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(erstellt: Januar 2015)

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1. Offenbarung als Reflexionsbegriff

1.1. Ein Schlüsselbegriff der → Systematischen Theologie

Das aus dem Mittelhochdeutschen abgeleitete Wort „offen baren“ bedeutet „offenlegen, aufdecken, enthüllen“, das griechische Äquivalent lautet apokalypsis, lateinisch revelatio. Mit diesen Formulierungen verbindet sich der Gedanke, dass Gott, der in der jüdisch-christlichen Tradition immer auch der verborgene Gott ist (Jes 45,1-5), etwas von sich preisgibt, dass er zeigt, wer und wie er ist, exemplarisch in der Offenbarung des Gottesnamens Jahwe (Ex 3,1-15). Nicht Sätze oder abstrakte Wahrheiten sind Gegenstand der Offenbarung, sondern Gott selbst, der sich mitteilt. In seiner Offenbarung erschließt er sich als ein Gott der Menschen und für die Menschen, als der, der mit ihnen Gemeinschaft haben und zu ihnen in Beziehung treten möchte. Ihren schriftlichen Niederschlag findet seine Selbstmitteilung in der Bibel.

„Offenbarung“ ist als theologischer Reflexionsbegriff zu verstehen, der die Geschichte Gottes mit den Menschen und sein Handeln an der Welt und den Menschen als Selbstmitteilung Gottes erschließt. Insofern er die gesamte Wirklichkeit, auf die sich der christliche Glaube bezieht, einfängt und das Selbstverständnis des Christentums artikuliert, kann er auch als theologischer Grundlagen- und Schlüsselbegriff gelten. Systematische → Theologie ist von ihrer Aufgabe her Offenbarungstheologie, weil sie in Entsprechung zur Selbstoffenbarung Gottes betrieben wird und diese auslegt.

Auch der Islam ist eine Offenbarungsreligion, unterscheidet sich allerdings in seinem Verständnis von Offenbarung wie im Umgang mit dem Koran als Offenbarungsschrift wesentlich vom Christentum.

1.2. Religionspädagogisch wenig bedacht

Offenbarung ist, von der Erwachsenenbildung und der Sekundarstufe II abgesehen, in der Regel kein eigenes Thema in Unterricht und Katechese. Insofern aber die Inhalte der christlichen Offenbarung ständig thematisiert werden, ist auf diese Weise der Offenbarungsgedanke selbst implizit ständig mit im Spiel. Als Schlüsselbegriff der Theologie ist „Offenbarung“ nicht nur für die Systematische Theologie, sondern auch für die → Religionspädagogik von Bedeutung. De facto wird er hier jedoch gegenwärtig kaum bedacht. Eine Untersuchung von 171 Aufsätzen aus den Jahrgängen 1999-2008 der „Religionspädagogischen Beiträge“, Zeitschrift der Arbeitsgemeinschaft Katholische Religionspädagogik und Katechetik, mittels korpuslinguistischer Methoden auf die Frage hin, welche Inhalte dort thematisiert wurden, erbrachte das Ergebnis: „Offenbarung“ rangiert ganz am Ende der Skala, noch hinter „Kirche“ und „Tradition“ (Altmeyer, 2011, 31-46). Von daher stellt sich als besondere Herausforderung, nach einer fundierten fachwissenschaftlichen Klärung die religionspädagogische Relevanz dieser Kategorie herauszuarbeiten.

