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Segen/Segnen, bibeldidaktisch, Sekundarstufe

Schlagworte: Segnen, Sek. I, Sek. II

(erstellt: Januar 2015)

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1. Lebensweltlicher Zugang

Segen und Segnen sind theologische Begriffe, die umgangssprachlich vielfach begegnen, vom Geburtstagslied „Viel Glück und viel Segen“ über Redewendungen wie „etwas absegnen“, „das Zeitliche segnen“, „Fluch und Segen des …“ bis hin zu Sprichwörtern wie „Sich regen bringt Segen“. Der Segen verbirgt sich in Gruß- und Abschiedsformeln („Grüß Gott“ oder „Hals und Beinbruch“ – eine Verballhornung des hebräischen Hazlachah ubrachah: „Glück und Segen“) und taucht nicht zuletzt in Film, Literatur und Musik auf (beispielsweise Star Wars: „May the force be with you!“; Star Trek: „Live long and prosper!“). Noch verbreiteter ist wohl der dem Segen konträre Begriff des Fluches, beispielsweise in Fluchworten („verdammt“) und Literatur (von Dornröschen bis zu Harry Potter). In diesen Verwendungen zeigen sich verschiedene Aspekte des Segens:

Segen (hebräisch berakah = Segen, Stärke) meint erstens Kraft, Fruchtbarkeit, gelingendes Leben, also das dem Menschen begegnende Gute, verstanden als Gabe des segnenden Schöpfergottes. Dies klingt im Hendiadyoin „Viel Glück und viel Segen“ an. Es ist das, was dem Verfluchten fehlt. „Der Segen kommt nicht erst durch Worte“ (Schroer/Staubli, 2006, 31, dort auch die folgenden biblischen Beispiele). Segnen ist in diesem Kontext die Zustimmung zur Welt, so wie der Sterbende rückblickend „das Zeitliche segnet“, es ist „segnendes Jasagen“ (Nietzsche, 1980, 345).

Segnen meint zweitens „gut-sagen“ (griechisch eu-logein; lateinisch bene-dicere) und bezeichnen (lateinisch signare, daher deutsch segnen), also die Übertragung und Vergegenwärtigung des (von einer höheren Macht geschenkten) Guten durch Wort und Geste: „May the force be with you!“. Segnen hat in dieser Form soziale Funktion (wie sie im religionsgeschichtlich wohl ursprünglichen Segen, dem Gruß, deutlich wird). Es hat zudem legitimatorische Funktion („absegnen“). So dient Segnen im Alten Testament zur Korrektur der Erbfolge (Jakob statt Esau; Efraim statt Manasse; Gen 27; 48). Eng damit verbunden ist die Machtkomponente des Segnens: Segen kann gegeben und verweigert werden; Segen wird beziehungsweise wurde von der Bileamsperikope (Num 22,1-24,25) bis zur kirchlichen Waffensegnung eingesetzt zur Stärkung von Konfliktparteien. Segnen als wirkmächtige Einheit von Wort und Geste steht nicht zuletzt in einem genauer zu bestimmenden Verhältnis zur Magie, wie ex negativo einige der oben genannten Flüche zeigen.

Segnen meint drittens den Lobpreis: Biblisch wird Gott gesegnet (beispielsweise Ps 103; 104), eine Praxis, die sich vor allem in den Berachot des Judentums (vgl. Homolka, 2003), aber auch im Islam als Ehrerbietung gegenüber Mohammed und anderen wiederfindet.

In der zeitgenössischen Literatur zum Thema ist vielfach die These vom „Bedürfnis nach Segen“ zu lesen (→ Segen/Segnen, bibeldidaktisch, Grundschule, mit Literatur). Welche der genannten Segensaspekte sind im Leben heutiger Jugendlicher tatsächlich inwiefern bedeutsam?

