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(erstellt: November 2012)

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Der Garizim (hebr. גְּרִזִים gərizîm; Koordinaten: 1759.1785; N 32° 12' 05'', E 35° 16' 24'') ist ein Berg bei → Sichem, der schon in vorisraelitischer Zeit religiöse Bedeutung hatte. Seit der persischen Zeit bildete er das religiöse Zentrum der → Samaritaner. Ihre Tempelanlage wurde 128 v. Chr. von dem → Hasmonäer Johannes Hyrkanus I. (135-104 v. Chr.) zerstört. In römischer Zeit stand auf dem Berg ein Zeustempel, in byzantinischer errichtete Kaiser Zenon auf ihm 484 n. Chr. eine Marienkirche. Im Alten Testament wird der Garizim nur in Dtn 11,29; Dtn 27,12 (Dtn 27,4); Jos 8,33 und Ri 9,7 erwähnt (vgl. auch 2Makk 5,23; 2Makk 6,2). Im Neuen Testament bezieht sich Joh 4,20 auf diesen Berg.

1. Geografische Bestimmung

Das „Gebirge Ephraim“ umfasst das westjordanische Bergland (vgl. 1Kön 4,8 aber auch Jos 17,15) etwa von der Breite von Bethel im Süden bis zur Jesreelebene im Norden. Es handelt sich um ein Kalksteingebirge, vorherrschend aus weichem Senon mit zahlreichen sanften Tälern und Mulden. Eine Hügelreihe verläuft nach Nordwesten bis an den Karmel, eine andere erstreckt sich bis an die Ebene von Jesreel. Im Zentrum des nördlichen Berglandes liegt die Ebene des alten Sichem / Tell Balāṭa (Koordinaten: 1768.1800; N 32° 12' 49'', E 35° 16' 55''); dort kreuzen sich die Nordsüdstraße auf der Wasserscheide des Gebirges und die Ost-West-Verbindung aus dem Jordangraben durch das Wādī Fār‘a über Sichem und Samaria zum Mittelmeer. Die Ebene von Sichem begrenzen die Berge Garizim (Ǧebel eṭ-Ṭōr; 881 m hoch), der südlich der Stadt Nablus liegt, und → Ebal (Ǧebel Islāmīje; Koordinaten: 175.182; N 32° 13' 59'', E 35° 16' 23''; 938 m hoch), der nördlich liegt.

Der Garizim ist ein massiger Gebirgsstock, der in Nord-Süd-Richtung läuft und dessen höchste Erhebung sich auf der südlichen Hälfte des breiten, langgezogenen Rückens befindet. Der Gipfel des Garizim senkt sich gegen Norden, um sich vor dem Abfall nach Nablus nochmals zu einer kleinen Kuppe, dem Râs kikis (Tell er-Râs; 845 m ü. N.N.), zu erheben.

Der Zugang zum Berg erfolgt von Nablus durch ein Tal der Westseite oder vom Riǧāl el Amūd, der alten Steintreppe. Am Nordostfuß des Garizim befindet sich der Jakobsbrunnen. In diesem wasserreichen, mit Gärten gefüllten Tal liegt die arabische Stadt Nablus, deren Name aus Flavia Neapolis entstanden ist. Das heutige Nablus, das sich in nächster Nähe zum alten Sichem befindet, nimmt eine zentrale Bedeutung in der Region ein.

2. Garizim und Sichem in der Bronzezeit

Eine auch aus der Bibel und aus der hellenistischen Zeit bekannte Stadt, in einer Ebene gelegen, ist Sichem. Im 2. Jahrtausend v. Chr. gelang es den Ägyptern des → Neuen Reiches, das Land in wechselvollen Kämpfen zu erobern und zu beherrschen. Ägyptische Truppen wurden in kanaanäischen Städten und Herrschaftsgebieten stationiert. Dabei knüpften die Ägypter wohl auch hier an die Tradition des heiligen Berges und Ortes an: Papyrus Anastasi 1,18 spricht von einem „Berg von Sekem“. In vorisraelitischer Zeit besaß der Garizim im Umfeld Sichems aufgrund von Megalithen kultische Bedeutung. Die Berge Garizim und Ebal wurden anscheinend schon sehr früh kultisch beachtet.

