–161Joh 1,1f) und mit ihm auch die Fülle der Gnade und Wahrheit (Joh 1,14), womit die Fülle von Gottes Heil für die Menschen im Blick ist. Diese Gnade und Wahrheit wird durch Jesus Christus geoffenbart (Joh 1,17), denn er allein kommt aus der Nähe Gottes. Gott aber, der Jesus gesandt hat, ist wahrhaftig (Joh 3,33; Joh 7,28; Joh 8,26). Die von Jesus geoffenbarte Wahrheit verbindet sich im Joh mit seiner Person, die in dem → Ich-bin-Wort zugespitzt wird: ‚Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben‘ (Joh 14,6a). Die Identifikation Jesu mit der Wahrheit begründet auch die folgende exklusive Aussage: ‚Niemand kommt zum Vater denn durch mich‘ (Joh 14,6b). Die Wahrheit, die Jesus ist, bedingt das Heil der Menschen. Den wahren Gott, der Jesus Christus gesandt hat, zu erkennen, bedeutet ewiges Leben, also das Heil schlechthin (Joh 17,3; vgl. auch Joh 1,14). Die christologische und theologische Rede von Wahrheit bringt die → soteriologische Funktion Jesu ins Spiel und begründet diese mit der Herkunft Jesu von Gott. Die soteriologischen Metaphern in Verbindung mit dem Motiv der Wahrheit unterstreichen diesen Sachverhalt: Jesus ist das wahre Licht (Joh 1,9), das wahre Brot, vom Vater gegeben (Joh 6,32; Joh 6,55), der wahre Weinstock (Joh 15,1), und überhaupt ist er wirklich (griech. ἀλήθως; alēthōs) der Retter der ohne ihn verlorenen Welt (Joh 4,42).

Der nachösterlichen Gemeinde ist von Christus die Gegenwart des Parakleten zugesagt. Dieser wird als der ‚Geist der Wahrheit‘ bezeichnet (Joh 14,17; Joh 15,26; Joh 16,13; vgl. 1Joh 4,6). Dieser → Geist hat die Aufgabe, die Gemeinde in die ganze Wahrheit zu führen (Joh 16,13), ihr also das zu eröffnen, was Christus geoffenbart hat. Nach 1Joh 5,6 ist der Geist selbst die Wahrheit. Diese Identifikation des Geistes mit der Wahrheit, die an Joh 14,6a erinnert, wo Jesus von sich selbst sagt, er sei die Wahrheit, legt es nahe, dass mit der Gegenwart des Geistes in der nachösterlichen Gemeinde Christus selbst bei dieser ist. Der bei der → Gemeinde gegenwärtige Geist geht ebenfalls von Gott aus und wird von Jesus gesandt und legt Zeugnis ab über Jesus (Joh 15,26).

Die Vorstellung von der Wahrheit umfasst dann auch die Gemeinde. Wer die Stimme Jesu hört, womit nicht ein physisches Hören, sondern der Glaube an Christus gemeint ist, der ist dann auch selbst aus der Wahrheit (Joh 18,37). Die anschließende Frage des → Pilatus ‚Was ist Wahrheit?“ (Joh 18,38) dokumentiert dessen Unglauben, er ist nicht aus der Wahrheit (vgl. 1Joh 2,21; 1Joh 3,19). Jesus bittet Gott, dass er die Jünger heilige ‚in der Wahrheit‘, denn Gottes Wort ist selbst die Wahrheit (Joh 17,17; Joh 17,19). Auf diese Weise bekommen die Jünger Anteil an dem von Christus geoffenbarten Heil Gottes. Dieses Heil findet seine Konkretion darin, dass die Jünger dann auch ‚die Wahrheit tun‘, womit im Joh gemeint ist, dass sie an Christus glauben (vgl. die parallelen Formulierungen in Joh 3,18.21) (Hofius, 68–70; Landmesser, 1999, 238–245). Die an Christus Glaubenden sind es dann auch, die wahrhaftig anbeten, sie werden den Vater ‚im Geist und in der Wahrheit‘ anbeten. Dies ist die einzige Möglichkeit, Gott angemessen anzubeten, denn Gott selbst ist Geist (Joh 4,23f).