Segen im erstgenannten schöpfungstheologischen Sinne als geschenktes Gutes benötigt jeder Mensch. „Die ursprünglichste und grundlegendste Segenserfahrung jedes Menschen, die auch auf die Gottesbeziehung übertragen wurde, ist das freundlich zugewandte Angesicht“ (Schroer/Staubli, 2006, 33). Dieses Angewiesensein auf Segen zeigt sich insbesondere, wenn Segen fehlt, beispielsweise bei Vernachlässigung und Ausgrenzung, Armut und Krankheit, wenn also Menschen und Welt (und Gott, so der Inbegriff des Fluches) sich abwenden. Der Deutung des Guten als „Segen“, also als Geschenk Gottes, stehen allerdings naturalistische und deistische Weltbildkomponenten Jugendlicher sowie der zeitgenössische Zwang zur Selbstgestaltung und Verantwortung für das eigene Geschick entgegen. Aus gleichem Grund wird die potenzielle Zustimmung zum eigenen Dasein („segnen“) für einen Großteil heutiger Jugendlicher weder in negativen (wie im zitierten Diktum Nietzsches) noch in positiven Zusammenhang mit Gott gebracht werden.

Segnen im Sinne des Zuspruchs des Guten in Wort und Geste erlebt zeitgenössisch eine gewisse Konjunktur. Während der Empfang des Segens während des Gottesdienstes (→ Gottesdienst, evangelisch; → Gottesdienst, katholisch) oder gar spezieller Benediktionen (wie des Blasiussegens) mit der Teilnahme am Gemeindeleben zurückgeht, während alltägliche Segnungen in der Familie (wie die der Kinder durch die Eltern oder der Speisen im Tischgebet) selten geworden sind und selbst die Sternsinger in vielen Gemeinden jünger und weniger werden, entstehen neue Formen außerordentlicher christlicher Segensfeiern. Diese finden sich als zielgruppenorientierte kreative Variationen traditioneller Benediktionen der katholischen Kirche (wie Segnungsgottesdienst für Biker mit Ausfahrt oder für Kranke und ihre Helfer), an Lebensorten, die zuvor kirchlich kaum begleitet wurden (wie → Übergänge zwischen Schulformen), sowie dort, wo Sakramente und Kasualien ihren Platz finden könnten, aber nicht mehr nachgefragt oder von der Kirche verweigert werden (wie Feiern der Lebenswende für Jugendliche oder Segnungsgottesdienste für Paare, siehe http://www.bistum-erfurt.de). Diese Segnungsfeiern wenden sich in diakonischer Intention auch oder gerade an Nichtchristen. Hinzu kommen Segnungen nicht-kirchlicher Akteure, die als freie Redner oder Ritualdesigner Feiern zu vielerlei Lebenswenden inszenieren und dabei abhängig vom Wunsch der Kunden und eigenem weltanschaulichen Hintergrund (von christlicher Theologin bis zum Schamanen) auch „segnen“, sei es in einem religiösen Sinne, sei es als sozialer Zuspruch. Dass diese Angebote Indizien eines allgemeinen und Jugendliche betreffenden „Bedürfnisses nach Segen“ sind, ist allerdings ebenso wenig empirisch belegt wie die Vermutung, dass das sich darin aussprechende allgemein menschliche Bedürfnis nach Schutz und Geborgenheit in der Selbstdeutung der Betroffenen auf Gott gerichtet, also auch subjektiv ein Bedürfnis nach Segen ist.

Für schulische Zusammenhänge ist zu beachten, dass die Jugendlichen erstens nicht wie Kinder nach körperlicher Nähe Erwachsener suchen und dass zweitens die Lehrer-Schüler-Beziehung, egal wie gelungen sie sein mag, aus institutionellen Gründen auch machtförmig ist, was nicht durch einen Segen verdoppelt werden sollte. Es wäre deshalb problematisch, hier ein Bedürfnis nach Segen finden und stillen zu wollen. Schulisch sind vielmehr indirekte, propädeutische und reflexive Zugänge angezeigt (s.u. 4.; dagegen: Mendl, 2008, 201-215).

