Melchisedek
Andere Schreibweise: Melchizedek (engl.)
(erstellt: Januar 2012)
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Melchisedek wird im Alten Testament als König und Priester von Salem / Jerusalem zur Zeit → Abrahams
1. Einleitung (M.v.N.-D.)
Ob Melchisedek ursprünglich eine rein mythische Figur, vielleicht sogar ein Gott (so z.B. Davila, 1997, 229), oder eine historische Person gewesen ist, bleibt unklar (vgl. Steudel, 2000, 535). Im Alten Testament spielt er nur eine kleine Rolle (er wird nur in Gen 14,18-20
An Gen 14,18-20
Über die eigene Wirkungsgeschichte des Melchisedek hinaus fällt in den außerkanonischen Schriften die Nähe zum Erzengel → Michael
Interessant ist trotz dieser großen nachalttestamentlichen Rezeptionsgeschichte, dass Melchisedek im Talmud kaum Erwähnung findet bzw. sogar negativ beurteilt wird.
2. Name (M.v.N.-D.)
Mit mlk „König“ gebildete Personennamen finden sich nicht nur häufig im Alten Testament, sondern auch im Westsemitischen allgemein, z.B. Milka, Malkam, → Ahimelech
3. Melchisedek im Alten Testament (M.v.N.-D.)
3.1. Einführung
Melchisedek wird im Alten Testament nur in Gen 14,18-20
3.2. Melchisedek in Gen 14,18-20
In der → Genesis
Die Verse 18-20 sind vermutlich in persischer oder hellenistischer Zeit in die Geschichte um Abram und den König von → Sodom
Da die Ortsangabe Salem nur noch in Ps 76,3
3.3. Melchisedek in Ps 110,4
Nach Gen 14
Nach G. Granerød ist Ps 110
4. Melchisedek im Judentum der hellenistisch-römischen Zeit (Chr.B.)
4.1. Einführung
Wie eingangs erwähnt hat die Figur des Melchisedek eine beachtliche narrative und theologische Rezeptionsgeschichte vorzuweisen, sodass M. Poorthuis (2004, 110-119) ein differenziertes 5-Phasen-Modell der Entwicklung des Melchisedek-Diskurses aufgestellt hat: 1. Phase: Jüdische Interpretationen Melchisedeks als Mittlergestalt, 2. Phase: Die christliche Aneignung Melchisedeks, 3. Phase: Die jüdische Reaktion auf die christliche Aneignung Melchisedeks, 4. Phase: Die christliche Preisgabe von Melchisedek als Mittlergestalt, 5. Phase: Eine jüdische Rehabilitierung Melchisedeks. Ob sich die Rezeptionsgeschichte aber tatsächlich so klar mit diesem linearen Modell beschreiben lässt, ist fraglich.
Die Wirkungsgeschichte von Melchisedek zeigt vor allem zwei unterschiedliche Schwerpunkte: Einerseits spielt die geschichtliche Gestalt des Melchisedek in den rezeptionsgeschichtlichen Überlegungen eine Rolle, als Kanaanäer, Priester par excellence und als Nachkomme → Noahs
4.2. Melchisedek in den Schriften von Qumran (M.v.N.-D.)
Eine große Rolle kommt „Melchisedek“ (מלכי צדק mlkj ṣdq) in einigen Schriftrollen von → Qumran
Auch wenn die Verfasser von 4QAmram und 11QMelch möglicherweise keinen Zusammenhang mit dem biblischen Priester Melchisedek intendierten, ist es nicht ausgeschlossen, dass spätere Rezipienten der Qumran-Texte trotzdem einen Zusammenhang zwischen Gen 14
4.2.1. Melchisedek in der Vision des Amram (4QAmram)
In einer Vision sieht Amram zwei machtvolle Gestalten mit gottähnlichen Eigenschaften: Beide sind imstande, über alle Menschen zu herrschen. Eine dieser Gestalten ist der „König der Frevler / des Frevels“ (מלכי רשע mlkj rš‘), der als dunkel beschrieben wird. Der andere hingegen erscheint hell und als Herrscher über das ganze Licht. Wenn man K. Beyers Übersetzung und Ergänzung (Beyer, 1984, 212) von Fragment 3 folgt, hatte letztere Gestalt ursprünglich drei Namen, von denen aber nur zwei erhalten sind: So wird die helle Gestalt als „Michael“ und „Melchisedek“ (מלכי צדק mlkj ṣdq) bezeichnet. Damit werden – wohl der Erzengel – Michael und Melchisedek miteinander identifiziert. Diese helle Gestalt weist keine priesterliche Funktion auf, sondern ist (lediglich) als Gegenpol zum „König des Frevels“ gezeichnet.
Interessant ist in dieser Hinsicht auch die Wirkungsgeschichte des Erzengels Michael; denn durch die Identifikation mit Melchisedek erhält Michael in christlicher und jüdischer Tradition auch priesterliche Aufgaben, obwohl in 4QAmram gar nicht der biblische Melchisedek in seiner priesterlichen Funktion angesprochen ist. So kommen Michael z.B. im Babylonischen Talmud nicht nur fürstliche beziehungsweise königliche, sondern zugleich auch priesterliche Aufgaben zu (Traktate Ḥagiga 12b; Zevaḥim 62a; Menaḥot 110a).
4.2.2. Melchisedek in der sog. Melchisedek-Rolle (11QMelch)
In dieser vermutlich essenischen Schrift ist von einem „Melchisedek“ (מלכי צדק mlkj ṣdq) die Rede, der zwar mit Hilfe vieler Zitate aus dem Alten Testament charakterisiert und beschrieben wird, nicht aber durch Gen 14
Zur Einordnung der Melchisedek-Rolle in eine literarische Gattung gibt es in der Forschung verschiedene Ansätze: Nach A. Steudel handelt es sich hierbei um einen „thematischen Midrasch“ (Steudel, 1994, 182), nach J. Carmignac um einen Pescher (Carmignac, 1970, 343-378), nach M. von Nordheim um einen vorrabbinischen Midrasch im Aufbau ähnlich einer Petichta (von Nordheim, 2008, 246).
