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6.1.2. Das Deuterojesajabuch (DtJes)

Entstehung

Im Unterschied zum ersten Jesaja setzen die Kapitel 40-55 voraus, dass die früher angesagte Katastrophe bereits eingetreten ist, viel mehr noch: die Zeit ist nun reif für eine grundsätzliche Wende zum Guten. Diese Kapitel sind demnach deutlich später entstanden, sie setzen die Situation des Exils voraus und verweisen bereits auf den Perserkönig Kyrus, der dem neubabylonischen Reich, das Jerusalem zerstört hatte, das Ende bereiten wird. Die Rückwanderung der Exulanten nach Israel wird nur erwartet, nicht als geschehen beschrieben, daher ist ein Kernbestand der Texte wohl vor 539 v. Chr. entstanden, wahrscheinlich in Babylonien. Es ist möglich, dass „Deuterojesaja“ nicht ein einzelner Autor war, sondern dass eine Schule von Propheten hinter diesen Texten steht.

Gliederung

Auch hier ist eine Gliederung kaum sinnvoll. Manche schlagen einen großen Einschnitt nach Kap. 48, andere bei 49,14 vor, weil danach weder Kyrus erwähnt wird, noch weitere Götzenpolemik folgt und der Tenor der Darstellung zudem den Tritojesaja-Kapiteln näher steht. Deutlich ist aber, dass 52,7-10 den Buchanfang Kap. 40,1ff. aufnehmen. Auch die DtJes-Teile sind ihrerseits später überarbeitet und ergänzt worden. Es ist notwendig, sich folgende Einzeltexte und Themen einzuprägen:

Exoduserwartung

Kap. 40 setzt ein mit der Erwartung eines neuen Exodus; auf einer Prozessionsstraße wird das verbannte Volk mitten durch die Wüste nach Israel zurückkehren. Das Wort des Herrn wird sich durchsetzen, V. 8 (vgl. dazu 55,11, „...mein Wort wirkt, was ich beschlossen habe...“). Anfang und Ende des Textkomplexes gehen also davon aus, dass die Ankündigungen dieses Propheten sich in der Geschichte als wahr erweisen werden oder bereits erwiesen haben. 40,12-31 stellen Gottes Macht gegenüber den Kleingläubigen in seinem Volk fest. Dieses Motiv begegnet in DtJes häufig, Hintergrund sind die Zweifel, ob sich nicht JHWH mit dem Verlust Jerusalems und des Tempels als ein den babylonischen Göttern unterlegener Gott erwiesen habe. Als Gegenargument wird oft auf Schöpfungsvorstellungen zurückgegriffen, vgl. 40,12.22. JHWH ist nicht nur Herr der Geschichte Israels, sondern auch und vor allem der Schöpfer der ganzen Welt. In scheinbaren Diskussionen Gottes mit dem Volk setzt DtJes diese Perspektive argumentativ durch.

Gottesbild

Damit stellt sich notwendig die Frage, wie die anderen Gottheiten zu bewerten sind. Hierauf antworten die Texte, die eine götzenpolemische Tendenz haben, vgl. bereits 40,19f., dann 46,1-7 u.ö. Die Götter gelten als Nichtse, als einfache Bilder, von Handwerkern verfertigt (41,6f.). Damit wird der gedankliche Weg hin zu einem Monotheismus gebahnt, vgl. 44,6: „Ich bin der erste und der letzte, außer mir ist kein Gott“. Dies geht so weit, dass JHWH die Völker oder deren Götter vor Gericht zieht, so in 41,21-29. Alles gilt nun als Werkzeug des einen Gottes, Israel zum Heil.

Gegen Israel gerichtet liegt nur das Kapitel 48 vor. Doch ist dieses deutlich später entstanden, es setzt die Enttäuschung nach der Rückkehr nach Israel voraus, als die Heilszeit ausblieb. Ansonsten sagt DtJes Heil an, das dann, vgl. 50,10, auch auf die Völker ausstrahlt. Zion wird der Mittelpunkt der Erde (49,14-21), die Völker sehen es mit Staunen.

Ein wichtiges Einzelmotiv ist die Bezeichnung des Perserkönigs Kyrus als Messias Gottes (45,1). Damit wird einerseits die ältere Tendenz fortgesetzt, die fremden Mächte als Werkzeug JHWHs zu begreifen, andererseits zeigt sich daran auch die neue universalistische Ausrichtung, die dem erweiterten Gottesbild entspringt.

Gottesknechtslieder

42,1-4( -7, -9?) Hoheit und Armseligkeit des Knechtes
49,1-6( -7, - 13?) Der Knecht wird zum Licht der Völker
50,4-9( +10f.?) Klage des Beters ("Er weckt mich alle Morgen")
52,13-53,12 Der leidende Gottesknecht

Die wichtigste Textgruppe des ganzen Buches ist sicher die der (seit Bernhard Duhm, 1892) sogenannten Gottesknechtslieder. Diese Texte sind daher von den anderen abtrennbar, weil sie einen vergleichbaren Sprachstil haben und prononciert von einem Knecht JHWHs handeln, der offenbar eine sehr bestimmte Aufgabe im Heilsplan Gottes hat. Die Lieder sind ihrerseits offenbar nachträglich erweitert worden, daher die teilweise uneinheitlichen Abgrenzungen. Die Gründe, weshalb die Lieder in den jeweiligen Textzusammenhang eingefügt wurden, sind unklar, auch ob sie untereinander wirklich zusammengehören. Im ersten Lied redet Gott zum Knecht (Berufung?), das zweite und dritte ist in der ersten Person formuliert. Im dritten Lied ist allerdings gar nicht vom „Knecht“ die Rede. Im letzten spricht die Gemeinde, gerahmt wieder von Worten Gottes über den Knecht.

Deutung

Es ist außerordentlich umstritten, wer mit diesem Knecht gemeint ist. Ist ein Einzelner angesprochen, evtl. sogar „Deuterojesaja“ selbst? Oder ist Israel gemeint (die sogenannte kollektive Deutung)? Für beide Deutungen gibt es Parallelstellen aus dem ganzen AT, vgl. etwa Ps 69,36f. und 135,14. Teilweise werden auch beide Deutungen kombiniert („partiell-kollektiv“), gemeint sei eine besondere Gruppe in Israel.

Besonders das vierte Lied ist für das Neue Testament und die christliche Kirche wichtig geworden, weil hier die Vorstellung eines stellvertretenden Leidens zur Sündenvergebung ausgesprochen wurde „...die Strafe lag auf ihm zu unserem Heil...“ (53,5). Mit dieser Vorstellung konnte der Tod Jesu als stellvertretendes Sühneopfer gedeutet werden (vgl. Röm 3,21ff.). Auch die Rede von Christus als „Lamm Gottes“ bezieht sich auf diesen Text zurück (53,7).

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Die Texte auf dieser Seite sind mit freundlicher Genehmigung übernommen aus:

Cover der Bibelkunde des Alten Testaments von Martin Rösel

Rösel, Martin: Bibelkunde des Alten Testaments. Die kanonischen und apokryphen Schriften. Mit Lernübersichten von Dirk Schwiderski, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 11., veränd. Aufl. 2021.

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