Im Sinne eines solchen indirekten Zugangs wäre lebensweltlich auch nach einem Bedürfnis nach Fluch zu fragen als (objektives) Bedürfnis nach Widerstand gegen das Böse und seine Verantwortlichen.

2. Herausforderungen

Das Segnen gehört zu den grundlegenden Realisationsformen der Gottesbeziehung von Juden und Christen. Als solche führt es zu einer Gretchenfrage zeitgenössischer → Religionspädagogik, die unter dem Titel → performativer Religionsunterricht firmiert: Wie viel religiöse Praxis darf und muss in religionspädagogischen Zusammenhängen sein? Wie ernst und echt oder wie experimentell und spielerisch darf und muss diese „religiöse Praxis“ sein? Gibt es eine rote Linie zwischen Schule und → Katechese beziehungsweise Liturgie und wenn ja, wo verläuft diese?

Inhaltlich führt das Phänomen des Segens beziehungsweise Segnens zu großen theologischen Fragen, also solchen, die einfach, echt (also unbeantwortet) und grundlegend sind:

  • Wenn alles Gute als Segen und also Gabe Gottes gelesen werden können soll, woher kommt dann das Böse? (Theodizee)
  • Wenn Segen „schöpfungstheologisch Inbegriff der Vorsehung und Fürsorge Gottes für seine Geschöpfe ist“ (Scheuer, 2000, 397), wie ist solche Vorsehung im scheinbar kausal geschlossenen Weltlauf zu denken? (Handeln Gottes).
  • Wenn Segnen wirkmächtiges Zusprechen von Gutem ist, wie ist es dann zu unterscheiden von Magie? Wenn Segnen hingegen „nur“ ein performativer Akt vergleichbar dem Versprechen ist, welche Wirklichkeit kann es dann innerweltlich setzen? Anders gefragt: Ist „Segen ohne Gott“ möglich?
  • Segen ist voraussetzungslose Gabe, wird im Jakob-Esau-Zyklus jedoch durch Betrug (Isaaks) und Kampf (mit Gott) erworben und im Alten wie im Neuen Testament an sittlich richtiges Handeln gebunden (Dtn 7,12-14; Ps 67; Mt 25,34.41). Wie verhalten sich im Segnen also Gnade und Leistung?
  • Ist es wirklich angezeigt, seine Feinde zu segnen (Lk 6,28), oder gilt es nicht vielmehr, das Fluchwürdige klar als solches zu bezeichnen, wie es die Fluchparänese in Dtn 28,15-68 tut?

Der Segen stellt somit ein exemplarisches Problem dar, das mit Jugendlichen theologisierend kritisch bedacht werden kann. Theologisieren (→ Jugendtheologie) ist keine freischwebende Diskussion, sondern braucht prägnante Information und herausforderndes Material. Das heißt wiederum, dass es hier auch um biblisches Lernen und dessen spezifische Herausforderung geht, die Textwelt (samt ihrem Anspruch, über sich hinauszuweisen und Leben zu verheißen) und die Leserwelt in einen Kommunikationsprozess zu verwickeln (→ Bibeltheologische Didaktik).

Der Segen fordert heraus zum Dialog mit dem Judentum (→ Dialog der Religionen: Entwicklung, Modelle, religionspädagogische Relevanz); zum einen, da das „Buch der Segnungen“ der Tanach ist und nicht das Neue Testament, die Segenspraxis zwischen Christen und Juden jedoch differiert; zum anderen, da der Abrahamsegen in der Tradition des Paulus nicht selten fraglos christlich adaptiert wird, ohne zu bedenken, dass Christen Juden immer wieder handelnd verflucht haben und insofern Adressaten des mit dem Abrahamsegen verbundenen bedingten Fluches sind (Gen 12,3, vgl. Crüsemann, 2003, 3-6).

