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Archäologie Palästinas

(erstellt: Januar 2006; letzte Änderung: Mai 2008)

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1. Geschichte der Archäologie Palästinas

1.1. Anfänge der Erforschung Palästinas

Das Interesse an der Erforschung des Heiligen Landes war eng mit der wissenschaftlichen Erkundung des Alten Orients verbunden. Die Palästinaarchäologie ist demzufolge eine relativ junge Wissenschaft. Sie schaut auf nicht viel mehr als 150 Jahre Wissenschaftsgeschichte zurück. Im Unterschied zur Ägyptologie und Akkadistik, wo die Entzifferung der Schrift zunächst eine große Rolle spielte, waren das Althebräische und auch die arabische Umgangssprache der Fachwelt seit langer Zeit bekannt. Daher standen für die Palästinawissenschaft zunächst andere Aufgaben im Vordergrund, wie z.B. die systematische Dokumentation der Topografie des Landes samt seiner an der Oberfläche sichtbaren Altertümer.

Die Anfänge der eigentlichen Ausgrabungstätigkeit liegen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Von November 1865 bis April 1866 durchzog Charles W. Wilson (1836-1905), der bereits ab Oktober 1864 Altertümer der Stadt Jerusalem topografisch aufgenommen hatte, das Gebiet von Beirut bis Jerusalem. In Jerusalem konnte er verschiedene Sondierungen (u.a. ganz in der Nähe der Westmauer des ehemaligen herodianischen Tempels) durchführen. Die Wiederentdeckung der später nach ihm benannten herodianischen Bogenkonstruktion („Wilson-Bogen“), die nach Josephus die Oberstadt mit dem Tempelbereich verband, trug ihm dauerhafte Ehren ein. C.W. Wilsons Erfolge führten dazu, dass der 1865 gegründete „Palestine Exploration Fund“ – der zu dieser Zeit bei der archäologischen Erforschung Palästinas eindeutig die führende Rolle einnahm – entschied, Leutnant Charles Warren (1840-1926) als seinen Nachfolger zu verpflichten. Dessen Ziel war es, mit Ausgrabungen die archäologische Arbeit seiner Vorgänger in Jerusalem zu bestätigen und zu erweitern.

Als Ingenieur versuchte er, mit Tunneln und Schächten jüngere Siedlungsschichten zu durchdringen, um insbesondere die Lage und Größe des salomonischen Tempels (erbaut im 10. Jh. und zerstört durch die Neubabylonier 587/6 v. Chr.) zu erforschen. Wenn er auch diese Aufgabe nicht lösen konnte, so geht doch auf ihn die bedeutende Erkenntnis zurück, dass die Davidsstadt südlich der heutigen Altstadt zu finden ist. Außerdem erkundete er Teile der (von ihm fälschlich Salomo zugeschriebenen) herodianischen Stütz- und Umfassungsmauern des Tempels und fand die älteste der drei Wasseranlagen im Bereich der Gihon-Quelle (seitdem auch „Warren-Schacht“ genannt).

Sehr bald stellte sich heraus, dass eine systematisch-archäologische Erforschung Jerusalems besonders schwierig und Tunnelgrabungen nicht nur zu gefährlich, sondern auch wenig ertragreich waren. Der „Palestine Exploration Fund“ beschloss daraufhin, die Grabungen in Jerusalem einzustellen und stattdessen seinen Schwerpunkt auf die systematische Erkundung des Heiligen Landes zu legen. Diese Einschätzung wurde auch von den übrigen Palästinawissenschaftlern geteilt. Zur Planung und Vorbereitung solch weit reichender Unternehmungen bedurfte es in Palästina (und den angrenzenden Gebieten) neuer organisatorischer und logistischer Voraussetzungen. Einige Nationen folgten deshalb dem Beispiel des „Palestine Exploration Fund“ und richteten zu diesem Zweck eigene archäologische Institute und Vereinigungen ein. So entstanden u.a. 1870 die „American Palestine Exploration Society“, 1877 der „Deutsche Verein zur Erforschung Palästinas“, 1890 die „École Biblique et Archéologique Française“, 1898 das „Deutsche Evangelische Institut für Altertumskunde des Heiligen Landes“, 1900 die „American School of Oriental Research“, 1914 der „Jewish Palestine Exploration Fund“ (seit 1948 die „Israel Exploration Society“) und 1919 die „British School of Archaeology of Jerusalem“.

1.2. Archäologische Pionierarbeit

Die nun beginnende systematische Erkundung der Altertümer Palästinas ist besonders mit Namen wie Claude Regnier Conder (1848-1910) und Horatio H. Kitchener (1850-1916), Alois Musil (1868-1944) sowie Nelson Glueck (1900-1971) verbunden. Sie erstreckte sich auch auf den nördlichen Sinai, den Übergang zum Negev sowie auf das Wādī l-‘Araba und schloss die Suche nach dem Mosesberg ein.

Eng verbunden mit der Erkundung des Heiligen Landes war auch die Entwicklung und Einführung von neuen Ausgrabungstechniken. So führte der britische Forscher William Matthew Flinders Petrie (1853-1942) auf dem Tell el-Ḥesī [Tell el-Hesi; → #xTell el-Ḥesī#33026#x] (für ihn irrtümlich das biblische Lachisch) die stratigrafische Ausgrabungsmethode ein, als er 1890 nach Palästina kam (→ Tell). Er erkannte als Erster, dass es sich bei einigen scheinbar natürlichen Erhebungen eigentlich um in ihrer Schichtenfolge unterteilbare Tells (Kulturschutthügel) handelte. Wie schon 1884 bei seinen Forschungen in Ägypten, erschloss er die Chronologie solcher Orte aus der dort aufgefundenen Keramikabfolge. Bei dieser Gelegenheit erstellte er die erste chronologisch orientierte Keramiktypologie Palästinas.

Der US-Amerikaner Frederick Bliss (1859-1937) setzte in den Jahren 1891 und 1892 die Arbeiten Petries fort. Er grub dabei zum ersten Mal innerhalb von abgesteckten Grabungsquadraten (Squares).