Innerhalb einer Auseinandersetzung Jesu mit seinen Gegnern (Joh 8,12-59) werden in Joh 8,31f verschiedene Aspekte des johanneischen Wahrheitsverständnisses zusammengeführt. Wer an der Rede Jesu bleibend festhält, ist tatsächlich (griech. ἀλήθως; alēthōs) ein Jünger. Diese Jünger erkennen die Wahrheit, und diese im Christusgeschehen eröffnete Wahrheit bzw. Christus selbst wird die Jünger von der Sünde frei machen (Joh 8,34-36).

Mit dem Motiv der Wahrheit wird im Joh der gesamte Raum des durch Gott, durch Jesus Christus und den Parakleten erschlossenen Heils für die Glaubenden beschrieben.

In den Johannesbriefen rückt im Anschluss an Tob 4,6; Tob 13,6 und Jes 26,10 LXX die ausdrücklich ethische Dimension in den Blick, wenn vom ‚Tun der Wahrheit‘ die Rede ist (1Joh 1,6) oder vom ‚Wandeln in der Wahrheit‘ (2Joh 4). Wer Gott zu kennen vorgibt, aber seinen Willen nicht erfüllt, der lügt und in ihm ist keine Wahrheit (1Joh 2,4; vgl. auch 1Joh 1,6). Wer aber Gottes Wort, also seinen Willen, erfüllt, der erweist seine Zugehörigkeit zu Gott. – Der 1. Johannesbrief mündet in die Aussage, dass der Sohn Gottes gekommen sei, dass wir den wahrhaftigen Gott erkennen. Genau das bedeutet ewiges Leben (1Joh 5,20).

2.3. Die Wahrheit des Evangeliums in den Paulusbriefen

Auch in den Paulusbriefen ist Wahrheit zunächst ein Gegenstand des Redens. Zu Beginn seiner Überlegung zum Verhältnis Israels zu Gott vor dem Hintergrund des Christusgeschehens unterstreicht → Paulus das Gewicht dieser Gedanken damit, dass er ausdrücklich notiert, die Wahrheit zu sagen und nicht zu lügen (Röm 9,1). In der Auseinandersetzung mit seinen Gegnern betont er, dass er auch dann die Wahrheit sagen würde, wenn er sich rühmte (2Kor 12,6), entspräche doch dieser Selbstruhm des Paulus der Wirklichkeit. Und wenn Paulus nach 2Kor 7,14 die Korinther gegenüber → Titus rühmt, so entspricht auch dies der Situation der Gemeinde, das Rühmen des Paulus erweist sich als wahr (griech. ἀλήθεια εγενηθη; alētheia egenēthē). Und wenn Gott im Endgericht das Urteil über die Menschen spricht, dann geschieht das ‚in Wahrheit‘, also ihrem Handeln entsprechend (Röm 2,2). Wird Christus aufrichtig verkündigt, dann geschieht dies nicht mit einem täuschenden Vorwand, sondern in Wahrheit, also wahrhaftig (Phil 1,18). Hier wird der Entsprechungsgedanke mit der ethischen Dimension verbunden. In 1Thess 1,9 findet sich das Adjektiv ἀλήθινός (alēthinós) zur Unterscheidung des wahren und lebendigen Gottes von den Göttern, die tatsächlich keine sind und von denen sich die Glaubenden in → Thessalonich abgewandt haben.

Im ersten Teil des → Römerbriefs, wo Paulus von der universalen Sünde der Menschen redet, setzt er die Wahrheit Gottes der Lüge der Menschen entgegen, die darin besteht, dass diese statt den Schöpfer das Geschöpf verehren (Röm 1,25; vgl. Röm 3,7). Gott ist wahrhaftig und jeder Mensch ist ein Lügner (Röm 3,4). Den der Wahrheit ungehorsamen Menschen, die der Ungerechtigkeit folgen, wird Gott im Endgericht mit Zorn begegnen. Die Sünde trennt die Menschen von der heilsamen und rettenden Wahrheit Gottes.

