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(erstellt: Januar 2006)

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Der Name der ägyptischen Göttin bedeutet vermutlich „Thron“. Das Schriftzeichen des Thrones ist häufigster Kopfschmuck neben dem Kuhgehörn mit Scheibe, das sie sich mit Hathor und anderen Göttinnen teilt.

Isis und Osiris. Isis gilt üblicherweise als Tochter des Erdgottes Geb und der Himmelsgöttin Nut, Schwester des → Osiris (zugleich ihr Gatte), des → Seth und der Nephthys und Mutter des → Horus, den sie von → Osiris nach dessen Tod empfing. Im Mythos um Osiris ist sie die wichtigste Akteurin, die dadurch zentrale Bedeutung für das ägyptische Königsdogma gewinnt. Dementsprechend ist sie bereits in den ältesten religiösen Texten, den sog. → Pyramidentexten, reichlich bezeugt, wo auch schon ihre Gleichsetzung mit dem Sternbild Sothis (später auf dessen Hauptstern Sirius reduziert) gut ausgearbeitet ist.

In griechisch-römischer Zeit wird sie endgültig zur dominanten Gestalt der ägyptischen Religion, die ihren Gemahl weit überschattet. Die Isismysterien nehmen dann einen missionarischen und tendentiell monolatrischen Zug an, der der älteren ägyptischen Religion fehlt. In dieser Form breitet sich der Isiskult in der gesamten antiken Welt sogar über die Grenzen des Imperium romanum hinaus aus und wird zu einem der erfolgreichsten Konkurrenten des Christentums.

Die Ausgestaltung der Isis als Allgöttin, die sich in den diversen Göttinnen aller Völker wie unter Decknamen offenbart, wird besonders in der Textgattung der Isisaretalogien gepflegt. Dabei handelt es sich um Selbstoffenbarungen der Göttin nach dem „Ich bin“-Schema. Mehrere solcher Texte sind überliefert, einer davon im Rahmen des „Goldenen Esels“ des Apuleius, dessen letztes Buch generell auch wegen der Schilderung der Weihezeremonien eine der bekanntesten schriftlichen Quellen zum römischen Isiskult ist. Noch bedeutender ist Plutarchs De Iside et Osiride, die vollständigste Quelle zur Mythologie dieser Gottheiten überhaupt. Wenig bekannt, aber ebenfalls sehr wertvoll durch die Qualität der Informationen ist schließlich Firmicus Maternus’ De errore profanarum religionum aus dem 4. Jh. n. Chr.

Wesentlicher Teil des Kultes um Isis und Osiris bereits in älterer Zeit sind rituelle Aufführungen des Mythos, bei denen besonders ausgewählte Priesterinnen Isis und Nephthys verkörpern und Klagegesänge an der Bahre des ermordeten Osiris vortragen. Diese bilden auch in den Isismysterien noch das Zentrum des Kultes. Im Unterschied zu den Praktiken der älteren Zeit erhöht sich nun jedoch der Anteil, den die Gemeinschaft der Initiierten nimmt, während früher offenbar nur eine begrenzte Anzahl von Offizianten an den „Mysterien“ aktiv partizipierte.

Mutterrolle. Neben ihrer Rolle als Gattin und Schützerin des Osiris ist besonders die Mutterrolle zu Horus von Relevanz für die praktisch ausgeübte Religion. Dem Mythos zufolge wird das Horuskind von Schlangen und Skorpionen gebissen und von seiner zauberreichen Mutter stets erfolgreich geheilt. Diese Konstellation machen sich zahlreiche medizinisch-magische Texte zunutze, die den Patienten in der Rolle des Horus der Göttin anempfehlen.

Zahlreiche Darstellungen zeigen Isis beim Stillen des vor ihr stehenden oder auf ihrem Schoß sitzenden Horusknaben. Letzteres Bildschema, das besonders in der Kleinplastik dominiert, dürfte die Entwicklung des christlichen Bildtyps der Gottesmutter mit Kind nachhaltig beeinflusst haben.

Schutzfunktion. Eine weitere wichtige Funktion der Isis besteht darin, zusammen mit Nephthys, Neith und Selqet die vier Horussöhne Imseti, Hapi, Duamutef und Kebehsenuef bzw. die diesen zugeordneten Organe Leber, Milz, Lunge und Darm des Verstorbenen zu schützen. Die Horussöhne selbst sind dabei ebenfalls Kinder der Isis, die nach einem Mythos von Horus vergewaltigt wurde. Spezifisch ist sie für Imseti (Leber) zuständig. Diese in älterer Zeit bedeutende Rolle tritt in den späten Ausprägungen des Kultes immer mehr zurück. Grund dafür dürften veränderte Bestattungsbräuche sein.