Melchisedek ist in dieser Melchisedek-Rolle ein gerechter und gnädiger Herrscher, der Gefangenen Erlösung verspricht und ihre Sünden trägt (diese Anschauung basiert auf einer Auslegung von Jes 61,1
In dieser Schrift wird eine ganz eigene Typologie des Melchisedek wie auch seines bösen Gegenparts, des Belial, entworfen. Ob nun hier der biblische Melchisedek auftritt oder ob eine andere Tradition vorliegt, wird in der Forschung unterschiedlich beurteilt (Kobelski beispielsweise sieht hier einen Zusammenhang mit Gen 14
4.2.3. Melchisedek im Genesis-Apokryphon (1QGenAp = 1Q20)
Das so genannte → Genesis-Apokryphon
4.3. Melchisedek in weiteren frühjüdischen Schriften
Merkwürdig erscheint die Rezeption von Gen 14,18-20
Das äthiopische Jubiläenbuch, eine interpretierende Nacherzählung der biblischen Geschichte von Gen 1
Im griechischen Testament Levis (1. Jh. v. Chr.; → Testamente der 12 Patriarchen
Das griechische Buch → Judit
Der lateinische Liber Antiquitatum Biblicarum (LAB), der eine interpretierende Nacherzählung der biblischen Geschichte von der Weltschöpfung bis zum Tod Sauls enthält (ca. 70-132 n. Chr.), setzt in der Abrahamsgeschichte ganz eigene Akzente (Dietzfelbinger, JSHRZ II/2). LAB 7,1-3 referiert die Geschichte vom Auszug aus Ur bis zur Geburt Isaaks in äußerster Kürze; die Trennung Lots von Abraham wird zwar erwähnt, seine Entführung und Befreiung aber übergangen. In diesem Zeitraffer hat die Melchisedek-Episode keinen Platz.
4.4. Melchisedek bei Philo
In dem groß angelegten Kommentarwerk → Philos von Alexandrien
Abr 235 hat haggadischen Charakter. Melchisedek, der hier als der „große Priester des höchsten Gottes (μέγας ἱερεύς τοῦ μεγίστου θεοῦ mégas hiereús toú megístou theoú)“ bezeichnet wird, empfängt und ehrt den siegreich heimkehrenden Abraham. Anders als in Gen 14
Congr 99 nimmt das Gelübde Jakobs aus Gen 28,22
Legum Allegoriae III 79-82 bietet die umfangreichste Behandlung der Melchisedek-Figur. Aus Gen 14,18
4.5. Melchisedek bei Josephus
→ Josephus
Bell VI 438 führt Melchisedek als den ersten Erbauer Jerusalems und Gründer des Heiligtums ein. Dezidiert wird er dabei als ein „kanaanäischer Herrscher (Χαναναίων δύναστης Chananaíōn dýnastēs)“ bezeichnet. Sein Name bedeute in der Landessprache „gerechter König“, was er tatsächlich gewesen sei. Deshalb auch habe er zuerst dem Herrn als Priester gedient – wobei offen bleibt, wie er als Kanaanäer einen solchen Status erworben haben könnte. Die Stadt, die früher Solyma hieß, nannte er „Hierosolyma“ (= das heilige Solyma). Modifizierte Überlegungen zur Etymologie finden sich auch bei Tacitus, Historiae V 2,2-3. Die Identifikation von Salem mit Jerusalem wird von da an jedenfalls zur fest etablierten Auslegungstradition (vgl. noch Ant I 180-181; 1QGenAp XX 13).
Ant I 179-182 enthält im Wesentlichen dieselben Ausschmückungen der Melchisedek-Episode. Auch hier wird Solyma mit dem späteren Jerusalem gleichgesetzt; auch hier fungiert Melchisedek als „Priester Gottes“ (nicht des Höchsten!) aufgrund seiner Gerechtigkeit. Wie schon bei Philo bewirtet er die Kämpfer Abrahams. Den Zehnt erhält er (über den Wortlaut von Gen 14
4.6. Melchisedek in 2Hen 71-72
Das sogenannte Slavische Henochbuch (2Hen; → Henoch
Vermutlich ist das 2Hen noch im 1. Jh. n. Chr. in Alexandrien entstanden; ursprünglich auf griechisch verfasst, liegt es heute nur noch in einer späten kirchenslavischen Übersetzung (Böttrich, JSHRZ V/7) vor. Trotz des langen Überlieferungsweges, der seine Spuren in beiden Textrezensionen sichtbar hinterlassen hat, lässt sich die Schrift, die hauptsächlich aus der älteren Henoch-Tradition (1Hen) schöpft, in ihrer narrativen Grundstruktur wie in ihrer theologischen Intention besser im Kontext des hellenistischen Diasporajudentums als in einem christlichen Milieu verstehen (Böttrich, 2012). Das gilt auch für die Geburtsgeschichte Melchisedeks in 2Hen 71-72, die entgegen verbreiteter Auffassung (Charles / Morfill, 1896) kein Appendix, sondern ein integraler Bestandteil der gesamten, sorgfältig konzipierten Erzählung ist; sowohl die handschriftliche Bezeugung als auch die sachlichen Zusammenhänge lassen daran keinen Zweifel (Böttrich, 2002). Nach der endgültigen Entrückung Henochs entsteht, gespeist aus seinen Belehrungen, ein priesterlicher Opferkult. Dessen erste Vertreter am Ort Achuzan (dem späteren Jerusalem) sind Methusalem sowie dessen Neffe Nir. Dieser dritte, den Urkult betreffende Teil (66-73), erfährt in der Melchisedek-Erzählung eine bemerkenswerte Transzendierung.