Nicht zuletzt stellt das Segnen in politischer Hinsicht eine Herausforderung dar, da es missbraucht wurde (insbesondere zur Segnung von Waffen) und wird (Segnung von Flughäfen oder Autos, wenn auch eigentlich primär von deren Benutzerinnen und Benutzern).

3. Biblisch-theologische Klärung

Die Welt ist für das Buch Genesis Gottes gute → Schöpfung, aber nicht unterschiedslos gesegnet. So gilt der Schöpfungssegen den Bewohnern des Wassers und der Lüfte, den Menschen und dem Sabbat (Gen 1,22.28; 2,3) – nicht aber den Landtieren, wohl weil sie für den damaligen Menschen eine reale Gefahr darstellten (so Ühlinger, 2001, 395). Die Menschen realisieren den ihnen zugesprochenen Segen nicht, sodass die Flut und nach dieser ein neuer Segen nötig werden (Gen 9,1), den Noach wiederum nicht unterschiedslos an seine Nachkommen weitergibt (Gen 9,25-27). Im biblischen Kanon wird der Segen bereits mit Abraham zum Instrument des geschichtlichen Handelns Gottes (gegen Westermanns These, Segen gehöre zur Schöpfungsordnung, die nichtsdestotrotz ein wesentliches Charakteristikum des Segens beschreibt): Abram soll ein Segen werden für alle Völker (→ Abraham und Sara, bibeldidaktisch, Grundschule; → Abraham und Sara, bibeldidaktisch, Sekundarstufe). Das konkretisiert sich sofort in der Segnung Abrams durch den Nicht-Juden Melchisedek (Gen 15,19) und später in der Segnung des Pharao durch Jakob (Gen 47,7.10). Historisch gesehen ist die „Erfindung einer Gestalt wie Abraham“ so spät wie bemerkenswert (Crüsemann, 2003, 8): Auf die Bedrohung des Exils reagiert Israel weder mit Abschottung noch Assimilation, sondern mit einer Figur, mittels der es selbst zum Segen für alle wird – ein Gedanke, der mit Bezug auf den Abrahamsegen in ebenso einzigartiger Weise christlicherseits missbraucht wurde: „So ist das Verständnis Abrahams […] geradezu beispielhaft für den Vorgang der Enterbung des Judentums geworden“ (a.a.O., 9).

Im kanonisch sich anschließenden älteren Jakob-Esau-Zyklus (→ Segen/Segnen, bibeldidaktisch, Grundschule, 3.) wird der Segensbetrüger Jakob schließlich aus freien Stücken vom Vater gesegnet, als er loszieht, um sich auf Intervention Rebekkas hin eine Frau aus dem Haus der Mutter zu suchen (Gen 27,46-28,5). Der doppelte Segen wirkt nun jedoch nicht von allein, sondern muss von Jakob und seinen Frauen errungen werden (→ Jakob – bibeldidaktisch I [Primarstufe]; → Jakob, bibeldidaktisch, Sekundarstufe): Jakob wird selbst zum Betrogenen (von Laban um Rahel beziehungsweise sieben Jahre, also um Fruchtbarkeit und Leben), kann nur mit List entkommen und muss vor der Rückkehr mit Gott (?) um den Segen ringen, den er doch eigentlich bereits hat (Gen 32,30f.), während die Frauen gebärend mit Gott und einander um Segen kämpfen (vgl. Fischer, 2003).

