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Erstlinge / Erstgeburt

(erstellt: März 2015)

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1. Terminologie

Das hier zu verhandelnde Thema findet sich im Alten Testament unter verschiedenen Termini, z.T. entspricht der uneinheitliche Sprachgebrauch wohl auch der fehlenden Systematisierung der Sachverhalte (Rendtorff 109f). Grundsätzlich haben wir es mit in den Texten vollkommen positiv besetzten Begrifflichkeiten zu tun, die sich entsprechend auch für eine sekundäre Theologisierung angeboten haben. Die Terminologie im Deutschen ist allerdings nicht einheitlich. Der folgende Artikel redet im Prinzip von Erstlingen im Sinne von Erstlingsfrüchten bei Pflanzen, von Erstgeburten bei Tieren und von Erstgeborenen bei Menschen.

1.1. „Erstlinge“ (בִּכּוּרִים), „Erstgeburt / Erstgeborener“ (בְּכוֹר)

Die hier interessierenden Sachverhalte werden im Hebräischen eindeutig nur auf der Basis der seltenen Wurzel בכר bkr, in der Grundbedeutung „früh sein“ (Lev 27,26; Dtn 21,16; Jer 4,31; Ez 47,12), ausgedrückt: Es geht um die בִּכּוּרִים bikkûrîm „Erstlinge“ (immer pluralisch) bei Pflanzen und um den בְּכוֹר bəkhôr „Erstgeborener / Erstgeburt“ bei Menschen und Nutztieren. Dazu kommt das seltene Femininum בְּכִירָה bəkhîrāh „Erstgeborene“ bzw. „ältere Schwester“ (nur Gen 19,31.33.34.37; Gen 29,26; 1Sam 14,49) und das Abstraktum בְּכֹרָה bəkhorāh „Erstgeburtsrecht“ (Gen 25,31.32.33.34; Gen 27,36; Gen 43,33; Dtn 21,17; 1Chr 5,1.2). Außerdem hat das heiß ersehnte erste Obst des Jahres, die Frühfeige, mit בִּכּוּרָה bikkûrāh einen eigenen Namen, anderes Frühobst, aber auch die Frühfeige (Nah 3,12) wird mit dem pluralischen בִּכּוּרִים bikkûrîm in Verbindung mit der Obstsorte gebildet (vgl. Num 13,20: „Erstlinge der Weintrauben“).

1.2. „Erster“ (רֵאשִׁית)

Die Erstlingsfrüchte von Feld, Garten und Baum und seltener die Erstgeborenen von Menschen (Gen 49,3; vgl. Dtn 21,17; Ps 78,51; Ps 105,36; Jer 2,3) können auch mit dem Wort רֵאשִׁית re’šît bezeichnet werden. In Analogie zum „Zehnten“ könnte man, wenn es um die Abgabepflicht der Erstlingsfrüchte geht, auch von dem „Ersten“ oder dem „Erst“ sprechen, beide Termini stehen in 2Chr 31,5 miteinander im Zusammenhang. רֵאשִׁית re’šît kann als „Erstes“ auch das „Beste“ bezeichnen, manchmal aber auch nur das „Beste“, ohne das „Erste“ zu sein (z.B. 1Sam 15,21). Die Übersetzungen zeigen zu Recht Unsicherheiten (vgl. Spr 3,9; 1Sam 2,29; Am 6,6). Das Wort ist also nicht eindeutig, weil ein enger Zusammenhang zwischen „Erster Sein“ und „Bester Sein“ besteht. Bei Doppelsetzung von רֵאשִׁית re’šît „Erster“ und בִּכּוּרִים bikkûrîm „Erstlinge“ in einer Constructusverbindung sind die „besten“ und / oder die „allerersten“ Erstlingsfrüchte gemeint (Ex 23,19; Ex 34,26; Ez 44,30), also eine Teilmenge der Erstlingsfrüchte. Wenn רֵאשִׁית re’šît „Erster“ und בִּכּוּרִים bikkûrîm „Erstlinge“ nebeneinander auftauchen (Lev 2,12.14; Lev 23,10.17.20; Num 18,12.13; Neh 10,36.38), besteht oft weiterer Klärungsbedarf; gerne wird dann zwischen unverarbeiteten Früchten (בִּכּוּרִים bikkûrîm) und verarbeiteten Früchten (רֵאשִׁית re’šît; → Brot, Gebäck, Sirup) unterschieden, doch ist das in den Texten nicht konsequent so gehandhabt. Auch ob in Num 15,20f vom Erstling des Teigs oder des Mehls die Rede ist, ist kaum zu klären (Seebass 133), ähnlich dann Neh 10,38 und Ez 44,30. Immerhin ist offensichtlich, dass Abgaben vom Ersten der Ernte in roher, aber auch in verarbeiteter Form vorkamen. Das → Deuteronomium benutzt nur רֵאשִׁית re’šît (Dtn 18,4; Dtn 26,2.10), nicht aber בִּכּוּרִים bikkûrîm. In Dtn 18,4 besteht die Erstlingsgabe sogar aus der ersten Wolle vom Schaf, ist also nicht vegetabil.