Schon 2Hen 70,4 führt als neue Erzählfigur den Priester Nir, den Sohn Lamechs und jüngeren Bruder → Noahs
Mit dem Priesterkönig aus Gen 14,18-20
Diese Erzählung, die sich trotz des Motivs einer übernatürlichen Empfängnis noch am ehesten in die Traditionslinie alttestamentlich-jüdischer Geburtsgeschichten einordnen lässt (Böttrich, 2002), ist von späteren christlichen Redaktoren massiv bearbeitet und damit in ihrer Intention verändert worden. Die stärksten Eingriffe in den Text erfolgen mittels zweier deutlich erkennbarer Interpolationen (71,32-37 und 72,6-7). In ihrer gegenwärtigen Gestalt stellen die Kapitel 71-72 somit ein Konglomerat von wenigstens vier ganz unterschiedlichen Melchisedek-Konzeptionen dar, die es sorgfältig zu unterscheiden gilt.
Das erste und grundlegend jüdische Konzept führt das Urbild priesterlichen Dienstes auf narrative Weise mit der wunderbaren Geburt jenes Knaben ein – dessen Name Melchisedek lediglich als Symbol und Inbegriff priesterlicher Würde fungiert. Der Knabe taucht in der urzeitlichen Welt nur kurzfristig auf, um die göttliche Bestätigung des Kultes nun auch sinnlich wahrnehmbar vor Augen zu führen. Er kehrt in Gottes Welt zurück, der er entstammt und in der er auch für immer bleiben wird. Auf diese Weise hat der Autor des 2Hen den abstrakten Urbild-Abbild-Gedanken philosophischer Provenienz in das Gewand eines vertrauten, volkstümlichen Erzählschemas gekleidet.
Über diese Erzählung legen die beiden christlichen Interpolationen in 71,32-37 und 72,6-7 eine zweite, völlig andere Konzeption, indem sie nun einen typologischen Bezug zu Christus herzustellen versuchen. Zu diesem Zweck konstruieren sie zwei Reihen von je 12 Priestern, deren erste ihren Höhepunkt in dem Melchisedek-Knaben des 2Henochbuchs, die zweite aber ihren Höhepunkt in Christus findet. Der Priesterkönig von Gen 14
Das dritte Konzept stellt eine Bezugnahme auf den Melchisedek der syrischen Schatzhöhle (s.u. 7.5.) dar, die in 2Hen 71,35 als Teil der ersten Interpolation erscheint. Hier wird jener Melchisedek, der am Anfang der zweiten, auf Christus zulaufenden Priesterreihe steht, als Priester und König am Mittelpunkt der Erde bestimmt – dort, wo auch Adam erschaffen und begraben wurde. Für den Redaktor bietet sich diese Überlieferung sehr viel besser als die karge Episode aus Gen 14
Das vierte Konzept enthält einen Bezug auf die apokryphe Geschichte Melchisedeks (s.u.), die in 2Hen 72,6 als Teil der zweiten Interpolation erscheint. Hier wird erneut der geschichtliche als „ein anderer Melchisedek“ präsentiert, der sich sieben Jahre lang vor dem Götzen verehrenden Volk verbirgt, bis ihn ein „gerechter Mann“ (Abraham) findet und herausführt. Daraufhin wird jener Melchisedek Priester und König in der Stadt Salem und „Anfang der Priester nach dem Bilde dieses Melchisedek“ – d.h. des himmlischen Urbildes aus 2Hen. Aus der HistMelch wird dabei nur die kurze Begegnungsszene herausgriffen, um jenen „anderen Melchisedek“, der die zweite Priesterreihe anführt, mit etwas mehr an geschichtlicher Wirklichkeit auszustatten, als er in Gen 14
Die Grundschicht der Episode von Melchisedeks wunderbarer Geburt in 2Hen 71-72 fügt sich in jene Traditionslinie ein, die Melchisedek als eine jenseitige Figur aus dem Hofstaat Gottes versteht (11QMelch; Philo, LA III 79-82; Hebr 7,1-3
4.7. Melchisedek in der apokryphen „Geschichte Melchisedeks“
Den profiliertesten Gegenentwurf zu einer himmlischen Melchisedek-Gestalt bietet die apokryphe Geschichte Melchisedeks (HistMelch), die unter dem Namen des Athanasius (4. Jh.) im Kontext seiner Werke sowie im Textbestand der byzantinischen Palaea historica (8./9. Jh.) in jeweils eigenständigen Fassungen überliefert worden ist (Böttrich, JSHRZ.NF II/1). Grundlegend griechisch geschrieben, hat sie in vielen volkssprachlichen Übersetzungen (syrisch, koptisch, äthiopisch, arabisch, armenisch, georgisch, slavisch, rumänisch) weite Verbreitung und Popularität erlangt.
Aufgrund ihrer Überlieferungsumstände betrachtete man die HistMelch lange Zeit als eine christliche Legende. Es gibt jedoch gute Gründe, den Traditionskern dieser kleinen Erzählung der jüdischen Auslegungstradition zu Gen 14
In dieser Erzählung wird Melchisedek nicht nur mit einer respektablen Genealogie (im sachlichen Widerspruch zu Hebr 7,3
Das merkwürdige Erscheinungsbild Melchisedeks, das an einige schroffe Formen des syrischen und ägyptischen Mönchtums erinnert, lässt sich vom Duktus der Erzählung her am besten mit dem Typos eines Nasiräers erklären (Böttrich, 2007). Für die asketische Tradition der alten Kirche wird die Erzählung erst im Zuge ihrer weiteren Überlieferung interessant. Ihr Traditionskern bietet dafür jedoch keinen plausiblen Anhaltspunkt: Melchisedek flieht nicht etwa vor der Welt, sondern vor dem drohenden Tod; er entsagt nicht der menschlichen Gemeinschaft, sondern verliert durch das göttliche Gericht seine gesamte Sippe; er verzichtet nicht auf Speise und Trank, sondern muss in der Wildnis von dem leben, was er findet. Vielmehr erscheint er als einer, der sich ausschließlich Gott weiht; die rationale Erkenntnis des höchsten Gottes macht er sich nun auch durch sein Leben zu eigen. In der Einsamkeit des Tabors erwirbt er jene Qualifikation, die ihn nach einer symbolisch bedeutsamen Zeit der Vorbereitung schließlich befähigt, Priester des höchsten Gottes zu werden. Mit Abraham teilt er die gleiche Erfahrung, aus einer Sippe von Götzendienern ausgezogen zu sein und den Weg zu dem einen, einzigen Gott gefunden zu haben.