3. Garizim im Alten Testament

3.1. Dtn 27,4.12. Bereits das Alte Testament spiegelt das Werden des Judentums und des Samaritanertums. Nach der Darstellung des Buchs → Deuteronomium gebot → Mose vor dem Übergang über den → Jordan einem Teil des Volkes, nämlich den Stämmen Simeon, Levi, Juda, Issachar, Josef und Benjamin, sich zum → Segen auf dem Garizim aufzustellen, und einem anderen Teil, nämlich Ruben, Gad, Asser, Sebulon, Dan und Naftali, sich zum → Fluch auf dem Ebal hinzustellen (Dtn 27,11-14; vgl. auch Flavius Josephus, der ausführlich von dieser Tradition berichtet, Antiquitates IV 8, 44; Text gr. und lat. Autoren). Dabei sollen die Leviten zu allen Männern Israels sprechen. Fluch und Segen führen die Bedeutung der Tora vor Augen. Mose befiehlt, bei der Landnahme den Segen auf den Berg Garizim und den Fluch auf den Berg Ebal zu legen (Dtn 11,29). In Dtn 27,4f werden Altar und große Steine auf dem Ebal aufgerichtet. Diese Steine sollen mit Kalk übertüncht und mit allen Worten des Gesetzes beschrieben werden. Der Samaritanus liest aber in Dtn 27,4 Garizim statt Ebal (vgl. Vetus Latina). Diese Lesart dürfte ursprünglich sein, während der geänderte masoretische Text den Garizim als Kultort disqualifizieren soll.

3.2. Jos 8,33.Josua versammelte zwischen Garizim und Ebal, der Anordnung des Mose folgend, die zwölf Stämme, um das Volk zu segnen und den Fluch zu sprechen. In Jos 8,30-35 lässt Josua auf dem Ebal einen Altar bauen (vgl. Flavius Josephus [Antiquitates V, 1, 19], der die jüdische Tradition hervorhebt). Der deuteronomistische Verfasser hat ein deutliches Bewusstsein davon, dass mit Josua eine heilsgeschichtliche Epoche des Handeln Jahwes zu Ende ging. Deshalb kommen hier Altarbau und Verkündigung der Tora zentrale Bedeutung zu. Der Kult hebt die Bedeutung der Tora hervor. Die Existenz Israels ergibt sich aus der Einhaltung der Tora. Einhaltung oder Nicht-Einhaltung der Tora bedeuten Segen oder Fluch. Hier erfolgt auch eine Abschrift des Gesetzes Moses.

3.3. Dtn 11,29. Infolge des religiös-politischen Gegensatzes, der bereits in der masoretischen Tradition von Dtn 27,4 sichtbar wird, wurde auch versucht, Ebal und Garizim nicht in Samaria, sondern am Jordan bei Gilgal zu verorten: Die (sekundäre) Erläuterung zu Dtn 11,29 unterstreicht diese Sichtweise in Dtn 11,30, die schon auf die beginnende Trennung von Juden und Samaritanern schließen lässt.

3.4. Genesis. Die Traditionen des Sichem / Nablus-Kreises in der → Genesis beziehen sich auf den Patriarchen → Jakob (Gen 33), aber auch auf → Josef und seine Brüdern, auf → Eleasar, wie überhaupt auf die Söhne → Aarons. Jakob hinterließ das bei Sichem erworbene Land seinem Lieblingssohn Josef. Josef vergaß dieses Erbe in Ägypten nicht und nahm, bevor er starb, seinen Brüdern den Eid ab, ihn auf seinem Acker bei Sichem zu bestatten. Als seine Nachkommen nach vielen Jahren mit Josua in das verheißene Land zogen, begruben sie Josefs Gebeine auf dem Grundstück, das den Nachkommen Josefs gehörte (Jos 24,32).