1.3. „Erstdurchbruch des Mutterschoßes“ (פֶּטֶר־רֶחֶם)

Für menschliche und tierische Erstgeburten (bei Nutztieren) ist wegen der appositionellen Stellung zu בְּכוֹר bəkhôr „Erstgeburt / Erstgeborener“ in Ex 13,2 der Terminus פֶּטֶר־רֶחֶם pæṭær-ræḥæm „Erstdurchbruch des Mutterschoßes“ ein z.T. austauschbarer Begriff, dazu findet sich in Num 8,16 die Femininform פִּטְרַת־רֶחֶם piṭrat-ræḥæm. Freilich bezieht sich פֶּטֶר־רֶחֶם pæṭær-ræḥæm „Erstdurchbruch des Mutterschoßes“ definitiv nur auf die gebärende Mutter, nicht auf den Vater. Die Formulierung ist außerdem grundsätzlich geschlechtsneutral, unterscheidet also nicht zwischen männlichen und weiblichen Erstdurchbrüchen, vgl. insbesondere Num 18,15 und Ez 20,16. Selbst in Ex 13,2 könnten die Termini „Erstgeborener“ wie zuweilen „Söhne (Israels)“ (vgl. Ex 34,20) sogar rein theoretisch inklusive Sprache sein, also männliche wie weibliche Erstgeborene erfassen; das Gleiche ist in Num 3,12 und Num 8,16 denkbar. Nur im Einzelfall wird ein klärendes „männlich“ hinzugefügt (vgl. Ex 13,12.15; Ex 34,19, wo es allerdings textliche Probleme gibt; Dtn 15,19).

2. Erstlinge / Erstlingsfrüchte und Abgaben

Das Erste und Beste von allem gehört aus religiöser Perspektive natürlich JHWH, als Dank für die Fruchtbarkeit des Bodens, weswegen die Rede von vegetabilen Erstlingen bzw. Erstlingsfrüchten fast durchgehend in kultischen Zusammenhängen auftaucht, auch in umliegenden Kulturen.

Die zentralen biblischen Texte zur Behandlung der Erstlinge bzw. Erstlingsfrüchte mit dem Terminus בִּכּוּרִים bikkûrîm stehen in der Tora: im → Bundesbuch in Ex 23,16.19, im Privilegrecht (→ Recht) in Ex 34,22.26, in der Regelung zu Speiseopfern in Lev 2,14, im → Heiligkeitsgesetz in Lev 23,17.20 und in der Abgabenordnung zugunsten der → Priester und → Leviten in Num 18,13, mit dem Terminus רֵאשִׁית re’šît außerdem in Lev 2,12; Lev 23,10; Num 18,12; Dtn 18,4; Dtn 26,2.10.

Der wohl älteste, sicher vorexilische Text findet sich in Ex 23,19 und dem damit vollkommen identischen Ex 34,26: Der Text legt ohne nähere Angaben fest, dass die ersten Früchte der Getreideernte („deines Feldes“; nach Ex 23,16: vom „Gesäten“; nach Ex 34,22: vom „Weizen“) dem Tempel zustehen. Nähere Datierungen oder Quantifizierungen werden nicht vorgenommen, aber es ist im Blick auf Landwirtschaft und Vegetation klar, dass es sich um das Frühjahr handelt. Ex 23,16 wie Ex 34,22 präzisieren, dass diese Abgabe beim zweiten jährlichen Wallfahrtsfest geleistet werden muss. Dieses heißt in Ex 23,16 noch allgemein „Erntefest“, in Ex 34,22 hingegen bereits „Wochenfest“ (Schavuot). Der wohl gegen Ex 23 etwas später formulierte Festkalender (→ Fest) des Deuteronomiums hat zwar auch ein „Wochenfest“ (Dtn 16,9-12) und datiert es genauer (sieben Wochen nach Pessach bzw. nach Erntebeginn), identifiziert aber die dort zu leistende „freiwillige Abgabe“ „entsprechend dem göttlichen Segen“ nicht terminologisch mit „Erstlingen“ bzw. „Erstlingsfrüchten“. Der nachexilische Festkalender in Lev 23,9-22 hat zwei Erstlingsfeste: das erste, das Omer-Fest, mit dem Schwingen der ersten Garbe vom Getreideschnitt, dann wohl der frühen Gerste (Lev 23,10 mit רֵאשִׁית re’šît); das zweite mit dem Terminus בִּכּוּרִים bikkûrîm als Sieben-Wochen-Fest, auf der Basis wohl der Weizenernte (Lev 23,17; aber ohne genaue Datierung im Jahreskalender). An diesem Tag besteht die Abgabe aus gebackenem Brot, das den Priestern zufällt (Lev 23,20). Über die Erstlingsfrüchte im Zusammenhang mit „Speiseopfern“ informiert auch Lev 2,12.24. Von einem „Tag“ der בִּכּוּרִים bikkûrîm mit „Speiseopfern“, identifiziert mit dem Wochenfest, redet schließlich auch das Opfergesetz in Num 28,26.

Ohne Datierung auf das Wochenfest haben weitere Texte ein Interesse an der Bestimmung, dass Erstlingsabgaben bzw. der Erste an die Priester zu leisten sind, also deren Versorgung dienen. Das gilt nach Dtn 18,4 und Num 18,12 für Korn, Wein und Öl, nach Dtn 18,4 auch für die erste Schafschur und nach Num 18,13 überhaupt für alle „Erstlingsfrüchte im Land“, nach Ez 44,30 für die „ersten bzw. besten Erstlingsfrüchte“. Diese Texte können die Abgaben nicht auf ein Frühjahrsfest terminieren, weil z.B. die Trauben- und Olivenernte inklusive Verarbeitung deutlich später im Jahr, im Herbst, stattfindet. Ähnlich wie Num 18,13 redet Dtn 26,2 sehr umfassend „von allen Erstlingen der Früchte des Feldes“ und datiert diesen Erntedankritus nicht genauer im Jahr. Dtn 26 lässt allerdings die im „Korb“ gesammelten Früchte (also im Herbst? Verhältnis zum Laubhüttenfest?) trotz kultischen Zusammenhangs nicht ausdrücklich den Priestern zu Gute kommen, sondern denkt eher an eine Art Selbstverzehr, an dem auch Leviten und Fremde teilnehmen dürfen (Dtn 26,11). Bei den deuteronomischen Bestimmungen zum Wochenfest und zur Behandlung des Ersten (רֵאשִׁית re’šît) in den Texten von Dtn 26 und Dtn 16 ist neu, dass sie heilsgeschichtliche Begründungen implementieren, die zu sozialer Empathie ermutigen wollen.