2. Fachwissenschaftlich-systematische Orientierungen

2.1. Der Ort der Offenbarung: Die Geschichte

Der Ort der jüdisch-christlichen Offenbarung ist die Geschichte; in ihr ergeht Gottes Wort. Insofern Geschichte zwar einerseits vom Menschen gemacht und geplant wird, andererseits aber auch als das Unplanbare und Unerwartete auf ihn zukommt, ist sie der für Gottes Offenbarung angemessene Ort beziehungsweise das angemessene Medium schlechthin. Denn die Offenbarung als freie Tat Gottes kann nicht von Menschen geplant oder erzwungen werden, sondern kommt ihnen von außen entgegen und hat den Charakter eines Geschenkes. Gott teilt sich in einer Vielzahl von geschichtlichen Ereignissen mit, beginnend mit der Berufung Abrahams und dem Exodus bis hin zu Jesus Christus (→ Christologie; → Jesus Christus – bibeldidaktisch I; → Jesus Christus – bibeldidaktisch II), dessen ganzes Leben als großes Geschichtsdrama zu verstehen ist. Alle diese geschichtlichen Ereignisse kreisen letztlich um eine Mitte: Gott selbst.

Dass die Offenbarung als geschichtliches Ereignis von außen auf die Menschen zukommt, ist nicht im Sinne eines Extrinsizismus zu verstehen, so als handele es sich dabei um eine dem Menschen rein äußerliche oder gar fremde Wirklichkeit. Beide Konfessionen haben das Erbe der Aufklärung und die Subjektphilosophie rezipiert und herausgestellt, dass die Bedingung der Möglichkeit des Verstehens und der Annahme der Offenbarung von Gott her im Menschen selbst angelegt ist. Auf katholischer Seite war es vor allem das Verdienst Karl Rahners, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die → anthropologische Wende der Theologie einzuleiten und die Frage nach dem Adressaten von Gottes Selbstmitteilung und nach den im Subjekt vorausgesetzten Bedingungen zu stellen und zu reflektieren. Mit ihrer anthropologischen Wende hat die Theologie in beiden Konfessionen einen Weg gebahnt, um zu zeigen, dass Menschsein von innen her auf Gottes Offenbarung hin ausgerichtet ist.

2.2. Jesus Christus als Höhepunkt der Offenbarung

Nach christlichem Glauben ist Jesus Christus die Selbstmitteilung Gottes schlechthin, Offenbarung und Offenbarer zugleich. In ihm erreicht die Gottesoffenbarung deswegen ihren Höhepunkt, weil sich hier Gott in einem konkreten geschichtlichen Menschen, Jesus von Nazareth, mitteilt. Katholische Theologie hebt dabei darauf ab, dass Gott unter den Bedingungen dieser Welt nicht mehr und nichts Größeres tun kann, als Mensch zu werden; darum betrachtet sie die Offenbarung unter den Bedingungen von Raum und Zeit mit Jesus Christus als abgeschlossen. Die evangelische Theologie formuliert hier zurückhaltender. Beide kommen überein in der Überzeugung: Nicht weil Gott den Menschen nichts mehr zu sagen hätte, sondern weil er in Christus alles gesagt und sich in ihm ganz gegeben hat, ist sie vollendet. Darum ist mit ihm die Endzeit, die „Fülle der Zeit“ (Gal 4,4) angebrochen; darum ist er „der einzige“ (Joh 3,16; Apg 4,12), der „Letzte“ (Lk 20,9-19) und die „Fülle Gottes“ (Eph 3,19).

In Jesus Christus offenbart sich Gott auf unüberbietbare Weise, macht sich so nahe und erfahrbar, dass die Menschen durch ihn Gemeinschaft mit ihm haben können. Und doch begegnet Gott in Christus nicht direkt und unvermittelt, sondern in menschlicher Gestalt, bleibt Gottes Offenbarung in ihm den Bedingungen von Raum und Zeit unterworfen. Endgültig abgeschlossen ist die Offenbarung erst → eschatologisch, am Ende der Zeit, wenn Gott „über alles und in allem“ herrscht (1Kor 15,28), sein Reich aufrichten und die Vollendung herbeiführen wird.

