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(erstellt: September 2007)

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1. Zoologisch

Ursprünglich lebte in Palästina und Syrien der Arabische Strauß. Er wurde jedoch Anfang des 20. Jahrhunderts durch motorisierte Jagden mit Schusswaffen ausgerottet. Die letzten syrischen Strauße scheinen während des Zweiten Weltkriegs in Saudiarabien geschossen worden zu sein. Die heute im Negev wieder angesiedelten Tiere sind Nordafrikanische Strauße.

Strauße sind Rennvögel und leben daher bevorzugt in Savannen und Wüsten, wo sie über freie Sicht und schnelle Fortbewegungsmöglichkeiten verfügen. Sie können ihren gesamten Flüssigkeitsbedarf aus ihrer Nahrung beziehen und sich daher problemlos in Wüstenregionen ohne Wasserzugang aufhalten und auch Trockenperioden überleben. Straußenmännchen geben während der Balz und bei Streitigkeiten laute, an das Brüllen von Löwen erinnernde Rufe von sich. Straußenhennen können wie die Männchen ebenfalls zischende oder knurrende Laute von sich geben.

Vor angreifenden Tieren rettet sich der Strauß in der Regel, indem er davonläuft, die Laufgeschwindigkeit kann bis zu 70 km/h betragen. Durch Tritte kann der Strauß Angreifer aber auch schwer verletzen und ist sogar in der Lage, einen Löwen oder Menschen zu töten.

Der tagaktive Strauß ist vor allem in den Dämmerstunden aktiv und ruht in der Mittagshitze und in der Nacht.

2. Vorkommen im Alten Testament

2.1. Begriff

Für den Strauß finden sich die Bezeichnungen בנות יענה bənôt ja‘ǎnāh, בת היענה bat hajja‘ǎnāh und יענים jə‘enîm. Etymologisch wird der Begriff בנות יענה bənôt ja‘anāh mit arab. wa‘nat („steiniges Gelände“) oder syr. ja‘nā und ja‘īn „gefräßig / gierig“ in Verbindung gebracht. Vielleicht hat die Volksetymologie eine Herleitung aus ענה ‘nh IV „singen“ bevorzugt.

Möglicherweise meint auch der Begriff רננים rənānîm den Strauß bzw. die Straußenhenne. Dieser Name würde dann auf das laute klagende Rufen des Straußes anspielen (רנן rnn; vgl. Riede, 2002, 200). Allerdings übersetzt erst Hieronymus, der vom Physiologus beeinflusst ist, im Sinne von „Straußenweibchen“. Eventuell meint der Begriff eher „Wüstenhühner“ (auch „Sandhühner“ genannt).

2.2. Verwendung

Der Strauß gilt als Steppenbewohner als unrein und dient nicht nur als Metapher für sorglose Grausamkeit und klagende Trauer, sondern gehört in die unheimliche Szenerie, die von der Wüste und vernichteten Städten gezeichnet wird.

1) Unreine Tiere: Der Strauß (בת היענה bat haja‘anāh) gilt nach Lev 11,16 / Dtn 14,15 als unrein.

2) Strauße als Bewohner der Einöde (Ruinen und Wüste): Seinen Platz unter den Tieren, die Ruinen gefährlich machen, erhält der Strauß u.a. wohl aufgrund seines natürlichen Lebensraums. IIn den Prophetien → Jesajas und → Jeremias sind die Strauße (בנות יענה bənôt ja‘ǎnāh) fest mit dem Topos der Vernichtungsschilderung von Städten verbunden. Neben anderen Wüstenbewohnern (→ Schakal [תנים tannîm], „Heuler“ [איים ’ijjîm „Wildhund / Schakal“?], „Wüstlinge“ [ציים ṣijjîm], → Ziegenbock und → Lilit) haust nach Jes 34,13f. auch der Strauß in den Trümmern → Edoms. Nach Jes 13,21 wohnt er gemeinsam mit Ziegenböcken, Schakalen (תנים tannîm), klagenden (אחים ’ochîm; → Eulen?) und heulenden Tieren (איים ’ijjîm „Wildhund / Schakal“?) sowie „Wüstlingen“ (ציים ṣijjîm [→ Dämonen; → Wüstentiere]) in den zerstörten Palästen Babylons. In Jer 50,39 bevölkert er gemeinsam mit „Wüstlingen“ (ציים ṣijjîm) und „Heulern“ (איים ’ijjîm) die unbewohnbar gewordenen Gebiete Babyloniens.