Auf ihren vielfältigen Überlieferungswegen ist die Erzählung dann vor allem unter dem Vorzeichen asketischer Interessen gelesen worden – einer Perspektive, der sie wohl letztlich auch ihr Überleben verdankt. Christliche Tradenten haben ihr gewaltsam eine Harmonisierung mit Hebr 7,3
5. Melchisedek im Targum und in den rabbinischen Schriften (M.v.N.-D.)
Während Melchisedek in der Qumran-Schrift 4QAmram mit Michael identifiziert wird, setzen ihn die meisten Targumim zu Gen 14
Eine Hochschätzung erfuhr Melchisedek in (wenigen) kleineren Schriften wie z.B. in der Pesiqta des Rav Kahana (Pesiqta 15). Dort wird Melchisedek zu einer wichtigen Figur der Endzeit, indem er zu den vier Handwerkern zählt, die in der Sacharja-Vision von Sach 2,3
Mit einer kurzen Notiz wird Melchisedek im Babylonischen Talmud, Traktat Baba Batra 14b erwähnt (in einer von zwei Stellen im Babylonischen Talmud; Text Talmud
Im rabbinischen Judentum erfuhr Melchisedek allerdings auch eine Rezeption mit negativen Gesichtspunkten. Im Babylonischen Talmud (Traktat Nedarim 32b) und im Midrasch (zu Leviticus 25 u.ö.) ist von einem Fehler Melchisedeks zu lesen, der ihm in der Begegnung mit Abram (Gen 14,18-20
6. Melchisedek im Neuen Testament und in der patristischen Exegese (Chr.B.)
6.1. Einführung
Im Neuen Testament wird die Melchisedek-Gestalt ausschließlich vom Hebräerbrief rezipiert. Dabei erweist sie sich jedoch als tragende Säule jener eigenwilligen Hohepriester-Christologie, die das ganze Schreiben prägt. Namentlich Hebr 7,1-19
6.2. Melchisedek im Hebräerbrief
Gegenüber Gen 14
Den sachlichen Rahmen bildet ein sorgfältig konzipiertes Modell von Entsprechungen: Der Weg der Gemeinde durch die Zeit bildet sich in der Wanderung des Gottesvolkes Israel durch die Wüste ab; das himmlische Heiligtum bei Gott hat sein Abbild im Zeltheiligtum der Wüstenzeit; die Versöhnungstat Christi spiegelt sich im Ritual des großen Versöhnungstages. Darin ist das zentrale Anliegen des Briefs überhaupt zu erkennen: Das Christusereignis wird in kultischer Metaphorik noch einmal neu ausgelegt. Christus erscheint als die Erfüllung des alttestamentlichen Kultes. Insofern liegt es nahe, dass seine Funktion nun auch in den Kategorien priesterlichen Dienstes formuliert wird.
Orientiert an den Bestimmungen aus Lev 16
Mit der Figur Aarons lässt sich die hohepriesterliche Funktion Christi indessen noch nicht ausreichend darstellen. Denn in Christus kommt ja gerade zur endgültigen Erfüllung, was in der Linie des levitisch-aaronidischen Dienstes noch der ständigen Wiederholung bedarf. Deshalb wählt der Autor des Hebräerbriefs mit der rätselhaften Figur des Priesterkönigs Melchisedek einen Haftpunkt aus, der nicht nur außerhalb dieser Linie liegt, sondern dieser zugleich überlegen zu sein scheint. Von dem Melchisedek aus Gen 14,18-20
Die Kardinalstelle einer solchen Interpretation findet sich in Hebr 7,1-19
In den Attributen von Hebr 7,3
- Dieser Melchisedek (Hebr 7,1
) - vaterlos, mutterlos, ohne Stammbaum (7,3), / weder einen Anfang der Tage (7,3) / noch ein Ende des Lebens habend (7,3),
- in der Kraft unzerstörbaren Lebens (7,16)
- bleibt er Priester für immer (7,3). / Daher kann er auch retten für immer (7,25) / die Herzukommenden (7,25),
- denn er lebt immer, um für sie zu bitten (7,25),
- heilig, unschuldig, unbefleckt (7,26), / geschieden von den Sündern (7,26) / und höher als der Himmel (7,26).
Von jeher ist aufgefallen, dass die Attribute von Hebr 7,3
Im Anschluss an diese grundlegende Darstellung der Melchisedek-Christus-Relation zieht der Autor in Hebr 7,11-19
Zu einem historischen Verständnis der rätselhaften Gestalt jenes Priesterkönigs aus Gen 14
6.3. Melchisedek in der patristischen Exegese
Bei den apostolischen Vätern spielen weder die Gestalt Melchisedeks noch die Passagen aus Gen 14
Justin ist vor allem daran interessiert, die heilsgeschichtliche Bedeutung der Beschneidung zu relativieren: So wie auch andere herausragende Fromme des alten Bundes war Melchisedek nicht beschnitten und erhielt dennoch von Abraham, mit dem die Beschneidung begann, den Zehnt (Dial 19,3-4; so auch Tertullian, Adversus Iudaeos 2); die jüdische Tradition behandelt dieses Problem später in komplementärer Weise und postuliert, dass Melchisedek wie auch andere Fromme vor Abraham schon beschnitten geboren worden seien (Avot de-Rabbi Nathan 1,12). Ps 110
Die griechischen wie die lateinischen Väter behandeln ausnahmslos die christologische Typologie, zu der vom 2./3. Jh. an dann auch die eucharistische Typologie hinzutritt. Den Namen Melchisedeks deuten sie im Anschluss an Hebr 7,2
Die eucharistische Typologie setzt bei Clemens von Alexandrien (Stromata IV 161,3) und Cyprian von Karthago (Epistulae 63,4) ein. Sie beruht auf der Annahme, Melchisedek habe als Priester anstatt der üblichen Tiere ein unblutiges Opfer von Brot und Wein dargebracht. Anders als in der frühjüdischen Auslegungstradition versteht diese Sicht Brot und Wein demnach nicht im Sinne einer realen Stärkung der heimkehrenden Kämpfer, sondern als Einladung Abrahams zu einer neuen Form von Opferhandlung, in der bereits die Eucharistie vorgebildet ist. Dieser Sicht schließen sich die Väter auf breiter Front an (vgl. z.B. Ambrosius, De sacramentis 4,3; Beda, In principiis Gen 3,14
Eigenwillig ist die Auffassung Hippolyts, der in Melchisedek einen Typos Johannes des Täufers sieht (Achelis, 1897, 93f): Melchisedek sei es gewesen, der Abraham beschnitten habe; so wie Melchisedek Abraham beschnitt, taufte Johannes Christus, und so wie Abraham seine Sippe beschnitt, taufte Johannes die Juden. Auch die byzantinische Palaea historica weiß, dass Abraham von Melchisedek beschnitten wurde (Vasil’ev, 1893, 212).
