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Wettergott / Wettergötter

(erstellt: Juni 2006)

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1. Der Typus des Wettergotts im Alten Orient

1.1. Altorientalistische und altorientalische Göttertypologie

Gottheiten unterschiedlichen Namens werden in der Altorientalistik – wie auch im religionswissenschaftlichen Diskurs – häufig unter einer Typbezeichnung zusammengefasst, wenn sie hinsichtlich ihrer zentralen Funktionen und ihres Handlungsprofils weitgehende Übereinstimmung zeigen. Diese typologische Klassifizierung kann mehrere Göttergestalten innerhalb nur eines kulturellen Kontextes zu einer Gruppe zusammenfassen oder Gottheiten aus verschiedenen kulturellen Traditionen unter einem Typ zusammenführen.

Typbezeichnungen wie „Wettergott“ haben keine unmittelbare Entsprechung in den verschiedenen altorientalischen Sprachen. Die Kennzeichnung einer Reihe von altorientalischen Gottheiten als Vertreter eines bestimmten Göttertyps impliziert nicht von vorneherein, dass zwischen den jeweiligen Gottheiten religionsgeschichtliche Beziehungen rekonstruiert werden können oder in den altorientalischen Epochen selbst theologische Verbindungen gezogen wurden. Es verdankt sich jedoch nicht dem Zufall, dass gerade die Übersetzungen und Kommentare zu altorientalischen Keilschrifttexten so häufig statt des Eigennamens einer bestimmten Gottheit eine Typbezeichnung verwenden.

Die Keilschrift, mittels derer alle wichtigen altorientalischen Sprachen geschrieben wurden, verwendet neben Silbenzeichen auch Wortzeichen(kombinationen), die ursprünglich jeweils für ein sumerisches Wort standen, dann aber bei der Verwendung der Keilschrift zur Schreibung anderer Sprachen als Wortzeichen (Sumerogramme) weiter verwendet wurden und für ein entsprechendes Wort in der jeweiligen Sprache standen (→ Iškur; → Adad). Auch die sumerische Schreibweise wichtiger Eigennamen behielt man durch alle altorientalischen Epochen bei. Im Falle von Gottheiten benutzte man vielfach das sumerische Wortzeichen für die jeweils als typologisch verwandt empfundene Gottheit der sumerischen Götterwelt, um den Namen des eigenen Gottes zu schreiben. Die konventionelle sumerographische Schreibweise eines Götternamens in der Keilschrift spiegelt daher eine typologische Klassifizierung der jeweiligen Gottheit aus der Perspektive der jeweiligen Schreibertradition. Dabei wurde nicht jede sumerographische Konvention zur Schreibung eines Götternamens mit Blick auf die Rolle der jeweils durch das Sumerogramm repräsentierten Gottheit innerhalb der sumerischsprachigen Mythologie etabliert; vielmehr dienten gewöhnlich die Schreibkonventionen der jeweils angrenzenden Keilschriftkultur, von der die Keilschrift überhaupt übernommen wurde, als unmittelbares Vorbild (z. B. die Konventionen des sprachlich heterogenen nordsyrisch-obermesopotamischen Raums mit dem Akkadischen als Schriftsprache als Vorbild für die Verwendung von Sumerogrammen bei den Hethitern). In Texten aus Regionen bzw. Epochen, die von verschiedenen Sprachen und kulturellen Traditionen geprägt waren, fällt es oft schwer, die jeweils 'richtige' Lesung eines sumerographisch geschriebenen Götternamens anzugeben. Man behilft sich in der Übersetzung dann meist mit der Typbezeichnung ('Wettergott' usw.). Tatsächlich wurden die sumerographisch geschriebenen Götternamen von den altorientalischen Schreibern bewusst in dieser Weise genutzt. So dürften etwa in Briefen der zwischenstaatlichen Korrespondenz sumerographisch geschriebene Götternamen von Absender und Empfänger gelegentlich unterschiedlich realisiert worden sein. Vor allem aber verwenden die nach theologisch-typologischen Kriterien geordneten zwei- oder mehrspaltigen Götterlisten, die aus der Schultradition Babyloniens stammen, als Gattung aber bis nach Assyrien, Obermesopotamien und Syrien Verbreitung fanden, das Sumerogramm als den übergeordneten Ordnungsbegriff, dem verschiedene konkrete Namen zugeordnet werden.