3.5. Ri 9,7ff. Der Garizim findet weiterhin Erwähnung im Rahmen der Jotam-Fabel in Ri 9,7ff, wo sich Jotam auf dem Berg Garizim positioniert, um seinen männermordenden Bruder → Abimelech zu kritisieren (→ Jotam; → Fabel). Abimelech geht in seinem Streben nach Macht über das erlaubte Maß hinaus und wird vom Garizim her scharf kritisiert (Ri 9,23).

3.6. Makkabäerbücher. Schließlich ist noch auf die Erwähnungen des Garizim in 1Makk 5,23 und 1Makk 6,2 hinzuweisen: Entsprechend dem archäologischen Befund aus hellenistischer Zeit werden hier die Residenz des seleukidischen Generals Andronikus und der Tempel selbst, der in Zeus Xenios umbenannt worden sei, erwähnt. Da hier jeweils Jerusalem als paralleler Referenzort Judäas genannt wird, legt sich auch in dieser Perspektive eine hervorragende Bedeutung des Garizim als Ort politischer und religiöser Betätigung nahe.

4. Bedeutung des Garizim für die Samaritaner

Nach samaritanischer Tradition erbaute → Abraham auf dem Berg Garizim einen Altar (vgl. Gen 12,7f), liegt → Bethel, wo Gott → Jakob im Traum begegnete, auf diesem Berg und empfing → Mose dort die Anweisung zum Bau der Stiftshütte, die zunächst dort auch gestanden habe und am Ende der Zeit wieder dort stehen soll (vgl. Josephus, Antiquitates XVIII, 4, 1f).

Das Heiligtum selbst geht nach samaritanischer Tradition auf Josua zurück. Als „Berg des Segens“ gilt der Garizim auf dem Josua die zehn Steine errichtete, auf die er das Gesetz schrieb (vgl. Jos 4,20). In Ex 20,17 und Dtn 5,22 findet sich im Samaritanischen Pentateuch die 10. Weisung, auf dem Garizim einen Altar zu bauen. Die Zahl „zehn“ bleibt dadurch erhalten, dass das 9. und 10. Gebot zusammengefasst wurden. So wurde auch die Bedeutung des Berges Garizim als ein heiliger Berg hervorgehoben. Hier auf diesem Berg darf der Segen gesprochen und angebetet werden. So war es für die Samaritaner selbstverständlich, ihren Tempel auf dem Berg Garizim in nachexilischer Zeit zu errichten. Heute leben etwa 700 Samaritaner in zwei Gemeinden in Kiryat Luza auf dem Garizim und in Neve Marqe einem Vorort von Tel Aviv.

5. Archäologischer Befund auf dem Garizim

5.1. Die älteren deutschen und amerikanischen Grabungen

Der deutsche Archäologe → Ernst Sellin begann 1913/14 auf dem Tell Balāṭa (Koordinaten: 1768.1800; N 32° 12' 49'', E 35° 16' 55''), der Stätte des biblischen → Sichem sozusagen am Fuße des Garizims, mit ersten Grabungen, die er 1926 fortsetzte und 1934 abschloss. 1959-1962 führten weitere Forschungen der amerikanischen Drew-McCormick-Expedition unter G. Ernest Wright (Harvard-Universität), zu genaueren Erkenntnissen. Auch auf dem Garizim, dem Tell er-Râs wurde mit Grabungen begonnen und ein römischer Tempel im griechischen Stil freigelegt.

5.1.1. Das byzantinische Kastell

Die deutschen Grabungen auf dem Garizim begannen schließlich 1928 durch A.M. Schneider und wendeten sich dem Zentralbereich (881 m) zu. Im Mittelpunkt des Interesses stand ein festungsartiger Bau. Folgende Ergebnisse ließen sich konstatieren: Das Castrum erwies sich als ein Rechteck von 73,35 x 62 m Seitenlänge, mit einem Turm an jeder Ecke und in der Mitte der Nord- und der Südmauer. Die Zugänge zur Festung, die als eine byzantinische anzusehen ist, befinden sich in den mittleren Türmen der Nord- und Südseite. Über dem Nordost-Eckturm ließ Saladin ein Heiligengrab, den Weli des befreundeten Scheich Abū Ġanem, erbauen.

