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6.2. Der Prophet Jeremia (Jer)

Wirksamkeit

Der Prophet Jeremia („JHWH erhöht“) stammt, so die Überschrift, aus einer priesterlichen Familie aus dem Ort Anatot bei Jerusalem. Jeremia wirkte von 627–587, seine Wirksamkeit ist in vier Phasen zu unterteilen:

  1. 1.Frühzeitverkündigung unter Joschija vor 609: Jer 1-6
  2. 2.Regierungszeit Jojakims (bis 598): Jer 7-20
  3. 3.597 bis zum Ende Jerusalems: 21; 22; 24; 27-29
  4. 4.Nach Beginn des Exils (587/6): Jer 40-44 (Bericht)

Das Jeremiabuch berichtet im Unterschied zu Jesaja von nur einem Propheten, doch lässt sich auch in ihm ein komplizierter Wachstumsprozess feststellen, den man zumindest in seinen Grundzügen kennen sollte.

Textformen

MT   LXX
1,1-25,14 Worte gegen Juda 1,1-25,13
25,15-38 Fremdvölkersprüche 25,15-38+
  (in LXX abweichende Reihenfolge) Kap. 46-51
    26-35
26-35 Bericht und Heilsansagen 36-45
36-45 Jeremias Leiden  
46-51 weitere Fremdvölkersprüche  
52 Die Zerstörung Jerusalems 52

Besonders auffällig ist, dass die griechische Übersetzung (Septuaginta) des Buches zum ersten einen deutlich kürzeren Text als die hebräische Version, zum zweiten eine unterschiedliche Anordnung der einzelnen Kapitel bietet. In Qumran wurden zudem hebräische Fragmente gefunden, die offenbar die gleichen Merkmale wie die LXX aufweisen. Daher kann man davon ausgehen, dass die LXX die ursprüngliche Form des Buches bewahrt hat. So findet sich in der griechischen Version das auch bei anderen Prophetenbüchern belegte Aufbauschema:

Unheil über Israel//Unheil über die Fremdvölker//Heil über Israel.

Wachstum des Buches

Die drei Stufen des Wachstums des Buches sind folgendermaßen zu charakterisieren: In einer ersten Phase wurden die

  • Aussprüche Jeremias gesammelt, sie sind in den Kapiteln 1-23 und 46-49 erhalten. Damit verbunden wurden dann
  • Erzählungen über Jeremia, die auf seinen Schreiber Baruch zurückgeführt werden (19,1-20,6; 26; 28-29; 34; 36-45) mit der besonderen Problematik der Leidensgeschichte Jeremias in 36-43. Hinzu kommt eine umfangreiche
  • deuteronomistische Redaktion, die sich nicht als größerer Textkomplex von den anderen beiden Blöcken abheben lässt, sondern in diese eingearbeitet wurde.

Der erste Komplex des Jeremiabuches, die Worte gegen Juda, werden zwar gelegentlich in drei Teile untergliedert (1-10; 11-20; 21-25), doch hat dies kaum Anhalt am Text.

Wichtige Einzeltexte

Jeremias Berufung

Wichtige Einzeltexte sind besonders die Berufung in Kap. 1 mit der Vision vom Mandelzweig und vom Kessel, der von Norden her kommt, um Unheil zu bringen. Ein charakteristischer Zug: Jeremias Einwand „Ich bin noch zu jung“ (V. 6), dazu: Gott kündigt Jeremia die Schwere des Auftrags an (V. 19).

Gerichtsworte

Kap. 2-6 sammeln Gerichtsworte gegen Israel/Juda und drohen das Kommen des Feindes aus dem Norden an (Explikation der Vision in Kap. 1). Bereits in diesen Kapiteln lassen sich typisch deuteronomistische Wendungen finden, daneben gibt es aber auch eindeutige Anspielungen an Hosea-Texte bis hin zu Wiederaufnahmen. So findet sich Hos 4,12f. „unter jedem grünen Baum buhlt Israel...“, in Jer 2,20 und 3,6; man vergleiche auch das ganze Kap. 3 mit Hos 6,1-3.