Die ersten deutschen Grabungen folgten in den Jahren 1901 bis 1903 in Taanach durch Ernst Sellin (1876-1946) und 1903 bis 1905 in Megiddo durch Gottlieb Schumacher (1857-1925) sowie Carl Watzinger (1877-1949). Heinrich Kohl (1877-1916) und C. Watzinger arbeiteten dann 1905 in Kapernaum. Die zwischen 1907 und 1909 im alttestamentlichen Jericho von E. Sellin und C. Watzinger durchgeführten Untersuchungen führten zu einem der folgenschwersten Irrtümer der Biblischen Archäologie. Obwohl die beiden Ausgräber die Schichtenfolge in Jericho korrekt erkannten, ordneten sie die auf dem Tell aufgefundenen (älteren) Mauern in chronologischer Fehldeutung der alttestamentlichen Erzählung des Josuabuches (Kap. 6) und damit der israelitischen Eroberung zu.

Die streng stratigrafisch ausgerichteten Ausgrabungsmethoden wurde in den Jahren 1908-1910 von den beiden US-Amerikanern George Andrew Reisner (1867-1942) und Clarence Stanley Fisher (1876-1941) in Samaria konsequent fortgeführt. Zum endgültigen Durchbruch verhalf dieser Methode William Foxwell Albright (1891-1971) bei seinen Ausgrabungen auf dem Tell Bēt Mirsim und ebenso Dame Kathleen Mary Kenyon (1906-1978). Ihr Lehrer war Sir Mortimer Wheeler (1890-1976), der den primär auf Stratigrafie ausgerichteten Grabungsstil begründete. Dame K.M. Kenyon grub von 1952 bis 1958 große Teile des prähistorischen Jericho (Tell es-Sulṭān) aus und fand dort eine der ältesten städtischen Ansiedlungen der Welt. Ihre berühmt gewordenen Ausgrabungen in Jerusalem (im Bereich der sog. Davidsstadt) begannen 1961, wurden jedoch 1967 mit dem Ausbruch des Sechstage-Krieges beendet.

Die Aufzählung bedeutender Archäologinnen und Archäologen kann nicht abgeschlossen werden, ohne auf Eliezer Lipa Sukenik (1883-1953) hingewiesen zu haben. Er hatte in den Jahren 1931 bis 1935 neben K.M. Kenyon bei der Grabung John Winter Crowfoots (1873-1959) in Samaria assistiert. Später wurde er zum Professor an der „Hebrew University“ in Jerusalem berufen. Er erkannte als erster Gelehrter das außergewöhnliche Alter und damit den Wert der Handschriften vom Toten Meer.

Auf der Basis der Forschungen seines Sohnes Yigael Yadin (1917-1984) und weiterer großer Archäologen wie Yohanan Aharoni (1919-1976), Nahman Avigad (1905-1992), Benjamin Mazar (1906-1995), Pesach Bar-Adon (1908-1985), Avraham Eitan (*1935) sowie Trude Dothan (*1923) und Ruth Amiran (*1914) konnte die israelische Archäologie ab 1948 – besonders aber nach dem Sechstage-Krieg – die Ausgrabungen im eigenen Land selbstständig übernehmen und gestalten, ohne im Weiteren auf internationale Teams angewiesen zu sein.

Die Archäologie in Jordanien brauchte etwas länger, um sich zu verselbstständigen und die Aufmerksamkeit der internationalen Forschungsgemeinschaft zu erringen. Der Jordanier Awni Dajani (1917-1968), ein Schüler von Dame K.M. Kenyon, übernahm 1958 als erster Einheimischer das Amt des „Director-General“ der Altertumsbehörde „Department of Antiquities of Jordan“. Die Erforschung der transjordanischen Altertümer lag nun in arabischer Verantwortung. In der Folge entwickelte diese Behörde in enger Kooperation mit den im Lande präsenten ausländischen Missionen (so z.B. mit dem „Deutschen Evangelischen Institut für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes“, dem „American Center of Oriental Research“, dem „British Institute for Archaeology and History“ und dem „Institut Français d’Archéologie du Proche-Orient“) eine solide wissenschaftliche Basis, die eine beachtenswerte Entwicklung nahm und bedeutende Wissenschaftler wie Adnan Hadidi, Khair Yassine und Moawiyah Ibrahim hervorbrachte.

1.3. Gegenwärtige Herausforderungen

Die Erwartungen, die an die archäologische Arbeit in Palästina gestellt werden, sind weit gespannt. Sie reichen von der Hoffnung auf die Bestätigung biblischer Traditionen über eine methodisch ausgereifte Vermittlung von archäologischen und exegetischen Forschungen bis hin zum bewussten Verzicht auf exegetische Erkenntnisse bei der Interpretation archäologischer Befunde.

Es ist an dieser Stelle nicht notwendig, die jahrzehntelangen Auseinandersetzungen um die Zielstellung, die Aufgaben und die Methoden der Archäologie im palästinischen Gebiet nachzuzeichnen. Ihre Wurzeln lagen in der Bibelwissenschaft, die letztlich der Interpretation alt- und neutestamentlicher Überlieferungen verpflichtet ist. Die Biblische Archäologie diente vorrangig der Vermittlung zwischen den Ausgrabungsbefunden einerseits und der Auswertung schriftlicher, meist biblischer Quellen andererseits. Die archäologische Forschung hat sich jedoch im Laufe ihrer Entwicklung vom Vorrang exegetischer Fragestellungen und Denkweisen befreit und zu einem selbstständigen und unabhängigen Wissenschaftszweig entwickelt.

Angesichts solcher Veränderungen ist auch die traditionelle Bezeichnung „Biblische Archäologie“ nicht unumstritten geblieben. Der Name entstand letztlich aus der Auffassung des 19. Jahrhunderts. Damals erwartete man von der jungen, heranwachsenden Wissenschaft, dass sie im Wesentlichen die Realien und die Welt der biblischen Texte erkläre. Einerseits kann man somit von einer „Archäologie Palästinas“ sprechen und damit klarstellen, dass der gesamte Raum Palästina und alle seine kulturellen Epochen (von der Stein- bis zur Neuzeit) im Blickpunkt dieser Wissenschaft stehen. Andererseits beschreibt der Name „Biblische Archäologie“ die forschungsgeschichtliche Herkunft und ein einmaliges Proprium dieses speziellen archäologischen Wissenschaftszweiges: die Beschäftigung mit dem Umfeld der biblischen Welt im weitesten Sinne. Daher ist es nicht zwingend, die eingeführte Bezeichnung abzuändern, wenn klargestellt ist, dass die „Biblische Archäologie“ räumlich, zeitlich und ethnisch über den mit ihrem Namen im strengen Sinn verbundenen Bereich hinausgeht und sich konsequent den modernen methodischen Herausforderungen der archäologischen Wissenschaft stellt.