5.1.2. Die byzantinische Marienkirche von Kaiser Zenon (484 n. Chr.)

Die Ausräumung der Festung geschah im August 1928 und legte eine byzantinische Kirche frei. Die Kirche erwies sich als ein oktogonaler Bau von 37 m Länge und 30 m Breite mit innerer Pfeiler- und Säulenstellung und Kapellen an vier Seiten. Die Weite des Kuppelraumes beträgt 12,8 m.

Der Architekt der Theotokoskirche auf dem Garizim – der Name Theotokos bezeichnet Maria als „Gottesgebärerin / Gottesmutter“ und spiegelt die dogmatischen Auseinandersetzungen der Zeit – ließ die achteckige Form des Grundplans nach außen sichtbar werden; an die Außenseiten des Oktogons wurden vier kleine einschiffige Kapellen mit Apsiden am einen Ende angelehnt und dazwischen drei Vorhallen als Narthex nach dem Muster der byzantinischen Basiliken angeordnet. Die Kuppel über dem inneren Ring ruht auf 14 Säulen zwischen 8 Pfeilern; die beiden Pfeiler gegenüber der Apsis machten einer Öffnung Platz.

Die Kapellen spannen sich wie ein Ring um das Oktogon und werden vom Hauptraum oder vom Narthex aus betreten. Die Maße der Kapellen sind verschieden: Die Kapellen am Chor sind 8 m lang und 3 m breit, die beim Narthex 6,6 m lang und 3,8 m breit.

Garizim 07

Der Haupteingang befindet sich im Westen und je ein Nebeneingang im Norden und Süden. Die Pfeiler rechts des Chores wurden nachträglich verstärkt und, nach Fundamentresten zu urteilen, auch die Pfeiler links. Die Haupt-Apsis springt rechteckig aus dem Oktogon heraus. An den Seiten befindet sich je ein rechteckiger, von außen zugänglicher Raum. Der Marmorfußboden ist an einigen Stellen nahe den Wänden noch erhalten, vom Bodenbelag des Mittelraumes ist aber nichts mehr zu sehen.

Der Boden war mit Mosaiken aus bunten Marmorkuben bedeckt. Sie zeigen geometrische Muster und sind nur in Fragmenten erhalten. Beschädigte Stellen wurden mit Marmorplatten ausgeflickt. Die Apsiden trugen Glasmosaike, wie zahlreiche bunte und goldene Glaskuben nahelegen, die am Boden der Apsiden gefunden wurden. Spuren von Bodengräbern wurden entdeckt.

Der Mörtel der Kirche ist feiner als der des Castrum, welcher groben Sand, Kies, Holzkohle und durchgehend größere Ziegelbrocken enthält. Das Castrum wurde unter Justinian in der byzantischen Ära erbaut, um die christliche Bevölkerung in den bürgerkriegsähnlichen Zuständen zu schützen.

Die Tauf- oder Denkmalskapelle entwickelte sich in Syrien bis ins 6. Jh. n. Chr. zu einem runden oder oktogonalen Zentralbau. Eine Umwandlung dieser Bauform setzte in dem Augenblick ein, als mit dem Einzug des liturgischen Gottesdienstes auch der Rundraum die Aufgabe eines Versammlungshauses übernahm. In Anlehnung an die Basilika wird der Kirchenraum nicht nur durch einen Rundraum gestaltet, sondern auch bald durch Narthex und Nebenräume erweitert.

Aus dieser neuen Verwendung ergibt sich eine Umgestaltung der alten Taufkapelle. Im Heiligen Land und Syrien sind aber datierte Bauten der neuen Art bisher nicht vor dem 5. Jh. nachzuweisen. In Israel ist dieser Bautypus in ausgebildeter Form durch die Rundkirche von → Bet-Schean und die Theotokoskirche des Kaisers Zenon von 484 auf dem Garizim und im Ostjordanland durch die Johanneskirche in Gerasa und die Kathedrale von Bosra vertreten.

