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(erstellt: November 2007)

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1. Textbelege

Der Skorpion (hebräisch עַקְרָב ‘aqrav, griechisch σκορπίος skorpios) ist in allen alttestamentlichen und apokryphen Belegen negativ konnotiert: Er gehört zu den Gefahren der Wüste (Dtn 8,15), das Sitzen auf Skorpionen ist eine Metapher für die Anfeindungen des Propheten (Ez 2,6), die Züchtigung mit Skorpionen (1Kön 12,11.14; 2Chr 10,11.14) ist eine (rhetorische?) Steigerung der Züchtigung mit Peitschen. In Sir 39,30 (hebr. [Lutherbibel: Sir 39,36]) stehen die Skorpione in der Reihe der Strafen Gottes für die Gottlosen, Sir 26,10 (gr.) vergleicht den Erwerb einer schlechten Frau mit dem Greifen nach einem Skorpion. In 4Makk 11,10 wird die Krümmung bei der Folter mit dem Rad mit einem Skorpion verglichen. → „Skorpionensteige“ (עַקְרַבִּים מַעֲלֵה ma‘ǎleh ‘aqrabbîm) heißt ein Pass zwischen → Araba und → Negev (Num 34,4; Jos 15,3; Ri 1,36); es handelt sich vermutlich um den Naqb eṣ-Ṣafā (Koordinaten: 162.035; N 30° 54' 20'', E 35° 07' 26''). Inschriftlich ist der Skorpion z.B. in der → Sfire-Inschrift (KAI 222A 31) in einer Fluchreihe unter den Übeln bezeugt.

2. Ikonographie

Die ikonographischen Belege für Skorpione aus Israel / Palästina zeigen eine differenziertere Wertung. Neben Siegeln mit einem oder mehreren Skorpionen gibt es den „Herrn der Skorpione“, eine stehende männliche Gestalt, die in jeder Hand einen Skorpion hält, eine lokale Variante des ägyptischen Krokodile bändigenden → Horus.

Das Gros der Darstellungen, v.a. auf Siegeln der Eisenzeit I-II (einheimisch oder aus Nordsyrien), zeigt einen oder mehrere Capriden oder Boviden, manchmal ein Junges säugend, und einen Skorpion. Das säugende Muttertier ist ein weitverbreitetes sexuell konnotiertes, oft mit Göttinnen verbundenes Symbol. Auch ohne Nachwuchs stehen Capriden und Skorpione auf altsyrischen Darstellungen in Verbindung mit der Göttin der Fruchtbarkeit. Ein Rollsiegel aus Megiddo (Eisenzeit II) zeigt den Skorpion als astrale Macht.

Dieser Befund – negative Konnotationen in den Texten, positive in der Ikonographie – entspricht dem aus den altorientalischen Umweltkulturen Israels. Beschwörungen und Rezepte gegen Skorpionstiche stehen neben Siegeldarstellungen, die den Skorpion als Symboltier der neuassyrischen Königin zeigen, neben Pflugszenen aus der Akkad-Zeit (Pflügende und Skorpion) und erotischen Szenen (Attributtier der sich entschleiernden Göttin bzw. Koitusszenen mit Skorpion unter dem Bett).

Der Skorpion ist im syrisch-mesopotamischen Raum das Symboltier der Göttin Iš-cha-ra. Ihre astrale Repräsentanz ist das Sternbild Skorpion (entspricht dem heutigen Scorpius unter Umständen unter Einschluss von Libra). Sie ist eine Göttin für Erotik, Orakelwesen und Eidverpflichtungen. Dargestellt als Tier der Iš-cha-ra wird der Skorpion zuerst auf den Reliefs der kudurru / narû.

3. Deutung

Die Gefährlichkeit des Skorpionstichs, der bei den in Israel / Palästina lebenden Arten für Kinder tödlich und für Erwachsene sehr schmerzhaft sein kann, erklärt die negative Wertung des Tieres. Die Verbindung von Skorpion und Fruchtbarkeit ist schwieriger zu deuten. Sie wird erklärt mit dem schon in sumerischen Quellen beschriebenen Paarungstanz der Skorpione, der großen Anzahl an Jungen, der aufwendigen Brutpflege oder der Phallussymbolik des aufgerichteten Stachels des angriffsbereiten Skorpions (akkadisch zuqaqīpu „Aufrichter“, von zaqāpu „aufrichten“, auch für den Penis). Daneben könnte auch das Sternbild Skorpion eine Rolle gespielt haben, dessen heliakischer Aufgang für die Terminierung der Aussaat im Herbst relevant war.

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Abbildungsverzeichnis

  • Säugende Capride mit Skorpion (Siegel aus Taanach; EZ IIA). © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz

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