Die sich gegenwärtig vollziehenden Veränderungen innerhalb der „Biblischen Archäologie“ und die Herausforderungen, vor denen sie steht, erwuchsen letztlich aus einer methodischen Weiterentwicklung innerhalb der archäologischen und der exegetischen Wissenschaft. Die „Biblische Archäologie“ lebt daher heute nicht mehr von der Dominanz der Diskussion exegetischer Fragestellungen. Sie nimmt vielmehr gleichberechtigt Anteil an der multidisziplinären Altertumsforschung Palästinas (wie Philologie, Kulturanthropologie, Kunstgeschichte, Architektur, Glyptik, Numismatik, Paläopalynologie, Archäometrie, Archäozoologie, Hydrologie, Paläoklimatologie, Geowissenschaften, jedoch unter besonderer Berücksichtigung der Theologie).

Die „Biblische Archäologie“ strebt nach einer möglichst umfassenden Erforschung aller Kulturepochen, soweit sie aus der materiellen Hinterlassenschaft erschlossen werden können. Die ökonomischen und sozialen Organisationsformen werden im Mikro- (Familien, Kleingruppen) wie Makrokontext (Städte, Regionen oder Staaten) analysiert und deren Auswirkungen auf das kulturelle Leben einzelner Regionen erforscht (z.B. Paläodemografie, historische Siedlungstopografie, Religionsgeschichte).

Nicht das Einzelprojekt (Ausgrabung / Survey), sondern die regionalen und problemorientierten Projekte zur materiellen Kultur Palästinas sind treibende Kräfte der archäologischen Forschung. Dabei werden u.a. ökonomische Prozesse (incl. Handelstätigkeit), Siedlungsmuster (settlement patterns) und soziale Strukturen der Gesellschaft erforscht.

Die „Biblische Archäologie“ zeichnet sich wie auch alle ihre Nachbarwissenschaften durch die konsequente Anwendung naturwissenschaftlicher Methoden aus.

2. Methoden der Archäologie Palästinas

Zum Folgenden vgl. die ausführliche Darstellung in Vieweger 2006.

2.1. „Klassische“ Prospektionsmethoden

2.1.1. Oberflächenforschung (Survey)

Die Oberflächenforschung ist ein wichtiger Bestandteil der archäologischen Feldarbeit. Ihr Erfolg hängt wesentlich von einer gut durchdachten Datenerhebung ab. Surveys können verschiedene Ziele verfolgen. Sie dienen:

■ (Erst-)Erkundungen archäologischer Hinterlassenschaften,

■ Rettungserkundungen beim Bau von Gebäuden und Straßen, beim Ausheben von Gräben oder vor dem Fluten von Stauräumen,

■ der Vorbereitung von Grabungsunternehmungen (dabei wird die zu ergrabende Ortslage intensiv untersucht, um genauere Erkenntnisse über die Ausdehnung der Siedlungsstätte und deren zeitliche Einordnung sowie über mögliche Besonderheiten zu gewinnen),

■ der Erforschung des sog. Hinterlandes einer Siedlungsstätte und

■ Untersuchungen zu speziellen Fragestellungen, wie z.B. zum Wasserbau (Kanäle, Wassermühlen, Zisternen) oder zur Bodenkunde.

Surveys können ein umfangreiches Repertoire an Fragen beantworten. Meist geht es um die chronologische Einordnung und den Charakter einzelner Ortslagen. Oft können Erkenntnisse zur Siedlungsdichte und Siedlungsstruktur ganzer Gebiete gewonnen werden, die sogar eine Kartierung der historischen Besiedlung ermöglichen. Selbst Hinweise auf Handelswege (z.B. durch römische Meilensteine) und zum ökonomischen Umfeld sind möglich. Zum Standard gehören deshalb auch Fragen nach der Bodennutzung, hydrologische Erkundungen, Untersuchungen zum lokalen Klima (Regenfall und durchschnittliche Temperaturen über lange Zeiträume) sowie zur Flora und Fauna.

Die Verlässlichkeit von Erkenntnissen aus Surveys ist ein vieldiskutiertes Problem. Ihre Erkenntnismöglichkeiten sind grundsätzlich beschränkt. Die Möglichkeiten zur Interpretation von Altertümern beziehen sich überwiegend auf sichtbare Reste an der Oberfläche. Die aufgefundenen Artefakte (z.B. aus Keramik und Stein) und die sich aus ihnen ergebenden Datierungen sind an den jeweiligen Ortslagen nicht mit Sicherheit den (teilweise) sichtbaren Architekturresten zuzuordnen. Außerdem kann z.B. die Erosion Funde an der Oberfläche beträchtlich verschieben. Fundort und ursprünglicher Ort des Gebrauchs sind vielfach nicht identisch.

2.1.2. Bohrung

Neben den Surveys dienen Bohrungen der Unterstützung von Flurbegehungen bzw. der Prospektion. Durch sie kann die horizontale Ausdehnung von Kulturschichten an Siedlungsstätten geklärt werden. Außerdem erhält man Auskunft über die Schichtenfolge und kann deren Mächtigkeit abschätzen.

2.1.3. Sondage

Sondagen gehören üblicherweise zu Ausgrabungsunternehmungen. Sie können aber auch bei Surveys angewandt werden, um den stratigrafischen Befund beispielhaft zu klären oder ein besseres Verständnis der Einbettung der an der Oberfläche sichtbaren Architektur in die Schichtenfolge der Ortslage zu ermöglichen.

2.1.4. Luftbildprospektion

Schließlich sind noch Luftbildprospektionen zu erwähnen, die einen Überblick aus vorteilhaft großer Distanz gewähren. Infrarotaufnahmen und Satellitenbilder ergänzen das Repertoire. All das dient der Erkundung von meist größeren Fundplätzen und Flächen sowie der Entwicklung von Strategien zur Erkundung des zu untersuchenden Geländes archäologischer Stätten.

2.2. Naturwissenschaftliche Prospektionsmethoden

Für die erdnahe Erkundung steht der Archäologie ein umfangreiches Repertoire an naturwissenschaftlichen Prospektionsmethoden zur Verfügung.

2.2.1. Geophysikalische Prospektionen

Die Anwendung geophysikalischer Methoden in der archäologischen Feldforschung bietet die große Chance, dass man Objekte selbst dann noch erkunden kann, wenn diese an der Oberfläche nicht zu erkennen oder durch ihre wenig ausgeprägten Spuren in ihrem Charakter (z.B. in ihrer Ausdehnung oder Struktur) nicht näher zu bestimmen sind. Der besondere Vorteil dieser Prospektionen gegenüber den „klassischen“ Surveymethoden ist die Fähigkeit, in den Boden einzudringen, ohne dabei (wie etwa bei einer Sondage oder Ausgrabung) Befunde zu zerstören.