Die Theotokoskirche wurde noch vor 491 v. Chr., dem Todesjahr des byzantinischen Zeno, fertiggestellt. Für den Zusammenhang der Kirche auf dem Garizim mit der stadtbyzantinischen Baukunst sind die korinthischen Kapitelle wichtig, die in Schnitt und Behandlung des Akanthusblattes den Kapitellen vom Goldenen Tor in Konstantinopel ähnlich sind. Die ornamentale Komposition greift auf das antike Mosaik der Antoninenzeit zurück, in dem die Achtecke mit Figurenbildern gefüllt wurden.

Nach der Zerstörung der Kirche durch die Araber wurden noch einmal einzelne Teile, so der Chor, der eine neue Schwelle und Sitzbänke an den Seitenwänden erhielt, sowie die Kapelle rechts vom Narthex in Stand gesetzt und weiter benutzt. Da das Kastell erst Anfang des 9. Jh.s zerstört wurde, ist die Restaurierung zu einem späteren Datum anzusetzen. Ein zimmerartiger Einbau im Narthex ist etwa in die Mitte des 10. Jh.s zu datieren. Doch auch diese letzten Reste der Kirche fielen den Ereignissen dieses Jahrhunderts mit der Auflösung des abbasidischen Reiches und den Kämpfen mit den Byzantinern, die sogar wieder Galiläa erreichten, zum Opfer. Die Zerstörenden vermuteten offenbar an den Altären Kostbarkeiten, da diese Stellen besonders aufgerissen wurden. Die Kirche diente fortan als Steinbruch, so dass die fehlenden Architekturglieder als verschleppt anzusehen sind.

5.2. Die neueren israelischen Grabungen: Die Stadt der hellenistischen, römischen und byzantinischen Zeit

Die Ausgrabungen des Berges Garizim wurden von Izak Magen ab 1983 wieder aufgenommen und neue Ausgrabungspläne erstellt. Die Aufmerksamkeit galt nun nicht mehr den Baulichkeiten unterhalb des Berggipfels, sondern denen auf dem Bergkamm selbst. Dabei wurde an die Ergebnisse der ersten Ausgrabung angeknüpft. Die Forschung galt nun den tieferen, älteren Schichten. Neue Erkenntnisse wurden gewonnen.

Es wurde eine befestigte Stadt der hellenistischen Periode mit einem Areal von ungefähr 100 Ar auf der höchsten Erhebung zum Teil unter dem Bauschutt der byzantinischen Zeit gefunden. Es konnte festgestellt werden, dass die Stadt in vier Wohnviertel: im Norden, Westen und Süden innerhalb der Stadtmauer und ein großes Quartier im Nord-Westen außerhalb der Stadtmauer unterteilt war. Die östliche Verschüttung des Kamms war sehr steil, während die Verschüttungen im Süden, Norden und Westen als mäßig anzusehen waren. An der südlichen Verschüttung wurde eine solide Stadtmauer mit Fort und Turm gefunden.

Nach langwierigen und schwierigen Ausgrabungen wurde der sogenannte Ost-Wall freigelegt, der sich vom Nord- bis zum Süd-Tor erstreckt. Parallel zu diesem Ost-Wall wurde im Inneren der Befestigung eine gepflasterte Straße gefunden. Der nördliche Bezirk weist einen Wall auf, der im Bereich des Nord-Turmes zu erkennen ist. Der Weg durch das Nord-Tor führt zum römischen Tempel und den öffentlichen Gebäuden und dann schließlich durch ein Tal der Westseite oder vom Riǧāl el Amūd nach Nablus. Dieses Tor wird der spätrömischen Zeit zugeordnet. Die Straßen dieses Bezirks waren mit sorgsam behauenen Steinen ausgelegt. Die Gebäude gehören der byzantinischen Periode an. Bei den Ausgrabungen in diesem Bereich wurden Münzen, Töpferwaren und architektonische Elemente wie Kapitelle und Steinkreuze gefunden. Auch wurde ein großes Wasserbassin entdeckt, das offensichtlich als Zisterne verwendet wurde.

