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(erstellt: August 2015)

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Areopag
(Áreios págos – „Hügel des Ares“). Im ursprünglichen, topographischen Sinn ist der Areopag der nach dem Kriegsgott Ares benannte, 115 m hohe Felshügel in → Athen, nordwestlich der Akropolis und südlich der Agora gelegen. Aitiologisch wurde mit diesem Ort etwa ein Götterprozess gegen Ares wegen der Tötung des Poseidon-Sohnes Halirrothios (z.B. Apollodori Bibliotheca 3,180; Pausanias 1,28,5) verbunden. Die älteste Ratsversammlung Athens, die hier zu tagen pflegte, erhielt von dem Ort ihren Namen (hē en Areíōi págōi boulḗ).

Aus der Adelszeit stammend, diente der Areopag vermutlich zunächst als Beratungsorgan für die → Könige und → Archonten, später als einflussreiches Leitungs- und Gerichtsgremium der gewesenen Archonten. Durch die (nach Umfang und politischer Stoßrichtung in der Forschung umstrittenen) volksfreundlichen Reformen des Ephialtes (462 / 61 v.Chr.) wurden seine politischen und rechtlichen Kompetenzen beschnitten und auf die anderen Organe (Volksversammlung, Rat der Fünfhundert, Geschworenengerichte) übertragen. Er behielt die Gerichtsbarkeit über bestimmte Kapitalvergehen sowie sakrale Zuständigkeiten. In der gepflegten Erinnerung galt er später als beherrschendes Leitungsgremium edlerer Vorzeit (vgl. z.B. Isokrates, Areopagitikos 37-39; Athenaion politeia 23,1f; 25; Dion Chrysostomos 50,2; Ailios Aristeides, Panathenaikos 46-48.367). In hellenistischer Zeit wuchs der Einfluss des Areopags wieder. In der reichsrömischen Epoche galt er als die angesehenste Leitungsbehörde des nunmehr von seinem einstigen Glanz zehrenden Stadtstaats. Er diente vor allem als Aufsichts-, Repräsentations- und Gerichtsversammlung und ist als solche in reichsrömischer Zeit breit belegt (vgl. z.B. Cicero, De natura deorum 2,74; Ad Atticum 5,11,6; Ad familiares 13,1,5; Ailios Aristeides, Panathenaikos 385.388; Chariton, Kallirhoe 1,11,7; IG II² 3185).

Man hat die → Areopagrede des → Paulus in Athen (vgl. Apg 17,16-34) mit der Funktion des Areopags verbunden, das Kultwesen zu beaufsichtigen. Aus der lukanischen Darstellung (Apg 17,19-22) geht jedoch nicht eindeutig hervor, ob Paulus auf dem Hügel als einer zentralen, für Reden geeigneten Stätte oder vor dem gleichnamigen Gremium spricht. Dass Paulus offiziell dem Rat zum Verhör vorgeführt wird, lässt sich der Schilderung nicht entnehmen. Es ist auch schwerlich vorstellbar, dass das Gremium zu dem Zweck, einen fremden Redner zu hören, zusammengerufen oder während der Sitzung unterbrochen worden wäre. Tatsächlich spricht Paulus vor einem Publikum, zu dem unterschiedslos Stadtvolk und Beisassen Athens, namentlich Philosophen, gehören; diese sind es auch, deren Reaktion auf die Rede geschildert wird (Apg 17,32). Die Anrede ándres Athēnaíoi (Apg 17,22) lässt eher an das athenische Volk als solches denken (vgl. z.B. Platon, Apologia 17a) und bezieht sich allgemein – in einer Variation der üblichen Anredeform (vgl. z.B. Apg 2,14; Apg 13,16) – auf die anwesenden Hörer.

Gleichwohl nennt Lukas den Areopag nicht nur zur Lokalisierung, sondern zur Qualifizierung der Rede. Es ist szenisch nicht notwendig, dass Paulus von der Agora (Apg 17,17) auf den Areopag verbracht wird (Apg 17,19). Das Verb epilambánomai kann die Vorführung vor die lokale Behörde bezeichnen (vgl. Apg 16,19). Die Wendung en mésōi toú Areíou págou (Apg 17,22) bezieht sich auf eine Menschenansammlung (vgl. Lk 2,46; Lk 24,36; Apg 1,15; Apg 4,7; Apg 27,21), aus deren Kreis sich Paulus dann fortbegibt (Apg 17,33). So schildert Lukas hier das informelle Miteinander von Volksmenge und lokaler Obrigkeit, die er auch sonst mit der ortsüblichen Titulatur zu benennen pflegt.

In Athen als einer symbolisch beziehungsreichen „Kulturhauptstadt“ geht es dem Erzähler um die grundsätzliche Konfrontation von klassischem Griechentum und dem als vernunftlose Neuerung verdächtigten Evangelium. Der berühmte Areopag beschwört die geschichtliche und geistige Größe Athens herauf (vgl. Cicero, Ad Atticum 1,14,5). Er wirft daher ein bezeichnendes Licht auf den Redner und seine Botschaft und eignet sich zur Sokrates-Mimesis, wie sie die lukanische Darstellung des Aufenthalts Pauli in Athen prägt (→ Areopagrede). So muss die szenische Bedeutung des Areopags nicht präzise bestimmt werden: Er wird als städtischer Versammlungsort dargestellt, aber konnotiert auch die ehrwürdige Ratsversammlung. So dient er als Ekphrasis einer geschichtsträchtigen Begegnung und führt das theologische Gewicht und die kulturelle Augenhöhe des christlichen Redners vor Augen.

In der unscharfen Schlussnotiz (Apg 17,34) wird unter denen, die sich durch Paulus zum Glauben führen lassen, auch der Areopagit Dionysios genannt. Damit hätte ein Mitglied der örtlichen Elite in Dekurionenrang zum Christentum gefunden. Man hat vermutet, dass eine solche historische Reminiszenz den Anstoß zum Setting der Areopagrede gegeben hat.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Rhodes, P.J., 1996, Art. Areios pagos, DNP I, 1043-1045
  • Wachsmuth, C. / Thalheim, Th., 1895, Art. Áreios págos, PRE II/1, 627-633

2. Kommentare

  • Barrett, C.K.,1998, The Acts of the Apostles II (ICC), London (1998/2008), 822-855
  • Marguerat, Daniel, 2015, Les Actes des Apôtres (13-28) (CNT[N] 5b), Genf, 149-167

3. Weitere Literatur

  • Bleicken, J.,21994, Die athenische Demokratie, Paderborn (1985)
  • Geagan, D.J., 1967, The Athenian Constitution after Sulla (HespS 12), Princeton, N.J.
  • Graindor, P., 1931, Athènes de Tibère a Trajan, Kairo
  • Keil, B., 1920, Beiträge zur Geschichte des Areopags (BVSAW.PH 71 / 8), Leipzig

Abbildungsverzeichnis

  • Areopaghügel, von der Akropolis aus gesehen Quelle: Wikimedia Commons, (Photo: O. Mustafin) gemeinfrei

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