Die weiteren Texte außerhalb der Tora zum Thema „Erstlinge / Erstlingsfrüchte“ konkretisieren bzw. aktualisieren die Torabestimmungen für spätere Zeiten: Nach Neh 10,36.38 verpflichten sich die Judäer zur jährlichen Abgabe der „Erstlinge des Feldes“ und der „Erstlinge jeder Frucht jedes Baumes“ an den Tempel (jeweils בִּכּוּרִים bikkûrîm). Neh 13,31 erwähnt pauschal, die Formalitäten zur Ablieferung der בִּכּוּרִים bikkûrîm festgelegt zu haben. Aus Neh 10,38 und Neh 12,44 erfährt man, dass es in der späten Perserzeit Speicherkapazitäten u.a. für die den Priestern zustehenden Erstlingsabgaben gegeben hat. Nach 2Chr 31,5 wird zugunsten der Priester und Leviten auch ein Erstanteil (רֵאשִׁית re’šît) auf die Gewinnung von → Honig erhoben (dazu von „Korn / Wein / Öl“ [→ Ackerbau; → Getränke; → Öl] und von „allem Ertrag des Feldes“, also eine sehr umfangreiche Erst-Erhebung). Wie die tatsächliche Praxis bezüglich der Erstlingsopfer, ggf. nach Zeiten und Räumen differenziert, aussah, ist am Ende schwer zu sagen: Spr 3,9 liest sich eher wie eine moralische denn als eine juristische Verpflichtung. Das Buch → Tobit als Diasporaroman redet in Tob 1,6 immerhin von der vorbildlichen regelmäßigen Ablieferung der Erstlingsfrüchte und der ersten Schafschur in Jerusalem.

In der wohl älteren „unpolitischen Wundererzählung“ (Otto 226) 2Kön 4,42-44, die 2Kön 4,38-41 voraussetzt, führt → Elisa mit geschenktem „Brot aus Erstlingsfrüchten“ (בִּכּוּרִים bikkûrîm), und zwar „zwanzig Gerstenbroten“, ein Mehrungswunder durch, sodass sich alle hundert Prophetenjünger sättigen können. Intensiv ist der Vergleich der heiß ersehnten Frühfeigen (בִּכּוּרָה bikkûrāh), also den Erstlingsfrüchten des Feigenbaums, mit Israels von JHWH so sehr geliebten und gleichwohl enttäuschenden Vätern nach Hos 9,10. Ebenfalls mit vegetabiler Metaphorik wird die Vorrangstellung Israels in Jer 2,3 ausgedrückt, mit der Bezeichnung Israels als רֵאשִׁית re’šît „Erstlingsfrucht seiner Ernte“. Israel gehört also ganz JHWH und ist damit eigentlich für den „Verzehr“ durch die Völker, also zu Eroberung, Ausbeutung und Unterdrückung, tabu. Beide Texte, Hos 9,10 und Jer 2,3, haben eine starke Nähe zur Erstgeborenenmetaphorik für Israel, wie sie sich in Ex 4,22 und Jer 31,9 findet.

Abschließend sei noch auf eine Regelung hingewiesen, die eine sachliche Ähnlichkeit mit der Regelung zu den ersten Früchten des jeweiligen Jahres bietet: Lev 19,23-25 legt fest, dass jeder frisch gepflanzte Fruchtbaum bzw. Obstbaum drei Jahre lang nicht abgeerntet werden darf. Die komplette Ernte des vierten Jahres gilt als JHWH „heilig“, wird also wohl an den Tempel abgegeben, vielleicht in einer / der Erntedankzeremonie im Herbst (in Analogie zum Zehnt wäre das also der Jahres-„Viert“, und zwar von allen Obstbäumen). Bei dieser Abgabenpflicht fällt keiner der typischen Termini für Erstlinge bzw. Erstlingsfrüchte.

3. Erstgeburten / Erstgeborene

Auch für die tierischen Erstgeburten und die menschlichen Erstgeborenen gilt: Das Erste und Beste von allem gehört aus religiöser Perspektive natürlich JHWH, als Dank für die Fruchtbarkeit. Es wird ihm entweder übereignet oder kann ausgelöst werden.

Im Einzelnen stellen sich folgende Fragen: Entscheidet sich der Erstgeburtsstatus am Vater oder an der Mutter (das ist bleibend bei Mensch und Tier unterschiedlich zu handhaben)? Können auch weibliche Wesen bzw. Tiere Erstgeburten sein oder nicht (ursprünglich waren sie das bei Tieren wohl)? Können gar mehrere männliche oder männliche und weibliche Geburten im Zuge des ersten Wurfs die „Erstgeburt“ (im Singular) sein (ursprünglich muss das so gedacht gewesen sein)? Welche Tierarten sind überhaupt betroffen von Erstgeburtsregelungen? Nur die explizit genannten gezähmten Tiere – das ist immer die Voraussetzung – → Rind, → Schafe, → Ziege, dazu der → Esel? Was ist mit → Hunden, → Pferden und → Kamelen? Wie können außerdem unreine Tiere – explizit der Esel – Gegenstand von Opferbestimmungen sein? Im Blick auf diese Fragen wird sich zeigen, dass u.a. die Zusammenstellung von Regelungen, die sowohl menschliche Erstgeborene als auch tierische Erstgeburten betreffen, zu Ausgleichsbemühungen führen musste.