1.2. Altorientalische Vertreter des Typs „Wettergott"

Die vielfältigen Kontakte zwischen den Regionen und Kulturen Altvorderasiens führten auch zu einem Neben- und Miteinander verschiedener polytheistischer Systeme und damit zu Gleichsetzungen und Synkretismen zwischen verschiedennamigen, typologisch ähnlichen Göttergestalten. Umgekehrt konnten Lokalgestalten derselben Gottheit innerhalb eines kulturellen Zusammenhangs unter jeweils verschiedenen Namen bzw. Epitheta verehrt werden. Die meisten altorientalischen Göttergestalten können daher nicht isoliert betrachtet werden, sondern bedürfen der Untersuchung innerhalb einer typologisch kohärenten Gruppe.

Die Definition einer solchen Gruppe sollte ihren Ausgangspunkt bei einer in Text und Bild gut dokumentierten Göttergestalt nehmen, deren Handlungsprofil und Kernzuständigkeiten als Grundlage für die Typdefinition dienen (hier der babylonisch-assyrische → Adad für den Typ „Wettergott“). In eine Untersuchung einbezogen werden sollten dann zum einen all jene Gottheiten, die nach dem Zeugnis der altorientalischen Text- und Bildzeugnisse im Altertum mit der als Ausgangspunkt gewählten Gottheit oder untereinander als typologisch verwandt betrachtet wurden. Zum anderen müssen jene Gottheiten berücksichtigt werden, deren Kernprofil der Typdefinition entspricht, ohne dass im überlieferten Text- und Bildmaterial Verbindungen zu einer der Göttergestalten aus der ersten Gruppe erkennbar sind. Da sich die Kriterien der modernen und der altorientalischen Typologie weitgehend gleichen und für viele Gottheiten aus den Quellen kein Handlungsprofil erschlossen werden kann, lassen sich dieser zweiten Gruppe in der Regel nur sehr wenige Gottheiten zuweisen.

Die wichtigsten altorientalischen Wettergottgestalten sind dieser Definition zufolge

1) der semitische Hadda (westsemitisch Hadda, Haddu, → Adad [Syrien-Palästina, Obermesopotamien], akkadisch Adad, Addu [Babylonien, Assyrien]),

2) der syrisch-palästinische Balu (Baal; → Ba‘lu; → Baal),

3) der hurritische → Teššub nebst dem urartäischen Teišeba (Syrien, Obermesopotamien, kurdisches Bergland, Anatolien),

4) der hattische → Taru und

5) der hethitisch-luwische Tarchun(t) (→ Taru).

Daneben zeigt das Handlungsprofil einiger weiterer, weniger wichtiger Götter typische Züge eines Wettergottes. Insbesondere auf die folgenden Götter, von denen jedoch keiner je mit dem Sumerogramm für Wettergott geschrieben wird, ist hinzuweisen:

1) Der nordbabylonisch-assyrische Wettergott → Wēr,

2) der babyblonische Westland-Gott → Mardu-Amurru,

3) der anatolische Vegetations- und Wettergott → Telipinu.

Nicht dem Typ „Wettergott“ zuzurechnen sind dagegen solche Götter, deren Handlungsprofil Überschneidungen mit mehreren oder einer der „eigentlichen“ Wettergottgestalten zeigt, ohne dass davon die grundsätzliche Unterschiedlichkeit der jeweiligen Göttergestalten im Kern berührt wäre oder die gegenseitigen Berührungspunkte zu einer typologisch motivierten Gleichsetzung im Altertum selbst geführt hätten. Zu den Göttern, die in der Sekundärliteratur in diesem Sinne oft fälschlich als „Wettergötter“ angesprochen werden (s. etwa Green, 2003), gehören vor allem:

1) Enlil, der sumerische Göttervater, Götterherr und Gott des Luftraums (vgl. Wiggermann, 1992);

2) dessen Sohn → Ninurta (Ningirsu), der den Typ des jungen, kriegerischen Gottes verkörpert, der das Königtum von seinem Vater übernimmt – ein Mythologem, das auch mit einer Reihe von Wettergottgestalten verbunden wird wie umgekehrt Ninurta als Krieger über Sturm und Flut als Waffen gebietet (s. Annus, 2002);

3) → Marduk, der Stadtgott von Babylon, auf den im Zuge seiner Erhöhung zum babylonischen Götterkönig zahlreiche Elemente der Ninurta-Mythologie übertragen wurden und der als junger, kriegerischer Gott ebenfalls über die Stürme gebietet (→ Enuma Elisch);