In diesem Nord-Quartier liegt Areal T nördlich der Überreste der byzantinischen Kirche mit ihren Befestigungen. In diesem Areal T wurde ein Gebäude mit einer Höhe von über 4 Metern entdeckt. In der 1. Phase handelte es sich wohl um einen Wohnraum, hier wurde eine Steinwanne gefunden, in der 2. Phase war der Raum mit einer Ölpresse ausgestattet. Diese Ölpresse wurde mit Sockel, Fundamenten, gepflastertem Bassin für das Öl und großen Pressgewichten freigelegt. Der Nordbezirk wurde offensichtlich intensiv genutzt und den Gegebenheiten der Zeit angepasst. Davon zeugen Metallwaren, Geschirr, Lampen und über 100 Münzen. Zusätzlich wurden samaritanische Opfersteine aus dem Mittelalter, errichtet auf kleinen, unbehauenen Steinen, entdeckt.

Das Hauptgebäude in diesem Areal umfasst die Maße 16 x 25,5 m und ist von Norden nach Süden ausgerichtet. Der Eingang liegt im westlichen Hauptteil. Ein Korridor führt zu einem zentralen Hof. Der Hof ist mit unbehauenen Steinen bepflastert. Der Ost-Flügel enthält zwei Räume, im Süden wurde ein großer Raum entdeckt. Es dürfte sich hier um ein Triklinium handeln. In der Nähe wurden eine große Zisterne und eine Treppe, die zum zweiten Stockwerk führt, freigelegt. In diesem zweiten Stockwerk gab es offensichtlich eine Reihe von Räumen. In dem Gebäude wurde eine dicke Aschenschicht gefunden, die Töpfergeschirr und Werkzeuge enthielt.

Dieser nördliche Teil scheint lange bewohnt gewesen zu sein. Konstantinische und spätere Münzen, zahlreiche Reste von byzantinischer Keramik des 4. bis 6. Jh.s und koptisch-arabische Schreiben aus dem 8. und 9. Jh. n. Chr. wurden hier gefunden. Erkennbar sind jetzt noch Mauerzüge ohne Zusammenhang, gepflasterte Terrassen und bessere Innenhöfe, meist mit Zisternen, die überhaupt in großer Anzahl über das ganze Plateau verstreut sind. Am Abfall ist eine dicke Mauer, vielleicht eine Stadtmauer, zu erkennen.

Ein wenig vom heiligen Bezirk entfernt, wurde Areal P freigelegt, das sich zur westlichen Seite erstreckt. Hier wurde ein Gebäude entdeckt, das als P1 bezeichnet wird, aus hellenistischer Zeit stammt und im südlichen Teil sieben Treppen enthält. Diese Treppen wurden aus langen Steinen gefertigt. Zwischen diesen Steinen sind Reste von Pflasterungen zu erkennen. Östlich der Treppen erstreckt sich ein offener Platz von 8,5 x 7,5 m, der wahrscheinlich für Versammlungen genutzt wurde. Ein wenig nördlich dieser Baulichkeiten sind die sogenannten „Zwölf Steine“ zu finden, die aufgrund ihrer Bearbeitung der hellenistischen Zeit zuzuordnen sind. Es könnte sich hier um Teile der Baulichkeiten des Heiligen Bezirks der Samaritaner handeln, die den eigentlichen Opferbezirk umfassten und die viele Stürme der Zeit mit ihren erheblichen Zerstörungen überdauerten.