3.1. Erstgeborene Kinder

3.1.1. Besondere Wertschätzung

Für die altorientalischen Rechtsverhältnisse in Israel und seiner Umwelt ist es durchaus typisch, dass die erste männliche Geburt, also der älteste Bruder, in der vom Vater her gedachten Familie besonders hoch geschätzt und emotional bevorzugt wurde (Gen 49,3; Sach 12,10). In der Familienhierarchie rangierte er über seinen Geschwistern direkt hinter dem Vater (vgl. auch Gen 43,33), wie die ausdrücklichen Ausnahmen 1Chr 5,2 und 1Chr 26,10 zeigen. Vor allem aber genoss der Erstgeborene eine besondere Rechts- und Erbstellung, das Erstgeburtsrecht. Er hatte besonderen Anteil am väterlichen und göttlichen → Segen und sichert die genealogische Linie (→ Genealogie); Letzteres wird noch an der besonderen Rechtsstellung des Erstgeborenen in einer Leviratsehe deutlich (vgl. Dtn 25,5f). Ob diese Sicht von Primogenitur von Anfang an und auch zeitlich flächendeckend in Israel / Juda bestand, ist freilich z.T. umstritten.

Der Erstgeborene kann auch „großer Sohn“ oder nur „Großer“ genannt werden (vgl. Gen 27,42 für Esau oder Gen 44,12 für Ruben, dazu auch den alten Spruch Gen 25,23). Es gibt normalerweise nur einen männlichen Erstgeborenen auch in den damals üblichen polygamen Verhältnissen; wer der Erstgeborene ist, wird also bei Menschen nicht von der Mutter her gedacht, es herrscht also eine sog. Patriprimogenitur (anders Finsterbusch 30.39, die die Texte missversteht). Das wird deutlich bei den Söhnen von → Jakob / Israel, wo immer nur Ruben als Erstgeborener identifiziert wird (vgl. Gen 35,23; Gen 46,8; Gen 49,3; Ex 6,14; Num 1,20; Num 26,5). Bei → Davids vielen Söhnen benennt 2Sam 3,2Amnon als „Erstgeborenen Davids“ und präzisiert dabei die Mutter von Davids Erstgeborenem, nämlich → Ahinoam. In Genealogien wie Gen 10,15 und 1Chr 1-9 wird der Erstgeborene immer vom (zeugenden) Vater her bestimmt, meistens in Genealogien auch als Erster genannt. Völlig klar ist schließlich in der Fallerzählung Dtn 21,15-17, dass der maximal zweitgeborene Sohn der geliebten Ehefrau neben dem Erstgeborenen der ungeliebten Ehefrau den Titel „Erstgeborener“ bzw. das „Erstgeburtsrecht“ gerade nicht erhält.

Eine erklärbare Ausnahme von der Bestimmung des Erstgeborenen über den Vater bildet, mit Bezug auf die Erschlagung der ägyptischen Erstgeborenen, die Formulierung in Ex 11,5, wo vom „Erstgeborenen der Magd bzw. Sklavin“ geredet wird. Ex 11,5 bildet einen Merismus (alle, vom ranghöchsten bis zum niedrigsten Erstgeborenen); die Niedrigkeit der Rechtsstellung des Erstgeborenen einer Sklavin besteht u.a. darin, dass er ggf. nicht in einer legitimen Ehe geboren wurde, also auch keinem Vater zuzuordnen ist.

Daneben ist der offensichtlich mythisch-metaphorische Vers Dtn 33,17 schwierig: Dort wird wohl ursprünglich → Josef als „Erstgeborener seines Stiers“, gemeint JHWHs, bezeichnet (vgl. 1Chr 5,1), allerdings wird das sekundär auf Efraim umgedeutet (vgl. Jer 31,9). Da hier eine Theologisierung vorliegt, spricht das nicht gegen die Bestimmung des Erstgeborenen vom Vater her.

3.1.2. Erstgeburtsrecht

Erstgeborene erhielten im altorientalischen Umfeld wie in Israel im Erbschaftsfall wohl einen besonderen Erstgeborenenanteil. Dieser bestand, zumindest nach der Vorstellung von Dtn 21,15-17, aber auch sonst im Alten Orient, gerne im Doppelten des Erbanspruchs anderer männlicher Kinder: Ein Erstgeborener hat also bei zwei Söhnen zwei Drittel, bei drei Söhnen die Hälfte des Erbes erhalten. Ob das die durchgehende Praxis in Israel war, können wir nicht mehr bestimmen. Nach Gen 25,29-34 ist auch vorstellbar, dass der Erstgeborenenanteil – neben dem Segen für den Erstgeborenen – in einer fixen Größe bestanden hat, die man entsprechend für eine genaue Summe verkaufen konnte, im Fall von Gen 25 für ein Linsengericht. Wenn Gen 25 in der realen Welt eine Entsprechung hat, würde der Text jedenfalls auch zeigen, dass das Erstgeburtsrecht und die damit zusammenhängenden Erbanteile verkäuflich waren bzw. eingetauscht werden konnten. Nicht aus beliebigem Grund (Dtn 21,15-17), wohl aber bei schweren Vergehen gegen den Vater konnte der Erstgeborene auch seines Erstgeburtsrechts verlustig gehen, wie 1Chr 5,1 (zu lesen mit Gen 35,22) nahelegt.

Von der Erbregelung Dtn 21,15-17 aus ist 2Kön 2,9 zu verstehen: Dort bittet Elisa den scheidenden → Eliaum „zwei Anteile“ (פִּי־שְׁנַיִם pî-šənajim wie in Dtn 21,17) seines → Geistes, also um den doppelten Anteil im Vergleich zu den anderen Prophetenjüngern (anders Otto 220: „zwei Drittel des Geistes Elias“). Mit dem Vollzug der Bitte wird Elia als in besonderem Maße erbberechtigter Nachfolger Elijas gezeichnet; legitimiert wird so die prophetische Sukzession.

