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4.08. Der 1. Thessalonicherbrief (1Thess)

Übersicht über den 1. Thessalonicherbrief

1,1 Präskript
1,2-2,12 Proömium
2,13-3,13 Die Bewährung des Evangeliums durch die Gemeinde
4,1-5,11 Mahnung und Tröstung der Gemeinde
5,12-22 Schlussparänese
5,23-28 Postskript

Der 1Thess ist der älteste uns erhaltene Paulusbrief. Im Vergleich zu den anderen authentischen Briefen des Apostels zeigt er einige theologische Besonderheiten. So fehlen Aussagen sowohl zur Kreuzes- als auch zur Rechtfertigungstheologie. Deshalb sehen einige Exegeten im 1Thess das Zeugnis einer Frühphase der theologischen Entwicklung des Apostels, während ihn andere als Dokument der antiochenischen Gemeindetheologie lesen wollen.

Die Adressaten, Anlass des Briefes

Thessalonich war zur Zeit der Abfassung des Briefes Hauptstadt der kaiserlichen Provinz Mazedonien und Sitz des Prokonsuls. Die Stadt besaß aber trotzdem in ihrem Territorium die Verwaltungshoheit. Die demokratische Verfassung und die günstige verkehrstechnische Lage (guter Hafen an der nordöstlichen Ecke des thermäischen Golfes, die durch die Stadt führende Via Egnatia verband Rom mit dem Osten des Reiches) bewirkten die Entwicklung der Stadt zu einem wichtigen Handelsplatz. Die Kulte der Isis, des Sarapis, des Dionysos und der Kabiren sind archäologisch oder literarisch nachgewiesen. Apg 17,1 setzt die Existenz einer Synagoge voraus.

Die christliche Gemeinde in Thessalonich besteht offensichtlich in ihrer großen Mehrheit aus Heidenchristen (1,9; 2,14). Paulus hat die Gemeinde vor nicht allzu langer Zeit gegründet, sie dann aber zwangsweise verlassen müssen (2,17; vgl. Apg 17,5-9). Jetzt hat er durch Timotheus neue Nachrichten von der Gemeinde bekommen (3,6). Diese Nachrichten sind für den Apostel Grund zur Freude und zum Dank. Es ist aber auch zu einer gewissen Verunsicherung in der Gemeinde gekommen, weil einige Christen gestorben sind (4,13). Zugleich hat Paulus erfahren, dass die Gemeinde Pressionen von ihren Mitbürgern zu ertragen hat (2,14). Auch gegen den Apostel selbst sind wohl Verleumdungen gestreut worden. Jedenfalls verwahrt er sich in 2,1-12 gegen eine Gleichsetzung mit gewissenlosen Wanderpredigern, die nur ihren eigenen Vorteil suchen und ihre Anhänger einem ungewissen Schicksal überlassen.

Abfassungszeit und -ort

Im Präskript werden neben Paulus, Silvanus und Timotheus als Mitabsender genannt. Nach 2Kor 1,19 haben diese drei gemeinsam die Gemeinde in Korinth gegründet. Die Notizen in 3,1f. und das Fehlen von Grüßen am Ende des 1Thess sprechen für eine Abfassung des Briefes zu Beginn des korinthischen Aufenthalts, da in Korinth offenbar noch keine christliche Gemeinde existiert, die Grüße ausrichten lassen könnte. Der 1Thess ist also 50/51 in Korinth geschrieben worden.

Literarischer Charakter

Der 1Thess ist inhaltlich deutlich zweigeteilt. Während im 1. Teil (Kap. 1-3) die Danksagung dominiert, steht der 2. Teil (Kap. 4f.) unter dem Leitthema der „Heiligung“ (3,13; 4,3.4.7; 5,23). Durch den gesamten Brief ziehen sich Verweise auf die Parusie Jesu Christi, die meist am Ende von Sinnabschnitten stehen (1,9f.; 2,19; 3,13; 4,16f.; 5,23). Die Gemeinde wird von Paulus ermahnt, ihre „Erwählung“ (1,4) angesichts der kurz bevorstehenden Parusie zu bewähren. Die Bestimmung der literarischen Form des Briefes ist schwierig. Am ehesten ist 1Thess wohl als epideiktischer Brief zu bezeichnen.

Auch im 1Thess benutzt der Apostel mehrfach Traditionsstücke in seiner Argumentation. Exemplarisch seien 1,9f.; 2,15f. und 4,16f. genannt. Aber auch in 5,1-11 sind verschiedene „Traditionssplitter“ erkennbar.

Briefanfang

1,1 Präskript
1,2-10 Danksagung
2,1-12 Briefliche Selbstempfehlung

Im Präskript (1,1) fehlt der Aposteltitel (vgl. Phil 1,1; Phlm 1; 2Thess 1,1). In der Danksagung (1,2-10) erinnert Paulus an die Aufnahme, die das Evangelium bei der Gemeinde gefunden hat. Er beschreibt den Zustand der Gemeinde mit der Trias Glaube-Liebe-Hoffnung. In der freudigen Aufnahme des Wortes sind die Thessalonicher ein Vorbild für die Gläubigen in Mazedonien und Achaia geworden. „Denn man erzählt sich überall, welche Aufnahme wir bei euch gefunden haben und wie ihr euch von den Götzen zu Gott bekehrt habt, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen und seinen Sohn vom Himmel her zu erwarten, Jesus, den er von den Toten auferweckt hat und der uns dem kommenden Gericht Gottes entreißt.“ (1,9f.).