Die meisten der naturwissenschaftlichen Methoden stammen aus der Geophysik, die sich mit der Erforschung und Beschreibung der Erde beschäftigt. Gemessen werden dabei Veränderungen von physikalischen Feldern (wie dem Magnet- oder Schwerefeld der Erde sowie von angelegten elektrischen Feldern). Diese werden von in der Erdoberfläche befindlichen Materialien mit unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften (wie z.B. elektrischer Leitfähigkeit, Magnetisierbarkeit und Dichte) beeinflusst. Man kann aus deren Messung auf den Aufbau des Erdinneren schließen (geologische Grundlagenforschung). Volkswirtschaftliche Bedeutung erhält die Geophysik bei der Lagerstättenerkundung.

Demgegenüber sind die Aufgaben in der Archäologie wesentlich oberflächennäher und kleinräumiger. Gesucht wird nicht nach einem tief im Erdinneren vorhandenen weiträumigen geologischen Aufbau, sondern nach der Mächtigkeit und der Lage von Kulturschichten, ihrem natürlichen Untergrund (z.B. Felsen) und nach rezenten menschlichen Eingriffen dicht unter der Oberfläche, wie z.B. dem Bau von Mauern und Keramikbrennöfen sowie dem Aushub von Gruben.

Die Vorteile der geophysikalischen Methoden liegen in der Erkundung größerer Flächen in überschaubarer Zeit:

■ Ausdehnung und Eigenschaften von archäologischen Strukturen unterhalb der Erdoberfläche sind bestimmbar.

■ Es können bereits Flächen erkundet werden, deren Ausgrabung erst in Zukunft möglich oder sinnvoll sein wird.

■ Prospektionen vermeiden Zerstörungen und erhalten damit künftigen Generationen genügend Möglichkeiten zur Forschung.

Der Anwendung geophysikalischer Methoden sind allerdings Grenzen gesetzt, die von lokalen Faktoren, der Umwelt und der Geologie abhängen. So sind beispielsweise die beiden wichtigsten Methoden, die Geoelektrik und Geomagnetik, in einigen Gebieten Israels, Palästinas und Südsyriens nicht anwendbar. Im Süden und Südosten versagt die geoelektrische Methode, da der Boden viel zu trocken und damit nicht leitfähig ist. In Teilen Galiläas, im Golan und in Nordjordanien werden hingegen die geomagnetischen Messungen stark durch den dort vorherrschenden eisenhaltigen (magnetischen) Basalt gestört.

2.2.2. Chemische Prospektionen (Phosphatanalyse)

Chemische Prospektionsmethoden kommen in der Archäologie ebenso zum Einsatz wie die geophysikalischen. Während der große Vorteil geophysikalischer Messungen darin besteht, dass sie zerstörungsfrei arbeiten (und daher wiederholbar sind), müssen bei der chemischen Prospektion Proben (z.B. von der Erdoberfläche) entnommen werden.

Als Beispiel für eine chemische Prospektionsmethode wird hier die Phosphatmethode aufgeführt. Organische Phosphatverbindungen spielen bei den Stoffwechselprozessen der Pflanzen (aber auch von Mensch und Tier) eine entscheidende Rolle. Da Menschen und Tiere pflanzliche Nahrung aufnehmen, enthalten ihre Ausscheidungen zwangsläufig auch Phosphate. Da, wo solche Exkremente verstärkt auftraten (Ställe), angesammelt (Mistplätze, Abfallgruben) bzw. wieder eingesetzt wurden (Düngung von Äckern und Weiden), erfolgte im Boden eine deutliche, über die lokal übliche Konzentration hinausgehende Anreicherung von Phosphaten. Das ist besonders dort der Fall, wo die Phosphate mit Eisen-, Kalzium- oder Aluminiumionen des Erdreichs zusammentreffen und bei einem günstigen pH-Wert (nicht unter pH 5-6) schwerlösliche Phosphatverbindungen bilden konnten. Die Methode eignet sich demnach zum Nachweis von Siedlungsaktivitäten und darüber hinaus zur Bestimmung der Funktion von Hausbauten innerhalb eines Siedlungsareales, wie z.B. von Stallungen, Abfall- oder Fäkaliengruben.

2.3. Ausgrabungen

2.3.1. Vorarbeiten

Eine Ausgrabung ist Bestandteil archäologischer Erkundungen. Sie steht aber niemals an deren Anfang. Vielmehr setzen Ausgrabungen umfangreiche Vorarbeiten voraus, wie Literaturrecherchen zum untersuchten Gebiet, zu benachbarten Ortslagen und vergleichbaren archäologischen Phänomenen sowie die intensive Erkundung der Oberfläche der künftigen Grabungsstelle einschließlich naturwissenschaftlicher Prospektionen.

2.3.2. Stratigrafie

Tell 2 Entstehung Tell

Zur Entstehung der archäologischen Schichtenabfolge eines Tells → Tell. Man unterscheidet bei Ausgrabungen anhand makroskopischer Unterschiede der Konsistenz von Ablagerungen zwischen verschiedenen Strata. Liegen diese vertikal übereinander, wie z.B. bei Tells, spricht man von vertikaler, bei flächig fortschreitenden Anlagen wie Nekropolen von horizontaler Stratigrafie.

Die Übertragung der Methoden der geologischen Stratigrafie in die Archäologie ist u.a. Forschern wie T. Jefferson zu verdanken. Er führte die stratigrafische Ausgrabungsmethode zum ersten Mal in der Praxis durch. Die in Europa vielbeachtete Troia-Ausgrabung (H. Schliemann und W. Dörpfeld) sicherte diesem Vorgehen in der wissenschaftlichen Welt die allgemeine Akzeptanz. Im Nahen Osten wurde W.M.F. Petrie Wegbereiter stratigrafischer Ausgrabungen.