Als Wüstenbewohner dient der Strauß in der Zukunftshoffnung Jes 43,20 hingegen dazu, das Blühen der → Wüste zu beschreiben, die zum Ort wird, an dem Strauß, Schakal und wilde Tiere Jahwe verehren.

3) Metapher für Klage und Trauer: Mi 1,8 nennt die Strauße (בנות יענה bənôt ja‘ǎnāh) neben → Schakalen wohl wegen der heulenden Laute, die die Tiere ausstoßen. Gleichzeitig wird auf das Verstummen beim Trauerritual angespielt (Riede, 2003, 295). Ähnlich gelten in Hi 30,28f. die Strauße (בנות יענה bənôt ja‘ǎnāh) gemeinsam mit den Schakalen als Metapher für soziale Isolation, für Trauer und Klage. Das Rufen des Straußes und des Schakals klingt wie das Weinen und das Klagen Hiobs.

4) Der Strauß als sorgloses und gefährliches Tier: Nach einer biologisch falschen, damals aber offenbar geläufigen Vorstellung kümmert sich der Strauß nicht um seinen Nachwuchs. Darauf spielt Klgl 4,3 an. Gelten sonst → Schakale gemeinsam mit Straußen als Negativbeispiele, werden hier die Schakale den Straußen (יענים jə‘enîm) als Positivfolie gegenübergestellt. Sogar die Schakale säugen ihre Jungen, anders als die Straußenhenne, die ihren Nachwuchs sich selbst überlässt. In Hi 39,13-18 wird dieses Verhalten der Straußenhenne (?; רננים rənānîm) mit dem Fehlen von Weisheit begründet.

3. Vorkommen auf Bildträgern

Auf Siegelamuletten werden Strauße erstens in Jagdszenen, zweitens als untergeordnetes Tier im Topos des „Herrn der Tiere“ und drittens als Tier am Lebensbaum dargestellt.

Strauss 01

1) Jagd: Die Darstellung des Straußes in Jagdszenen, die sich in Mesopotamien finden (Abb. 1), rekurriert vermutlich auf reale Verhältnisse: Die Schnelligkeit des Straußes machte ihn zu einer begehrten Trophäe, mit deren Hilfe der König wohl auch seine mythologische Legitimation beweisen konnte (→ Jagd).

Strauss 02
2) Herr der Strauße: In der → Eisenzeit I entwickelt sich der „Herr der Strauße“ als ein palästinischer, von Ägypten anscheinend unabhängiger Typ des im Orient weit verbreiteten und auch in Palästina beliebten Topos des „Herrn der Tiere“. Er ist im provinzielleren und periphereren Südreich deutlich stärker bezeugt als im Norden (Abb. 2). In der Glyptik der Eisenzeit IIA wird dieser Typ zu einer dominierenden autochthonen Göttergestalt. Sein Wirken wurde vermutlich am Rand des israelitischen Kulturlandes in der Steppe verortet, da sich hier der Lebensraum des Straußes befindet, so dass sich auch in der Ikonographie der periphere Charakter des Tieres zeigt. Die Integration in das Bild des „Herrn der Strauße“ als Metapher der Bändigung gefährlicher Kräfte hat vermutlich reale Anhaltspunkte, denn der schnelle Strauß kann, wenn er sich angegriffen fühlt, dem Menschen durchaus gefährlich werden.