Mit dem Ausdruck ‚die Wahrheit des → Evangeliums‘ (griech. η ἀλήθεια του ευαγγελιου; hē alētheia toú euangelíou) erinnert Paulus die inhaltliche Bestimmtheit des Evangeliums, die offensichtlich gerade in den galatischen Gemeinden strittig ist und von der einige bereits abgewichen sind (Gal 2,14). Paulus kämpft um diese Wahrheit des Evangeliums (Gal 2,5). Dabei wird mit diesem Ausdruck die gesamte christologische und soteriologische Bestimmtheit des Evangeliums aufgerufen, die Paulus in allen seinen Briefen entfaltet. Es ist das Evangelium Christi, wobei mit diesem Genitiv sowohl die Herkunft wie auch der Inhalt gemeint ist (vgl. Gal 1,7; Gal 3,1; Röm 15,29; 1Kor 9,12; 2Kor 2,12; Phil 1,27a; 1Thess 3,2). Die Wahrheit des Evangeliums umfasst das gesamte Christusgeschehen. Mit seiner Missionsarbeit will Paulus das Evangelium bekannt machen, was gerade keine Verfälschung des Wortes Gottes ist (2Kor 4,2). Wenn Paulus in Gal 5,7 seine Adressaten fragt, wer sie hindere, der Wahrheit gegenüber gehorsam zu sein, dann fürchtet er, dass sich die Galater vom Christusglauben entfernen. Paulus beansprucht für sich selbst, gar nichts gegen die Wahrheit tun zu können, sondern nur für die Wahrheit (2Kor 13,8). Die Verkündigung des Evangeliums steht bei Paulus in einer sachlichen Parallele zum Sagen der Wahrheit (griech. ἀλήθευειν; alētheúein) (Gal 4,13 und Gal 4,16). Das verkündigte Evangelium ist das im Glauben wirkungsvolle Wort Gottes (2Thess 2,13). Dieses verschafft mit dem Christusgeschehen dem glaubenden Menschen die Freiheit von der → Sünde und die Freiheit für die Gerechtigkeit Gottes (Röm 6-8).

2.4. Wahrheit in den weiteren Schriften des Neuen Testaments

Mit dem Ausdruck ‚Wahrheit‘ und seinen Derivaten wird auch in den übrigen Schriften des Neuen Testaments der angemessen bestimmte Inhalt des Sagens und Redens (Eph 4,25; 1Tim 2,7), des Lehrens (Eph 4,21), der → Erkenntnis und damit des Glaubens (1Tim 2,4; 1Tim 4,3; 2Tim 2,25; 2Tim 3,7; Tit 1,1; Hebr 10,26) vorausgesetzt. Neben dem absoluten Gebrauch des Substantivs ‚Wahrheit‘ erscheint die Genitivverbindung ‚Wort der Wahrheit‘ (griech.: ό λογος της ἀλήθειας ho logos tēs alētheías), womit ausdrücklich das Evangelium oder die Evangeliumsverkündigung gemeint ist (Eph 1,13; Kol 1,5). Mit diesem theologisch gefüllten Ausdruck Wahrheit wird Gottes Heilshandeln im Christusgeschehen erinnert. Die Irrlehrer widersetzen sich dieser Wahrheit (2Tim 3,8). Strittig ist, ob in Jak 1,18 das ‚Wort der Wahrheit‘ Gottes soteriologisches Handeln oder im Anschluss an Ps 118,43 LXX die Sinaitora meint (vgl. dazu Konradt, 1998, 67–74).

In der → Apokalypse erscheint aus dem entsprechenden Wortfeld nur das Adjektiv ‚wahrhaftig‘, ‚wahrheitsgemäß‘, ‚wirklich‘ (griech. ἀλήθινος; alēthinós). In Apk 15,3 werden die Wege Gottes als gerecht und wahrhaftig bezeichnet; beides gilt auch von den Urteilen Gottes (Apk 16,7; Apk 19,2). Und von Jesus wird ausgesagt, dass er ό ἀλήθινος (ho alēthinós) sei (vgl. auch Apk 3,14; Apk 6,10; Apk 19,11), womit im Anschluss an den Sprachgebrauch der → Septuaginta Jesu göttliche Hoheit ausgedrückt wird (vgl. Jes 65,16; 3Makk 6,18).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Bultmann, R., 1933, Art. ἀλήθεια (alētheia) ktl. C. und D., ThWNT I, 239–248