4) der babylonische Mythenvogel Anzu(d)-Anzû, dessen schreckliches Wesen mit dem Sturm assoziiert wird, der aber nicht in besonderer Weise mit → Iškur oder Adad verbunden zu sein scheint;

5) der v.a. am Mittleren Euphrat verehrte Göttervater und Götterherr Dagān, zu dessen Zuständigkeiten das Gedeihen des Getreides gehört (s. Crowell, 2001, Feliu, 2003, Archi, 2004; → Dagon);

6) Itūrmēr, der Ahnengott der Dynastie des Zimrī-Līm von → Mari, dessen Name als Personenname (Itūr-Mēr) zu analysieren ist und vom tatsächlichen Wettergott → W/Mēr selbst getrennt gehalten werden muss.

2. Naturphänomen und Göttergestalt

Gewitter und Sturm sowie mit ihnen Blitz, Donner, Wolken, Regen und Wind gehören zu jenen Naturphänomenen, die jedem Zugriff entzogen und in agrarischen Gesellschaften von unmittelbarer Bedeutung für das Überleben der Menschen sind (→ Wetterphänomene theologischer Bedeutung). In allen altorientalischen Regionen und Epochen wurden Gewitter und Sturm als numinose Gewalt empfunden, überall galt einer der großen Götter als die Verkörperung von und als Herr über Gewitter, Sturm und die damit einhergehenden Phänomene. Die relative Bedeutung und das Handlungsprofil der jeweiligen Wettergötter war unter anderem auch von den Umweltbedingungen in den jeweiligen Regionen abhängig. So spielt etwa der Wettergott als Regenspender in den agrarischen Ritualen des vom Bewässerungsfeldbau geprägten Babylonien keine Rolle, während seine Eigenschaft als Herr über den zerstörerischen Sturm – auch den Staubsturm – prominent hervortritt. Besondere Bedeutung für die Seefahrt kann nur für den Wettergott in der levantinischen Hafenstadt Ugarit nachgewiesen werden; die Verbindung von Wetter- und Berggöttern ist typisch für Landschaften, in denen sich wolkenverhangene Berge beobachten lassen etc. Insgesamt nehmen die Wettergötter in den stärker vom Regenfeldbau geprägten Gebieten des Alten Orients, also in Obermesopotamien, Syrien, Anatolien und auch in Assyrien eine bedeutendere Stellung unter den großen Gottheiten ein als in Babylonien, wo → Iškur-Adad in aller Regel zu den zweitrangigen unter den großen Göttern gehört.

Die jeweilige Bedeutung eines Wettergottes innerhalb eines lokalen oder regionalen Pantheons ist freilich auch von vielen anderen, zumal politischen Faktoren abhängig. Auch gilt zu beachten, dass die Vorstellungswelt der religiösen Literatur nicht notwendiger Weise auf den unmittelbaren Erfahrungshorizont ihrer Verfasser beschränkt ist. So tritt der babylonische Wettergott Iškur-Adad schon in den frühesten Zeugnissen auch als Förderer des Pflanzenwuchses auf – ein Motiv, das in den enger an die Lebenswirklichkeit gebundenen agrarischen Ritualen aus derselben Region fehlt. Die Beziehung zwischen der unmittelbaren Erfahrung des Naturphänomens und den Vorstellungen, die mit der in diesem Naturphänomen erblickten Göttergestalt assoziiert werden, ist in sich komplex und zudem von anderen Determinanten beeinflusst. Sie als eine einfache Übertragung der Charakteristika des Naturphänomens in die religiöse Bilderwelt zu rekonstruieren, wie dies oft geschieht, führt in die Irre.

3. Der Sieg des Wettergotts über das Meer

Mit einer Reihe altorientalischer Wettergötter wird in unterschiedlichen Epochen und Regionen des Alten Orients das mythologische Motiv vom Sieg des Wettergottes über das Meer verbunden. Für das Handlungsprofil der jeweiligen Wettergötter im einzelnen siehe die Spezialartikel zur jeweiligen Göttergestalt.