Strauss 03

3) Lebensbaum: Die Kraft und Vitalität des Straußes können positiv konnotiert auch für Fruchtbarkeit stehen, wie dies ebenfalls bei Capriden oder dem Krokodil der Fall ist. Er findet dann seinen Platz neben dem weit verbreiteten Motiv des Lebensbaums (Abb. 3).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
  • Biblisches Reallexikon, 2. Aufl., Tübingen 1977
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • Dictionary of Deities and Demons in the Bible, 2. Aufl., Leiden 1999
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003

2. Weitere Literatur

  • Fuchs, Gisela, 1993, Mythos und Hiobdichtung. Aufnahme und Umdeutung altorientalischer Vorstellungen, Stuttgart
  • Keel, Othmar, 1978, Jahwes Entgegnung an Ijob. Eine Deutung von Ijob 38-41 (FRLANT 121), Göttingen Keel, 1978, 67f.84f.102-108
  • Keel, Othmar, 1990, La glyptique du Tell Keisan (1971-1976). Avec une contribution de É. Puech (vgl. Nachträge 298-330), in: ders. / Shuval, Menakhem / Uehlinger, Christoph (Hgg.), Studien zu den Stempelsiegeln aus Palästina / Israel III: Die frühe Eisenzeit. Ein Workshop (OBO 100), Freiburg (Schweiz) / Göttingen, 163-260.298-330
  • Keel, Othmar, 2001, Art. Siegelamulett, in: NBL 3, 587-601
  • Keel, Othmar, 2003, Schwache alttestamentliche Ansätze zur Konstruktion einer stark dualistisch getönten Welt, in: Lange, Armin / Lichtenberger, Hermann / Römheld, K.F. Diethard (Hgg.), Die Dämonen. Die Dämonologie der israelitisch-jüdischen und frühchristlichen Literatur im Kontext ihrer Umwelt – Demons. The Demonology of Israelite-Jewish and Early Christian literature in Context of their Environment, Tübingen, 211-236
  • Keel, Othmar / Uehlinger, Christoph, 5. Aufl. 2001, Göttinnen, Götter und Gottessymbole. Neue Erkenntnisse zur Religionsgeschichte Kanaans und Israels aufgrund bislang unerschlossener ikonographischer Quellen (QD 134), Freiburg i.B. / Basel / Wien
  • Matthews, Donald M., 1992, The Kassite Glyptic of Nippur (OBO 116), Freiburg (Schweiz) / Göttingen
  • Maul, Stefan M., 2000, Der Sieg über die Mächte des Bösen. Götterkampf, Triumphrituale und Torarchitektur in Assyrien, in: Hölscher, Tonio (Hg.), Gegenwelten. Zu den Kulturen Griechenlands und Roms in der Antike, München / Leipzig, 19-46
  • Müller, H.-P., 1988, Die sog. Straußenperikope in den Gottesreden des Hiobbuches, ZAW 100, 90-105
  • Riede, Peter, 2002, „Denn wie der Mensch jedes Tier nennen würde, so sollte es heißen“. Hebräische Tiernamen und was sie uns verraten, in: ders. (Hg.), Im Spiegel der Tiere. Studien zum Verhältnis von Mensch und Tier im alten Israel (OBO 187), Freiburg (Schweiz) / Göttingen, 165-212
  • Riede, Peter, 2003, „‘Ich bin ein Bruder der Schakale’ (Hi 30,29). Tiere als Exponenten der gegenmenschlichen Welt in der Bildsprache der Hiobdialoge“, in: Lange, Armin / Lichtenberger, Hermann / Römheld, K.F. Diethard (Hg.), Die Dämonen. Die Dämonologie der israelitisch-jüdischen und frühchristlichen Literatur im Kontext ihrer Umwelt – Demons. The Demonology of Israelite-Jewish and Early Christian Literature in Context of their Environment, Tübingen, 292-306
  • Walker-Jones, A., 2005, The So-called Ostrich in the God Speeches of the Book of Job (Job 39,13-18), Bibl. 86, 494-510

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