1) „Harris-Matrix“

Allerdings ist die Stratigrafie nicht deckungsgleich von der Geologie in die Archäologie zu übertragen. Archäologische Strata haben meist nur eine begrenzte Ausdehnung und sind nicht verfestigt. E.C. Harris hat deshalb speziell auf die Eigenheiten der von Menschen verursachten komplexen Eingriffe in die geologischen Ablagerungen (durch den Bau von Gruben, Gräben, z.B. für Fundamente, Mauern u.a.) hingewiesen und diese systematisch gegliedert. Er entwickelte 1973 ein Dokumentationssystem der archäologischen Stratigrafie, die sog. „Harris-(Winchester) Matrix“. Das auf nahezu alle Ausgrabungsstätten und Kulturperioden anwendbare System dokumentiert die jeweilige Schichtenabfolge auf vergleichbarer Basis. Die von ihm verfassten „Principles of Archaeological Stratigraphy“ (drei Auflagen 1979, 1989 und 1997) wurden zu einem Standardwerk in der Archäologie.

ArchaeolPal 2

Die vier stratigrafischen Gesetze der Archäologie nach E.C. Harris 1979 / 1989 (die drei ersten basieren auf Niels Stensen) lauten:

■ Law of Superposition: Im ursprünglichen Zustand liegt die jüngere Schicht über der älteren.

■ Law of Original Horizontality: Unverfestigte Schichten neigen dazu, sich horizontal abzulagern.

■ Law of Original Continuity: Jede Schicht wird durch eine vorgegebene Oberflächenform begrenzt oder läuft allmählich aus; andernfalls muss dafür eine Erklärung gesucht werden.

■ Law of Stratigraphical Succession: Die stratigrafische Position eines Stratums wird allein von der ältesten darüber liegenden und jüngsten darunter liegenden Schicht bestimmt. Nur direkt mit einer Schicht in Beziehung stehende Strata sind für ihre stratigrafische Einordnung relevant.

2) Grabung nach natürlichen, anthropogenen und künstlichen Strata

Wenn die Stratigrafie unklar ist und durch „klassische“ sowie naturwissenschaftliche Prospektierungen keine weitergehenden Informationen zu erreichen sind, werden Ausgrabungen nach künstlichen Schichten durchgeführt. Dann werden zumeist Suchgräben (in Form von langen Linien oder in Kreuzform) über ein in der Tiefe zu erkundendes Gebiet angelegt. Dabei werden in einem vorher bestimmten Abstand künstliche Strata (je nach Ausgrabungsbefund von z.B. 1, 5, 10 oder 20 cm Stärke) abgehoben. Insbesondere das Profil des Suchgrabens und / oder die Artefakte der einzelnen Strata liefern Hinweise auf die an der untersuchten Stelle vorhandene natürliche oder anthropogene Schichtenfolge.

In Nekropolen wurden Gräber zumeist in einiger Entfernung voneinander angelegt. Die Gräber selbst sind oft recht eng und bieten von daher meist wenig Übersicht. In der Regel wird man sie über ihren natürlichen Zugang (Felsöffnung, Dromos o.ä.) oder künstlich vertikal von oben auf der Breite des Grabes erkunden. Dabei richtet sich die Ausgrabungsstrategie nach dem vorliegenden Grabtyp. Grundsätzlich wird zunächst nur ein Teil der Grabkammer in möglichst klein bemessenen künstlichen Schichten abgetragen. Erst wenn die Stratigrafie erkundet ist, sollte nach den vorgegebenen anthropogenen Schichten der Rest des Grabes erforscht werden.

2.3.3. Feldarbeit

ArchaeolPal 3

1) Rastersystem

Schon mit der Erkundung des Ausgrabungsortes sollte ein Vermessungssystem installiert werden, damit einmal Erkanntes lokalisiert und auf einem topografischen Plan verzeichnet werden kann. Wenn möglich, wird das Survey- und das Ausgrabungsraster in demselben Vermessungssystem anlegt, um eine problemlose Beziehung zwischen allen untersuchten Flächen zu gewährleisten.

Die Festpunkte des Vermessungssystems sollten unverrückbar im Erdreich fixiert werden.

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2) Areale, Grabungsquadrate, Plana, Stege, Profile und Befunde

Während der Ausgrabung eines Tells oder einer Khirbe werden häufig mehrere Grabungsquadrate (squares) im Raster von z.B. 5 x 5 m nebeneinander geöffnet. Solche zusammenhängenden Grabungsbereiche bezeichnet man als Areale (areas). Jedes der Grabungsquadrate (squares) wird auf einer Breite von 4 x 4 m ausgegraben, um Stege (balks / baulks) in einer Breite von je 1 m zu ermöglichen, die noch begangen werden können und an deren senkrechten Profilen (profiles) die stratigrafische Sequenz nachgeprüft werden kann.

Nach dem Abhub werden natürliche Begehungsebenen bzw. die künstlich geschaffenen waagerechten Horizonte freigelegt, die man als Plana (lat. Fläche / Ebene; Sg. Planum) bezeichnet. Innerhalb dieser Grabungsbereiche können archäologische Befunde (context), d.h. Fundeinheiten oder Fundkompositionen, unterschieden werden. Die freigelegten Funde (finds) werden je nach Befund separiert.

Bei älteren Grabungen sprach man statt von Befunden auch von Loci (lat. Ort; Sg. Locus). Man bezeichnet damit Installationen (z.B. Öfen, Vorratsgruben) oder Mauern, den Raum zwischen zwei Mauern, die Fläche eines Zimmers u.a. Mit dem Ausdruck „Befund“ (context) erweitert man den vornehmlich räumlich bestimmten Begriff Locus im Hinblick auf die Fundvergesellschaftung der dort miteinander verbundenen Objekte, die Funktion des Befundes als stratigrafische Einheit und deren horizontale und vertikale Einordnung innerhalb der „Harris-Matrix“.

Die Ausgrabung von Gräbern verlangt bei gleichen Grundprinzipien spezielle Anforderungen.

2.3.4. Dokumentation

Jede Ausgrabung bedeutet Zerstörung und kann kein zweites Mal unter den gleichen Bedingungen wiederholt werden. Daher ist die sorgfältige Dokumentation der Beobachtungen während der archäologischen Arbeit von besonderer Bedeutung. Archäologen und Archäologinnen initiieren, begleiten und dokumentieren den Vorgang des Ausgrabens. Ziel ihrer Dokumentation muss es sein, den ursprünglichen Zustand im Nachhinein wieder weitgehend rekonstruieren zu können. Dafür stehen folgende Instrumentarien zur Verfügung:

■ die Befundbeschreibung,

■ die Fundbeschreibung,

■ Skizzen, Architektur- und Artefaktzeichnungen,

■ Fotografien,

■ das Grabungstagebuch und

■ die computerunterstützte Datenerfassung und Datenverwaltung.