3.1.3. Theologisierter Gebrauch der Bezeichnung „Erstgeborener“

Die besondere Wertschätzung des männlichen Erstgeborenen ist die Bedingung der Möglichkeit der theologisierten Verwendung des Titels „Erstgeborener“ für den König einerseits und für Israel andererseits. Die Erstgeborenen-Metaphorik für Israel trägt damit zur Vater-Sohn-Metaphorik im Alten Testament (vgl. z.B. Hos 11,1) bei und stärkt so das innerbiblische Gegengewicht gegen die androzentrische Mann-Frau- bzw. Vater-Tochter-Metaphorik im Verhältnis JHWH-Israel.

3.1.3.1. Der König als Erstgeborener Gottes. In der Gottesrede des Königspsalms Ps 89,20ff spricht JHWH als „Vater“ (Ps 89,27) über den davidischen → König in Jerusalem als den, den er „zu seinem Erstgeborenen macht“ (Ps 89,28a). Er setzt ihn damit im Sinne der Familienhierarchie in eine Vorrangstellung über alle Könige der Erde ein (Ps 89,28b), genauer „zum Höchsten“ über diese. Bei der Verleihung des Titels „Höchster“ schwingt unüberhörbar der Gottestitel „Höchster“ (Gen 14,18ff; Dtn 32,8 u.a.; → Eljon) mit. Damit wird der König sozusagen von den Menschen weg auf die Seite Gottes gezogen, wie in vergleichbaren Königspsalmen, in denen von der Zeugung des Königs als Gottessohn die Rede ist (Ps 2,7; vgl. auch Gen 45,7). Ps 89,28 krönt das Gottessohn-Motiv durch das Erstgeborenen-Motiv, das in der altorientalischen Königsideologie insgesamt zu Hause ist (Hossfeld / Zenger 594). Die spezifische Leistung des Erstgeborenen-Titels liegt darin, eine Verhältnisbestimmung zu den anderen Königen zu ermöglichen, was der Sohn-Titel alleine nicht vermag.

3.1.3.2. Israel als Erstgeborener Gottes. Das Volk Israel wird von JHWH ebenfalls mit der Würde eines Erstgeborenen begabt (vgl. Ex 4,22). Wie bei der Sohnesbezeichnung (vgl. Ex 4,22 und Ps 2,7, beide mit prophetischer Botenspruchformel als Einleitung) ist auch im Falle des Ehrentitels „Erstgeborener“ eher mit der Übernahme königstheologischer Vorstellungen zu rechnen als umgekehrt. Traditionsgeschichtlich wird die königstheologische Verwendung älter sein, auch wenn Ps 89,28 literarisch jünger sein sollte als Ex 4,22, wo vielleicht ein Stück der älteren Exoduserzählung vorliegt (Utzschneider / Oswald 148-150). In Ex 4,22 wird damit gleichzeitig das Thema „Erstgeborene“ insgesamt eröffnet: Es führt zunächst zu der Todesdrohung für den Erstgeborenen des Pharao (Ex 4,23), dann zur Bedrohung und Tötung aller Erstgeborenen und Erstgeburten Ägyptens (Ex 11,5; Ex 12,12.29), danach zu den historisierten, theologisierten und didaktisierenden Bestimmungen zu Erstgeburtsopfern und ggf. ihrer Auslösung (Ex 13,2.13, inklusive der sog. Kinderfrage in Ex 13,15) und schließlich zu den kürzeren normativen Formulierungen in Bundesbuch und Privilegrecht (Ex 22,28; Ex 34,20).

Auf der gleichen theologisierenden Linie wie Ex 4,22 liegt die prophetische Heilsankündigung in Jer 31,7-9, wieder mit Botenspruchformel in Jer 31,7. Die Heilsankündigung datiert frühestens auf das späte Exil, ist aber wahrscheinlich erst nachexilisch (dazu Wanke 269-270.282). Der Text redet zwar von „Efraim“ als „Erstgeborenem“ des „Vaters“ JHWH, identifiziert aber Efraim mit Jakob / Israel (Jer 31,7) bzw. Israel (Parallelismus in Jer 31,9). „Efraim“ wird nämlich nicht zum „Haupt“ (רֹאשׁ ro’š, also mit der gleichen Terminologie wie z.B. in 1Chr 26,10) über seine Brüder bestimmt, sondern zum „Haupt der Völker“. Wie in der Königstheologie wird also mit diesem Titel eine Hierarchie nach außen, zu den Völkern, angezeigt: In diesem Sinne ist Israel / Efraim JHWHs Erstgeborener, dem JHWHs besondere Zuwendung gehört, trotz allen Versagens (so auch Sir 36,17 [Lutherbibel: Sir 36,14] im hebräischen Text, dazu ironisch Am 6,1; vgl. auch Num 24,20, wo Amalek wie Israel in Am 6,1 als רֵאשִׁית re’šît „Erster“ der Völker bezeichnet wird). Schwächere Varianten zum Ausdruck der besonderen Anerkennung Israels in den Augen JHWHs finden sich mit der vegetabilen Metaphorik in Jer 2,3 (zugleich Anzeige der Unantastbarkeit Israels) und Hos 9,10.