Die briefliche Selbstempfehlung (2,1-12) knüpft an die Erinnerung der Mission in Thessalonich an. Dabei verteidigt Paulus sich und seine Mitarbeiter gegen den Vorwurf, nur aus Eigennutz das Evangelium zu verkündigen. Vielmehr ist ihnen das Evangelium von Gott selbst anvertraut worden, dem allein sie zu gefallen suchen. Ihren Unterhalt haben sie durch Arbeit verdient.

Die Bewährung des Evangeliums durch die Gemeinde

2,13-16 Gottes Wort ist unter Bedrängnissen wirksam
2,17-3,10 Vergebliche Versuche des Apostels, die Gemeinde zu besuchen; Sendung und Bericht des Timotheus
3,11-13 Segenswunsch des Apostels

Da die Gemeinde die Verkündigung des Apostels als Gottes Wort angenommen hat, kann sie in den Bedrängnissen bestehen, die sie von ihren Mitbürgern erleiden muss. Das stellt die Adressaten den Gemeinden in Judäa gleich, die ihrerseits von den Juden verfolgt werden. Paulus benutzt hier traditionelle Topoi der innerjüdischen Gerichtspredigt und des antiken Antijudaismus, um die Schuld der Juden zu beschreiben. Es ist fraglich, ob er mit dieser harten Polemik andeuten will, dass auch in Thessalonich die Juden Urheber der Verfolgung seien (2,13-16).

Angesichts der Formulierungen, die Paulus in Röm 9-11 findet, erscheinen die Verse 2,15f. als äußerst anstößig. Es gibt aber keine Indizien, für eine sekundäre Hinzufügung dieser Passage. Wir müssen uns also der Problematik der paulinischen Argumentation stellen und sie etwa an Röm 11,31f. messen.

Paulus ist unfreiwillig von der Gemeinde geschieden und hat seitdem mehrfach vergeblich versucht, sie zu besuchen. Schließlich hat er Timotheus von Athen aus nach Thessalonich geschickt, damit dieser die Gemeinde in den zu erwartenden Bedrängnissen stärke (3,1-5). Der Bericht des Timotheus ist über die Maßen positiv ausgefallen. Um so größer ist der Wunsch des Apostels, die Gemeinde wiederzusehen (3,6-10; 2,17-3,10). Mit einem Segenswunsch schließt Paulus den 1. Teil des Briefes ab (3,11-13).

Mahnung und Tröstung der Gemeinde

4,1-12 Mahnung zur Heiligung der Gemeinde
4,13-18 Trostrede über die verstorbenen Christen in der Parusie
5,1-11 Die eschatologische Existenz der Christen

Die Mahnung zu einem Leben in der Heiligung (4,1-12) beginnt mit der Erinnerung an die Ermahnungen, die Paulus der Gemeinde bei der Gründung gegeben hat. Gott will die Heiligung der Gemeinde. Beispielhaft nennt der Apostel die Enthaltsamkeit von „leidenschaftlicher (sexueller) Begierde“ und den Verzicht auf geschäftliche Übervorteilung des Mitchristen. Wer diesen Weg der Heiligung verwirft, „der verwirft also nicht Menschen, sondern Gott, der euch seinen Heiligen Geist schenkt.“ (4,8)

Dem Verweis auf die Bruderliebe, in der die Adressaten noch vollkommener werden sollen, folgt schließlich die Mahnung, „vor denen, die nicht zu euch gehören, ein rechtschaffenes Leben (zu) führen“ (4,12). Die Christen sollen also nach außen durch ihren moralischen Lebenswandel keinen Anstoß erregen.

Nach diesen grundsätzlichen Fragen wendet sich Paulus dem Problem zu, das allem Anschein nach für einige Unruhe unter den Adressaten gesorgt hatte (4,13-18). Sie sind in Sorge, was mit den verstorbenen Gemeindegliedern bei der Parusie geschehen wird. Paulus verweist in seiner Antwort zunächst auf Tod und Auferstehung Jesu Christi als den Grund christlicher Hoffnung. Dann entfaltet er eine Art „apokalyptischen Fahrplan“, dessen Ziel die endgültige Vereinigung aller Christen mit dem Herrn ist. In dieser Hoffnung sollen die Thessalonicher einander trösten.

Das einmal angeschnittene Thema nutzt der Apostel zu Ausführungen, die den Adressaten ihre Existenz im Angesicht der nahe bevorstehenden Parusie dringlich ins Gedächtnis rufen. Unter Zuhilfenahme zahlreicher traditioneller Bilder (Dieb in der Nacht, Wehen der Endzeit, geistliche Waffenrüstung) mahnt er zur Wachheit und Nüchternheit. Gott hat die Christen als Kinder des Lichts durch Jesus Christus zum Heil und nicht zum Gericht bestimmt (5,1-11).

Briefschluss

5,12-22 Schlussparänese
5,23-28 Postskript

In der Schlussparänese (5,12-22) bemüht sich der Apostel, eine zwischenzeitlich entstandene Gemeindestruktur zu stärken. Nach einer erneuten Mahnung zu korrektem Verhalten folgt eine Reihe von Einzelanweisungen, die in ihrer Allgemeinheit zunächst enttäuschen. Trotzdem vermitteln sie holzschnittartig, was dem Apostel für das Leben der christlichen Gemeinde wichtig ist.

Das Postskript (5,23-28) ist weitgehend traditionell. Der Segenswunsch erbittet noch einmal die Heiligung der Gemeinde.

VG Wort Zählmarke
die-Bibel.dev.4.17.7
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