1) Befunde

Befunde bestehen aus Fundeinheiten bzw. Fundkompositionen. Dazu gehören beispielsweise Installationen, komplexere Strukturen oder gar archäologische Orte. Befunde sind daher in der Regel unbeweglich und können nur im absoluten Ausnahmefall (z.B. bei Blockbergungen) in nahezu unveränderter, konservierter Form geborgen werden.

2) Funde

Funde sind bewegliche Objekte – das „Sachgut“ –, das bei Ausgrabungen aufgefunden bzw. entnommen werden kann (d.h. Artefakte aller Art und Samples von Ökofakten, wie Wasser- und Bodenproben). Sie werden nach ihren Fundgattungen (z.B. Keramik, Silex, Glas, Knochen, Bronze, Eisen) und entsprechend ihres Kontextes an der Grabungsstelle separiert.

3) Skizzen und Zeichnungen

Feldskizzen und Feldzeichnungen eröffnen die Möglichkeit, Funde, einzelne Befunde und auch die Anordnung einer übergreifenden Fundsituation mit einfachen zeichnerischen Mitteln ohne Maßstäblichkeit festzuhalten.

4) Fotografie

Die fotografische Dokumentation dient sowohl der Darstellung des geografischen Umfeldes, des Ausgrabungsfortschritts, von Details (Installationen, Plana, Profile) als auch von Funden (Artefakte). Makro-, Normal- und Weitwinkelobjektive sind bei archäologischen Kampagnen unerlässlich.

5) Grabungstagebuch

Das Grabungstagebuch soll die bisher genannten schriftlichen und bildlichen Dokumentationen verknüpfen, Formales festhalten (Wetter, den Einsatz der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die Anwesenheit von Besuchern), besondere Vorkommnisse verzeichnen und persönliche Interpretationen sowie Einschätzungen wiedergeben.

2.3.5. Datenverwaltung, -auswertung und -speicherung

Bei einer Ausgrabung fallen große Mengen unterschiedlicher Daten an. Um diese sinnvoll und dauerhaft erfassen sowie speichern und sichern zu können, sollte eine relationale Datenbank angelegt werden. Ihr Vorteil besteht u.a. darin, dass alle Daten so gespeichert werden, dass sie jederzeit verfügbar sind und je nach Abfrage beliebig verknüpft werden können.

2.4. „Klassische“ Datierungsmethoden

2.4.1. Stratigrafie

Bereits 1890 führte Sir W.M.F. Petrie in Palästina während seiner Arbeit auf dem Tell el-Ḥesī [Tell el-Hesi] die stratigrafische Ausgrabungsmethode ein (s.o. 1.2.; → Tell). Er kannte durch seine Arbeit in Ägypten bereits den chronologischen Wert stratifiziert aufgefundener → Keramik und stellte als erster Forscher für Datierungszwecke eine relativchronologische Reihe von Keramikartefakten auf, die er aus den Ausgrabungsschichten gewann.

Angesichts der großen Bedeutung der Keramik für die Datierung begann man schon früh mit der Erstellung großer Keramiksammlungen, wovon das »Corpus vasorum antiquorum« (1921ff.), das weltweit alle in Museen befindlichen klassischen Keramikobjekte erfassen sollte, wohl die nachhaltigste Wirkung erreicht hat. Auch für Palästina entstanden bald erste Zusammenstellungen lokaler Keramik, die von J.G. Duncan, C.S. Fisher und schließlich von P. Delougaz herausgegeben wurden. Dabei zeigte sich bereits in der zeitlichen Abfolge dieser drei Veröffentlichungen eine Abkehr von der enzyklopädischen Zusammenstellung einzelner Fundobjekte. Mehr und mehr konzentrierte man sich auf typische Formen und Stile, was eine bewusste Reduktion der subjektiven Auswahl bedeutete. Mit dem von R. Amiran herausgegebenen Band »Ancient Pottery of the Holy Land« lag 1969 zum ersten Mal ein konsequent chronologisch angeordneter Keramikkatalog vor, der sich auf keramische Leitformen konzentrierte.

Die stratifizierte → Keramik ermöglicht es, an einem Ausgrabungsort eine lokale Chronologie zu erstellen. Da aber alle Objekte einer Fundschicht zu einem jeweils eigenen Zeitpunkt hergestellt wurden, eine bestimmte Zeit benutzt und dann erst gemeinsam (z.B. am Tag der Zerstörung / im Zeitraum des Verfalls) im Boden abgelagert wurden, sind die Funde eines Stratums nicht gleich alt. In Bezug auf den gemeinsamen Ablagerungszeitpunkt der Artefakte eines Stratums können sie zeitgleich, älter oder in Ausnahmefällen sogar jünger sein. Die zeitgleichen Funde kommen der Entstehung der Ablagerungsschicht am nächsten. Auf deren Leitformen basiert im Allgemeinen die Zuweisung eines Stratums zur jeweiligen Kulturzeit.

Das relativchronologische Datieren der von Leitformen bestimmten Strata ermöglicht es, den Zeitablauf eines Ausgrabungsortes in die Geschichte – speziell des näheren geografischen Umfeldes – einzuordnen. Sind die einzelnen Keramikgattungen und deren ganz unterschiedliche Laufzeiten mit den Strata eines Tells abgeglichen worden, so können auf dieser Basis auch Vergleiche zu anderen Ausgrabungsstätten gezogen werden.

2.4.2. Typologie und Seriation

Nicht immer sind die stratigrafischen Zusammenhänge so augenfällig zu beobachten wie an der vertikalen Stratigrafie eines Tells oder einer Chirbe (Ruine). Will man Hortfunde oder die horizontal über eine Fläche verteilten Gräber einer Nekropole in ein verlässliches chronologisches Schema einordnen, so sind methodische Schritte anzuwenden, die bereits im 19. Jh. entwickelt und als typologische Methode bekannt wurden (Näheres → Keramik).

Die Seriation dient der Ordnung von archäologischem Material. Ordnungskriterien, nach denen vorliegendes Material möglicherweise gegliedert werden kann, sind z.B. zeitliche Abfolgen, ebenso die soziale Stellung, das Geschlecht und / oder das Alter der den Funden zuzuordnenden Personen oder Gruppen sowie die geografische Herkunft o.ä. (Näheres → Keramik)

2.4.3. Weitere Möglichkeiten der Datierung

Schon in persischer Zeit, spätestens aber mit dem Hellenismus eröffnet sich die Möglichkeit, die nun häufiger anzutreffenden Münzfunde für eine Datierung heranzuziehen (→ Münze). Dabei spielt das Problem der Schlussmünze, d.h. der innerhalb eines „geschlossenen Fundes“ am spätesten geprägten Münze, eine besondere Rolle, da sie den „Terminus post quem“ ihrer Ablagerung im Kontext angibt.