Die Geschichte des biblischen Segens ist also Schöpfungs-, Volkwerdungs- und Freiheitsgeschichte. Sie ist zudem eine politische, ethische und liturgische Geschichte: Segen und Fluch markieren die sittliche Ordnung. Gesegnet ist, wer den Nächsten liebt, verflucht ist, wer das Gegenteil tut. Dem Menschen werden Fluch und Segen zur freien sittlichen Entscheidung vorgelegt, vom Einzug in das Land (Dtn 28; 30,15-20) bis zur matthäischen Endgerichtsrede (Mt 25). Wer bereits gesegnet ist, muss Segen weitergeben, dem Sklaven bei der Entlassung Startkapital (Dtn 15,13f.), dem Armen Fest und Gabe, „die dem Segen entspricht, den du vom Herrn deinem Gott erhalten hast“ (Dtn 16,10.17). Mehr noch entspringe, so Ps 67, auf weltpolitischer Ebene aus dem Segen Israels Gerechtigkeit für alle Völker (zu denen auch die Christen gehören) (vgl. Bail, 2003). In diesem Psalm aus der Tempelliturgie konvergieren der Abrahamsegen und der Aaronitische Segen (Num 6,24-26, → Segen/Segnen, bibeldidaktisch, Grundschule, 3.; „Er lasse über uns sein Angesicht leuchten“ Ps 67,2) in der Idee weltweiter Gerechtigkeit.

Bereits diese knappe biblische Skizze zeigt die Richtung einer Antwort auf die obigen „großen Fragen“:

  • Nicht alles ist Segenswirklichkeit. Segnen und etwas als Segen bekennen heißt biblisch unterscheiden (Segen vom Fluch) und hoffen (Segen ist auch Verheißung: Gen 12,33). Segen ist kein bleibender Besitz, sondern muss je neu errungen werden (Jakob, Lea, Rahel). Segen ist insofern Teil der Freiheitsgeschichte zwischen Gott (der seine Gegenwart zuspricht) und den Menschen (die ihre Welt frei gestalten, sodass sie wird, was sie sein soll: segensreich). Zudem ist die Schöpfung als Schöpfung freigesetzt, das zu bedeuten, was sie ist, nämlich auch sie selbst im Sinne, dass ihr ein Eigenrecht zukommt. Wenn alles von Fluch und Segen magisch durchwaltet wäre, gäbe es weder Freiheit des Menschen (man müsste sich beispielsweise einer Krankheit als einem Fluch beugen, statt sie durch Medikamente oder Hygiene zu bekämpfen) noch Freiheit Gottes. Aus christlicher Perspektive ist die Welt freigesetzt, profan (nicht entweder verflucht oder gesegnet, sondern erstens naturwissenschaftlich beschreibbar und zweitens Raum menschlicher Selbst- und Weltgestaltung) und zugleich von Gott ermöglicht. Segnen verdichtet letzteres leiblich und sprachlich, ohne ersteres zu leugnen.
  • „Verflucht ist, wer am Holz des Kreuzes hängt“ (Dtn 21,23). Eine der bedeutendsten christlichen Segensgesten ist das Kreuz, das die Segenserwartung buchstäblich durchkreuzt. Auch dieser kreuzestheologische Tausch von Fluch und Segen (Gal 3) und der Bezug von Segen und „Pascha-Mysterium“ (SC 61) sind zu bedenken, wenn sich ausgehend vom Segen die Theodizeefrage stellt.