2.3. Ein Geschehen im Dialog von Gott und Mensch

Wenngleich die Offenbarung Gottes Initiative und Geschenk ist, so ist sie doch kein einseitiges Ereignis „von oben nach unten“. So wie ein Geschenk erst dadurch zum Geschenk wird, dass es angenommen wird, braucht die Offenbarung Menschen, die sich von Gott ansprechen lassen, seine Selbstmitteilung annehmen und sie weitertradieren. Darum ist der Mensch mehr als nur passiver Empfänger der Offenbarung. Das Hören auf sie, ihr glaubendes Annehmen und auch ihr Weitersagen und ihre Bezeugung gehören konstitutiv ins Offenbarungsgeschehen hinein. Offenbarung ereignet sich so als gott-menschliches Miteinander, als dialogisches Geschehen, als Wort und Antwort. Die Annahme und Weiterbezeugung der Offenbarung ist freilich nicht einfachhin menschliche Leistung, sondern geschieht in der Kraft des Heiligen Geistes ( → Heiliger Geist). Der Geist ist es, der die Offenbarung weitervermittelt.

Eben weil die Offenbarung das Annehmen von Gottes Selbstmitteilung und seine Weiterbezeugung umfasst, gehört ihre Erstbezeugung ins Offenbarungsgeschehen selbst mit hinein. Dies begründet die besondere Bedeutung der frühen, als „apostolisch“ bezeichneten Kirche, die selbst Bestandteil der Offenbarung ist. Dies begründet ebenso die besondere Bedeutung der schriftlichen Aufzeichnung der durch Gott ergangenen Offenbarung als „Heilige Schrift“, der besondere Autorität und normativer Charakter zukommt.

3. Theologiegeschichtliche Entwicklungen

3.1. Mittelalterlicher instruktionstheoretischer Offenbarungsbegriff

Das Verständnis von Offenbarung war im Lauf der Theologiegeschichte beträchtlichen Wandlungen unterworfen. Kennzeichnend für das Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert war eine fortschreitende Intellektualisierung der Offenbarungsidee, die später als „instruktionstheoretisch“ qualifiziert werden sollte: Offenbarung wurde verstanden als göttliche Belehrung über Heil und Erlösung, als Information über übernatürliche satzhafte Wahrheiten und Sachverhalte, als Übermittlung einer übernatürlichen Doktrin. Dem Menschen blieb als adäquate Reaktion nichts anderes als das gehorsame Annehmen und Fürwahrhalten von sonst uneinsichtigen Glaubenswahrheiten.

3.2. Kommunikationstheoretisch-partizipatives Offenbarungsverständnis der Gegenwart

Diesem Verständnis hat die neuere Offenbarungstheologie eine klare Absage erteilt. Auf evangelischer Seite setzte diese Auffassung spätestens mit dem deutschen Idealismus ein, auf katholischer Seite geschah dies vor allem in der Dogmatischen Konstitution über die Offenbarung „Dei Verbum“ auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil (Dei Verbum V 4 und 6). An die Stelle der belehrenden Instruktion setzt die gegenwärtige Theologie die Selbstmitteilung Gottes: Gott teilt nicht irgendwelche Lehren mit, sondern sich selbst. Verstand das Erste Vatikanische Konzil die Offenbarung als Übermittlung göttlicher Dekrete und Weisungen, so umschreibt das Konzil sie jetzt als Beziehung stiftendes Kommunikationsgeschehen zwischen Gott und den Glaubenden. Auf diese Weise gibt Gott Anteil an sich und an seiner Herrschaft, die unter den Menschen Gestalt gewinnen soll. Ähnlich versteht die gegenwärtige evangelische Theologie Offenbarung als „Erschließungsgeschehen“ beziehungsweise als „Selbstoffenbarung Gottes“.