Auch die Inschriftenfunde – schon in vorhellenistischer Zeit von sehr großem Wert – bekommen in der hellenistisch-römischen Ära durch ihren quantitativen Zuwachs eine besondere Relevanz.

In noch stärkerem Maße gilt diese Feststellung für die chronologische Einordnung auf der Basis kunstwissenschaftlicher Kriterien, wie sie besonders in der Klassischen Archäologie praktiziert wird. Die Erkenntnisse der relativen Chronologie ergeben sich dabei vor allem aus Stil- und Formanalysen.

Architektur, Plastik (Rund-, Flachbilder) und Glyptik (Stempel- und Rollsiegel), weiterhin Schmuck, Waffen, Geräte und vieles andere mehr sind auch schon in der vorklassischen Zeit für chronologische Zwecke interessant. Daraus hat sich ein breites Methodenspektrum entwickelt.

2.5. Naturwissenschaftliche Datierungsmethoden

Bei vielen der in den vorangegangenen Kapiteln beschriebenen Möglichkeiten zur zeitlichen Einordnung von archäologischen Funden und Befunden handelt es sich um relativchronologische Datierungen. Die naturwissenschaftlichen Methoden ermöglichen neben relativ- vielfach auch absolutchronologische Aussagen. Da diese weder orts- noch kulturgebunden sind, sondern nach einem allgemein eingeführten chronologischen Prinzip „geeicht“ werden, besitzen sie den großen Vorteil, eine weltweite Vergleichbarkeit zu ermöglichen.

2.5.1. Dendrochronologie

Die dendrochronologische Altersbestimmung basiert zunächst auf einer einfachen Beobachtung: In allen Gebieten mit einer saisonalen Vegetationsperiode wächst das Bildungsgewebe in den Stämmen und Ästen (Cambium) periodisch. So entsteht jeweils eine klare, auch mit bloßem Auge gut sichtbare Grenze zwischen dem Ende der vorjährigen und dem Beginn der darauf folgenden Wachstumsperiode, der Jahresring. Durch das Auszählen der konzentrischen Ringe lässt sich das Alter von Bäumen bestimmen. Der jahreszeitliche Wechsel von Regen- und Trockenzeit in Palästina wirkt sich ähnlich aus wie der wechselnde Rhythmus von Sommer und Winter in Europa.

Die Dicke des Jahresringes ist von vielen Ursachen abhängig, z.B. von der Art, dem Alter und dem Standort des Baumes, insbesondere aber vom jeweils vorherrschenden Klima. Jeder Baum hat demzufolge eine für seine Lebensepoche und seinen Standort charakteristische Abfolge von unterschiedlich starken Jahresringen („finger print“). Will man zu einer absoluten Altersbestimmung kommen, muss man Bäume entsprechend ihrer Jahresringstruktur vom Fälldatum her zurückrechnen. Ältere Bäume, Hölzer oder Holzprodukte, deren Fälldatum unbekannt ist, müssen in eine geschlossene Abfolge von sich gegenseitig überlappenden „finger prints“ gebracht werden. Ist der Anschluss an das jeweils zeitlich vorangegangene Holz gesichert, kann eine lange, chronologisch weit zurückreichende Sequenz ermittelt werden.

In Palästina fehlt eine bis in ältere Zeit reichende Standardsequenz. Nicht nur der seit Jahrtausenden geringe Baumbestand (eingeschlossen die daraus zwangsläufig folgende übliche Wiederverwendung alten Holzes), sondern auch die ungünstigen Erhaltungsbedingungen für Hölzer sind dafür verantwortlich.

2.5.2. Radiokarbonmethode

Die 14C-Methode dient der zeitlichen Bestimmung bioorganischer Proben. Das von W.F. Libby 1949 entwickelte Verfahren basiert auf der Tatsache, dass eines der drei in der Natur vorkommenden Kohlenstoff-Isotope, das 14C-Isotop, radioaktiv ist und über lange Zeiträume zerfällt, wobei das stabile 12C-Isotop gebildet wird. Die Halbwertzeit, d.h. die Zeit, in der die Hälfte des 14C-Isotops zerfällt, beläuft sich auf 5730±40 Jahre. Das 14C-Isotop entsteht in höheren Schichten der Atmosphäre beim Aufeinandertreffen von Neutronen und Stickstoff (14N) und reagiert mit dem Sauerstoff der Luft zu Kohlendioxid. Zerfall und Neubildung führen zu einem Gleichgewicht, sodass die stationäre 14C-Konzentration (in Form von Kohlendioxid) in der Atmosphäre als konstant angesehen wird.

Gleiche Isotopenverhältnisse werden demnach auch in pflanzlichen Organismen angetroffen, da die Pflanzen das Kohlendioxid über die Photosynthese aufnehmen. Durch die Nahrungskette gelangt der radioaktive Kohlenstoff von dort in entsprechenden Konzentrationsverhältnissen in jedes Lebewesen.

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Stirbt ein Organismus ab, so wird durch die Beendigung der Aufnahme von Kohlenstoff (und damit von 14C) die chemische Wechselwirkung mit der Atmosphäre unterbrochen. Nun läuft nur noch der Zerfallsprozess des 14C-Isotops ab. Dieser erfolgt gemäß einer exponentiell verlaufenden Kurve mit definierter Halbwertszeit. Untersucht man nun eine Probe eines solchen abgestorbenen Organismus, kann man aus der Abnahme der 14C-Isotope (-DN) pro Zeitraum (Dt) auf die Zeit schließen, die seit dem Tod des Organismus (angegeben als B.P.; before present = vor 1950) verging.

Die Libby’sche Modellvorstellung setzte voraus, dass die Konzentration der 14C-Isotope in der Umwelt während der letzten 50000 Jahre konstant blieb. Selbst die Verteilung der Kohlenstoffmenge innerhalb der Atmosphäre, Biosphäre und der Ozeane gleiche derjenigen der Gegenwart. Diese Voraussetzungen treffen jedoch nicht zu, da der 14C-Gehalt der Atmosphäre nachweislich durch mehrere Ereignisse im Laufe der Zeit verändert wurde, u.a. durch Sonnenaktivität, das Verbrennen fossiler Rohstoffe und Atomwaffentests. Da die 14C-Konzentration im Verlauf der Jahrtausende offensichtlich nicht konstant war, wurde die Dendrochronologie zur „Eichung“, d.h. zur Kalibrierung der 14C-Werte eingesetzt. Um die 14C-Daten kalibrieren zu können, bedarf es weit zurückreichender, geschlossener dendrochronologischer Sequenzen.