  • Der Begriff des Segnens changiert zwischen Magie und performativer Rede. Biblisch zeigen sich magische Anteile (im Sinne der Handhabung anonymer Kräfte) z.B. darin, dass der Isaaksegen ein stärkendes Mahl voraussetzt und nicht wiederholbar ist. An anderen Stellen ist der Segen freie Entscheidung Gottes. So kann Bileam nicht segnen, es sei denn, Gott lässt ihn. Die älteste Segensformel lautet „Der Herr segne und behüte dich" (Num 6,24) und beispielsweise nicht: „Mögest du behütet sein und Gutes erlangen“, überlässt also den Segen der Freiheit Gottes. → Religionspsychologisch (Magie als Suggestion) und → religionssoziologisch (Magie als „Entlastung vom Reflexionszwang der Moderne“, Friedrichs, 1993, 206) teilen Segnen und Magie bestimmte Eigenschaften, ohne dass dies problematisch sein muss. Genauso unproblematisch ist die Tatsache, dass im Segenswort geschieht, was gesagt wird, dass es also performativ ist. Nur: Was ist Segen darüber hinaus? Hier hilft ein Vergleich mit Wunsch und Zuspruch (vgl. Greiner, 2003, 43-57): Im Wunsch ist die Sprechende das Subjekt (Ich wünsche dir …), beim Segen hingegen Gott. Beim Wunsch ist deshalb unklar, wie er Wirklichkeit werden kann, wohingegen der Segen das Gute von Gott erwartet. Der Zusprechende wiederum behauptet dieses Gute indikativisch („Gott segnet dich!“), während der Segnende es im Optativ der Freiheit Gottes anheimstellt, Segen zu gewähren. Segnen ist auch kein fürbittendes Gebet um Segen, denn dieses spricht über einen anderen zu Gott (Gott, bitte segne sie!), der Segen hingegen spricht zum Gegenüber: „Der Herr segne dich!" Segen verbindet also den segnenden Menschen, den segnenden Gott und den Gesegneten, ohne die Freiheit eines der drei zu beschneiden. Dies geschieht im Zeichen (Wort und Geste): „Der Segen steht nicht für eine von ihm isoliert zu sagende Bedeutung. Er besteht darin, dass für die diesen Zeichenprozess Verstehenden im Zeichen das geschieht, worauf das Zeichen verweist“ (Meyer-Blanck, 2003, 323). Strittig ist, worauf das Zeichen verweist, ob, wie beispielsweise semiotische Segenstheorien annehmen, nur auf weitere Zeichen („die kirchliche Segenskultur“, a.a.O. 327) oder auf die „Gegenwart Gottes“ (Greiner, 2006, 23), was wiederum je nach zugrunde gelegter Denkform unterschiedlich ausbuchstabiert wird.
  • „Segen ist kein Wohlfühlwort ohne Konsequenzen“ (Bail, 2003, 128). Segen ist jedoch auch keine Forderung. Segen partizipiert vielmehr an der Grundstruktur menschlicher Freiheit, Fähigkeit zur Selbstbestimmung zu sein (Segen appelliert an Freiheit) und die eigenen Voraussetzungen nicht garantieren zu können (Segen eröffnet Spielräume der Freiheit).
  • Der Jesus der Feldrede verlangt, Fluch mit Segen zu beantworten (Lk 6, 28). Das bedeutet nicht, die böse Tat (Fluch) gutzuheißen, sondern den Täter (Fluchenden) aus der Verstrickung in die eigene böse Handlung zu befreien, wäre also „Entfeindungssegen“ (frei nach Pinchas Lapide). Strittig ist, ob dies bezogen auf den konkreten Fall apodiktisch oder verantwortungsethisch zu interpretieren ist.