Offenbarung vermittelt nicht Wissen vom Heil, sondern ist die Verwirklichung von Heil. Es gibt kein Heilsgeschehen außerhalb von ihr. Auf Seiten des Menschen entspricht ihr das Annehmen der Offenbarung, das Sich-Einlassen auf dieses Heilsgeschehen, das umfassend und ganzheitlich zu verstehen ist, bis hin zur liturgischen Feier. In diesem Sinne ist Offenbarung ein dialogischer Vorgang, ein Geschehen von Gottes Wort und menschlicher Antwort, ein Kommunikationsprozess, in den sich Gott wie Mensch einbringen – eben kommunikationstheoretisch-partizipativ.

4. Religionspädagogische und didaktische Perspektiven

4.1. Zum Verhältnis von Offenbarungstheologie und Religionspädagogik

4.1.1. Unterschiedliche Orientierungen

Offenbarungstheologie und Religionspädagogik beziehungsweise -didaktik verfolgen unterschiedliche Orientierungen: Während die eine die Selbstmitteilung Gottes in Jesus Christus zum Maßstab hat und von daher einen normativen Anspruch nicht nur geltend machen kann, sondern geltend machen muss, fokussiert die andere sich auf diejenigen, die diese Selbstmitteilung für sich annehmen und auslegen – Kinder, Jugendliche, Erwachsene. Die Zielsetzungen erscheinen auf den ersten Blick geradezu entgegengesetzt: hier die Inhalte des christlichen Glaubens, dort die Verstehens-, Deutungs- und Konstruktionsprozesse von Kindern und Jugendlichen, hier verobjektivierbare Aussagen, dort Subjektorientierung, hier institutionelle Religion, dort individuelle → Religiosität, hier verbindliches Bekenntnis, dort kreativ-produktive Konstruktionen.

Andererseits rekurriert selbstverständlich auch die Religionspädagogik auf das Christentum als Bezugsreligion und auf die christliche Tradition.

4.1.2. Religionspädagogik im Spannungsfeld von Dogmatismus und radikalem Konstruktivismus

Eine am Anspruch der Offenbarung ausgerichtete Religionspädagogik grenzt sich ab von zwei Extremen: dem radikalen Konstruktivismus (→ Konstruktivistischer Religionsunterricht) auf der einen und einem Dogmatismus auf der anderen Seite. Gewiss lassen sich in beiden Konfessionen Beispiele für eine dogmatistisch-belehrende Religionspädagogik finden: Auf katholischer Seite verfolgt der Jugendkatechismus Youcat (→ Katechismus) solche Tendenzen, im evangelischen Bereich begegnen sie innerhalb evangelikal-fundamentalistischer Strömungen (→ Fundamentalismus/Biblizismus, bibeldidaktischer Umgang). Instruktive Tendenzen können auch innerhalb der Praxis des Religionsunterrichts nicht völlig ausgeschlossen werden – seinem Sinn und Ziel entsprechen sie jedoch nicht. Eine Religionspädagogik, die sich im Spannungsfeld innerhalb der beiden Extreme bewegt, verweigert einerseits alle Formen belehrender Instruktion. Andererseits begnügt sie sich nicht damit, dass die Lerngegenstände nur eine perturbierend-verstörende Funktion entfalten, um individuelle Konstruktionsprozesse anzustoßen (Mendl, 2012, 111).