Aus einem kurzen Passus in einem Brief der Korrespondenz zwischen Mari und Aleppo aus altbabylonischer Zeit geht hervor, dass man mit dem Haddu von Chalab (→ Adad) einen Mythos verband, nach dem dieser Gott das Königtum unter den Göttern durch einen Sieg über die Meeresgöttin Têmtum (→ Tiamat) erlangt habe. Dieser Mythos vom göttlichen Königtum des Haddu ist offenbar ein wesentliches Element der aleppinischen Königsideologie; die Waffen des Haddu spielen bei der Königsinvestitur eine wichtige Rolle. Das Mythologem vom Sieg des Götterkönigs und Wettergottes über das Meer wird dann in jeweils unterschiedlicher Form mit verschiedenen Wettergottgestalten in Syrien, Obermesopotamien und darüber hinaus verknüpft.

Der Ba‘lu von Ugarit besiegt in seinem Kampf um das Königtum unter den Göttern den Meergott und zeitweiligen Götterkönig Jammu; auch in Ugarit haben die Mythen um das Königtum des Gottes Ba‘lu (→ Ba‘alu; → Baal) große Bedeutung für die Herrscherideologie.

Verschiedene hethitische Mythen- und Ritualfragmente, die dem nordsyrisch-hurritischen Traditionsstrang angehören (v.a. KUB 33, 89+ und 108 [H. Otten, Mythische und magische Texte in hethitischer Sprache, Keilschrifturkunden aus Boghazköi 33, Berlin 1943]; CTH 785 [L. Laroche, Catalogue des textes hittites, Paris 1966]), zeigen, dass vom hurritischen → Teššub ein ähnlicher Mythos erzählt wurde, der dann zumindest oberflächlich auch auf den hethitischen Tarchun(t) [→ Taru / Tarchun(t)] übertragen wurde.

Den Mythen des Kumarbi-Zyklus (→ Teššub) ist das Motiv der Feindschaft zwischen dem Meer und dem Wettergott nicht fremd. Wenn KBo 26, 105 (H.G. Güterbock / C.W. Carter, Vokabulare, Mythen und Kultinventare [Keilschrifttexte aus Boghazköi 26] Berlin 1978) tatsächlich den letzten Gesang des Zyklus bildet und sinngemäß nach dem im ägyptischen „Astarte-Papyrus“ bezeugten Seth-Mythos ergänzt werden darf, stand am Ende des Konfliktes zwischen Kumarbi und → Teššub wohl ein Kampf zwischen dem Wettergott und dem Meergott, durch den sich der Wettergott letztendlich die Königswürde sichert. Der Astarte-Papyrus an sich zeigt neben einigen anderen einschlägigen Texten, dass der Mythenstoff auch in Ägypten in Verbindung mit dem für den vorderasiatischen Wettergott stehenden → Seth rezipiert wurde.

In der zweiten Version des altanatolischen Illujanka-Mythos findet der Kampf zwischen dem Wettergott und dem Schlangendrachen Illujanka am oder im Meer statt; hier mag ein punktueller Einfluss nordsyrischer Traditionen vorliegen, zwingend ist eine solche Annahme allerdings nicht (man beachte, dass der Meergott auch im Mythos von „Telipinu und der Tochter des Meeres“ als den himmlischen Göttern feindliche Macht auftritt, dieser Mythos aber sicher keine nordsyrischen Einflüsse zeigt).

Auch die Königsherrschaft des alttestamentlichen Jahwe wird mit dem Sieg über die im Meer wohnenden Chaosmächte verbunden; und spätestens in den Erzählungen um den Konflikt zwischen Zeus und Typhon begegnen Motive aus der zweiten Version des Illujanka-Mythos zusammen mit nordsyrischen Traditionen.