Derart gewonnene Kalibrierungskurven, die heute etwa bis 9.900 v. Chr. zurückgehen, beschreiben die Schwankungen der 14C-Konzentration in der Atmosphäre während der letzten Jahrtausende. Mit etwas größerer Unsicherheit behaftete Kalibrierungsdaten, basierend auf 14C-Bestimmungen von Warven (Jahresschichten in stehenden Gewässern) und marinen Korallen, reichen allerdings bis zu 20.000 Jahre zurück.

2.5.3. Thermolumineszenz

Die Thermolumineszenzmethode wird in der Archäologie vor allem zur Datierung von Keramik benutzt. Jeder Körper strahlt beim Erhitzen von einer gewissen Temperatur an zunächst Wärme, dann Licht ab. Das Planck’sche Strahlungsgesetz beschreibt die Temperaturabhängigkeit dieses stets wiederholbaren Effekts. In bestimmten Fällen strahlen Körper jedoch schon unterhalb der erwarteten Temperatur Wärme und Licht ab. Dieses „Wärmeleuchten“ (Thermolumineszenz) ist nicht wiederholbar. Dabei wird einmalig im Körper gespeicherte Energie freigegeben. Ursache dieser Thermolumineszenz ist das permanente Einwirken ionisierender Strahlung auf elektrisch nichtleitende Festkörper am Ablagerungsort. Die in der Natur stets vorhandene Strahlung baut so über lange Zeiträume eine latente Thermolumineszenz auf, wobei immer mehr Elektronen in solche angeregte („metastabile“) Elektronenzustände überführt werden.

Erwärmt man einen solchen Festkörper auf ca. 500°C, werden diese Elektronen durch die Energiezufuhr von ihrer „metastabilen“ Position aus wieder in das sog. Leitungsband gehoben und geraten in einen instabilen Zustand. Von hier fallen sie zurück in ihren energetischen Grundzustand (Valenzband) unter Abgabe der bisher aufgenommenen Energie, die in Form von Wärme und Licht („Wärmeleuchten“) emittiert wird.

Mit Hilfe der Thermolumineszenz lässt sich das Alter von Keramik bestimmen. Dabei macht man sich zunutze, dass die letzte Erwärmung der Keramik auf Werte über 500°C (vor der im Labor bewirkten Thermolumineszenz) in aller Regel das Brennen des Keramikgefäßes war. Bei der Herstellung der Keramik wurde die damals vorhandene latente Thermolumineszenz „ausgeheizt“, sozusagen „auf Null gestellt“. Seit diesem Zeitpunkt baute sich allerdings erneut eine latente Thermolumineszenz auf, die nun im Labor gemessen wird.

Die Zeitdauer zwischen dem Brennen der Keramik und der Untersuchung im Labor errechnet sich im Wesentlichen aus der Menge der freigesetzten Energie, dividiert durch die am Ablagerungsort permanent auftretende Strahlungsdosis. Letztere ergibt sich aus der Messung der Radioaktivität am Fundort.

Die Thermolumineszenz wird häufig zum Echtheitstest von Keramikerzeugnissen verwendet.

2.5.4. Archäomagnetismus

Das Erdmagnetfeld hat seine eigene Geschichte. Es verändert über lange Zeit sowohl seine Richtung als auch die Intensität (Säkularvariation). Sind diese Veränderungen rückwirkend zu berechnen, so können (ähnlich der Dendrochronologie) für einzelne Gebiete Basiskurven (Master) aufgestellt werden, die sich die Archäologie zur chronologischen Bestimmung zu Nutze macht.

Gebrannte Tone erhalten während ihrer Abkühlung bleibende magnetische Eigenschaften mit den Parametern des zu diesem Zeitpunkt an diesem Ort bestehenden Erdmagnetfeldes. Seine Richtung und Stärke werden bei dieser remanenten Magnetisierung in den im Ton befindlichen Eisenoxiden (Hämatit, Magnetit u.a.) gespeichert. Kann man die Paramater des Magnetismus in einem Befund exakt messen, so ergibt sich die Möglichkeit zurückzurechnen, zu welchem Zeitpunkt sich das Erdmagnetfeld an diesem Ort in diesem Zustand (Stärke und Ausrichtung) befand.

In aller Regel kann das Alter nur solcher Objekte bestimmt werden, deren Lage zum Zeitpunkt des Auffindens exakt der des letzten Brandes entspricht. Das sind zumeist Installationen wie Feuerstellen, Herde und Öfen, z.B. Keramikbrennöfen. Ist die ursprüngliche Lage und Ausrichtung der zu bestimmenden Objekte nicht exakt bekannt, bleibt für eine zeitliche Einordnung nur der Parameter der Stärke des Magnetfeldes.

Literaturverzeichnis

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Abbildungsverzeichnis

  • Die Entstehung eines Tells; Strata sind in der Reihenfolge der Bebauung nummeriert, werden bei Ausgrabungen jedoch umgekehrt in der Reihenfolge des Auffindens gezählt. Aus: D. Vieweger, Archäologie der Biblischen Welt (UTB 2394), 2. Auflage, Göttingen 2006, 97 Abb. 72; © BAI, Zeichnung: Ernst Brückelmann
  • „Harris-Matrix“ ; Beispiele von einfachen Schichtenfolgen. Aus: Vieweger, 2006, 159 Abb. 125 / 1f.; Zeichnung: Ernst Brückelmann; © BAI
  • Schematisierte Grabungsquadrate. Aus: Vieweger, 2006, 164 Abb. 127; Zeichnung: Ernst Brückelmann; © BAI
  • Idealisiertes Grabungsquadrat. Aus: Vieweger, 2006, 165 Abb. 128; Zeichnung: Ernst Brückelmann; © BAI
  • Luftaufnahme von Areal I auf Tell Zerā‘a in Nordjordanien. © BAI
  • Struktur der relationalen Datenbank des Biblisch-Archäologischen Instituts, Wuppertal, im Jahr 2003. © BAI
  • Exponentiell voranschreitender Zerfallsprozess des 14C-Isotops. Aus: Vieweger, 2006, 204 Abb. 155; Zeichnung: Ernst Brückelmann; © BAI

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