7. Melchisedek in der christlichen Überlieferung (Chr.B.)
7.1. Einführung
In der christlichen Auslegungsgeschichte fächert sich die Inanspruchnahme Melchisedeks wieder auf. Zwar bleibt der Hebräerbrief (in Zustimmung und Ablehnung) die maßgebliche Folie, die fortan allen christlichen Melchisedek-Spekulationen hinterlegt ist. Aber die Themen, mit denen man den Priesterkönig von Salem nun verbindet, werden wieder vielfältiger. Einen ganz eigenen Zugriff lässt die Gnosis erkennen, in der Melchisedek zum Offenbarungsträger wird. Daran schließen verschiedene „häretische“ Spekulationen über Melchisedek an. Für den liturgischen Bedarf avanciert der Priesterkönig zu einem der „heiligen Heiden“. Die sekundäre Adam-Literatur zeichnet ihn in die Adam-Christus-Beziehung ein. Im Kontext der chronographischen Tradition tritt vor allem die genealogische Fragestellung in den Blick. Die Pilgerliteratur schließlich versucht, den Ort der Begegnung zwischen Abraham und Melchisedek zu identifizieren.
7.2. Melchisedek in der Gnosis
Zu den alttestamentlichen Figuren, die in verschiedenen gnostischen Systemen eine Rolle spielen, gehört auch Melchisedek. Das Textcorpus aus Nag Hammadi (NHC) enthält einen ganzen Traktat unter seinem Namen; weitere sporadische Erwähnungen in anderen Kontexten kommen hinzu.
NHC IX,1 (Melchisedek) bietet auf 27 Seiten einen sehr fragmentarischen Text, den man seiner Textsorte nach am ehesten als „Apokalypse des Melchisedek“ bezeichnen müsste (Schenke, 2007). Die einzig erhaltene koptische Handschrift (4. Jh.) geht vermutlich auf eine griechische Vorlage aus dem 2./3. Jh. zurück. Melchisedek erscheint darin als Empfänger verschiedener Offenbarungen des Erlösers Jesus Christus. Eine erste Offenbarungsrede wird ihm durch den Engel Gamaliel übermittelt, eine zweite durch „Brüder, die zu den Geschlechtern des Lebens gehören“. Zwischen beiden Offenbarungen äußert sich Melchisedek selbst und reflektiert seine Bekehrung, die mit einer Taufe verbunden ist und die ihn zum wahren Priester Gottes macht. Dieses Priestertum hat sich vom Tieropfer gelöst und besteht nun vor allem darin, selbst als Täufer zu fungieren. Die Beziehung Melchisedeks zu Christus lässt sich aufgrund des fragmentarischen Zustandes der Schrift freilich nicht mehr eindeutig bestimmen: Ob er als ein Eben- oder Gegenbild Christi fungiert, sein Vorläufer oder Typos ist oder gar mit Christus selbst identifiziert wird, muss offenbleiben (Schenke, 1980; Colpe, 1980; Pearson, 1998). Aufgrund einer klaren antidoketischen Tendenz (5,1-11) sowie der eigens thematisierten Lebenswende (15-18) trägt Melchisedek hier eher irdische als himmlische Züge; immerhin scheint ihm auch eine kämpferisch-eschatologische Rolle zugedacht zu sein (26), die wiederum an 11QMelch erinnert. Insgesamt gehört die Schrift der Sethianischen Gnosis an, die jedoch massiv christliche Züge trägt. Ob sie das Initiationsritual einer christlich-gnostischen Gruppe darstellt (Beltz, 1981), bleibt ungewiss. Eine Reihe von Themen und Motiven belegen sowohl die Kenntnis des Hebräerbriefs als auch jüdischer Traditionen. Mit Sicherheit lässt sich sagen, dass Melchisedek in dieser Schrift als der maßgebliche Offenbarungsträger und somit als Repräsentant einer religiösen Gemeinschaft im Grenzbereich zwischen Gnosis und christlicher Kirche in Erscheinung tritt.
Ohne Zweifel eine himmlische Erlösergestalt ist Melchisedek hingegen in der Pistis Sophia (PistSoph) sowie im zweiten Buch Jeû (Schmidt, 1981). In beiden Schriften trägt er den Namen „Melchisedek Zorokothora“. Seine Aufgabe besteht nach der PistSoph darin, als „Gesandter alles Lichtes“ bzw. als „Lichtreiniger (παραλήμπτωρ paralēmptōr)“ hinabzusteigen, die Lichtbestandteile in den Archonten freizulegen und sie dann in den Lichtschatz Jeûs, des Fürsorgers aller Archonten, zurückzuführen. 2Jeû 45-46 bringt ihn ähnlich wie NHC IX,1 mit der Taufe in Verbindung: Hier bittet Jesus für seine Jünger, es möge doch nach ihrer Erlösung Melchisedek Zorokothora mit dem „Wasser der Lebenstaufe“ kommen bzw. das „Wasser der Feuertaufe der Lichtjungfrau, der Richterin“ herausbringen. So viel ist daran deutlich: Melchisedek agiert als eine Erlösergestalt, die aus der Welt des Vaters allen Lichtes herabsteigt bzw. daraus hervortritt, um nach vollzogenem Auftrag auch wieder dorthin zurückzukehren. Mit den biblischen Vorgaben hat diese Figur nichts mehr zu tun; sie bewegt sich ausschließlich im Koordinatensystem gnostischen Denkens.