Das Mythologem vom Sieg des Wettergottes über das Meer ist sicher alt; ob es in Beschwörungen aus dem vorsargonischen Ebla tatsächlich schon bezeugt ist (zuletzt wieder Fronzaroli, 2003), erscheint fraglich. Ebenfalls schon früh bezeugt ist das Motiv in Verbindung mit verschiedenen Göttern Babyloniens. Bereits akkadzeitlich wurde es mit dem Gott Tišpak im Diyala-Gebiet verbunden und dort mit dem Chaosbekämpfer-Motiv der Ninurta-Mythologie verknüpft (vgl. später dann den Labbu-Mythos). In den großen Ninurta-Mythen spielt das Meer als Gegner des Gottes jedoch keine Rolle; allerdings gilt auch Ninurta als Sieger über im Meer lebende Monster wie den kusarikku; für Nergal, der als Kriegsgott Züge mit Ninurta teilt, liegt aus neuassyrischer Zeit ein Mythos über seinen Kampf mit einem Meerungeheuer vor. Das Chaosbekämpfer-Motiv der Ninurta-Mythologie bildet dann auch ein wesentliches Element der in der altbabylonischen Zeit entstehenden, aber erst später explizit bezeugten Marduk-Theologie, die die Erhöhung des Lokalgottes von Babylon zum Götterkönig begründet. Im → Enuma Elisch ist der Gegner des → Marduk im Kampf, der ihm das Königtum unter den Göttern zusichert, jedoch nicht einer der traditionellen Gegner des Ninurta, sondern → Tiāmat, das Urmeer. Hier liegt offensichtlich dasselbe oder doch ein sehr ähnliches Erzählmotiv vor, wie es auch für den altbabylonischen Haddu von Aleppo in seinem Sieg über Têmtum (Variantenform von Tiāmat) bezeugt ist. Es ist deshalb nicht unwahrscheinlich, dass die aleppiner Wettergott-Theologie und Königsideologie nicht ohne Einfluss auf die in Babylon neu formulierte Marduk-Theologie blieb; enge Verbindungen zwischen den beiden Königshäusern sind gut bezeugt. Die Tatsache, dass ähnliche Motive in Babylonien bereits mit anderen Göttern verbunden wurden, dürfte die Rezeption erleichtert haben. Ursprünglich dürfte das Mythologem vom Sieg des neuen Götterkönigs über das (chaotische) Meer (→ Chaos) aus dem östlichen Mittelmeerraum stammen; es verbreitete sich aber so früh, dass die einzelnen Linien der Traditionsgeschichte nicht mehr nachvollziehbar sind. Die konkreten Mythen, in denen das Grundmotiv begegnet, bieten dann auch ein recht heterogenes Bild. Dass mit dem palmyrenischen Bēl schließlich auch noch in römischer Zeit der Tiāmat-Mythos verknüpft wurde (s. etwa Dirven, 1997, Annus 2002, 194), verdankt sich nicht dem Überleben alter syrisch-obermesopotamischer Traditionen, sondern babylonischem Einfluss.

4. Bemerkungen zur Ikonographie

Wettergott 01

Eine umfassende Darstellung der Ikonographie der unterschiedlichen altorientalischen Wettergottgestalten auf dem heutigen Kenntnisstand mit zuverlässigen Abbildungen fehlt; folgende Bemerkungen können daher nur vorläufigen Charakter haben (für Einzeluntersuchungen und ältere umfassende Werke s. Schwemer, 2001, 124ff., 196, 199, 227, 228f., 480f. mit Anm. 3923, 484 mit Anm. 3960, 615 sowie Anm. 3035, 3418, 3521, 4097, 5011, 5081, beachte danach insbesondere Beyer, 2001 und Bunnens, 2006).

Wettergott 02

Die frühesten bildlichen Darstellungen des Wettergottes Iškur-Adad lassen sich in der Akkade-zeitlichen Glyptik nachweisen. Der Gott steht in der Regel auf einem zweiachsigen Wagen, der von einem Wasser (?) speienden Löwendrachen gezogen wird (Abb. 1). Er schwingt dabei die Peitsche, die sowohl Donner als auch Blitz symbolisiert (Zucken und Knall der Peitsche).

Wettergott 03

Der Löwendrache ist mit den Sturmmonstern zu identifizieren, die nach Auskunft des Textbefundes den Wagen des → Iškur-Adad ziehen. Begleitet wird der Wettergott von einer teils nackt, teils bekleidet dargestellten Göttin, die von Regen umgeben ist oder Regenwasser in ihren Händen hält (Abb. 2). Diese nackte Regengöttin, die auch in der Glyptik des 2. Jt. noch begegnet, dürfte Medimša-Šāla darstellen. Dasselbe ikonographische Motiv ist auch im syrisch-obermesopotamischen Raum bezeugt, wo man die weibliche Begleiterin des Wettergottes jedoch nicht ohne weiteres mit Šāla identifizieren kann. Die Göttin steht teilweise in einem (geflügelten) „Tür“-Bogen, der vielleicht dasselbe Motiv darstellt wie der „geflügelte Tempel“ auf einem Stier in der Akkade-zeitlichen Glyptik und wohl den Regenbogen symbolisiert.