Es wurde lange diskutiert, wo denn nun der heilige Ort der Samaritaner zu lokalisieren sei. Daher wurde nun genauer zwischen den Baulichkeiten des römischen Tempels oberhalb der Stadt und denen auf dem Gipfel des Berges differenziert. Die Byzantiner erbauten nach der Zerstörung des samaritanischen Heiligtums durch den → Hasmonäer Johannes Hyrkanus 128 v. Chr. die Theodotoskirche an der Stelle des ehemaligen samaritanischen Heiligtums. Der Heilige Bezirk gehört zum Zentrum dieser Stadt und ist durch eine Umfassungsmauer von über 120 m von den anderen Bezirken abgetrennt.

Areal K liegt außerhalb der eigentlichen Stadtmauer im Nord-Westen. Die heutige Opferstätte der Samaritaner liegt in diesem Bereich. Areal K umfasst einen großen Gebäudekomplex mit Wohnquartieren. Drei Häuser mit Aschenschicht wurden freigelegt. Die typische Bauform mit einem zentralen Hof ist zu erkennen, die in Planung, Konstruktion und Stil mit den Arealen A und T identisch ist. Jedoch unterscheiden sich diese Häuser von den anderen Bereichen durch ihre mindere bauliche Qualität.

Über die Hälfte der Münzfunde stammen aus der Zeit des Johannes Hyrkanus. Auch Münzen aus der Zeit Alexander Jannäus wurden gefunden, die darauf schließen lassen, dass sich hasmonäische Truppen auf dem Tempelberg befanden. Hinzu kommen 1 Münze aus der persischen Zeit, 4 aus der ptolemäischen, 34 aus der Antiochos’ III., 21 aus der Antiochos’ IV., 2 aus der Alexander Balas’, 1 aus der Demetrius’ II. Nicator, 4 aus der Antiochos’ VI., 4 aus der Alexanders II. Zabina und 3 aus der Alexanders VIII.

Schließlich sind die Inschriftenfunde zu erwähnen, die die Ausgrabungen von I. Magen zutage förderten. Neben den griechischen Inschriften aus Delos (2. Jh. v. Chr.) geben nun ca. 400 weitere hebräische und aramäische Inschriftenfragmente Zeugnis von der samaritanischen Religion und ihrem Kultzentrum auf dem Garizim.

Das von den Hasmonäern 128 v. Chr. zerstörte Heiligtum konnte trotz mehrerer Versuche der Samaritaner nie mehr aufgebaut werden und dies bewirkte einen tiefen Hass zwischen Samaritanern und Juden, der zu keiner Einheit mehr kommen ließ. Die Trennung zwischen dem Jerusalemer Judentum und dem Garizimer Samaritanertums dürfte in der Zeit der Hasmonäer vollzogen worden sein.

Insgesamt ist festzuhalten, dass der seit der persischen Zeit auf dem Hauptgipfel des Garizim angelegte Kultbezirk der Verehrung Jahwes diente und dem Jerusalemer Heiligtum entsprach. Synkretistische Praktiken konnten nicht festgestellt werden.

Literaturverzeichnis

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Abbildungsverzeichnis

  • Karte zur Lage des Garizim. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
  • Garizim (rechts) und Ebal (links; Blick von West nach Osten). Aus: Wikimedia Commons; © Asad112, Wikimedia Commons, lizenziert unter CreativeCommons-Lizenz cc-by-3.0; Zugriff 23.11.2012
  • Der Garizim. Aus: Wikimedia Commons; © Uwe a, Wikimedia Commons, lizensiert unter CreativeCommons-Lizenz cc-by-1.0 US-amerikanisch; Zugriff 23.11.2012
  • Die Rückseite einer Bronzemünze mit dem Tempel auf dem Berg Garizim (Zeit des Antonius Pius, 138-161 n. Chr.). © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
  • Grundriss des byzantinischen Kastells. Aus: Schneider (1951), Abb. 1
  • Grundriss der byzantinischen Theotokoskirche. Aus: Schneider (1951), Abb. 2
  • Die Theotokoskirche im Zentrum des Kastells (Blick auf den nordöstlichen Eckturm). Mit Dank an © Oliver Gußmann; Foto 2010

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