3.1.3.3. Bevorzugung des Nicht-Erstgeborenen. Ein eigenes Thema bieten jene zahlreichen, meist narrativen Texte, die JHWHs Bevorzugung gerade des Nicht-Erstgeborenen beinhalten: Das beginnt mit dem ersten menschlichen Brüderpaar → Kain und Abel bzw. Kain und Set in der Urgeschichte, setzt sich insbesondere fort in den Erzelternerzählungen mit → Ismael und → Isaak, → Esau und → Jakob, Ruben und → Josef bzw. → Juda, Efraim und Manasse und bildet einen gewissen Höhepunkt mit der Erwählung des jüngsten Sohnes → Isais, nämlich → David, zum König und Eponym der Jerusalemer Dynastie, der sich dann in der Erwählung des nicht erstgeborenen → Salomo als Nachfolger fortsetzt. Dagegen war es wohl eher üblich, dass der Erstgeborene die Nachfolge als König antrat (vgl. den allerdings retrospektiven, späten Text 2Chr 21,2-3, der diese Regel voraussetzt). Typisch für diese Texte von der „Vertauschung des Erstgeburtssegens“ ist in vielen Fällen die „Disqualifizierung des natürlichen Erstgeborenen“ (Hensel 328). Man mag vor allem in der Genesis insgesamt eine Erzähllogik umgesetzt sehen, die Israel gegenüber den quasi natürlichen Erstgeborenen, nämlich den vielen anderen, auch mächtigeren Völkern, als erwählten und mit dem Erstgeburtssegen versehenen Erstgeborenen JHWHs definiert (Hensel 332), was dann letztlich auf die Aussage von Ex 4,22 zusteuert.

3.2. Tierische Erstgeburten

Tierische Erstgeburten tauchen im Alten Testament zum ersten Mal in Ex 11,5 auf, also im Zusammenhang der Erschlagung aller ägyptischen Erstgeborenen und Erstgeburten, und sind dann wiederholt Thema. Bei den Belegen mit „Erstgeburt“ (בְּכוֹר bəkhôr) ist in Ex 12,12.29 und Ex 13,2 zunächst allgemein von der „Erstgeburt von Vieh“ die Rede (so auch Ex 13,15; Num 8,17; Ps 135,8, meist neben den menschlichen Erstgeborenen), Ex 22,28f redet im Zusammenhang von Erstgeburten von „Rind“ und „Kleinvieh“, in Lev 27,26 wird „Vieh“ bzw. „Nutztiere“ spezifiziert in „Rind“ und „Schaf / Ziege“. Num 18,15 erweitert die Bestimmung der Tiere auf „alles Fleisch“, nennt insbesondere ausdrücklich die Erstgeburten von unreinem Vieh, im Kontrast zu denen von reinem Vieh, nämlich „Rind“, „Schaf“ und „Ziege“ (Num 18,17). Das Deuteronomium hat für tierische Erstgeburten immer die allgemeine Spezifikation „Großvieh“ und „Kleinvieh“ (Dtn 12,6.17; Dtn 14,23; Dtn 15,19; so auch Neh 10,37).

Durch die allgemeine Definition von Ex 13,2 wird „Erstgeburt“ (בְּכוֹר bəkhôr; eigentlich: bei Mensch und Vieh) mit „Durchbruch des Mutterschoßes“ פֶּטֶר־רֶחֶם pæṭær-ræḥæm identifiziert (so auch Num 3,12 und ähnlich Num 18,15). Im nachfolgenden Text Ex 13,12-13 und auch in Ex 34,19-20 ist gleichwohl denkbar, dass zwischen dem tierischen „Durchbruch des Mutterschoßes“ (פֶּטֶר־רֶחֶם pæṭær-ræḥæm) und den menschlichen „Erstgeborenen“ (בְּכוֹר bəkhôr) unterschieden wird. Unter פֶּטֶר־רֶחֶם pæṭær-ræḥæm können dann nach Ex 34,19 „Rind“ und „Schaf“ bei den reinen Nutztieren fallen, die Erstgeburt von unreinen Eseln wird überhaupt nur mit der Terminologie „Durchbruch des Mutterschoßes“ (פֶּטֶר־רֶחֶם pæṭær-ræḥæm) bezeichnet (Ex 13,13; Ex 34,20).

Unter dem „Durchbruch des Mutterschoßes“ ist bei Tieren wohl der gesamte erste Wurf eines Muttertieres verstanden, und das sind bei Schafen und vor allem bei Ziegen üblicherweise eher Zwillingsgeburten, eigentlich auch undifferenziert nach Geschlecht. Gerade wenn nur vom „Wurf“, nicht aber vom „Erstgeborenen“ die Rede ist, wird deshalb gerne das differenzierende Adjektive „männlich“ hinzugezogen (vgl. Ex 13,13.15; Ex 34,19 [wenn auch textkritisch problematisch]; Dtn 15,19). Schaut man sich die Belege insgesamt an, spricht vieles dafür, dass die Terminologie „Durchbruch des Mutterschoßes“ – entsprechend dem deutschen „erster Wurf“ – tatsächlich ursprünglich in der Tierwelt bzw. Tierhaltung beheimatet war und von späten, priesterschriftlichen Texten wie Ex 13,2 erst sekundär auch auf den Menschen übertragen wurde (anders Reuter, 834). Wenn man eine vergleichsweise Parallelbehandlung durchführen wollte wie etwa bei der Tötung der gesamten ägyptischen Erstgeburt oder auch bei der Opferung bzw. Auslösung, dann wurde es umgekehrt notwendig, bei den neugeborenen Tieren das Geschlecht zu differenzieren und d.h. beim Wurf ein besonderes Augenmerk auf die männlichen Tiere zu werfen. Im Blick auf die Opferung der Erstgeburt ist das dann auch die bauernfreundliche Lösung, weil so die weiblichen Zuchttiere in der Herde bleiben.