Wettergott 04

Seit der zweiten Hälfte der Ur III-Zeit lässt sich im Bildinventar der Glyptik beobachten, dass der Stier den zuvor dominierenden Löwendrachen als Symboltier des Wettergottes zurückdrängt, freilich ohne ihn ganz abzulösen (bis in die Spätzeit finden sich auch Darstellungen mit Stier und Löwendrache zugleich). Dabei steht der Gott – das Blitzsymbol, meist auch einen Zügel haltend – auf dem Stier (Abb. 3) oder ist im Begriff, diesen zu besteigen; eine häufige Variante zeigt den Gott neben dem Stier, der seinerseits auf dem Rücken das Blitzsymbol trägt. Das Motiv des auf einem von Sturmdämonen gezogenen Wagen einherfahrenden Wettergottes fehlt. Den Wagen des Wettergottes zieht allerdings bereits in Akkade-zeitlichen Darstellungen nicht ausschließlich der Löwendrache, sondern in zumindest einem Fall auch ein Stier. Ansonsten tritt der Stier vor der Ur III-Zeit jedoch nicht als Begleittier des Wettergottes auf; von einem aus dem Textbefund unbekannten Mythos zeugen Akkade-zeitliche Siegeldarstellungen, die den Wettergott oder einen mit ihm assoziierten Gott als Stiertöter zeigen.

Wettergott 05

Ebenfalls in der ersten Hälfte des 2. Jt. etabliert sich in der altsyrischen Glyptik das Motiv des Wettergottes, der einen Stier oder ein Stierpaar am Zügel führt (Abb. 4).

Schließlich bieten auch die Kültepe-Siegel zwei Typen von Zügel haltenden Wettergöttern, die hier jedoch auf dem Stier stehen oder diesen besteigen (Abb. 5). Daneben zeigt diese Siegelgruppe Darstellungen eines vollkommen theriomorph gehaltenen Stiergottes (Abb. 6), der sonst nicht auftritt, anatolischen Ursprungs ist und sicher mit → Taru-Tarchun(t) zu identifizieren ist, der auch hethiterzeitlich noch in Stiergestalt dargestellt werden kann (Abb. 7).

Wettergott 07

Die Verwendung des (wilden) Stiers als Symboltier für den Gott des Gewitters und des Sturms stammt demnach nicht aus der sumerischen Tradition, sondern tritt im Gebiet des späteren Babyloniens vereinzelt in sargonidischer Zeit, überwiegend aber erst in der Epoche der amurritischen Dynastien, der altbabylonischen Zeit, auf. Dass wir aus Nordsyrien keine älteren Belege für dieses Motiv kennen, verdankt sich einerseits dem Themenkreis der älteren syrischen Glyptik, in der Götterdarstellungen, wie wir sie aus akkad-zeitlichen Siegeln kennen, ganz ausbleiben, andererseits aber auch unserer immer noch mangelhaften Kenntnis der Ikonographie etwa zur Zeit der Ebla-Archive. Von dieser nordsyrischen, also aller Wahrscheinlichkeit nach dem Gott Hadda eignenden Stiersymbolik (Abb. 4) muss man – jedenfalls in den historischen Epochen – den zentralanatolischen Stier- und Wettergott unterscheiden; eine Mischung dieser beiden Konzepte können wir erst im Bildprogramm der Kültepe-Siegel beobachten.

Wettergott 08

Prähistorische Stierdarstellungen und Stierhörnerinstallationen aus dem anatolisch-syrisch-mesopotamischen Raum sollten nicht vorschnell mit der Wettergott-Ikonographie der historischen Epochen gleichgesetzt werden. Sie bedürfen der Interpretation innerhalb ihres eigenen ikonographischen Kontextes. Zudem gilt zu beachten, dass der Wildstier auch in den historischen Epochen nicht ausschließlich das Symbol des Wettergottes ist: Stierhörner kennzeichnen in der altorientalische Ikonographie alle Gottheiten; der Wildstier ist zudem (wie der Löwe) ein Symboltier des Königtums (dazu Watanabe, 2002).

Stier und Blitzsymbol bleiben durch alle historischen Epochen die charakteristischen Attribute des Wettergottes (vereinzelt steht das Blitzsymbol für Marduk); das Bukranion ist nicht sicher als Symbol des Wettergottes nachgewiesen, das TONITRUS-Zeichen der hieroglyphen-luwischen Schrift könnte aber ein stilisiertes Stierhörnerpaar darstellen.