Tempelrede

Kap. 7 ist wohl einer der wichtigsten Texte des Buches, die sog. Tempelrede Jeremias, in Kap. 26 wird der dazu gehörende Bericht gegeben. Jeremia kündigt den Untergang des Tempels an, wohingegen seine Gegner aus dem Ruf (7,4) „der Tempel JHWHs, der Tempel JHWHs, der Tempel JHWHs ist dies“ (ganz in Übereinstimmung mit der „offiziellen“ Zionstheologie) die Hoffnung auf ewiges Bestehen des Gotteshauses ableiten. Jeremia zerstört diese Heilssicherheit, was ihn beinahe das Leben gekostet hätte. Der Hinweis der Ältesten in 26,18 auf Jeremias Vorgänger Micha (vgl. Mi 3,12), der Jeremia rettete, ist der einzige Beleg für das Tempelwort des Micha außerhalb des Michabuches. Jer 7,9 ist evtl. eine Anspielung auf den Dekalog oder eine Vorform, vgl. auch Hos 4,2.

Klage

Die besondere Aufgabe Jeremias besteht darin, dass er das Gericht nicht nur ansagen, sondern das Volk auch zur Umkehr rufen soll (vgl. 5,1-6; 6,9ff.; 6,27ff.). Kap. 8-10 wurde dann zusammengestellt unter dem Aspekt der Klage über die Unbegreiflichkeit des Abfalls dieses Volkes von seinem Gott.

Konfessionen Jeremias

11,18-12,6 I. „Ich aber war wie ein zahmes Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird.“
15,10-21 II. „Wehe mir, Mutter, daß Du mich geboren hast.“
17,14-18 III. „O Herr heile mich, so werde ich heil.“
18,18-23 IV. Bitte um Hilfe gegen die Feinde „Soll denn Gutes mit Bösem vergolten werden?“
20,7-18 V. „Du hast mich betört, Herr, und ich habe mich betören lassen.“

Kap. 11–20 werden oft als eigene Einheit herausgestellt, weil sich in ihnen die sogenannten Konfessionen Jeremias finden, Klagen des leidenden Propheten über die Zumutungen seines Amtes. Den Texten ist zu entnehmen, wie sehr Jeremia unter seinen Mitbürgern wegen seiner Aufgabe zu leiden hatte. Es ist dem Propheten unverständlich, wie Gott dies alles zulassen kann, wo er ihn doch selbst zum Dienst beauftragt hat. Gott sichert Jeremia zwar Unterstützung zu, sagt ihm aber gleichzeitig an, dass er noch mehr zu leiden habe. Die Lieder und Gebete sind der Form nach Klagen des Einzelnen, wie sie sich auch im Psalter finden (vgl. das Thema-Kapitel „Psalmengattungen“). Inhaltlich steigern sie sich aber bis zur Anklage gegen Gott, was bereits auf die entsprechenden Reden Hiobs vorverweist.

Zeichenhandlungen

Innerhalb dieses Textabschnitts finden sich auch Berichte über Zeichenhandlungen, die Jeremia vor dem Volk zur Illustration seiner Botschaft auszuführen hat, so Kap. 13 vom Gürtel und vom Krug mit Wein. In Kap. 16 wird das Leben Jeremias selbst zur Zeichenhandlung; die Traurigkeit seiner Existenz zeigt die kommende Trauer im Lande an (vgl. Jes 8,18). In Kap. 18 folgt das berühmte Töpfergleichnis: Israel ist in der Hand Gottes wie Ton in der des Töpfers. Nach Kap. 19 muss Jeremia einen Krug als Zeichen für das kommende Ende Jerusalems zerbrechen und kommt zur Strafe dafür in das Gefängnis (Kap. 20).

Einzelsprüche

Kap. 21,1-25,14 sind eine thematisch angeordnete Sammlung von Einzelsprüchen, die sich mit Worten an die Führenden im Volk beschäftigen, die Könige, die „Hirten“ und die Propheten. Kap. 23,5f. ist in diesen Zusammenhang eine messianische Weissagung beigefügt worden, die sicher als Kritik an dem zur Zeit bestehenden Königtum zu lesen ist.