Merkwürdig bleibt das kurze Fragment eines koptischen Dialogevangeliums aus Dēr el-Bala’izāh (4. Jh.), in dem der Jünger Johannes nicht nur nach → Kain, Abel
7.3. Melchisedek bei den sogenannten „Melchisedekianern“
Jenseits der kirchlichen Rezeption avanciert Melchisedek schon früh zum Heros verschiedener „häretischer“ Gruppen. Vom 2. Jh. an gibt es immer wieder Spekulationen über das Mysterium seiner Person, die sich ausnahmslos der Hohepriesterchristologie des Hebräerbriefs verdanken; eine zusätzliche Verschärfung erfahren sie durch die intensiven christologischen Debatten in der Zeit des 2.-5. Jh.s (Stork, 1928). Nicht ohne Einfluss scheinen dabei auch die gnostischen Vorstellungen von Melchisedek als einer Erlösergestalt zu sein, während jüdische Traditionen eher in den Hintergrund treten (Pearson, 1998, 188-192).
Die altkirchlichen Häresiologen tappen bei der Beschreibung jener Spekulationen weitgehend im Dunkeln. Als Hauptquellen kommen hier vor allem Hippolyt (Refutatio VII) und Epiphanius von Salamis (Panarion LV) in Frage. Anstatt einer klar strukturierten Gruppe mit einer beschreibbaren Lehre bieten sie nur Schlaglichter auf offensichtlich vereinzelte Positionen, deren Zusammenhang in sachlicher wie in organisatorischer Hinsicht offen bleibt. Die „Häresie der Melchisedekianer“ ist wohl eher ein Konstrukt des Epiphanius. Im Grunde lässt sich nur ein Bündel von Lehrmeinungen feststellen, bei denen die Beziehung zwischen Melchisedek und Christus auf den Kopf gestellt wird.
Zum ersten Mal werden solche Spekulationen bei Theodotos dem Schuhmacher (2. Jh.) sichtbar, der wohl von einem strengen Monarchianismus ausgeht: Jesus sei nur ein Mensch gewesen, über den der Christus erst bei der Taufe gekommen sei (Hippolyt, Refutatio VII 35). → Eusebius
Sachlich lassen sich diese Spekulationen in wenigen Punkten zusammenfassen. Gemeinsamer Nenner ist die Überordnung Melchisedeks über Christus oder mindestens beider Identifikation. Die Überordnung wird entweder darin gesehen, dass in Melchisedek der heilige Geist in Erscheinung tritt oder allgemeiner, dass in ihm eine große Macht Gottes, die größte Macht, eine himmlische Macht, eine große Kraft, oder Ähnliches begegnet. Die Identifikation wiederum verwischt alle Unterschiede und macht Melchisedek nun zu einem Teil der Gottheit selbst. Ein durchdachtes System ist damit nicht verbunden. Vielmehr geht es wohl nur ad hoc um Versuche, eine Erklärung für die auszeichnenden Epitheta Melchisedeks in Hebr 7,3
7.4. Melchisedek in liturgischen Kontexten
Etwa seit dem 5. Jh. hat Melchisedek einen festen Platz im römischen Messkanon gefunden, wie das bereits der Liber Pontificalis bezeugt. Mit Blick auf die eucharistischen Gaben formuliert das Gebet Supra quae: „Schau huldvoll darauf nieder mit gnädigem und mildem Angesicht, und nimm es wohlgefällig an, wie du einst mit Wohlgefallen aufgenommen hast die Gaben Abels, deines gerechten Dieners, das Opfer unseres Patriarchen Abraham, das heilige Opfer und die makellose Gabe, die dein Hoherpriester Melchisedek dir dargebracht hat.“ Auffällig ist hier die Bezeichnung Melchisedeks als „Hoherpriester / summus sacerdos“, die sich wohl aus der Relation zu dem „großen Hohenpriester“ Christus (Hebr 4,14
Immer wieder taucht Melchisedek in Aufzählungen von herausragenden Frommen des alten Bundes auf, was wohl durch die Paradigmenreihen der biblischen Überlieferung von → Jesus Sirach
Für die liturgische Commemoration hat man ausschließlich auf die HistMelch zurückgegriffen, weil sie die einzige zusammenhängende „Vita“ des Priesterkönigs bietet. In verschiedenen Kurzfassungen lässt sich ihr Text etwa im russischen Prolog oder im armenischen Synaxar nachweisen; die längere Ps-Athanasius-Fassung ist Teil der russischen Großen Lesemenäen geworden; in der koptischen und äthiopischen Literatur sind weitere liturgische Verwendungsweisen der HistMelch belegt. Für den Gedenktag des heiligen Melchisedek gibt es eine große Bandbreite an Festlegungen: 27.3., 17.4., 25.4., 22.5., 8.8., 16.8., 9.9.; in Rumänien fand im 19. Jh. das Gedächtnis Melchisedeks am Donnerstag in der fünften Woche der Fastenzeit statt (Böttrich, JSHRZ.NF II/1, 37-41).
7.5. Melchisedek in der sekundären Adam-Literatur
Ein eigentümliches Profil gewinnt die Melchisedek-Gestalt noch einmal in jener Gruppe christlicher Schriften, die man als „sekundäre Adam-Literatur“ bezeichnet (Stone, 1992). Besondere Bedeutung kommt dabei der syrischen Schatzhöhle (6. Jh.) zu, die einen großen Abriss der Heilsgeschichte zwischen den beiden Polen von Fall und Erlösung des Menschen entwirft (Bezold, 1883; Ri, 1987). Im Zentrum stehen das Geschick der Protoplasten, ihre Buße und der weitere Weg der urzeitlichen Menschheit.