Wettergott 09

Die anthropomorphen Darstellungen des Wettergottes variieren regional und in den verschiedenen Epochen erheblich und bedürften der Darstellung im Einzelnen. Dabei können unterschiedliche Darstellungsweisen, wenn sie denselben sprachlich-kulturellen Grenzen folgen wie der Textbefund, den jeweiligen Wettergottgestalten zugewiesen werden. Als Faustregel kann gelten, dass in jenen Regionen und Epochen, in denen die konkrete Lesung des Wortzeichens für den Wettergott in den Texten Schwierigkeiten bereitet, auch die namentliche Benennung bildlicher Darstellungen des Gottes nicht problemlos möglich ist, auch wenn – wie etwa in der Glyptik des spätbronzezeitlichen Emar – die unterschiedlichen ikonographischen Traditionen klar unterschieden werden können.

Wettergott 10

Eine der typischen Darstellungsweisen des Wettergottes zeigt ihn mit zum Schlag erhobener Waffe, ein Gestus, der aber auch mit anderen kriegerischen Göttern bezeugt ist. Der Wettergott steht dabei auf Bergen bzw. Berggöttern (Abb. 8) oder – so v.a. im 1. Jt. – auf einem Stier.

Wettergott 11

In der altsyrischen Glyptik sind Darstellungen bezeugt, die den Wettergott als Schlangentöter zeigen (Abb. 9). Diese nehmen sicher Bezug auf das Motiv des Wettergottes als Sieger über im Meer lebende Unwesen (→ Chaos), die im Rahmen der Mythen bezeugt sind, die das Motiv des über das Meer siegenden Wettergottes verarbeiten (Abb. 10 und 11; s. Schwemer, 2001, 227f. und zuletzt Lambert, 2003; dort Identifikation der Schlange mit Leviatan der ugaritischen und biblischen Texte vorgeschlagen).

Wettergott 12

Der syrische Wettergott wird in der Glyptik, besonders prominent aber auf der berühmten Ba‘lu-Stele aus Ugarit (Abb. 12), mit einer nach unten gerichteten Lanze dargestellt, deren Schaft oben in pflanzenartig anmutenden Linien ausläuft. Man hat dieses vegetabile Schaftende als Symbol für das vegetationsfördernde Wirken des Wettergottes, als „Lebensbaum“, als stilisierten Blitz („Blitzbaum“ in Verbindung mit dem problematischen Passus CAT 1.101 Vs. 5) oder „Baumwaffe“ gedeutet; vielleicht liegt jedoch eine bildliche Darstellung des Donnerschalls vor, wie sie ähnlich in der syrischen Glyptik häufig vor dem Mund des Wettergottes nachgewiesen ist (allerdings in waagerechter Orientierung).

Literaturverzeichnis

Die folgende Liste verzeichnet nur die im Text zitierten Werke. Für weitere Literatur s. die ausführliche Bibliographie in Schwemer, 2001 und Schwemer, im Druck.

  • Annus, A., 2002, The God Ninurta in the Mythology and Royal Ideology of Ancient Mesopotamia (SAAS 14), Helsinki
  • Archi, A., 2004, Translation of Gods: Kumarpi, Enlil, Dagan / Nisaba, Chalki, OrNS 73, 319-336
  • Beyer, D., 2001, Emar IV: Les sceaux (OBO.SA 20), Freiburg (Schweiz) / Göttingen
  • Bunnens, G., A New Luwian Stele and the Cult of the Storm-God at Til Brsib-Masuwari (Tell Ahmar II), Louvain / Paris / Dudley 2006
  • Crowell, B.L., 2001, The Development of Dagan: a Sketch, JANER 1, 32-83
  • Dirven, L., 1997, The Exaltation of Nabû. A Revision of the Relief Depicting a Battle against Tiamat from the Temple of Bel in Palmyra, WdO 28, 96-116
  • Feliu, L., 2003, The God Dagan in Bronze Age Syria (CHANE 19), Leiden u.a.
  • Fronzaroli, P., 2003, The Hail Incantation (ARET 5, 4), in: G. Selz (Hg.), Festschrift für Burkhart Kienast (AOAT 274), Münster, 89-107
  • Green, A.R.W., 2003, The Storm-God in the Ancient Near East (BJS 8), Winona Lake
  • Lambert, W.G., 2003, Leviathan in Ancient Art, in: R. Deutsch (Hg.), Shlomo (FS Sh. Moussaieff), Tel Aviv / Jaffa, 147-154
  • Mazoyer, M., 2003, Télipinu, le dieu au marécage, Paris
  • Schwemer, D., 2001, Die Wettergottgestalten Mesopotamiens und Nordsyriens im Zeitalter der Keilschriftkulturen, Wiesbaden
  • Schwemer, D., im Druck, The Storm-Gods of the Ancient Near East: Summary, Synthesis and Recent Studies, JANER
  • Watanabe, Ch.E., 2002, Animal Symbolism in Mesopotamia. A Contextual Approach (WOO 1), Wien
  • Wiggermann, F.A.M., 1992, Mythological Foundations of Nature, in: D.J.W. Meijer (Hg.), Natural Phenomena. Their Meaning, Depiction and Description in the Ancient Near East, Amsterdam u.a., 279-304