2. Monographien und Aufsätze

  • Blank, J., 1963, Der johanneische Wahrheits-Begriff, BZ NF 7, 163–173
  • Büchsel, F., 1911, Der Begriff der Wahrheit in dem Evangelium und den Briefen des Johannes (BFChTh 15,3), Gütersloh
  • Gloy, K., 2004, Wahrheitstheorien. Eine Einführung (UTB 2531), Tübingen / Basel
  • De la Potterie, I., 1977, La vérité dans Saint Jean, I–II (AnBib 73 und 74), Rom
  • Heidegger, M., 1993, Sein und Zeit, 17. Aufl., Tübingen
  • Ebeling, G., 1981, Die Wahrheit des Evangeliums. Eine Lesehilfe zum Galaterbrief, Tübingen
  • Goppelt, L, 1965, Wahrheit als Befreiung – Das neutestamentliche Zeugnis von der Wahrheit nach dem Johannes-Evangelium, in: H.-R. Müller-Schwefe (Hg.), Was ist Wahrheit? Ringvorlesung der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Hamburg, Göttingen, 80–93
  • Hofius, O., 1996, Das Wunder der Wiedergeburt. Jesu Gespräch mit Nikodemus Joh 3,1–21, in: Ders. / H.-C. Kammler, Johannesstudien (WUNT 88), Tübingen, 33–80
  • Ibuki, Y., 1972, Die Wahrheit im Johannesevangelium (BBB 39), Bonn
  • Konradt, M., 1998, Christliche Existenz nach dem Jakobusbrief. Eine Studie zu seiner soteriologischen und ethischen Konzeption (StUNT 22), Göttingen
  • Kowalski, B., 2008, „Was ist Wahrheit?“ (vJoh 18,38a). Zur literarischen und theologischen Funktion der Pilatusfrage in der Johannespassion, in: K. Huber u.a. (Hg.), Im Geist und in der Wahrheit. Studien zum Johannesevangelium und zur Offenbarung des Johannes sowie andere Beiträge (FS M. Hasitschka S.J. zum 65. Geburtstag), Münster, 201–227
  • Landmesser, C., 2009, „Die Wahrheit wird euch frei machen“ – Biblische Perspektiven, in: S.J. Lederhilger (Hg.), Wozu Wahrheit? 10. Ökumenische Sommerakademie Kremsmünster 2008 (Linzer Philosophisch-Theologische Beiträge 10), Frankfurt am Main u.a., 123–146
  • Landmesser, C., 1999, Wahrheit als Grundbegriff neutestamentlicher Wissenschaft (WUNT 113), Tübingen
  • Luz, U., 2009, Geschichte und Wahrheit im Matthäusevangelium. Das Problem der narrativen Fiktion, EvTh 69, 194–208
  • Michel, D., 1968, ̓ÄMÄT. Untersuchung über „Wahrheit“ im Herbräischen (ABG 12/1), 30–57
  • Puntel, L.B., 1993, Wahrheitstheorien in der neueren Philosophie. Eine kritisch-systematische Darstellung. Dritte, und einen ausführlichen Nachtrag erweiterte Auflage (EdF 83), Darmstadt
  • Soden, H v., 1951, Was ist Wahrheit? Vom geschichtlichen Begriff der Wahrheit, in: Ders., Urchristentum und Geschichte. Gesammelte Aufsätze und Vorträge, hg. von H. v. Campenhausen. Band 1: Grundsätzliches und Neutestamentliches, mit einem Vorwort von R. Bultmann, Tübingen, 1–24
  • Schlier, H., 1959, Meditationen über den Johanneischen Begriff der Wahrheit, in: Ders., Besinnung auf das Neue Testament. Exegetische Aufsätze und Vorträge 2, Freiburg, Basel, Wien, 272–278
  • Söding, T., 2001, Die Wahrheit des Evangeliums. Anmerkungen zur johanneischen Hermeneutik, EThL 77, 318–355
  • Van Der Watt, J.G., 2009, Waarheid in die Johannesevangelie, Acta Patristica et Bycantina 20, 145–160

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