Melchisedeks Geschichte erscheint hier als Teil der Überlieferungen zum Grab Adams. Als Adam stirbt, wird sein Leichnam zunächst in der Schatzhöhle, einer Art Sanctuarium der ersten Generation außerhalb des Paradieses, aufgebahrt. Sterbend noch hatte er seinen Sohn Seth beauftragt, ihn am Mittelpunkt der Erde zu bestatten – dort, wo er einst auch erschaffen wurde. Noah, zu dem dieser Auftrag schließlich in der Folge der Generationen gelangt, birgt Adams Leichnam in der Arche und beauftragt nach der Flut seinen Sohn Sem mit der Ausführung der Bestattung. Sem wählt daraufhin den noch jungen Melchisedek, den Sohn des Malach und der Jozadak, als Gefährten aus und begibt sich mit ihm und dem Leichnam Adams auf die Reise. Brot und Wein sind ihre Wegzehrung. Ein Engel geleitet sie bis nach Golgatha. Als sie den Leichnam Adams niederlegen, öffnet sich die Erde in Kreuzform und nimmt den Toten von selbst auf. Melchisedek aber wird nun von Sem zum Priester an diesem Ort, der als einsamer, wilder Berg vorgestellt ist, eingesetzt. Dort lebt er fortan nicht nur nach der Art eines Nasiräers, sondern bleibt auch sexuell enthaltsam; anstelle blutiger Opfer bringt er nur Opfer von Brot und Wein dar. Auf diese Weise wird er zum Diener des höchsten Gottes.
Dieses Bild Melchisedeks speist sich deutlich erkennbar aus zwei verschiedenen jüdischen Traditionslinien. Einerseits klingt hier noch die Identifikation Mechisedeks mit Sem an, auch wenn sie sich inzwischen zu einer Beziehung zwischen Lehrmeister und Schüler aufgelöst hat. Zum anderen sind in dieser Erzählung die Spuren der HistMelch zu erkennen, nur dass der „Berg“ jetzt Golgatha heißt und der verwilderte Nasiräer zugleich die Aufgabe hat, Hüter eines heiligen Ortes zu sein. Einer Bekehrung bedarf er nicht, da er ja aus der Linie der frommen Noachiden stammt. Sein priesterliches Amt ist letztlich durch den Auftrag Adams legitimiert und führt geradlinig auf dessen Erlösung durch das Blut Christi zu, der einst auf Golgatha gekreuzigt werden soll.
Als Ziehsohn Sems und Priester des Adam-Grabes auf Golgatha wird Melchisedek dann auch in einer Reihe von Schriften dargestellt, die sich an die Schatzhöhle anschließen. Das betrifft etwa das „Äthiopische Adambuch“ (7. Jh.), die „Annalen“ des Eutychios, des Patriarchen von Alexandrien (10. Jh.) oder das syrische „Buch der Biene“ des Metropoliten Salomon von Basra (1. Hälfte 13. Jh.). Unverkennbar verbindet sich damit nun auch das Anliegen, ein bestimmtes Bild des christlichen Priestertums zu etablieren.
7.6. Melchisedek in der christlichen Chronographie
Die christliche Chronographie, die sich dem Erbe der hellenistischen Universalgeschichte verdankt, setzt mit Sextus Julius Africanus (160/170-240) ein und erlebt bis in das 13. Jh. hinein eine beachtliche Blüte. Ihre wichtigsten Vertreter sind Johannes Malalas (490-570), das Chronikon Paschale (7. Jh.), Georgios Synkellos (um 810), Georgios Monachos bzw. Hamartolos (nach 876), Georgios Kedrenos (11./12. Jh.) oder Michael Glykas (1130-1200), deren Werke wiederum die Literatur der Byzanz benachbarten christlichen Völker nachhaltig beeinflussen.
Gemäß ihrem Anliegen, die Geschichte der Welt von ihrer Erschaffung bis in die Gegenwart hinein in einem großen, heilsgeschichtlichen Zusammenhang darzustellen, greifen die Chronographen die biblische Geschichte vor allem unter dem Vorzeichen menschheitlicher Weichenstellungen auf. Die Leerstellen in Gen 14
Ein aufschlussreiches Beispiel liefert das anonym überlieferte Chronikon Paschale, dessen Text im Jahr 628 abbricht. Auch Melchisedek erhält darin einen längeren Abschnitt (74,1-20; Migne, Patrologia Graeca 92, 176). Drei Elemente sind besonders auffällig. Zum ersten wird Melchisedek dem Noahsohn Ham und damit jener Linie der Menschheit zugeordnet, auf der Noahs Fluch liegt (Gen 9,18-27
Das Chronikon des Georgios Monachos (nach 876), das auch im slavischen Kulturkreis von großem Einfluss gewesen ist, widmet Melchisedek ebenfalls einen längeren Abschnitt (de Boor I, 2. Aufl. 1978, 100-104). Nun aber gilt alles Interesse seiner Herkunft und der Harmonisierung von Gen 14,18-20
Analogien zur chronographischen Tradition über Melchisedek finden sich auch in anderen Literaturbereichen. Den Entwurf einer Genealogie hatte schon die HistMelch unternommen, wenngleich auf der Basis eigenständigen Materials. Im Verlauf ihrer christlichen Rezeption und Überlieferung lässt sich dann der gleiche, völlig unbefriedigende Versuch einer Harmonisierung mit Hebr 7,3
Das Suda-Lexikon (Ende 10. Jh.) schließlich bietet unter dem Namen Melchisedek drei Einträge (544-546), die zum größten Teil wörtlich aus dem Chronikon des Georgios Monachos übernommen sind (Adler, 1967). Originell ist dabei die Bemerkung, Melchisedek sei „Priester nicht allein der Juden, sondern auch der Völker“ – eine Perspektive, die erst im 20. Jh. mit der Formel von Melchisedek als einer „Urgestalt der Ökumene“ wieder ganz neu eröffnet worden ist (Petuchowski, 1979).