Sprüche gegen die Völker

Kap. 25,15-38 und Kap. 46-51 (in der LXX folgen diese Texte direkt aufeinander) stellen Sprüche gegen die Völker der Umwelt Israels zusammen, eingeleitet durch das Bild vom Taumelbecher. Die Völker werden wie toll (betrunken) werden durch das Schwert, das JHWH über sie bringen wird. Die gesammelten Sprüche stammen sicher nicht alle von Jeremia und nicht alle aus einer Zeit, eine definitive Zuordnung ist aber kaum möglich. Inhaltlich geht es in den Kapiteln 46 gegen Ägypten, 47 gegen die Philister, 48 gegen Moab, 49 gegen Ammon, Edom, Damaskus, die Araber und Elam, 50-51 gegen Babel. Der geographisch orientierte Aufbau (Süden, Westen, Osten, Nordosten Israels) ist unverkennbar. JHWH erweist sich in diesen Sprüchen als Herr über die ganze Geschichte, zunächst zum Heil für Israel. Dann aber finden sich auch (spätere) Worte, die eine Heilsperspektive für die Völker aussagen. Dies ist Ergebnis des immer mehr monotheistisch orientierten Gottesbildes, das notwendig über den strikten Gegensatz Israel//Völkerwelt hinauskommen muss (vgl. oben zu Tritojesaja).

Heilsworte

Kap. 30-33 sind eine Zusammenstellung von Heilsworten. 30-31 wird als „Trostrolle für Efraim“ bezeichnet, die wohl ursprünglich allein an das untergegangene Nordreich gerichtet war und dessen Bewohnern neues Heil ankündigt. Später wurde die Perspektive auf ganz Juda erweitert, vgl. 31,31-34 (und Ez 36), die Verheißung des neuen Bundes (vgl. das Themenkapitel „Bund“). Kap. 32 schildert die Aufforderung an Jeremia, in Anatot einen Acker zu kaufen. Jeremia signalisiert so, dass es für Juda noch eine Heilsperspektive gibt. Dies wurde in der Situation der Belagerung Jerusalems gesprochen, Jeremia selbst saß im Gefängnis! Kap. 33 sammelt verschiedene Verheißungen.

Jeremias Schicksal

In den Kapiteln 26-29 und 36-45 finden sich verschiedene Berichte über Jeremias Schicksal. Kap. 26 erzählt Jeremias Ergehen nach der Tempelrede aus Kap. 7. Kap. 27-28 berichtet eine Zeichenhandlung: es geht um das Joch des Königs von Babel: Jeremia geht mit einem Joch durch die Stadt und fordert dazu auf, sich unter das Joch der Babylonier zu beugen, statt den Krieg zu riskieren. Der „Heilsprophet“ Hananja zerbricht dieses Joch, doch von Gott, der Jeremia ja den Auftrag gegeben hatte, kommt keine Hilfe. Erst die spätere Geschichte gibt Jeremia Recht: Hananja stirbt und Jerusalem wird erobert.

Kap. 29 ist ein Brief an die Verbannten des Jahres 597 in Babel. Jeremia fordert sie auf, sich in der Verbannung einzurichten und sogar für die Fremden Fürbitte zu leisten: „Suchet der Stadt Bestes“, V. 7. Kap. 35 schildert die Treue der Rechabiter, die der Überlieferung ihrer Vorväter treu blieben, im Gegensatz zu Israel, das von JHWH abgefallen ist. Nach Kap. 36 wird vom König Jojakim Jeremias Buchrolle verbrannt, worauf Jeremia dem Schreiber Baruch die Texte neu diktiert. (Wahrscheinlich ist das Siegel dieses Berechjahu ben Nerijahu erhalten geblieben.)

Zerstörung Jerusalems

Kap. 37-45 berichten Jeremias Geschick von den letzten Tagen Jerusalems bis zu seiner Verschleppung (und weitergehenden Verkündigung!) nach Ägypten, nachdem er noch nach der Zerstörung Jerusalems und dem Untergang des Tempels frei in Israel leben konnte. 45,1-5, das Wort Jeremias an Baruch, war vielleicht der ursprüngliche Buchabschluss. Kap. 52 ist ein Anhang, der Passagen aus 2Kön 24-25 wiederholt. Ähnliches kann auch in 39,1-10 und Jes 36-39 beobachtet werden.

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Die Texte auf dieser Seite sind mit freundlicher Genehmigung übernommen aus:

Cover der Bibelkunde des Alten Testaments von Martin Rösel

Rösel, Martin: Bibelkunde des Alten Testaments. Die kanonischen und apokryphen Schriften. Mit Lernübersichten von Dirk Schwiderski, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 11., veränd. Aufl. 2021.

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