Anders als das oben genannte „Sich regen bringt Segen“ suggeriert, kann der Mensch sich Segen weder selbst besorgen noch aus eigenem Recht segnen. Das ist zugleich die Grenze seines Missbrauchs, die in der Bileam-Perikope vom Engel gezogen und vom Esel erkannt wird. Wo sie verläuft, ist wiederum strittig (es sei denn, es handele sich um eindeutige Fälle wie die Segnung von Waffen, die katholischerseits verboten ist), da die korrespondierende Frage nach der sittlichen Richtigkeit der durch den Segen legitimierten Handlung strittig ist.

Die Vollmacht zu segnen hat aufgrund des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen auch in katholischem Verständnis jeder Christ. Die Einschränkung „Je mehr eine Segnung das kirchliche und sakramentale Leben betrifft, desto mehr ist ihr Vollzug dem geweihten Amt […] vorbehalten“ (Katechismus der katholischen Kirche, 2005, 1669) ist für religionspädagogische Zusammenhänge kaum relevant. Gesegnet werden kann hingegen jeder, der es will.

4. Didaktische Überlegungen

Das Thema Segen spielt in den aktuell gültigen Bildungsplänen der Bundesländer für die Sekundarstufen nur im Förderschulbereich eine Rolle. Das steht in offensichtlichem Gegensatz zur praktischen Bedeutung des Segens. Wie oben dargestellt, führt Segen zudem als exemplarische Frage in die Mitte des christlichen Glaubens und ist folglich prädestiniert für eine → jugendtheologische Erschließung.

Die Wege dorthin sind so vielfältig wie die Lerngruppen und die möglichen exemplarischen Materialien. Motivierend und erhellend ist dabei der Zugang über den Fluch, da dieser in der biblischen Heilsökonomie an den Segen gebunden ist, in der Lebenswelt häufiger vorkommt, mit ihm leichter spielerisch umgegangen werden kann und die Nähe zu Magie (am Beispiel der Märchen) und Performanz (am Beispiel alltäglichen Fluchens) leichter erschlossen werden kann, als dies beim Segen der Fall ist. Sinnvoll kann hier sein:

  • die Analyse der Verwendung der Begriffe „Segen“ und „Fluch“ in der Umgangssprache;
  • die Suche nach „Segen“ und „Fluch“ in → Film, → Musik und Literatur (→ Ganzschriften, Kinder- und Jugendliteratur) und die exemplarische Analyse (beispielsweise „Wie wirkt der Fluch bei Harry Potter?“);
  • Gedankenexperimente zum Fluch („Stell dir vor, deine Mutter sagt zu dir: ‚Nie mehr möge dir etwas gelingen‘ …“);
  • Erfinden von Fluchworten und -gesten, Nachdenken über deren Wirkung;
  • Sittliche Bewertung des Fluchens/Diskussion des christlichen Fluchverbots

Dies kann zum Segnen als wirkmächtige Handlung im Vergleich zum Fluch führen, für die sich anbietet:

  • Annäherung über → Bilder (Darstellungen biblischer Segensszenen, Ikonen und anderes mehr);
  • Annäherung über die Hand (Faust, Segensgesten, Handauflegung; vgl. Lange);
  • Annäherung über Gesicht und Rücken (Zuwendung, Abwendung, Aufgang);
  • Beschreibung und Analyse bekannter/erlebter Segenshandlungen;
  • Kennenlernen liturgischer Segensformeln (insbesondere des Aaronitischen Segens);
  • Expertenbefragung (Eltern, Großeltern, kirchliche Mitarbeiter);
  • Vergleich von Segen mit Wunsch, Zuspruch und Gebet;
  • Schreiben von Gegen-Segensworten zu den gefundenen Fluchworten;
  • Nachdenken über die Wirkung von Segensworten und -gesten;
  • Überlegung, wer wen warum segnen sollte;
  • Kennenlernen der Sternsinger (http://www.sternsinger.org/), Überlegungen zum Zusammenhang von Segen und Einsatz für andere Menschen;
  • Konfrontation mit Fällen des Missbrauchs des Segens (beispielsweise Segnung der Atombombe)

Ein alternativer Weg ist der schöpfungstheologische Zugang zum Phänomen des Segens beispielsweise mit:

  • Sammlung dessen, was die Schülerinnen und Schüler als Segen, was als Fluch bezeichnen würden;
  • Begründung und Analyse (Wird der Begriff „Segen“ hier im eigentlichen oder uneigentlichen Sinne verwendet? Gibt es Verantwortliche für das als Segen beziehungsweise Fluch Bezeichnete? Mit welchem Recht kann man etwas „Segen“ oder „Fluch“ nennen, das von Menschen stammt oder naturwissenschaftlich erklärbar ist?)