Abbildungsverzeichnis

  • Der Gott Iškur-Adad mit seinem vom Löwendrachen gezogenen Wagen; über dem Löwendrachen die nackte Regengöttin, wohl Medimša-Šāla (akkadzeitliches Zylindersiegel). Aus: R.M. Boehmer, Die Entwicklung der Glyptik während der Akkad-Zeit (UAVA 4), Berlin 1965, Abb. 373
  • Der Gott Iškur-Adad auf dem Löwendrachen, davor die nackte Regengöttin, wohl Medimša-Šāla (Stiertöter-Szene; akkad-zeitliches Zylindersiegel). Aus: R.M. Boehmer, Die Entwicklung der Glyptik während der Akkad-Zeit (UAVA 4), Berlin 1965, Abb. 369
  • Adad mit Blitzbündel auf dem Stier, daneben Amurru (altbabylonisches Zylindersiegel). Aus: D. Collon, Catalogue of the Western Asiatic Seals in the British Museum, Cylinder Seals III. Isin-Larsa and Old Babylo­nian Periods, London 1986, Abb. 447
  • Der Gott Haddu mit dem Stier (altsyrisches Zylindersiegel). Aus: H. el-Safadi, Die Entstehung der syrischen Glyptik und ihre Entwick­lung in der Zeit von Zimrilim bis Ammitaqumma, 1.Teil, UF 6, 313-352, Abb. 155
  • Der Wettergott auf dem Stier (Kültepe-zeitliche Siegelabrollung). Aus: U. Winter, Frau und Göttin. Exegetische und ikonographische Studien zum weiblichen Gottesbild im Alten Israel und in dessen Umwelt (OBO 53), Freiburg (Schweiz) / Göttingen 1983, Abb. 76; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
  • Der Stier- und Wettergott (Kültepe-zeitliche Siegelabrollung). Aus: A. Goetze, Kleinasien, München 1957, Tf. 7 Abb. 13
  • Der hethitische Wettergott Taru-Tarchun(t) in Stiergestalt. Aus: K. Bittel, Die Hethiter, München 1976, 191 Abb. 214.
  • Der hurritisch-hethitische Wettergott Teššub auf zwei Berggöttern, gegenüber seine Gemahlin Chēbat, hinter beiden die Stiergötter Šēri und Churri (?; großreichszeitliches Felsrelief aus Yazılıkaya). Aus: K. Bittel u.a., Das hethitische Felsheiligtum Yazılıkaya, Berlin 1975, Tf. 26.1
  • Der Wettergott tötet die Schlange (altsyrisches Zylindersiegel). Aus: W.G. Lambert, 2003, 151 Abb. 1
  • Der Wettergott (?) im Kampf mit einem Schlangendrachen (späthethitisches Orthostatenrelief, Malatya, 10. Jh. v. Chr.). Aus: K. Bittel, Die Hethiter, München 1976, 247 Abb. 279
  • Der Wettergott (?) im Kampf mit der Schlange (neuassyrische Stele aus Terqa, Syrien). Aus: M. Fortin, Syrien – Wiege der Kultur, Ausstellungskatalog Basel 2000, 229 Abb. 254
  • Der Gott Ba’lu stößt eine Lanze mit „vergetabilem“ Schaftende nach unten, die Wellenlinien deuten das Meer an, das er in Person des Jammu besiegt hat (Stele aus Ugarit). Aus: W. Orthmann, Der Alte Orient (Propyläen Kunstgeschichte 14), Berlin 1975, Abb. 415

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