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Andere Schreibweise: Tashlich; Tashlik; Tashlikh

(erstellt: Februar 2006)

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Taschlich bezeichnet den Brauch, am Neujahrstag (Rosch Haschana) alle Sünden und übrigen Unannehmlichkeiten symbolisch in fließendes Wasser zu werfen. Dieser Brauch greift eine Vorstellung von Mi 7,18-20 auf, ist in der Bibel aber nicht belegt, sondern erst im Mittelalter im europäisch-aschkenasischen Judentum aufgekommenen. Sephardische Juden haben ihn erst nach der Zeit von Isaac Luria (1534-1572) übernommen.

1. Der Begriff "Taschlich"

Die hebräische Wurzel שׁלך (šlk) bedeutet „werfen“, תשׁלך (tašlîkh => taschlich) ist die 2. Person Singular Imperfekt: „du wirst werfen“. Der Begriff Taschlich ist Mi 7,19b entnommen: „Und du wirst werfen alle ihre Sünden in die Tiefe des Meeres!“.

2. Die Herkunft des Brauchs

Der Ursprung des mittelalterlichen Brauchs ist unklar. Nach Rabbiner Leo Trepp geht er auf die jüdische Gemeinde in Mainz im 14. Jh. zurück: „Dieser Brauch wird weder im Talmud noch bei den Gaonim erwähnt. Er kam im Rheinland auf, möglicherweise unter dem Einfluss der Umwelt. Petrarca (1304-1374) berichtet, die christliche Bevölkerung Kölns habe am 1. Januar, dem Neujahrstag, sich an den Rhein begeben und Stroh und Blumen ins Wasser geworfen, damit mit ihnen alles Übel des vergangenen Jahres auf Nimmerwiederkehr von den Wellen ins Meer getragen werde. Maharil [Jakob ben Moses haLevi Moelln], der um die gleiche Zeit lebte (1355-1427) und in Mainz und Worms wirkte, erwähnt den Brauch der Juden als erster. Ein christlicher Brauch war jüdisch umgeprägt worden. Die Michaverse waren ein passender Text.“ (2004, 126).

Es gibt für das Taschlich-Ritual aber auch ganz andere Deutungen. Der Maharil („Sefer Maharil“, Ed. Warschau, 1874, 38a) nennt als möglichen Grund für den Brauch einen Midrasch (Tanchuma, Wajera 22), der erzählt, wie Satan Abraham hinderte, Isaak entsprechend dem Befehl Gottes zum Berg Moria zu bringen, indem er sich in einen Fluss verwandelte. Doch Abraham setzte seinen Weg fort.

Andere sagen, die Zeremonie erinnere an Gottes Augen, die wie die Augen eines Fisches nie geschlossen sind. Deshalb soll Taschlich an einem Fluss stattfinden, in dem Fische leben (Horowitz, 1878, 139). Der „Rama“, Rabbi Mosche Isserles, weist in seinem Kommentar „Magen Avraham“ darauf hin, dass die Fische als die ersten Lebewesen (Gen 1,20-22) die ersten Zeugen des Werkes Gottes waren (zu Schulchan Aruch, Orach Chajjim 583,2).

3. Der liturgische Ablauf

Das Taschlich-Ritual wird üblicherweise am ersten Tag des Neujahrsfestes (Rosch-Haschana) durchgeführt, jedoch am zweiten Tag, wenn dieses auf einen Sabbat fällt. Traditionell wird es nach dem Nachmittags-Gottesdienst (Mincha) gefeiert, in liberalen Synagogen, die Taschlich machen, meist jedoch schon nach dem Kiddusch am Ende des Morgen- und Musafgottesdienstes.

Weil der Brauch relativ jung ist und außerhalb der Synagoge unter freiem Himmel stattfindet, ist der liturgische Ablauf nicht im Detail festgelegt. Die Gemeindemitglieder gehen an ein fließendes Gewässer – sofern man nicht am Meer wohnt, an einen Bach oder Fluss oder auch nur an eine Quelle. Dort werden Brotkrümel aus den Taschen der Kleidung ins Wasser geworfen, um das Wegwerfen der Sünden zu symbolisieren. Da man bei nicht-jüdischen Nachbarn nicht den Eindruck erwecken will, das Wasser zu vergiften, findet das Ritual traditionell außerhalb der Ortschaften statt. Welche Bibelstellen und Gebete verlesen werden, ist nicht festgelegt. Von zentraler Bedeutung sind Mi 7,18-20, aber auch Ez 18,31 („Werft fort von euch all eure Verfehlungen und schafft in eurem Inneren ein neues Herz und einen neuen Geist.“) und Ex 34,6-7 als Zusage der Vergebung Gottes.