Ein besonders in der Römerzeit betonter Aspekt ist hingegen die Schutzfunktion der Isis für die Schifffahrt, die sich in ihrer Ikonographie im häufigen Halten eines Steuerruders ebenso niederschlägt, wie in Festen wie dem Navigium Isidis. Letzteres ist vermutlich eine Weiterentwicklung der bei ägyptischen religiösen Festen üblichen Barkenprozessionen auf dem Nil bzw. Schiffsfahrten auf den zu jedem Tempel gehörigen heiligen Seen.

In der Forschung wurde der Grad der Ägyptizität des Isiskultes in der griechisch-römischen Welt stark diskutiert und eine Zeit lang zurückgewiesen. Dieses Bild ist jedoch inzwischen zu revidieren. Tatsächlich lassen sich sowohl die Textzeugnisse, etwa die Aretalogien, als auch die archäologischen Zeugnissen in den Iseen der antiken Welt, sehr gut mit ägyptischem Material parallelisieren, sofern gewisse methodische Grundsätze beachtet werden. Einer der wichtigsten dabei ist, dass auch aus Ägypten spätes Vergleichsmaterial herangezogen wird, nicht Quellen, die mehrere Jahrtausende zuvor abgefasst wurden. Außerdem sollte das römische archäologische Material (etwa im Falle von Tierfiguren) stärker in seinen potentiellen ägyptischen Bedeutungen ernst genommen, statt lediglich als dekorative Ägyptomanie abgetan werden.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Paulys Real-Encyclopädie der classischen Alterthumswissenschaft, Stuttgart 1894-1972
  • Der Kleine Pauly, Stuttgart 1964-1975 (Taschenbuchausgabe, München 1979)
  • Lexikon der christlichen Ikonographie, Freiburg i.Br. 1968-1976 (Taschenbuchausgabe, Rom u.a. 1994)
  • Lexikon der Ägyptologie, Wiesbaden 1975-1992
  • Der Neue Pauly, Stuttgart / Weimar 1996-2003
  • Dictionary of Deities and Demons in the Bible, 2. Aufl., Leiden 1999
  • Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen, Leuven 2002-2003

2. Weitere Literatur

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  • Bricault, L., 2001, Atlas de la diffusion des cultes isiaques, Paris
  • Bricault, L., 2005, Recueil des inscriptions concernant les cultes isiaques, Paris
  • Burkard, G., 1995, Spätzeitliche Osiris-Liturgien im Corpus der Asasif-Papyri (Ägypten und Altes Testament 31), Wiesbaden
  • Dousa, T.M., 2002, Imagining Isis. On some continuities and discontinuities in the image of Isis in Greek Isis hymns and Demotic texts, in: Kim Ryholt (Hg.), Acts of the Seventh International Conference on Demotic Studies (CNI Publications 27), Kopenhagen, 149-184
  • Levlant, J. / Clerc, G., 1972-1991, Inventaire bibliographique des Isiaca 1-4 (Études préliminaires aux religions orientales dans l’empire romain 18), Leiden
  • Martinez Maza, C., 2000, Los antecedentes isiacos del culto a Maria, Aegyptus 80, 195-214
  • Merkelbach, R., 1995, Isis regina – Zeus Sarapis, Stuttgart / Leipzig
  • Münster, M., 1968, Untersuchungen zur Göttin Isis vom Alten Reich bis zum Ende des Neuen Reiches (Münchner Ägpytologische Studien 11), Berlin
  • Quack, J.F., 2002, Königsweihe, Priesterweihe, Isisweihe, in: J. Assmann / M. Bommas (Hgg.), Ägyptische Mysterien?, 95-108
  • Quack, J.F., 2003, „Ich bin Isis, die Herrin der beiden Länder“. Versuch zum demotischen Hintergrund der memphitischen Isisaretalogie, in: S. Meyer (Hg.), Egypt – Temple of the Whole World (FS J. Assmann), Leiden, 319-365
  • Quack, J.F., 2002, Zum ägyptischen Ritual im Iseum Campense in Rom, in: C. Metzner-Nebelsick (Hg.), Rituale in der Vorgeschichte, Antike und Gegenwart, Internationale Archäologie – Arbeitsgemeinschaft, Symposium, Tagung, Kongreß 5, Rahden (Westf.), 57-66
  • Žabkar, L.V., 1988, Hymns to Isis in her temple at Philae, Hanover, NH

Abbildungsverzeichnis

  • Isis mit dem Horuskind. Aus: Meyers Konversationslexikon, 4. Aufl. Leipzig 1885-1890, Art. Isis

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