4.2. Der Beitrag der Offenbarungstheologie für die religionspädagogische und -didaktische Diskussion

4.2.1. Anwältin der tradierten Glaubensinhalte

Offenbarungstheologie versteht sich als Anwältin der tradierten Glaubensinhalte und der notwendigen Auseinandersetzung damit gegenüber einer einseitigen Fokussierung auf die Vielfalt der subjektiven Aneignungsprozesse. Nicht nur die verschiedenen in der Glaubensgeschichte begegnenden Überlieferungen haben sich am Grundgeschehen der Offenbarung auszuweisen, sondern auch die individuellen Konstruktionen. Dabei weiß die Systematische Theologie sehr wohl die individuell-existenziellen Aneignungsformen in ihren unterschiedlichen Gestalten, in Kunst, Musik, Literatur etc. als unverzichtbare Zugänge zum Glauben zu würdigen. Als Offenbarungswissenschaft macht sie jedoch die Religionspädagogik darauf aufmerksam, dass die Inhalte des Christentums sich nicht menschlicher Reflexion und gedanklicher Konstruktion verdanken, sondern dem „extra nos" der Offenbarung Gottes in Jesus Christus, so dass sie den Menschen vorgegeben sind und von Gott her auf sie zukommen. Dass der Gott, an den Christen glauben, einer ist, der das Heil der Menschen will, dass er im Alten beziehungsweise Ersten Bund immer wieder neu um sein auserwähltes Volk wirbt, wenn es sich von ihm abzuwenden droht, dass er nicht nur Israel, sondern alle Menschen vorbehaltlos liebt und unter ihnen sein Reich aufrichten möchte, dass dieser Gott Mensch wird in Jesus von Nazareth, dass dieser sich ans Kreuz schlagen lässt, obwohl er niemandem etwas getan hat, dass er vom Tod wieder auferweckt wurde, dass wir darum Hoffnung über den Tod hinaus haben – alles das haben Menschen nicht aus sich selbst, sondern verdanken sie der göttlichen Selbstmitteilung. Damit ist das Fundament angegeben, auf dem im Christentum theologische Aussagen nur möglich sind.

Der Rekurs auf die Offenbarung erscheint gegenwärtig umso dringlicher, als gegenwärtige Untersuchungen eine Auflösung biblisch-christlicher Vorstellungen und ein Schwinden des christl. Gottesbegriffes konstatieren. Auf der Grundlage des Religionsmonitors 2008 attestiert die Soziologie besonders der Religiosität junger Erwachsener und Jugendlicher einen Hang zur Unbestimmtheit bis hin zur schlechthinnigen Banalität – im Sinne von „Da ist etwas“ oder „irgendetwas wird es schon geben“ (Nassehi, 2009, 169-204). Verschiedene → empirische Erhebungen zur Religiosität von Kindern und Jugendlichen belegen, dass die christlichen Gottesvorstellungen bei ihnen an Relevanz verloren haben: „Wesentliche Aspekte der Gotteslehre [sind] bei den Kindern nicht präsent [...], die für das Selbstverständnis des christlichen Glaubens jedoch als konstitutiv anzusehen sind“ (Orth/Hanisch, 1998, 212). „Traditionelle Gottesattribute spielen für einen Teil der Kinder und Jugendlichen heute eine weniger wichtige Rolle als noch vor 20 Jahren“ (Ritter u.a., 2006, 185). Jugendlichen erscheint vor allem ein solches Gottesbild plausibel, „das von Aussagen der Anonymität Gottes bzw. des Göttlichen spricht, von der Universalität Gottes bzw. des Göttlichen [...] sowie von Gott als Einheit des Ganzen“ (Ziebertz/Kalbheim/Riegel, 2003, 340). Biblische Vorstellungen vom Gott, der sich den Menschen auf vielfältige Art und Weise zeigt, sie als der Gott Jahwe – „Ich bin da“ – auf ihrem Weg begleitet und in Jesus Christus Menschen geworden ist, treten zunehmend in den Hintergrund. Dies betrifft auch „ein wesentliches Gottesattribut der jüdisch-christlichen Tradition [...]: die Welt- und Geschichtsmächtigkeit. Gott verliert in der Welt und in der menschlichen Geschichte deutlich an Handlungsmöglichkeiten“ (Stögbauer, 2011, 298).