Integraler Bestandteil beider Zugänge zum Segen ist die Auseinandersetzung mit den genannten exemplarischen biblischen Texten:

  • Annäherung an Psalm 67 evtl. nach Baldermann (über Auswahl einzelner Psalmverse, Assoziationen und künstlerische Gestaltung), durch Rezitation, Schreiben eines eigenen parallelen Psalms;
  • Erschließung des Jakob-Esau-Zyklus mit Blick auf den Kampf Leas, Rahels und Jakobs (vgl. Theuer, 2013);
  • Dtn 28/Schreiben eigener Segens- und Fluchparänesen

Eine unverzichtbare Dimension der Erschließung des Segens ist neben der innerchristlichen Ökumene der Dialog mit dem Judentum:

  • Gemeinsamkeiten (beispielsweise Verwendung) des Aaronitischen Segens;
  • Vom Judentum lernen: Segen als Schöpfungslob entdecken (Berachot)

„Kann ich die Bedeutung und intendierte Wirkung eines Gebets, eines Segens, Lobpreises, eines Versprechens begreifen, ohne diese Akte selbst erfahren oder vollzogen zu haben?“ (Mendl, 2008, 41). Wer diese Frage verneint, kann daraus schließen, der Religionsunterricht müsse in die genannten Vollzüge einführen (Mendl, 2008) oder sie unterrichtlich experimentell inszenieren (Husmann/Klie, 2005, 124) und so den Mangel an liturgischer Erfahrung der Jugendlichen kompensieren beziehungsweise die zu reflektierenden Vollzüge im Unterricht zur Geltung kommen lassen. Dabei besteht die Gefahr der Re-Katechetisierung des Religionsunterrichts und der pädagogischen Verzweckung Gottes. Die obigen Vorschläge setzen voraus, dass Jugendliche Erfahrungen von Fluch und Versprechen, Zuwendung und Abwendung haben und über diese einen Weg zum Verständnis des Segens finden können. Zudem sind sie wie jede sinnvolle pädagogische Intervention „performativ durchsetzt“ (mit Inszenierung biblischer Texte, Annäherungen über Gesten etc.). Hilfreich sind darüber hinaus propädeutische Formen des Segnens im Schulalltag, beispielsweise solche, die eine Spiritualität des Geburtstags in einer Lerngruppe kultivieren, zu einem Geburtstagslied neue Gesten der Stärkung ausprobieren (vgl. Sautermeister, 2002, 43-47).

In → katechetischen Zusammenhängen sind die religiöse Praxis und damit auch das gegenseitige Segnen hingegen zuhause. So können beispielsweise innerhalb der Firmkatechese Segnungen zum Sakrament führen und es zugleich in den Alltag integrieren. Aber auch schulisch ist eine bestimmte Segenspraxis angezeigt, nämlich die gemeinsame Gestaltung schulischer Segensfeiern, die im Unterricht über einen längeren Zeitraum vorbereitet werden, deren Besuch aber freiwillig ist. Dort können Jugendliche einander segnen. Zu beachten wäre dabei das oben zur Differenz von Wunsch und Segen Gesagte („Ich wünsche dir …“ ist kein Segen), sowie die sprachliche und gestische Gestaltung, die Einfachheit und Klarheit verlangt (vgl. Steffensky, 2006, 43-53). Erklärungen („Ich segne dich jetzt“) sind hier ebenso zu vermeiden wie Gesten, die anderweitig besetzt sind (Umarmungen), oder lange Texte, die den Segen inhaltlich ausgestalten oder gar Gelerntes rekapitulieren: Ein „Lehrsegen“ wäre ein Leersegen. Die Vorbereitung solcher Feiern, also die Suche nach bewährten Vorbildern und die Diskussionen über eine zeitgemäße Form, das richtige Wort, die passende Geste sowie deren Übung sind schon vor der eigentlichen Feier die ideale Gelegenheit, besser zu verstehen, was Segen sein kann.

Literaturverzeichnis

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  • Lange, Günter, „Hand und Heil", in: Katechetische Blätter 134 (2009) 2, 103-107.
  • Lutz, Bernd, Segensfeier und Sakrament, in: Katechetische Blätter 129 (2004) 2, 110-113.
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  • Westermann, Claus, Der Segen in der Bibel und im Handeln der Kirche, Gütersloh 1981.

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