In liberalen Synagogen wurde das Taschlich-Ritual lange nicht beachtet und sogar als abergläubischer Brauch abgetan. Dies hat sich in jüngster Zeit geändert, z.B. in der liberalen jüdischen Gemeinde „Beth Shalom“ in München, die den „Machzor Hadash“, das neue amerikanische Gebetsbuch, benutzt:

„In dieser Zeit der Buße sind wir aufgerufen, Tschuva [=Buße] zu tun, zu Gott mit Ernsthaftigkeit und in Wahrheit zurückzukehren. Durch Gebet und Studium, Nachdenken und Ritual, streben wir danach, das neue Jahr im Geiste der Demut, der Prüfung unseres Herzens und der spirituelle Erneuerung zu beginnen. Heute treten wir an dieses Wasser, um die Taschlich-Zeremonie zu vollziehen, um so zu versuchen, unsere angesammelten Sünden und Übertretungen symbolisch fortzuwerfen, um unsere unwürdigen Gedanken wegzuwerfen, damit wir unsere Herzen und unsere Seelen reinigen, nun, da das neue Jahr beginnt.“ Es folgen Ez 18,31: „Werft fort von Euch all Eure Verfehlungen, und schafft in Eurem Inneren ein neues Herz und einen neuen Geist“ und ein Zitat aus dem „Avinu Malkenu“ (Gebet für die Hohen Feiertage): „Unser Vater, unser König, antworte uns mit Güte, Sind wir auch ohne Verdienste, Handle gnädig mit uns und rette uns in Liebe.“ Zentrale Bedeutung hat dann Mi 7,18-20, gerahmt von Ps 118,5 und Jes 11,9.

Während man dann die Brotkrümel ins Wasser wirft, werden neuere Gebete gesprochen: „Lasst uns fortwerfen die Sünde der Enttäuschung, damit wir niemanden in Wort und Tat fehlleiten und vorgeben, etwas zu sein, das wir nicht sind. Lasst uns fortwerfen die Sünde vergeblichen Strebens, die uns veranlasst, nach Zielen zu streben, die weder wahre Erfüllung noch echte Zufriedenheit bringen. Lasst uns fortwerfen die Sünde der Halsstarrigkeit, damit wir nicht an dummen Angewohnheiten festhalten oder unseren Willen zur Veränderung nicht anerkennen. Lasst uns fortwerfen die Sünde des Neides, damit wir nie von der Begierde dessen, was wir nicht haben, überwältigt werden oder die Gaben vergessen, die uns bereits gegeben sind. Lasst uns fortwerfen die Sünde der Selbstsucht, die uns daran hindert, unser Leben durch weiterreichende Fragestellung zu bereichern, durch Teilen mit anderen und daran, anderen Menschen mit Liebe zu begegnen. Lasst uns fortwerfen die Sünde der Gleichgültigkeit, damit wir für die Leiden anderer empfänglich sind und offen für die Bedürfnisse unseres Volkes überall auf der Welt. Lasst uns fortwerfen die Sünde des Stolzes und der Arroganz, damit wir Gott preisen und seinem Ziel in Menschlichkeit und Wahrheit dienen können.“

Das Ritual schließt mit dem „Haschivenu“ (Klgl 5,21): „Wende Dich uns zu, oh Gott, und wir werden umkehren. Erneuere uns wie in alten Zeiten.“ und dem „Adonai El Rachum“ (Ex 34,6-7) sowie möglicherweise Versen aus Psalm 33.

Literaturverzeichnis

  • Trepp, Leo, Der Jüdische Gottesdienst. Gestalt und Entwicklung, Stuttgart 2. Aufl. 2004
  • Horowitz, Isaiah, „Schnei Luchot HaBrit“, Amsterdam 1648/1649
  • Greenberg, S. / Levine, J.D. (Hgg.), Mahzor Hadash – The New Mahzor. Rosh Hashanah & Yom Kippur (Newly Enhanced Edition), Bridgeport (Conn. USA) 2002

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