4.2.2. Rückbezug auf die christliche Tradition – mit ihren anstößigen Inhalten

Nicht nur die verschiedenen in der Glaubensgeschichte begegnenden Überlieferungen haben sich an der Offenbarung auszuweisen, sondern auch alle individuellen Glaubensvorstellungen und -artikulationen. Aus diesem Grund sieht die Offenbarungstheologie in den Inhalten des christlichen Glaubens nicht nur den Ausgangspunkt oder das Material für das eigene Theologisieren, sondern spricht ihnen normativ-orientierenden Charakter zu. Aus dem gleichen Grund reichen ihr nicht individuelle Konstruktionen – und seien sie noch so kreativ –, sondern sie verlangt eine methodisch-hermeneutisch geleitete und an der Sache selbst ausgewiesene Deutung im Kontext der christlichen Tradition. Den Rückbezug auf die Offenbarung fordert die Theologie je neu ein: im interreligiösen Horizont (→ Interreligiöses Lernen), indem sie geltend macht, dass es nicht „gleich gültig“ ist, ob im Zentrum persönlicher Konstruktionen Jesus Christus, Mohammed, Buddha oder ein oberstes Naturprinzip stehen, im christlichen Horizont, indem sie darauf aufmerksam macht, dass es Formen der individuellen Glaubensaneignung gibt, die zwar existenziell stimmig erscheinen, mit dem christlichen Glauben aber schlechterdings unvereinbar sind.

Weiter fordert der der christlichen Theologie aufgetragene Bezug auf die Offenbarung die Explikation zentraler christlicher Themen, auch wenn sie Kinder, Jugendliche oder Erwachsene möglicherweise nicht von sich her zum Thema machen, wie die Frage nach dem dreifaltigen Gott oder nach den Spezifika christlicher Erlösung. Bezüglich des Spektrums an Themen und Inhalten erwachsen im Rekurs auf die Offenbarung gegebenenfalls andere Fragen als diejenigen, die vor allem Kinder und Jugendliche von sich her stellen, wie die Frage nach Sinn, Leid oder Leben über den Tod hinaus. Zugleich sind von daher auch solche Inhalte zur Sprache zu bringen, die möglicherweise sperrig, ja anstößig anmuten: ein Gott, der das Leid der Welt nicht beseitigt, sondern sich in dieses Leid schickt, der erwartete Heilsbringer, der als Verbrecher umgebracht wird, menschliches Leben, das die Signatur des Kreuzes an sich trägt, Überwindung des Todes nur durch den Tod hindurch. Gleichermaßen macht Burkard Porzelt aus religionspädagogischer Perspektive geltend: „Ein Lernmodus, der das Subjekt (zu Recht!) hochschätzt, steht in der Gefahr, sperrige und befremdliche Inhalte der religiösen Überlieferung auszusparen, die diesem Subjekt vermeintlich nicht zugemutet werden dürfen. Dunkle und rätselhafte Seiten des biblischen Gottes beispielsweise drohen unterschlagen zu werden, weil sie als schädlich und unzumutbar gelten für heutige Menschen. Insofern dies geschieht, wird Religion in ihrer kennzeichnenden, pluralen und sperrigen Inhaltlichkeit unkenntlich gemacht“ (Porzelt, 2011, 117).