3.3. Erstgeburtsopfer und Auslösung, auch beim Menschen

Aus der jetzt vorliegenden Tora, in der alle relevanten Bestimmungen stehen, oft im Übrigen im Kontext der Bestimmung zu den vegetabilen Erstlingsfrüchten, ergeben sich folgende, weitgehend klare Regelungen: Die für den Erhalt der Herde weniger wichtigen männlichen Erstgeburten von Rindern, Schafen und Ziegen in Israel „gehören“ JHWH, sind zu „heiligen“ (Ex 13,2), zu „opfern“ (Ex 13,13), JHWH zu „geben“ (Ex 22,28f) bzw. ihm „darzubringen“ (Num 18,15), was in Num 18,17-18 auch mit der Priesterversorgung verknüpft wird – so meistens implizit, außer in den Deuteronomium-Belegen, die den Selbstverzehr im Fest favorisieren, allerdings auch zugunsten der Marginalisierten (vgl. bes. Dtn 12,18). Die männlichen Erstgeburten von Mensch und Esel sind in Israel auszulösen. Beim ohnehin unreinen Eselsfüllen geschieht dies grundsätzlich durch ein erwachsenes Schaf als Ersatzopfer; wenn nicht, muss das Tier durch Genickbruch getötet, also der menschlichen Verfügung unzugänglich gemacht werden (Ex 13,13; Ex 34,20). Erstgeborene beim Menschen gelten mittels des priesterlichen Dienstes der Leviten als ausgelöst, zumindest weist der priesterschriftlich-nachpriesterschriftliche Text (→ Priesterschrift) in Ex 13,2 auf die ebenfalls relativ späte Regelung in Num 3,12f voraus (Utzschneider / Oswald 274); dieselbe Idee verfolgt auch Num 8,17f. Num 18,15-18 hingegen verlangt beim Menschen zusätzlich und ohnehin bei unreinen Tieren eine pekuniäre Auslösung (fünf Schekel, vgl. Lev 27,6), und zwar etwa einen Monat nach der Geburt. Noch einmal anders regelt es bei unreinen Tieren Lev 27,26-27, wo diese zugunsten des Tempels auch verkauft werden können. Es sieht dabei so aus, als hätten Num 18 und Lev 27 eine Regelung der Erstgeburten bei unreinen Tieren über den Esel hinaus im Blick.

Die grundsätzliche, aber relativ späte Regelung in Ex 13,2 wird in dem offenkundig deuteronomistischen Text (→ Deuteronomismus) Ex 13,11-16 geschichtstheologisch begründet – mit der Tötung der ägyptischen und der Verschonung der israelitischen Erstgeburten, außerdem didaktisierend eingeschärft (Ex 13,14f), und insofern in das Gesamt der Exoduserzählung eingebunden. Ex 13,3-16 und Ex 34,18-20 erwecken dabei den Eindruck, dass die Abgabepflicht mit dem → Mazzotfest verbunden gewesen sein könnte (Utzschneider / Oswald 284f), zumindest redet auch Dtn 15,20 von einer „jährlichen“ Abgabe. Anders ist die Regelung im sicher späteren Text von Num 18, wo der Abgabetermin jeweils relativ zum Geburtsereignis beschrieben wird, nämlich ca. einen Monat danach. Noch knapper und eigentlich völlig unrealistisch sind die Bestimmungen für die eigentlich noch zu säugenden Erstgeburten von Rind, Schafe und Ziege im an sich alten Text Ex 22,29: Sie sind schon sieben Tage nach der Geburt JHWH und d.h. dem Tempel und den Priestern zu „übergeben“. Aber vielleicht ist Vers 29b mit seiner Zeitangabe sekundär. Dann könnte die Bestimmung des Bundesbuches in Ex 22,28-29a durchaus die älteste Variante bzgl. des alten Ritus von Erstgeburtsopfern darstellen, weil sie offenkundig nicht den terminologischen Ausgleichsversuchen der anderen Texte unterliegt.

3.4. Erstgeborenenopfer (Kinder)

Das einzige im biblischen Text sicher verifizierbare und wohl auch historische Erstgeborenenopfer ist das des Moabiterkönigs in 2Kön 3,27 (→ Moab). Dahinter steckt dessen verzweifelter Versuch, seinen Gott → Kemosch durch die Opferung seines wertvollsten „Guts“, des Erstgeborenen, zum Engagement zugunsten der Moabiter zu bewegen, ja geradezu zu zwingen. Der Text legt nahe, dass diese Prozedur bei den Israeliten auch Eindruck hinterlassen hat, sodass sie sich nicht aus Abscheu, sondern vielmehr im Blick auf den sich möglicherweise entwickelnden Zorn Kemoschs gegen Israel zum Rückzug entschließen. Der Text bezeugt damit noch ein vormonotheistisches Weltbild (→ Monotheismus). Ob dieses Brandopfer des Erstgeborenen in 2Kön 3 zugleich ein „Kinder“-Opfer war, lässt der Text nicht erraten. Ri 11 bietet zwar de facto die Opferung einer – weiblichen – Erstgeborenen, weil Einziggeborenen, hat aber mit dem Thema Erstgeborenenopfer nichts zu tun (→ Jeftah). Ebensowenig Gen 22, es sei denn, man hielte Gen 22 für einen alten Text, isoliert von den Ismaelüberlieferungen (→ Ismael). Das hält heute kaum mehr jemand für plausibel. Dann hat aber auch Gen 22 nichts mit Erstgeborenenopfern zu tun (anders aber zuletzt z.B. Stolz, 1472).