7.7. Melchisedek in der Pilgerliteratur
Mit dem Aufkommen von Pilgerfahrten zu den heiligen Stätten erwacht auch ein Interesse an der Lokalisierung alttestamentlicher Ereignisse. Die ältesten Pilgerberichte vom 4. Jh. an (Donner, 2. Aufl. 2002) erwähnen Gen 14
Vom 10. Jh. an wird die Begegnung zwischen Abraham und Melchisedek dann in zahlreichen Pilgerberichten übereinstimmend an den → Tabor
Weit darüber hinaus gehen die Mitteilungen des russischen Igumen Daniil (1106/07) und des griechischen Mönchs Johannes Phokas (1177/85). In ihren Berichten, die sich ebenfalls auf die HistMelch beziehen, finden sich detaillierte Beschreibungen der Höhle Melchisedeks auf dem Tabor, die dabei als Ort fortgesetzten asketischen Lebens erscheint (Böttrich, JSHRZ.NF II/1, 43-44 und 140-142). Bis heute hat sich diese topographische Tradition in Gestalt einer kleinen Höhlenkirche erhalten. Vermutlich ist ihre Anlage in der Kreuzfahrerzeit entstanden; die gegenwärtige bauliche Struktur stammt aus dem 19. Jh. und wurde 1974 zuletzt instand gesetzt (Pringle, 1998, 83-85).
8. Melchisedek in der islamischen Literatur (Chr.B.)
Die islamische Rezeption der biblischen Geschichte zeigt an Melchisedek kein Interesse (Vajda, 1943-45; Gril 2000). Allerdings gibt es hier in der rätselhaften Gestalt des „Khidr“ (des „Grünen“) einige auffällige Analogien zu der rätselhaften Gestalt des Melchisedek (Franke, 2000). Khidr, der mit heiligen Stätten in Verbindung gebracht oder überhaupt als Symbol religiöser Autorität stilisiert wird, scheint weder an Raum noch an Zeit gebunden zu sein und trägt mitunter sogar Züge eines Engels bzw. einer Gestalt aus der Welt Gottes. Bei einigen islamischen Autoren ist es dann genau jener Khidr, der die Rolle Sems und Melchisedeks übernimmt und den Leichnam Adams am Mittelpunkt der Erde bestattet, was zumindest den Einfluss der auch in arabischer Übersetzung vorliegenden Schatzhöhle erkennen lässt.
9. Melchisedek in der Ikonographie (Chr.B.)
Die christliche Ikonographie konzentriert sich in ihrer Beschäftigung mit Melchisedek auf wenige Themen und Typen (Erffa, 65-71).
Die frühesten Darstellungen vom 5./6. Jh. an haben die Begegnungsszene zum Gegenstand, in der Abraham und Melchisedek meist als Anführer zweier Gruppen erscheinen; Brot und Wein in größeren Gefäßen lassen dabei auf ganz natürliche Weise eine Speisung assoziieren. Dieses Motiv wird dann vor allem von der Renaissance an favorisiert und zu volkreichen Genrebildern ausgebaut.
Daneben stehen Darstellungen, die ganz gezielt einen Bezug auf die Eucharistie herstellen. Auf dem berühmten Mosaik in St. Vitale zu Ravenna (6. Jh.) etwa sieht man Melchisedek und Abel auf beiden Seiten eines Altares stehen, wobei Melchisedek gerade das Brot im Gestus der Elevation präsentiert, während sich der Kelch sichtbar auf dem Altar befindet. Christologische und eucharistische Bezüge werden durch die Korrespondenz zu Szenen wie Isaaks Bindung, das letzte Mahl Jesu oder die Kreuzigung hergestellt – wie sie sich etwa auf dem Klosterneuburger Altar des Nikolaus von Verdun, in der Biblia Pauperum oder im Speculum humanae salvationis finden.
Den verbreitetsten Typos aber stellt die schlichte, aufrecht stehende Figur Melchisedeks als „rex et sacerdos“ dar, die in ihrer Gewandung sowie durch die beigefügten Attribute häufig auch den Einfluss der östlichen Kaiserideologie erkennen lässt. Als eine solche Einzelfigur hat Melchisedek Eingang in die Bildprogramme orthodoxer Kirchen ebenso wie gotischer Kathedralen gefunden.
Eine Besonderheit stellen Illustrationen zur HistMelch dar. Die ältesten Beispiele finden sich in drei Octateuch-Handschriften des 11. Jh.s, die eine identische Szene präsentieren: Im Vordergrund findet die Begegnung zwischen Abraham und Melchisedek statt; im Hintergrund ruft Abraham den verwilderten Melchisedek aus dem Gebirge heraus. Eine Handschrift der Tolkovaja Paleja von 1477 aus dem nordrussischen Pskov enthält zwei Miniaturen, deren eine sich als Modifikation jener Octateuchtradition verstehen lässt. Das Reimgedicht des Kreters Georgios Chumnos (16. Jh.) zur Palaea historica schließlich bietet in den drei erhaltenen Handschriften Illustrationszyklen mit bis zu 19 Bildern (Böttrich, JSHRZ.NF II/1, 47-51 und 145-154).
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Abbildungsverzeichnis
- Melchiedek als Lettnerfigur (Kloster Wechselburg, 13. Jh.). Aus: Wikimedia Commons; © Andreas Praefke, Wikimedia Commons, lizenziert unter CreativeCommons-Lizenz cc-by-3.0; Zugriff 24.5.2012
- Abraham und Melchisedek (Wenzel Hollar, 1607-1677).
- Das Opfer des Melchisedek (Pötting, Pfarrkirche zum Heiligen Kreuz; 19. Jh.). Aus: Wikimedia Commons; © Wolfgang Sauber, Wikimedia Commons, lizenziert unter CreativeCommons-Lizenz cc-by-3.0; Zugriff 24.5.2012
- Melchisedek als wilder Mann (Sinai Ms. 1187, 52v; 17. Jh.).
- Die Opfer Abels, Melchisedeks und Abrahams (Ravenna, San Apollinare in Classe, 6. Jh.).
- Die Opfer Abels und Melchisedeks (Ravenna, San Vitale, 6. Jh.).
- Höhlenkirche Melchisedeks auf dem Tabor. © M. von Nordheim-Diehl
- Begegnung am Tabor (Tolkovaja Paleja aus Pskov; 1477 n. Chr.).
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