5. Forschungsdesiderate und offene Fragen

5.1. Offenbarung im Diskurs der Kinder- und Jugendtheologie

Explizit diskutiert werden der Offenbarungsbegriff und seine Relevanz gegenwärtig innerhalb der Kinder- und Jugendtheologie, wenn sie im Kontext von Religionsunterricht und Katechese betrieben wird. Insbesondere wird hier Offenbarung im Zusammenhang mit der Frage nach einer Theologie für Kinder respektive Jugendliche zum Thema (Pemsel-Maier, 2013, 57-67). Denn für die Begründung und Theorie von Religionsunterricht und Katechese kann als Konsens gelten, dass hier das individuelle Theologisieren nicht das letzte Maß aller Dinge sein kann, sondern dass religiöse Bildungsprozesse in diesen Zusammenhängen auf die christliche Offenbarung bezogen bleiben. Wenngleich die Inhalte in solchen Bildungsprozessen weder aufoktroyiert werden können noch dürfen, sind sie doch nicht beliebig. Wenngleich Theologie und Kirche nicht im Sinne eines Herrschaftsanspruches vorschreiben können, was zu glauben ist, weil Glaube nur in → Freiheit gelebt werden kann, wenngleich sie nicht über die Verstehens- und Deutungsweisen der Subjekte verfügen können, erheben sie doch mit der christlichen Offenbarung einen Wahrheitsanspruch. Mit gutem Grund macht Rudolf Englert daher auf die Relevanz der Verhältnisbestimmung von natürlicher Theologie und Offenbarungstheologie für die Religionspädagogik aufmerksam: „Was kann der Bezug auf die Tradition jüdisch-christlichen Glaubens heutigen Kindern und Jugendlichen geben, das sie sich in der Reflexion ihrer eigenen Erfahrungen nicht auch selbst geben könnten? Dies ist eine schwierige, aber auch wichtige Frage: Denn wenn Religionslehrer/innen nicht mehr erklären können, warum sie bei der Bearbeitung aktueller Problemlagen auf die christliche Glaubensüberlieferung zurückgreifen, wird sie auch ihr methodisches Geschick nicht retten“ (Englert, 2002, 238f.).

Der Diskurs um diese Fragen steht, ebenso wie die Konkretisierung einer Theologie für Kinder und Jugendliche, freilich erst am Anfang.

5.2. Die Klärung des Verhältnisses von Normativität und Individualität

Dahinter steht ein Grundsatzdiskurs, der im Dialog zwischen Religionspädagogik und Systematik ausgelotet werden muss und nur da ausgelotet werden kann: Es ist der Diskurs um die Bestimmung des Verhältnisses von objektiver Religion und subjektiver Religiosität, von Tradition und Innovation, von Normativität und Individualität, von Verbindlichkeit und Freiheit, vom Anspruch auf → Wahrheit und Verlangen nach Viabilität. Alle diese Spannungsfelder kreisen um die grundsätzliche Frage, wie religiöses Lernen und Lehren zu gestalten ist, das einerseits die Subjektorientierung des Religionsunterrichts ernst nimmt, andererseits aber die mit der Offenbarung gegebenen theologischen Ansprüche einlöst.

Die Balance von beiden Polen mahnt wiederum vor allem Rudolf Englert an, wenn er dazu auffordert, „das Sachgebiet der ‚objektiven‘ Religion und den Erfahrungszusammenhang der ‚subjektiven‘ Religiosität erst einmal zu unterscheiden und dann genau zu bedenken, wo welche Form des Lernens und wo welche Art von Zielen möglich sind“. Seiner Überzeugung nach muss speziell der Religionsunterricht heute „v.a. zwei Intentionen verfolgen: Er muss sich – erstens – zum Ziel setzen, mit einer substanziellen religiösen Tradition wie der jüdisch-christlichen Überlieferung so bekannt zu machen, dass dem Eigen-Sinn dieser Tradition gebührend Rechnung getragen wird (Dimension der ‚objektiven Religion‘); und er muss sich – zweitens – das Ziel setzen, die durch diese Überlieferung uns Heutigen zugespielten ‚Tradita‘, z.B. biblische Texte, theologische Deutungsmuster, spirituelle Ausdrucksformen, künstlerische Adaptionen, usw., Kindern und Jugendlichen für deren Auseinandersetzung mit religiösen Fragen so verfügbar zu machen, dass sie zu eigener religiöser Orientierungs- und Ausdrucksfähigkeit finden (Dimension der ‚subjektiven Religiosität‘)“ (Englert, 2005, 373). – „Wie lässt sich die Arbeit im Fach ‚Religion‘ einerseits so anlegen, dass eine grundlegende Offenheit religiöser Lernformen gewahrt bleibt, auf der anderen Seite aber doch auch gewisse Orientierungsregulative etabliert werden, die ein zu starkes Verschwimmen dessen, worauf es im Religionsunterricht ankommt, verhindern?“ (a.a.O., 369).

Literaturverzeichnis

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