Sachlichen Anhalt hat das Thema Erstgeborenenopfer als israelitische Möglichkeit auf der Basis von Ex 22,28-29 in Kombination mit Ez 20,25-26 (Stavrakopoulou 179-191). Ex 22,28 fordert die Israeliten nur sehr knapp dazu auf, JHWH den (jeweiligen) „Erstgeborenen von den Söhnen / Kindern“ zu „geben“. Ex 22,28 spricht dabei nicht wie die anderen Kontexte von der möglichen bzw. geforderten Auslösung der menschlichen Erstgeborenen (בְּכוֹר bəkhôr). Da Ex 22,29 ohne weiteres differenzierendes Ergehen außerdem davon spricht, dass auch die „Rinder, Schafe und Ziegen“ JHWH „zu geben“ sind, liegt die Annahme im Rahmen des Möglichen, dass Ex 22,28-29 schrecklicherweise die tatsächliche Opferung der menschlichen Erstgeborenen vorsieht. Wenn Ex 22,28-29 dabei einen der ältesten, wenn nicht sogar den ältesten Text zum Thema Behandlung der menschlichen Erstgeborenen darstellt (so z.B. Gesundheit, 19f), dann ist bzw. war er nicht automatisch mit Ex 13 oder Ex 34 zu interpretieren. Dann wird sogar umgekehrt verständlich, weswegen das auch sonst humanisierende Deuteronomium überhaupt keine Regelung zur Erstgeborenenopferung bietet (damnatio memoriae) bzw. weswegen Ex 13,13 und Ex 34,20 als sekundäre Interpretationen ausdrücklich so viel Wert auf eine Auslösungsbestimmung legen. Und selbst wenn Ex 22 nicht so alt sein sollte: Ex 22,28-29 steht im Bundesbuch, das vielleicht länger ein selbstständiges Werk war, als man früher annahm, das also ggf. einmal ohne weitere Kontexte wie Ex 13 und Ex 34 mit ihren Auslösungsbestimmungen interpretiert werden musste bzw. konnte.

Dass es solche Interpretationen – wenigstens in der Exilszeit des 6. Jh.s v. Chr. oder vielleicht später – gegeben haben könnte, mag man aus Ez 20,25f lesen: Dort ist vom „Übereignen jedes „Durchbruchs des Mutterschoßes“ (פֶּטֶר־רֶחֶם pæṭær-ræḥæm) die Rede und von schlechten Gesetzen, die das Leben verunmöglichten, obwohl JHWH sie gegeben hat. Für Ez 20,26 mit seinem seltenen Wort „(Opfer)gaben“ (Luther: „Opfer“) könnte das „geben“ in Ex 22,28 Pate gestanden haben. Vielleicht steckt die Vorlage aber auch in einer isolierten älteren Vorschrift nach Ex 13,12a (Michel, 297.299), was freilich eine schwierige ältere Rekonstruktion des Verses voraussetzt. Allerdings ist auch Ez 20,25f wieder so interpretationsbedürftig, dass man zu ganz anderen Ansichten gelangen kann als zu der, dass Ez 20,25-26 die alte tatsächliche Praxis von menschlichen Erstgeborenenopfern ohne Auslösung bezeugt (vgl. z.B. Kessler). Mit Blick auf die Terminologie „Durchbruch des Mutterschoßes“ und das bisher Gesagte ist sogar denkbar, dass sich die Kritik nur auf die Übereignung der tierischen Erstgeburt, also des kompletten ersten Wurfs eines Muttertiers beziehen konnte, was vielleicht die Wirtschafts- und Lebensmöglichkeiten einzelner Viehhalterfamilien schon erheblich eingeschränkt hat. Außerdem ist bei der Formulierung mit „Übereignen“ (עבר ‘br Hif.) vielleicht doch nur an einen Dedikationsritus statt an eine rituelle Schlachtung gedacht, was im übrigen auch das „Geben“ in Ex 22,28-29 ja nicht völlig ausschließt. Kurzum: Unsere Kenntnisse sind zu begrenzt, um wirklich sichere Schlüsse zu ziehen. Lediglich 2Kön 3,27 kann wirklich dafür sprechen, dass es Analoges im Prinzip auch in Israel gegeben haben könnte: die Opferung des Besten, des Erstgeborenen, durch eine Führungsfigur in Extremsituationen. Von einer solchen, allerdings karikierenden und deshalb unrealistischen Vorstellung zeugt auch der nachmichanische Vers Mi 6,7 (anders Stavrakopoulou 189-191).

4. Neues Testament

Das Thema Erstgeborener begegnet im Neuen Testament nur in Lk 2,7 im ursprünglichen Sinn, dazu kommt eine Referenz an das (virtuelle) Erstgeborenenopfer in Lk 2,23. Außerdem finden sich in Hebr 11,28 und Hebr 12,16 Rezeptionen alttestamentlicher Texte bzw. Vorstellungen.

Neu ist die christologische Übertragung des Titels „Erstgeborener“ (πρωτότοκος prōtotokos), vgl. Röm 8,29 und Kol 1,15.18. Damit geschieht Ähnliches wie auch z.B. bei der Übernahme des Sohnes-Titels aus dem Alten Testament: Wie Mt 2,15 den Sohnes-Titel für Israel aus Hos 11,1 christologisch überträgt, so machen es die paulinischen bzw. deuteropaulinischen Belege mit Ex 4,22 und Jer 38,9LXX. Während Röm 8,29 und Kol 1,18 dabei gleichzeitig von der Idee der Erstauferweckung her formulieren, beruht Kol 1,15 eher auf einem weisheitstheologischen Fundament, wie dies auch bei anderen christologischen Präexistenzbehauptungen der Fall ist. Unmittelbares Vorbild für Kol 1,15 dürfte wie so oft in der Weisheitschristologie die Weisheitsfigur in Spr 8,21ff sein: Diese wird in Spr 8,22 als רֵאשִׁית דַּרְכּוֹ re’šît darkô „Anfang seines (JHWHs) Weges“ bezeichnet (in der LXX allerdings nicht πρωτότοκος prōtotokos, sondern ἀρχὴ). Auch Spr 8,22 schillert also zwischen Erster und Bester oder ist doch beides. Der christologische Erstgeborenen-Titel findet sich später noch in Hebr 1,6 und in Apk 1,5; ferner gibt es eine ekklesiologische Aufnahme in Hebr 12,23.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

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  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003
  • Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006
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2. Weitere Literatur

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  • Wanke, G., 2003, Jeremia. Teilband 2: Jeremia 25,15-52,34 (ZBK.AT 20,2), Zürich.

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